Anguttara Nikaya

I. Die ersten fünfzig Sutten (pathamapannāsaka)

1. Kapitel: bhandagāma-vagga

A.IV. 1 Das Nichtverstehen

So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene im Lande der Vajjer, in Bhandagāma. Dort wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Mönche!« sprach er. »Herr!« erwiderten jene Mönche dem Erhabenen. Und der Erhabene sprach:

»Durch das Nichtverstehen, das Nichtdurchdringen von vier Dingen, ihr Mönche, haben sowohl ich als auch ihr diese lange Zeit die Geburten durchwandert, die Geburten durcheilt. Welches sind diese vier Dinge?«

  1. »Durch das Nichtverstehen, das Nichtdurchdringen der edlen Sittlichkeit, ihr Mönche, haben sowohl ich als auch ihr diese lange Zeit die Geburten durchwandert, die Geburten durcheilt.
  2. Durch das Nichtverstehen, das Nichtdurchdringen der edlen Sammlung des Geistes, ihr Mönche, haben sowohl ich als auch ihr diese lange Zeit die Geburten durchwandert, die Geburten durcheilt.
  3. Durch das Nichtverstehen, das Nichtdurchdringen der edlen Weisheit, ihr Mönche, haben sowohl ich als auch ihr diese lange Zeit die Geburten durchwandert, die Geburten durcheilt.
  4. Durch das Nichtverstehen, das Nichtdurchdringen der edlen Befreiung, ihr Mönche, haben sowohl ich als auch ihr diese lange Zeit die Geburten durchwandert, die Geburten durcheilt (*1).

Nun aber, ihr Mönche,

  1. ist jene edle Sittlichkeit verstanden und durchdrungen,
  2. ist jene edle Sammlung des Geistes verstanden und durchdrungen,
  3. ist jene edle Weisheit verstanden und durchdrungen,
  4. ist jene edle Befreiung verstanden und durchdrungen.

Abgeschnitten ist das Daseinsbegehren, gelöst das Daseinsleitseil (*2), kein weiteres Dasein steht bevor.«

Also sprach der Erhabene. Und nach diesen Worten sprach der Gesegnete, der Meister noch dieses:
 

»Tugend, Weisheit und Vertiefung, 
unvergleichliche Befreiung - 
eben diese Dinge schaute 
er, der hehre Gotama. 

(Die obere Strophe (auch in D. 16) bildet den Leitvers des Vimutti-Magga, eines nur in chinesischer Fassung erhaltenen alten Kompendiums der Gesamtlehre, das weitgehende Übereinstimmung mit dem Visuddhi-Magga aufweist, vgl. VisM - Vorwort)
 

Und der Buddha, dies durchschauend, 
wies die Wahrheit seinen Jüngern, 
er, der Meister, Leidvernichter, 
Seher, der vom Wahn erlöst.« 

(*1) Die ersten drei dieser vier Dinge entsprechen der dreifachen 'Übung' oder 'Schulung' (sikkhās. A.III.82ff.) und bilden ferner die drei Gruppen (Weisheit, Sittlichkeit, Sammlung) in die sich der zur Leidenserlöschung führende achtfache Pfad, (magga, die 4. Wahrheit) gliedert.

Der vierte Faktor, 'Erlösung' (vimutti, ist die durch höchste Vollendung dieses achtfachen Pfades erreichte Aufhebung des Begehrens (tanhā; = 2. Wahrheit), welches den Unwissenden und Unerlösten immer wieder 'die Geburten durchwandern' läßt. Sie ist gleichbedeutend mit der Erreichung des Nibbanas.

In einem Paralleltext, D. 16 (2. Kap.), gelten als die 'vier Dinge' die vier edlen Wahrheiten. Im 4. Kap. von D. 16 erscheint unser Text wörtlich.

Vgl. auch Schluß von A.VII.66.

(*2) bhavanetti; ein bildlicher Ausdruck für das Begehren (tanhā, an das gebunden die Wesen durch die leidvolle Wandelwelt dahingeführt werden, ebenso wie ein Ochse durch einen Strick geleitet wird.


A.IV. 2 Abseits der Lehre und Zucht

Wer, ihr Mönche, nicht mit vier Dingen ausgerüstet ist, der, sagt man, steht abseits dieser Lehre und Zucht. Welches sind diese vier Dinge?

Wer, ihr Mönche,

der, ihr Mönche, sagt man, steht abseits (*1) dieser Lehre und Zucht.

Wer aber, ihr Mönche, mit vier Dingen ausgerüstet ist, der, sagt man, steht nie abseits von dieser Lehre und Zucht. Welches sind diese vier Dinge?

Wer, ihr Mönche, ausgerüstet ist mit der edlen Sittlichkeit, ausgerüstet ist mit der edlen Sammlung des Geistes, ausgerüstet ist mit der edlen Weisheit, ausgerüstet ist mit der edlen Befreiung, der, ihr Mönche, sagt man, steht nicht abseits von dies Lehre und Zucht.
 

»Die, gierverstrickt, vom Pfad der Lehre weichen, 
die Wiederkehr ins Dasein ist ihr stetes Los. 
Die aber in vollbrachtem Werke Freude finden, 
ein höheres Glück folgt ihrem Glücke nach.« 

Verse = Thg. 63.

Zeile c wtl: »Das Werk ist vollbracht, erfreut hat man sich des Erfreulichen.« -

Zeile d: sukhen'ānvāgatam sukham. K: »Dem menschlichen Glück folgt himmlisches, dem Vertiefungsglück das Glück des Hellblicks, dem Hellblicksglück das Glück der hohen Pfade (des Stromeintritts usw.), dem Pfadglück das Glück der (entsprechenden) 'Früchte', und durch das Glück der hohen 'Früchte' wird das Glück Nibbānas gewonnen.«

Vgl. M. 14: sukhena sukham adhigantabbam, »Glück kann durch Glück erreicht werden.«)

(*1) Dahin gehören alle noch außerhalb der vier Heiligkeitsstufen stehenden Weltlinge (puthujjana) und, im Augenblick einer schlechten Willensregung, auch die drei ersten 'hohen Menschen' (d.i. der Stromergriffene usw.). Lediglich der vollkommen Heilige ist in diesen vier Dingen ganz gefestigt.


A.IV. 3 Ohne zu prüfen

Im Besitze von vier Eigenschaften, ihr Mönche, untergräbt und schädigt der Tor, der unverständige, unedle Mensch seinen Charakter, ist tadelnswert, wird von Weisen gerügt und schafft sich große Schuld. Welches sind diese vier Eigenschaften?

Im Besitze dieser vier Eigenschaften untergräbt und schädigt der Tor, der unverständige, unedle Mensch seinen Charakter, ist tadelnswert, wird von Weisen gerügt und schafft sich große Schuld.

Im Besitze von vier Eigenschaften, ihr Mönche, hält der Weise, der verständige, edle Mensch seinen Charakter unversehrt und unbeeinträchtigt, bleibt tadelfrei, wird von Weisen nicht gerügt und schafft sich viel Gutes. Welches sind diese vier Eigenschaften?

Im Besitze dieser vier Eigenschaften, ihr Mönche, hält der Weise, der verständige, edle Mensch seinen Charakter unversehrt und unbeeinträchtigt, bleibt tadelfrei, wird von Weisen nicht gerügt und schafft sich viel Gutes.

(Prosa wie in A.II.135-136; Verse = Snp. 658-660)
 

»Wer Tadelnswertes lobt und Lobenswertes tadelt, 
der sammelt mit dem Munde Unheil; 
kraft dieses Unheils findet er kein Glück. 
Verlust beim Würfelspiel ist nur geringes Unglück, 
selbst wenn man alles und sich selbst verspielt. 
 
Dies aber bringt viel größeres Unheil: 
wenn Heilige man haßt in seinem Geiste. 
Für hunderttausend sechsunddreißig Nirabbuda-Zeiten 
und ferner fünf Abbuda-Zeiten noch 
geht in die Hölle, wer die Heiligen schmäht, 
wer Wort und Geist auf solches Übel richtet.« 

A.IV. 4 Schlechte und gute Handlungsweise

Gegen vier Wesen schlecht handelnd, ihr Mönche, untergräbt und schädigt der Tor, der unverständige, unedle Mensch seinen Charakter, ist tadelnswert, wird von Weisen gerügt und schafft sich große Schuld. Welches sind diese vier Wesen?

Vater und Mutter; ein Vollendeter und ein Jünger des Vollendeten.

Gegen diese vier Wesen schlecht handelnd, untergräbt und schädigt der Tor, der unverständige, unedle Mensch seinen Charakter, ist tadelnswert, wird von Weisen gerügt und schafft sich große Schuld.

Gegen vier Wesen recht handelnd, ihr Mönche, hält der Weise, der verständige, edle Mensch seinen Charakter unversehrt und unbeeinträchtigt, bleibt tadelfrei, wird von Weisen nicht gerügt und schafft sich viel Gutes. Welches sind diese vier Wesen?

Vater und Mutter; ein Vollendeter und ein Jünger des Vollendeten.

Gegen diese vier Wesen recht handelnd, ihr Mönche, hält der Weise, der verständige, edle Mensch seinen Charakter unversehrt und unbeeinträchtigt, bleibt tadelfrei, wird von Weisen nicht gerügt und schafft sich viel Gutes.

(Prosa wie A.II.137-138)
 

»Wer da gegen seine Eltern 
sich in böser Tat vergeht, 
gegen Buddha, den Erhabenen, 
oder seine heiligen Jünger, 
wahrlich, solch ein schlechter Mensch 
ladet schwere Schuld sich auf. 
 
Wegen seiner schlechten Taten 
gegen Vater, gegen Mutter 
trifft ihn hier der Weisen Tadel, 
nach dem Tod der Hölle Pein. 
 
Wer da gegen seine Eltern 
recht und edel sich beträgt, 
gegen Buddha, den Erhabenen, 
oder seine heiligen Jünger, 
wahrlich, solch ein edler Mensch 
wirkt gar großen Segen sich. 
 
Wegen seiner edlen Taten 
gegen Vater, gegen Mutter 
wird ihm hier das Lob der Weisen, 
dort des Himmels Seligkeit.« 

A.IV. 5 Der Strom

Vier Menschen, ihr Mönche, sind in der Welt anzutreffen. 

Welche vier? 

Welches aber ist der Mensch, der sich vom Strome treiben läßt? Da huldigt einer den Begierden und begeht schlechte Taten. Dieser gilt als ein Mensch, der sich vom Strome treiben läßt.

Welches aber ist der Mensch, der gegen den Strom ankämpft? Da huldigt einer nicht den Begierden und begeht keine schlechten Taten. Selbst unter Schmerzen und Qualen und unter Tränen seufzend, führt er das vollkommen geläuterte heilige Leben. Dieser gilt als ein Mensch, der gegen den Strom ankämpft (*2).

Welches aber ist der Mensch, der [im Strome] gesichert dasteht? Da erscheint einer nach dem Schwinden der fünf niederen Fesseln unter den geistgeborenen Wesen wieder, und dort erlischt er vom Wahne, kehrt nicht mehr zurück von jener Welt. Dieser gilt als ein Mensch (anāgāmī), der [im Strome] gesichert dasteht.

Welches aber ist der Mensch, der den Strom durchkreuzt und das jenseitige Ufer erreicht hat, der Heilige, der auf festem Boden steht? Da erreicht einer durch Versiegung der Triebe noch bei Lebzeiten die triebfreie Gemütserlösung und Weisheitserlösung sie selber erkennend und verwirklichend. Dieser gilt als ein Mensch, der den Strom durchkreuzt und das jenseitige Ufer erreicht hat, ein Heiliger, der auf festem Boden steht.

Diese vier Menschen, ihr Mönche, sind in der Welt anzutreffen.
 

Die unbeherrscht in ihrer Sinnlichkeit, 
mit ungestillter Gier die Sinnenlust genießen, 
die immer neu dem Altern, der Geburt verfallen, 
da sie dem Lebensdurste ganz verdungen, 
sie lassen sich, vom Lebensstrome treiben. 
 
Daher ein Tapferer, stets besonnen bleibend, 
wird weder Lüsten noch dem Schlechten folgen. 
Selbst unter Schmerzen wird er Lüste meiden, 
'Dem Strom entgegenkämpfend', heißt er dann. 
 
Der die fünf Leidenschaften (*4) hat verwunden, 
schulungsvollendet (*5) keines Rückfalls fähig, 
der seinen Geist und seine Sinne meistert, 
solch Mensch hat sicheren Stand erreicht. 
 
Wer hohe Dinge und die niedrigen durchschaut, 
wem sie zerstoben und geschwunden sind für immer (=Snp.475)
ein Heiliger, der sein Lebensziel vollendet, 
(sa ve muni vusita-brahmacariyo)
er fand das Weltenende, ging zum anderen Ufer.« 

(*1) Der Strom ist Symbol der Welt; das jenseitige Ufer ist das Nibbāna.

(*2) Subk.: ein sittlich hochstehender Mensch der aber noch ein 'Weltling' (puthujjana) ist und daher noch mit den Leidenschaften zu kämpfen hat.

(*4) D.i. nach den fünf Sinnenobjekten.

(*5) paripunnasekho. Der hier gemeinte Nichtwiederkehrer ist der höchste der drei »Schulungstüchtigen« (sekha)


A.IV. 6 Das Wissen

Vier Menschen, ihr Mönche, sind in der Welt anzutreffen. Welche vier? Einer, der wenig weiß und dem das Wissen nichts nützt; einer, der wenig weiß und dem das Wissen Nutzen bringt; einer, der viel weiß und dem das Wissen nichts nützt; einer, der viel weiß und dem das Wissen Nutzen bringt.

Inwiefern aber weiß einer wenig und das Wissen nützt ihm nichts? Da besitzt einer nur geringes Wissen an Lehrtexten, vermischter Prosa, Exegese, Versen, Hymnen, Aussprüchen, Geburtsgeschichten, wunderbaren Dingen und Erläuterungen (navanga-buddha-sāsana). Den Sinn und den Wortlaut des wenigen, das er gelernt hat, den kennt er aber nicht und folgt nicht dem rechten Pfad der Lehre. Insofern weiß einer wenig und das Wissen nützt ihm nichts.

Inwiefern aber weiß einer wenig und das Wissen bringt ihm Nutzen? Da besitzt einer nur geringes Wissen an Lehrtexten, vermischter Prosa, Exegese, Versen, Hymnen, Aussprüchen, Geburtsgeschichten, wunderbaren Dingen und Erläuterungen. Doch den Sinn und den Wortlaut des wenigen, das er gelernt hat, den kennt er, und er folgt dem rechten Pfad der Lehre. Insofern weiß einer wenig, und das Wissen bringt ihm Nutzen.

Inwiefern aber weiß einer viel und das Wissen nützt ihm nichts? Da besitzt einer großes Wissen an Lehrtexten, vermischter Prosa, Exegese, Versen, Hymnen, Aussprüchen, Geburtsgeschichten, wunderbaren Dingen und Erläuterungen. Den Sinn und den Wortlaut des Vielen, das er gelernt hat, den kennt er aber nicht und folgt nicht dem rechten Pfad der Lehre. Insofern weiß einer viel und das Wissen nützt ihm nichts.

Inwiefern aber weiß einer viel und das Wissen bringt ihm Nutzen? Da besitzt einer großes Wissen an Lehrtexten, vermischter Prosa, Exegese, Versen, Hymnen, Aussprüchen, Geburtsgeschichten, wunderbaren Dingen und Erläuterungen. Den Sinn und Wortlaut des Vielen, das er gelernt hat, den kennt er, und er folgt dem rechten Pfad der Lehre. Insofern weiß einer viel und das Wissen bringt ihm Nutzen.

Diese vier Menschen sind in der Welt anzutreffen.
 

»Einen, der an Wissen arm ist 
und im Wandel unbeständig, 
tadelt man aus beiden Gründen: 
des Wissens und des Wandels wegen. 
 
Selbst wenn einer arm an Wissen, 
aber standhaft ist im Wandel, 
lobt man ihn des Wandels wegen, 
wenn's ihm auch an Wissen mangelt. 
 
Selbst wenn einer reich an Wissen, 
aber unstet ist im Wandel, 
rügt man ihn des Wandels wegen, 
obzwar er großes Wissen hat. 
 
Doch einem, der an Wissen reich 
und dabei im Wandel standhaft, 
spricht man Lob aus beiden Gründen: 
des Wissens und des Wandelns wegen. 
 
Solch Kundigen, der Lehre Hort, 
den weisheitsreichen Buddhajünger, 
der rein und lauter scheint wie Gold, 
wer sollte den wohl tadeln wollen? 
Selbst Himmelswesen preisen einen solchen, 
und Brahma selber kündet ihm sein Lob.« 

A.IV. 7 Zierden der Jüngerschaft

Vier Menschen, ihr Mönche, sind Zierden der Jüngerschaft, sofern sie weise sind, beherrscht, erfahren (*1), wissensreich, Kenner der Lehre und dem rechten Pfad der Lehre folgend. Welches sind diese vier?

Der Mönch, der weise ist, beherrscht, erfahren, wissensreich, Kenner der Lehre und dem rechten Pfad der Lehre folgend, der ist eine Zierde der Jüngerschaft. Die Nonne - der Laienjünger - die Laienjüngerin, sofern sie weise sind, beherrscht, erfahren, wissensreich, Kenner der Lehre und dem rechten Pfad der Lehre folgend, diese sind Zierden der Jüngerschaft.
 

»Wer weise und erfahren ist, 
an Wissen mächtig und der Lehre Kenner, 
wer nach der Lehre seinen Wandel richtet, 
er gilt als Zierde für die Jüngerschaft. 
 
Der Mönch, der sittlich lauter ist, 
die Nonne, die an Wissen reich, 
der Laienjünger, der Vertrauen hat 
und so die Laienschwester auch, 
ja, diese sind der Jünger Zier, 
ja, diese sind der Jünger Licht!« 

(*1) Oder »begründetes Selbstvertrauen habend«, »zuversichtlich« (visārado); vgl. vesārajja, »Selbstvertrauen« in Text 8.


A.IV. 8 Das Selbstvertrauen des Vollendeten

Vierfaches Selbstvertrauen (*1), ihr Mönche, eignet dem Vollendeten, mit dem erfüllt der Vollendete den höchsten Platz behauptet, unter den Menschen den Löwenruf (*2) erschallen läßt und das Reich (*3) der Heiligkeit errichtet. Welches vierfache Selbstvertrauen?

'Du nennst dich zwar den völlig Erleuchteten, doch diese Dinge hast du nicht erkannt! - daß mich da ein Asket oder Priester, ein guter oder böser Geist, ein Brahma oder irgend jemand in der Welt mit Recht derart mißbilligen sollte, dafür, ihr Mönche, sehe ich keinen Grund. Und weil ich dafür keinen Grund sehe, so bleibe ich ruhig, frei von Furcht, voll Selbstvertrauen.

'Du nennst dich zwar einen Triebversiegten, doch diese Triebe sind in dir nicht erloschen!' - daß mich da ein Asket oder Priester, ein guter oder böser Geist, ein Brahma oder irgend jemand in der Welt mit Recht derart mißbilligen sollte, dafür, ihr Mönche, sehe ich keinen Grund. Und weil ich dafür keinen Grund sehe, so bleibe ich ruhig, frei von Furcht, voll Selbstvertrauen.

'Die Dinge, welche du verderblich nennst, gereichen dem Täter nicht notwendig zum Verderben!' - daß mich da ein Asket oder Priester, ein guter oder böser Geist, ein Brahma oder irgend jemand in der Welt mit Recht derart mißbilligen sollte, dafür, ihr Mönche, sehe ich keinen Grund. Und weil ich dafür keinen Grund sehe, bleibe ich ruhig, frei von Furcht, voll Selbstvertrauen.

'Zu welchem Zwecke du auch deine Lehre vorträgst, den Ausübenden führt sie nicht zur völligen Leidensvernichtung!' - daß mich da ein Asket oder Priester, ein guter oder böser Geist, ein Brahma oder irgend jemand in der Welt mit Recht derart mißbilligen sollte, dafür, ihr Mönche, sehe ich keinen Grund. Und weil ich dafür keinen Grund sehe, bleibe ich ruhig, frei von Furcht, voll Selbstvertrauen.

Dieses vierfache Selbstvertrauen, ihr Mönche, eignet dem Vollendeten, mit dem erfüllt der Vollendete den höchsten Platz behauptet, unter der Menge den Löwenruf erschallen läßt und das Reich der Heiligkeit errichtet.
 

»All jene Meinungen, woran die vielen hängen, 
worauf die Priester und Asketen ihre Lehren bauen, 
die können nicht vor dem Vollendeten bestehen, 
der, selbstvertrauend, alle Meinung hat verwunden. 
 
Ihn, der das Reich der Wahrheit sich errungen 
und es aus Mitleid für die Wesen kundgetan, 
den Höchsten unter Göttern, unter Menschen, 
die Wesen ehren ihn, den Daseinsüberwinder.« 

(*1) cattāri vesārajjāni; Prosa auch in M. 12.

(*2) Zur Bezeichnung »Löwenruf« siehe A.IV.33; D. 8, M. 12.

(*3) brahma-cakkam pavatteti, wtl: das Brahma-Rad in Bewegung setzt; lt. K identisch mit dhamma-cakka, das Rad der Lehre (s. A.I.30).


A.IV. 9 Die Entstehung des Begehrens

Vier Gründe gibt es, ihr Mönche, weswegen in einem Mönche Begehren entstehen kann. Welche vier?

  1. Wegen des Gewandes kann in einem Mönche Begehren entstehen;
  2. wegen der Almosenspeise,
  3. wegen der Lagerstatt,
  4. wegen dieses oder jenes Vorteils

kann in einem Mönche Begehren entstehen.

Diese vier Gründe gibt es, ihr Mönche, weswegen in einem Mönche Begehren entstehen kann.
 

»Wenn das Begehren sein Gefährte ist, 
kreist lange Zeit der Mensch durchs Dasein. 
Dem Werden hier und anderwärts, 
dem Daseinskreislauf kann er nicht entgehen. 
 
Hat er als Elend dies erkannt, 
daß aus Begehren Leid entsteht, 
frei von Begehren, ohne Greifen, 
soll achtsam wandern dann der Mönch.« 

(= Snp. 740-741.)


A.IV. 10 Die vier Joche

Vier Joche (*1) gibt es, ihr Mönche. Welche vier? Das Sinnenjoch, das Daseinsjoch, das Ansichtenjoch, das Nichtwissensjoch.

Was aber, ihr Mönche, ist das Sinnenjoch (*2)? Da kennt einer nicht der Wirklichkeit gemäß der Sinnendinge Entstehen (*3) und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Was aber dem, der der Sinnendinge Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus nicht der Wirklichkeit gemäß kennt, bei den Sinnendingen an Sinnenlust anhaftet, an Sinnenfreude, Sinnenliebe, Sinnenbetörung, Sinnendurst, Sinnenfieber, Sinnenhang, Sinnenbegehren, das nennt man, ihr Mönche, das Sinnenjoch. Das nun ist das Sinnenjoch.

Was aber ist das Daseinsjoch? Da kennt einer nicht der Wirklichkeit gemäß des Daseins Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Was aber dem, der des Daseins Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus nicht der Wirklichkeit gemäß kennt, hinsichtlich des Daseins an Daseinslust anhaftet, an Daseinsfreude, Daseinsliebe, Daseinsbetörung, Daseinsdurst, Daseinsfieber, Daseinshang, Daseinsbegehren, das, ihr Mönche, nennt man das Daseinsjoch. Das nun ist das Sinnenjoch, das Daseinsjoch.

Was aber ist das Ansichtenjoch? Da kennt einer nicht der Wirklichkeit gemäß der Ansichten Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Was aber dem, der der Ansichten Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus nicht der Wirklichkeit gemäß kennt, bei den Ansichten an Ansichtenlust anhaftet, Freude an Ansichten, Liebe für Ansichten, Betörung durch Ansichten, Durst nach Ansichten, Fieber der Ansichten, Hang nach Ansichten, Begehren nach Ansichten, das, ihr Mönche, nennt man Ansichtenjoch (*4). Das nun ist das Sinnenjoch, das Daseinsjoch, das Ansichtenjoch.

Was aber ist das Nichtwissensjoch? Da kennt einer nicht der Wirklichkeit gemäß bei den sechs [Organ-] Grundlagen des Sinneneindrucks (*5) ihr Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Was aber dem, der bei den sechs [Organ-] Grundlagen des Sinneneindrucks Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus nicht der Wirklichkeit gemäß kennt, hinsichtlich dieser sechs Grundlagen des Sinneneindrucks an Nichtwissen, an Unkenntnis anhaftet, das, ihr Mönche, nennt man das Nichtwissensjoch. Das nun ist das Sinnenjoch, das Daseinsjoch, das Ansichtenjoch, das Nichtwissensjoch.

Insofern nun einer gefesselt ist an die üblen, unheilsamen Dinge, die befleckenden, Wiederdasein säenden, qualvollen, leidgebärenden, von neuem wieder zu Geburt, Altern und Sterben führenden, gilt er als ein 'nicht Entbürdeter' (a-yogakkhemi, siehe yogakkhemī).

Vier Entjochungen gibt es, ihr Mönche. Welche vier? Die Entjochung vom Sinnenjoch, vom Daseinsjoch, vom Ansichtenjoch und vom Nichtwissensjoch.

Was aber ist die Entjochung vom Sinnenjoch? Da kennt einer der Wirklichkeit gemäß der Sinnendinge Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Insofern aber dem, der der Sinnendinge Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus der Wirklichkeit gemäß kennt, bei den Sinnendingen keine Sinnenlust anhaftet, keine Sinnenfreude, Sinnenliebe, Sinnenbetörung, kein Sinnendurst, Sinnenfieber, Sinnenhang, Sinnenbegehren, das, ihr Mönche, nennt man die Entjochung vom Sinnenjoch. Das nun ist die Entjochung vom Sinnenjoch.

Was aber ist die Entjochung vom Daseinsjoch? Da kennt einer der Wirklichkeit gemäß des Daseins Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Insofern aber dem, der des Daseins Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus der Wirklichkeit gemäß kennt, hinsichtlich des Daseins keine Daseinslust anhafter, keine Daseinsfreude, Daseinsliebe, Daseinsbetörung, kein Daseinsdurst, Daseinsfieber, Daseinshang, Daseinsbegehren, das, ihr Mönche, nennt man die Entjochung vom Daseinsjoch. Das nun ist die Entjochung vom Sinnenjoch, die Entjochung vom Daseinsjoch.

Was aber ist die Entjochung vom Ansichtenjoch? Da kennt einer der Wirklichkeit gemäß der Ansichten Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Insofern aber dem, der der Ansichten Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus der Wirklichkeit gemäß kennt, bei den Ansichten keine Ansichtenlust anhaftet, keine Freude an Ansichten, keine Liebe für Ansichten, keine Betörung durch Ansichten, kein Durst nach Ansichten, kein Fieber der Ansichten, kein Hang nach Ansichten, kein Begehren nach Ansichten, das, ihr Mönche, nennt man die Entjochung vom Ansichtenjoch. Das nun ist die Entjochung vom Sinnenjoch, die Entjochung vom Daseinsjoch, die Entjochung vom Ansichtenjoch.

Was aber ist die Entjochung vom Nichtwissensjoch? Da kennt einer der Wirklichkeit gemäß bei den sechs Grundlagen des Sinneneindrucks ihr Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus. Insofern aber dem, der bei den sechs Grundlagen des Sinneneindrucks ihr Entstehen und Vergehen, Genuß, Elend und Entrinnen daraus der Wirklichkeit gemäß kennt, hinsichtlich dieser sechs Grundlagen des Sinneneindrucks kein Nichtwissen, keine Unkenntnis anhaftet, das, ihr Mönche, nennt man die Entjochung vom Nichtwissensjoch. Das nun ist die Entjochung vom Sinnenjoch, die Entjochung vom Daseinsjoch, die Entjochung vom Ansichtenjoch, die Entjochung vom Nichtwissensjoch.

Insofern nun einer nicht gefesselt ist an die üblen, unheilsamen Dinge, die befleckenden, Wiederdasein säenden, qualvollen, leidgebärenden, von neuem wieder zu Geburt, Altern und Sterben führenden, gilt er als ein 'Entbürdeter' (yogakkhemī).
 

»Ans Joch der Sinnlichkeit gefesselt sind die Wesen, 
ans Joch des Daseinstriebes und der falschen Ansicht; 
Nichtwissen geht voran als Leiter des Gespanns: 
so eilen durch die Wandelwelt die Wesen 
und wandern immer wieder von Geburt zu Tod. 
 
Doch solche, die die Sinnenlust durchschauen 
und auch des Daseinstriebes Bürde kennen; 
die alle falsche Ansicht in sich ausgemerzt, 
Nichtwissens Irreführung gänzlich aufgegeben - 
solch heilig Weise sind dem Joch entgangen, 
von allen Jochen sind entledigt sie.« 

(*1) yoga; die vier 'Joche' sind identisch mit der vierfachen Klassifizierung der 'Triebe' (āsava) und 'Fluten' (ogha).

(*2) kāma-yoga; K: die Gier nach den fünf Sinnenobjekten.

(*3) Subk.: 'Entstehen' (samudaya) hat zweierlei Bedeutung:

  1. als Entstehungsmoment (khanika-samudaya) und
  2. als Entstehungsbedingung (paccaya-samudaya).

Wenn ein Mönch die Entstehungsbedingungen (eines Einzelvorganges) kennt, so kennt er auch den Entstehungsmoment: wenn er den Entstehungsmoment kennt, so kennt er auch die Entstehungsbedingungen. Denn wenn er das Aufsteigen der Gebilde (sankhārānam udayam) in seiner Bedingtheit (paccayato) sieht, so ist es für ihn leicht, ihr Aufsteigen in seiner Momenthaftigkeit (khanato) wahrzunehmen. Und erst recht, wenn er ihr Aufsteigen in seiner Momenthaftigkeit beobachtet, so gelingt es ihm leicht, sie in ihrer Bedingtheit zu erkennen, weil nämlich die betreffenden Bedingungen (durch die Achtsamkeit auf den Entstehungsmoment) gut auffaßbar geworden sind. In diesem Text jedoch ist der Entstehungsmoment (der momentane Entstehungsvorgang selber) gemeint.« Diese bemerkenswerten Ausführungen wurden hier vor allem wegen ihrer Bedeutung für die methodische Hellblicksübung (vipassanā) eingeschlossen.

Die ähnliche Behandlung des Begriffes 'Vergehen' wurde hier nicht wiedergegeben, da sie längere terminologische Erläuterungen erfordern würde.

(*4) Hierher gehören z.B. der Enthusiasmus und Fanatismus der Ideologien jeder Art; die Freude an spekulativem Denken, am »Systembauen« usw.

(*5) phass'āyatana; d.i. die Grundlage 'Auge' (cakkh'āyatana) usw. Vgl. A.III.62; A.IV.173; A.V.30.

Über die bedeutsame Rolle des Sinneneindrucks (phassa) siehe D. 1 (Ende), Snp. (Reg.: phassa).


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ehe D. 1 (Ende), Snp. (Reg.: phassa).


  Oben