Zurueck Milindapañha, Teil 4

1. Kapitel 

Mil. 4.1.9. Buddhas Allwissenheit

 

 

"War wohl, ehrwürdiger Nāgasena, der Erleuchtete allwissend?"

"Ja, o König, der Erleuchtete war allwissend. Zwar hatte er nicht etwa stets und ständig den Erkenntnisblick gegenwärtig. Die allwissende Erkenntnis des Erhabenen war nämlich von seiner geistigen Hinwendung abhängig. Wenn er aber seinen Geist auf etwas hinwendete, konnte er erkennen, was immer er erkennen wollte."

"Wenn dem Erleuchteten, o Herr, diese allwissende Erkenntnis bloß beim Nachforschen zuteil wurde, so war er doch gar nicht allwissend."

"Sage das nicht, o König. Es sind da zum Beispiel hundert Fuhren Reis da, mit je sieben und einem halben Ammana-Maß und noch zwei Tunda-Maßen. Wenn nun jemandem in einem Augenblick der Gedanke kommt festzustellen, wie viele hunderttausend Reiskörner es in diesen Fuhren gibt, so könnte er kaum damit zu Ende kommen."

"Es gibt da, o König, folgende sieben Geistesarten. Die da, o König, voll von Gier, Haß, Verblendung und Leidenschaften sind, ohne Kontrolle über ihren Körper, ungeübt in Geistigkeit und ungeübt in Weisheit, deren Geist ist schwerfällig und langsam, und zwar eben weil ihr Geist ungeübt ist. Wenn man da zum Beispiel, o König, ein dickes, großes, umfangreiches Bambusgebüsch fortziehen wollte, dessen Zweige dicht ineinander verwickelt und verschlungen sind, so möchte sich dasselbe - eben infolge der ineinander verwickelten und verschlungenen Zweige - nur schwer und langsam von der Stelle fortbewegen. Genau so schwerfällig und langsam aber, o König, ist der Geist jener Menschen, da derselbe eben in Leidenschaften verstrickt und verwickelt ist. Dies nun gilt als die erste Geistesart.

Die zweite Geistesart aber zeigt folgenden Unterschied. Die da, o König, in den Strom eingetreten (samyojanā) und der Wiedergeburt in niederer Welt entronnen sind, die Erkenntnis errungen haben und Verständnis besitzen für des Meisters Lehre, deren Geist tritt in Hinsicht auf drei Dinge leicht auf und geht leicht weiter, in den höheren Gebieten aber ist er schwerfällig und langsam. Und warum? Eben weil ihr Geist in drei Dingen geläutert, von den anderen Trübungen (kilesa) aber noch nicht befreit ist (Man möchte geneigt sein zu glauben, daß hier die drei vom Stromeingetretenen überwundenen Fesseln gemeint seien, wenn nicht der folgende Text dieser Annahme widerspräche). Wenn man da ein Bambusrohr, o König, das bis zum dritten Knoten hinauf gereinigt, darüber hinaus aber noch mit Zweigen verwachsen ist, fortzieht, so bewegt dasselbe sich wohl bis zum dritten Knoten ungehindert von der Stelle, darüber hinaus aber wird es gehemmt. Und warum? Eben weil es unterhalb gereinigt, darüber hinaus aber noch mit Zweigen verstrüppt ist. Ebenso auch, o König, tritt der Geist der in den Strom Eingetretenen in Hinsicht auf drei Dinge leicht auf und geht leicht weiter, in den höheren Gebieten aber ist er schwerfällig und langsam, da derselbe eben in diesen drei Dingen geläutert, von den anderen Leidenschaften aber noch nicht befreit ist. Dies nun gilt als die zweite Geistesart.

Die dritte Geistesart aber zeigt folgenden Unterschied. Die da, o König, Einmal Wiederkehrende sind, bei denen Gier, Haß und Verblendung sich vermindert haben, deren Geist tritt in Hinsicht auf fünf Dinge leicht auf und geht leicht weiter, in den höheren Gebieten aber ist er schwerfällig und langsam.

[Es können unmöglich die in der vorigen Anmerkung genannten zehn Fesseln sein, worauf sich obiger Text bezieht, denn der Einmal-Wiederkehrende ist von den fünf ersten Fesseln noch keineswegs vollkommen geläutert. Auch ist im folgenden von mehr als zehn Leidenschaften die Rede. Diese Stelle bezieht sich offenbar auf eine im Palikanon nicht vorkommende Klassifikation.]

Und warum? Eben weil derselbe in fünf Dingen geläutert, von den anderen Leidenschaften aber noch nicht befreit ist. Wenn man da ein Bambusrohr, o König, das bis zum fünften Knoten hinauf gereinigt, darüber hinaus aber noch mit Zweigen verwachsen ist, fortzieht, so bewegt sich dasselbe wohl bis zum fünften Knoten ungehindert von der Stelle, darüber hinaus aber wird es gehemmt. Und warum? Eben weil es unterhalb gereinigt, darüber hinaus aber noch mit Zweigen verstrüppt ist. Ebenso auch, o König, tritt der Geist dieser Menschen in Hinsicht auf fünf Dinge leicht auf und geht leicht weiter, in den höheren Gebieten aber ist er schwerfällig und langsam, da derselbe eben in diesen fünf Dingen geläutert, von den anderen Leidenschaften aber noch nicht befreit ist. Dies nun gilt als die dritte Geistesart.

Die vierte Geistesart aber zeigt folgenden Unterschied. Die da, o König, befreit von den fünf niederen Fesseln, nicht mehr (in die Sinnenwelt) wiederkehren, deren Geist ist in Hinsicht auf zehn Dinge geweckt und leicht beweglich, in den höheren Gebieten aber schwerfällig und langsam. Und warum? Eben weil derselbe in zehn Dingen geläutert, von den höheren Leidenschaften aber noch nicht befreit ist. Wenn man da ein Bambusrohr, o König, das bis zum zehnten Knoten hinauf gereinigt, darüber hinaus aber noch mit Zweigen verwachsen ist, fortzieht, so bewegt sich dasselbe wohl bis zum zehnten Knoten ungehindert von der Stelle, darüber hinaus aber wird es gehemmt. Und warum? Eben weil es unterhalb gereinigt, darüber hinaus aber noch mit Zweigen verstrüppt ist. Ebenso auch, o König, tritt der Geist dieser Menschen in Hinsicht auf zehn Dinge leicht auf und geht leicht weiter, in den höheren Gebieten aber ist er schwerfällig und langsam, da derselbe eben in diesen zehn Dingen geläutert, von den anderen Leidenschaften aber noch nicht befreit ist. Dies nun gilt als die vierte Geistesart.

Die fünfte Geistesart aber zeigt folgenden Unterschied. Die da, o König, Vollkommen-Heilige sind, die Triebbefreiten (āsava), von den Schlacken geläutert, befreit vom Schmutze der Leidenschaften, die ihr Lebensziel vollbracht, ihr Werk vollendet haben, die Last von sich geworfen und ihr Heil errungen haben, befreit von der Daseinsfessel, im Besitze der Analytischen Wissen, (Patisambhidā) auf den Gebieten der Jünger geläutert, deren Geist tritt auf dem Gebiete der Jünger leicht auf und geht leicht weiter, auf den Gebieten eines Einzelerleuchteten (pacceka-buddha) aber ist er schwerfällig und langsam. Und warum? Eben weil ihr Geist auf dem Gebiete der Jünger geläutert, auf dem Gebiete eines Einzelerleuchteten aber nicht geläutert ist. Gleichwie, o König, wenn man da ein von allen Knoten gereinigtes Bambusrohr fortzieht, sich dasselbe leicht und schnell von der Stelle bewegt - eben weil es von allen Knoten gereinigt ist und nicht hängen bleibt -: ebenso auch, o König, tritt der Geist dieser Menschen auf dem Gebiete der Jünger leicht auf und geht leicht weiter, auf dem Gebiete eines Einzelerleuchteten aber ist er schwerfällig und langsam, da derselbe eben auf ihrem eigenen Gebiete geläutert, auf dem Gebiete eines Erleuchteten aber nicht geläutert ist. Dies nun gilt als die fünfte Geistesart.

Die sechste Geistesart aber zeigt folgenden Unterschied. Die da, o König, Einzelerleuchtete sind, aus sich selber Gewordene, ohne Führung, allein wandernd wie das Nashorn, lauter und unbefleckten Geistes, deren Geist tritt auf ihrem eigenen Gebiete leicht auf und geht leicht weiter, auf dem Gebiete eines allwissenden Buddha aber ist er schwerfällig und langsam. Und warum? Eben weil ihr Geist auf ihrem eigenen Gebiete geläutert, das Gebiet eines allwissenden Buddha aber zu gewaltig ist. Es möchte da wohl jemand ein auf seinem eigenen Grundstücke befindliches kleines Flüßchen, wenn immer er will, sei's bei Tag oder Nacht, ohne jede Furcht durchschreiten. Beim Anblicke des Weltmeeres aber, des tiefen, weiten, unergründlichen, uferlosen, möchte er sich doch fürchten und zögern und nicht wagen, hineinzugehen. Und warum dies? Weil er zwar sein eigenes Gebiet genau kennt, das Weltmeer aber zu gewaltig ist. Ebenso auch, o König, tritt der Geist dieser Menschen auf ihrem eigenen Gebiete leicht auf und geht leicht weiter, auf dem Gebiete eines allwissenden Buddha aber ist er schwerfällig und langsam. Denn auf ihrem eigenen Gebiete ist ihr Geist zwar geläutert, das Gebiet der allwissenden Buddhas aber ist zu gewaltig für sie. Dies nun gilt als die sechste Geistesart.

Die siebente Geistesart aber zeigt folgenden Unterschied. Die da, o König, Allerleuchtete sind, Allwissende, im Besitze der zehn Kräfte (dasa bala), in vierfachem Vertrauen (A.IV.7) erstarkt, mit den achtzehn Buddha-Eigenschaften (Dies sind die achtzehn speziellen Eigenschaften, avenika, eines Buddha, die nur in der Kommentarliteratur genannt werden) ausgerüstet, unbegrenzte Sieger, von unbeschränkter Erkenntnis, deren Geist tritt auf allen Gebieten leicht auf und geht leicht weiter, da sie eben auf allen Gebieten geläutert sind. Nimm an, o König, man hätte da einen Pfeil, der gut poliert wäre, frei von Rost, ohne irgend eine Unebenheit, mit einer scharfen Spitze versehen, kerzengerade, ohne Biegung, ohne Krümmung. Und ein kräftiger Bogenschütze schösse diesen Pfeil vermittelst eines straff gespannten Bogens durch weiche Leinwand oder Baumwolle oder durch eine Wolldecke hindurch. Würde da dieser Pfeil etwa langsam fliegen oder gar stecken bleiben?"

"Nein, o Herr. Der Stoff ist ja weich, der Pfeil geglättet, und der Bogenschütze ist ein kräftiger Mann."

"Ebenso auch, o König, tritt der Geist jener Menschen auf allen Gebieten leicht auf und geht leicht weiter, da derselbe eben auf allen Gebieten geläutert ist. Dies nun gilt als die siebente Geistesart.

Der Geist der allwissenden Buddhas, o König, ragt weit über den Wert der anderen sechs Geistesarten hinaus und ist in unermeßlichem Grade lauter und leicht beweglich. Und eben weil des Erhabenen Geist so lauter und leicht beweglich ist, darum bringt der Erhabene das doppelte Wunder zustande (das doppelte Wunder besteht darin, daß der Buddha zwei verschiedene magische Wirkungen so schnell hintereinander, sich beständig abwechselnd, zu erzeugen imstande war, so daß beide als ein einziges erschienen. Erwähnt in Patisambhidā-Magga I.) An dem doppelten Wunder aber, o König, läßt sich erkennen, wie der Geist des Erhabenen, des Erleuchteten, so leicht beweglich ist. Nicht kann man hierfür eine weiter reichende Begründung nennen. Jene durch den Geist der allwissenden Buddhas bedingten Wunder aber, o König, können weder gezählt noch berechnet noch eingeteilt noch zerlegt werden. Wenn auch, o König, die allwissende Erkenntnis des Erhabenen an die Hinwendung seines Geistes gebunden ist, so kann er doch durch solche Hinwendung erkennen, was immer er erkennen will. Und dies vollzieht sich schneller, als man imstande ist, etwas, das man in der Hand hält, einem anderen zu überreichen, oder mit dem bereits geöffneten Munde ein Wort auszusprechen, oder die bereits im Munde befindliche Speise hinunterzuschlucken, oder seine geöffneten Augen zu schließen, oder seine geschlossenen Augen wieder zu öffnen, oder den gebeugten Arm zu strecken, oder den gestreckten Arm wieder zu beugen. Sobald sich eben der Erhabene einer Sache zuwendet, kann er erkennen, was immer er erkennen will. Ja, und wenn auch die Erleuchteten einmal ohne (bestimmte) Hinwendung sind, so fehlt es ihnen dennoch keineswegs, etwa aus diesem Grunde, an Allwissenheit."

"Überzeuge mich denn durch ein Beispiel, ehrwürdiger Nāgasena, wieso das Hinwenden erforderlich ist, um eine Sache zu ergründen!"

"Nimm an, o König, es lebte da ein reicher, wohlhabender, hochbegüterter Mann. Der hätte Überfluß an Gold und Silber, Geld und Gütern, an Getreide und Gemüse, an verschiedenartigem Reis, an Gerste, Sesam und Bohnen, an Butteröl, Öl, Butter, Milch, Dickmilch, Honig, Zucker und Sirup und alle diese Nahrungsmittel wären in Töpfen, Krügen und anderen Arten von Behältern und Gefäßen aufbewahrt. Gesetzt nun, o König, es käme da ein Gast zu jenem Manne, einer, der die Gastfreundschaft verdient und ein Mahl erwartet. Weil aber im Hause keine gekochte Speise mehr da ist, nähme man aus einem Topfe rohen Reis heraus, um für ihn ein Mahl herzurichten. Könnte man da wohl, o König, jenen Mann schon wegen dieses bloßen Nichtvorhandenseins gekochter Speise als arm und elend bezeichnen?"

"Gewiß nicht, o Herr. Denn selbst im Hause eines Weltherrschers fehlt es außer der Zeit an gekochter Speise, geschweige denn im Hause eines Bürgers."

"Genau so aber, o König, steht es mit der Allwissenheit des Vollendeten, solange er sich nicht geistig hinwendet. Durch Hinwendung aber kann er erkennen, was immer er erkennen will. Angenommen, o König, es befände sich da ein fruchttragender Baum, dessen Zweige von der Last der dicht hängenden Früchte beschwert, hier und dort niedergedrückt wären. Es läge aber noch keine einzige abgefallene Frucht am Boden. Könnte man da wohl, o König, schon wegen dieses bloßen Nichtvorhandenseins von gefallenen Früchten sagen, daß der Baum keine Früchte trage?"

"Das nicht, o Herr. Denn jenes Fallobst ist ja bedingt durch das Herabfallen der Früchte. Wenn sie erst einmal herabfallen, dann kann man so viele haben wie man will."

"Ebenso auch, o König, ist die allwissende Erkenntnis des Vollendeten von seiner Hinwendung abhängig. Durch Hinwendung aber kann er erkennen, was immer er erkennen will."

"Erkennt nun aber wohl, ehrwürdiger Nāgasena, der Erleuchtete immer nur eine Sache durch Hinwendung?"

"Ja, o König. Es ist hiermit wie mit dem glorreichen Rade des Weltherrschers (das Rad des Weltherrschers ist ein mythologisches Herrschaftssymbol; siehe D.26. Im Buddhismus ist das Rad das Symbol der Lehrverkündung.) Sobald dieser nämlich an das Rad denkt und wünscht, daß es ihm erscheine, in demselben Augenblicke erscheint es ihm eben. Ebenso auch, o König, kann der Vollendete durch fortgesetzte Hinwendung erkennen, was immer er erkennen will."

Das sind triftige Gründe, ehrwürdiger Nāgasena, für die Allwissenheit des Erleuchteten, und auch ich bin davon überzeugt, daß der Erleuchtete allwissend war."


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