Das Licht der Lehre

von Sri Gnanawimala Maha Thero

16. Die gestaltenden Kräfte des Geistes 3. Teil


1. Die Geistesformationen


Wir fahren heute mit dem Kapitel "Geistesformationen" fort und erinnern uns, daß wir die gestaltende Aktivität des Geistes mit einer Münzprägung verglichen haben. Wir sahen, wie der Geist seine eigene Struktur in den jeweils ergriffenen Nährstoff einprägt und zu Gestaltungen mannigfacher Art ausformt. Je nach der Beschaffenheit des verarbeiteten Nahrungs- Rohstoffes entstehen dabei verschiedenartige Produkte: Materie gestaltet der Geist zum leiblichen Organismus, Energie zu Empfindungen, Wahrnehmungen und Gedanken, Information zu Erkenntnissen, Einsichten und Wahrheiten.

So entspringt die Welt mit all ihren körperlichen und geistigen Dingen letztlich der Schöpferkraft des geistigen Wirkens. Wir sagten bereits, daß dies der unentwickelte Geist noch nicht erkennen kann. Das geistige Wirken beginnt ja im Zustand tiefster Unbewußtheit, und ganz allmählich erst, in Anschauung der geschaffenen Objekte, öffnet sich dem Geist das Auge der Erkenntnis. So kommt der Geist inmitten seiner eigenen Werke zum Erwachen, aber er kann sie als solche nicht erkennen. Erst im Zustand heller Bewußtheit begreift der Geist, daß diese Welt, so wie er sie erlebt und erleidet, ein Produkt seines eigenen Wirkens darstellt und das charakteristische Gepräge seiner eigenen Struktur aufweist.


Kehren wir nun zu unserer Münzprägung zurück! Angenommen, die frisch geprägten Münzen stellen sich als fehlerhaft heraus oder gefallen uns aus irgendeinem Grunde nicht. Was ist dann zu tun? Sicher wäre es töricht, die Prägemaschine weiterlaufen zu lassen und alle Münzen einzeln nachzuarbeiten. Ganz ähnlich verhält sich aber der unentwickelte Geist in bezug auf die Gestaltungen, die sein unbewußtes Wirken hervorbringt. Die Wirklichkeit, die er sich selbst geschaffen hat und die er unbewußt in jedem Augenblick neu schafft, gefällt ihm nicht, er will sie anders haben. Solange er aber keinen unmittelbaren Zugriff zum Gestaltungsprozeß selbst hat, muß er sich darauf beschränken, die vorhandenen Gestaltungen nachträglich umzubasteln. Naturgemäß fällt das Ergebnis seiner Bemühungen recht dürftig aus - Aufwand und Erfolg stehen in krassem Mißverhältnis zueinander.

Zwar läßt sich das objektive Erscheinungsbild der Welt korrigieren, aber für das subjektive Daseins befinden bleibt dies ohne nachhaltige Wirkung. Trotz aller äußeren Fortschritte mag das Dasein sogar zunehmend unerträglicher werden. Das Problem ist, das der Geist in dieser Entwicklungsphase überhaupt nicht weiß, was er denn nun eigentlich will, denn erreicht er eines seiner gesetzten Ziele, so zeigt es sich regelmäßig, daß wieder nichts Endgültiges ; gewonnen wurde. Mit jedem befriedigten Bedürfnis öffnet sich unversehens ein ganzes Spektrum neuer Bedürfnisse, und so gleicht die Auseinandersetzung mit den Objekten dem Kampf mit dem vielköpfigen Drachen, dem an Stelle eines jeden abgeschlagenen Kopfes sogleich zwei neue nachwachsen.


Irgendwann aber wird dem Geist diese permanent unbefriedigende Situation bewußt. Ihm dämmert allmählich, daß allein von i der Objektseite her keine durchgreifende Umgestaltung der leidigen Wirklichkeit zu erreichen ist. Statt sich daher weiter mit
den Gestaltungen herumzuschlagen, beginnt der Geist, nach    der Ursache derselben zu forschen.

Um im Bild der Münzprägung zu bleiben: der uneffektiven Nachbehandlung fehlerhafter Münzen überdrüssig, stoppt der Prägemeister die Maschine und sieht sich einmal die Kontur des Prägewerkzeuges etwas genauer an. Im geistigen Gestaltungsprozeß entspricht nun, wie wir wissen, der Kontur des Prägewerkzeuges die Struktur des prägenden Geistes.

Sie ist dafür verantwortlich, wie der Geist seine Wirklichkeit erlebt, wie er die Dinge sieht, wie er auf sie reagiert. Gegen dieses WIE verblaßt jedes WAS zur Bedeutungslosigkeit. Denn nicht ob diese oder jene Erscheinungen bewußt werden, entscheidet über das Daseinsbefinden, sondern wie diese Erscheinungen erlebt und gedeutet werden. Die Verfassung des Subjekts bestimmt den Wert oder Unwert aller Objekte.

Um ein krasses Beispiel zu nennen: einem Verdurstenden bedeutet ein Glas Wasser alles, einem Ertrinkenden nichts. Die Dinge unterliegen also einer bestimmten Wertung, aber dieser ihr Wert läßt sich nicht aus ihrer Substanz, Form, Farbe usw. herleiten, wie ja auch die Kaufkraft einer Münze nicht objektivierbar ist. Daß einige Dinge höchst erstrebenswert, andere dagegen gleichgültig oder gar verabscheuungswürdig erscheinen, liegt nicht an den Dingen selbst, sondern an der Struktur des prägenden Geistes, der ihnen ihren Wert zuweist.


Wie nämlich die Kontur des Prägewerkzeuges Erhöhungen und Vertiefungen zeigt, die beim Prägevorgang an einigen Stellen das Material hervortreten lassen, an anderen zurückdrängen, so gibt es in der geistigen Struktur Tendenzen der Anziehung und Abstoßung. Anziehung läßt die Dinge hervortreten und in positivem Licht erscheinen, Abstoßung drängt sie zurück und macht sie unsympathisch. Die Dinge erscheinen als angenehme oder unangenehme Objekte im Bewußtsein und werden zunächst passiv als solche wahrgenommen.

Was geschieht nun aber, wenn der Geist aktiv wird und willentlich auf diese Objekte reagiert? Das gleiche, wie wenn wir eine Münze unter der Lupe betrachten: alles scheint vergrößert. Je nach der Stärke des Willens bläht sich das Angenehme zum Erfreulichen, Begehrenswerten, ja Unentbehrlichen auf, das Unangenehme zum Unerfreulichen, Widerwärtigen und Hassenswerten. Diese Vergrößerung betrifft zunächst den unmittelbaren Eindruck, unter dem die Dinge erscheinen. Das Entscheidende, ja Fatale aber ist, daß dieser verfälschte Eindruck auf die geistige Struktur übertragen und in sie eingespeichert wird.


Erinnern wir uns an dieser Stelle unseres Spiegel- Beispiels! Wir sagten, daß das unbewußte Wirken die Dinge entsprechend der geistigen Struktur gestaltet, wobei die objektive Erscheinungswelt ein genaues Spiegelbild dieser Struktur liefert. Wenn sich nun die geistige Struktur ändert, muß sich auch die Erscheinungswelt ändern; das gleiche gilt aber auch umgekehrt. Unmöglich ist es, daß sich Gegenstand und gespiegeltes Abbild nicht genau entsprechen. Die Sache ist nur die: infolge der hier geltenden Abbildungsgesetze erleidet die geistige Struktur jede Aktivität des Willens passiv als Einwirkung. Und umgekehrt: Jedes von der geistigen Struktur herrührende, für den Geist mithin noch unbewußte Wirken wird in der Erscheinungswelt passiv erlitten. Der Wille bewirkt also zweierlei: einmal verändert er unmittelbar den subjektiven Eindruck von der Erscheinungswelt, zum anderen wirkt er auf die geistige Struktur ein und legt hier den Keim für künftige objektive Gestaltungen.

Daher heißt es im Samyutta Nikaya (XXII, 56):

"Was, ihr Mönche, nennt man geistiges Gestalten? Diese sechs Willensgruppen, nämlich: Wille nach Formen, Wille nach Tönen, Wille nach Düften, Wille nach Geschmäcken, Wille nach Berührungen, Wille nach Geistobjekten. Das, ihr Mönche, nennt man geistiges Gestalten."

Was wir hier dargestellt haben, ist natürlich nichts anderes als der Kern der Karma-Lehre. Jedes willentliche Wirken schafft Karma. d. h. es verändert die geistige Struktur des Individuums oder, allgemeiner gesagt, das Feld der Karma- Formationen.

An dieser Stelle sei einmal kurz auf die unterschiedlichen Übersetzungen eingegangen, die der Pali- Begriff sankhāra gefunden hat. Einige übersetzen sankhāra mit Willensregung, andere mit Karmaformationen, Gestaltungen oder geistiges Gestalten. Alle diese Übersetzungen sind richtig, der Zusammenhang aber ist folgender: Soll der aktive Aspekt der Karmabildung betont werden, so trifft "Willensregung" die Sache wohl am besten; das latente Feld des aufgehäuften Karmas wird man mit "Karmaformation" bezeichnen, während der passive Aspekt der Karmawirkung am besten mit "Gestaltung" wiedergegeben wird.

Will man aber den gesamten, alle drei Aspekte umfassenden Gestaltungsprozeß benennen, so wird man die Übersetzung "geistiges Gestalten" vorziehen. Entsprechend dem Wirkfeld der Karmaformationen oder seiner geistigen Struktur erlebt ein Individuum seine Wirklichkeit. Unablässig verändert sich diese Struktur: altes Karma kommt zur Reife und tritt in Form angenehmer oder unangenehmer Gestaltungen ins Bewußtsein, und infolge Unwissenheit setzt sich das Individuum mit diesen Erscheinungen auseinander und produziert dabei neues Karma. Einige Erscheinungen sind ihm so angenehm, daß es sich mit ihnen völlig identifiziert, so mit dem Körper, weil dieser weitgehend seinem Willen unterworfen ist. Ferner identifiziert es sich mit den sensiblen Funktionen dieses Körpers, mit den Empfindungen des Nervensystems, den Wahrnehmungen der Sinnesorgane, den Gedanken, Erinnerungen und Phantasien des Gehirns, kurzum: mit dem ganzen bewußten Organismus. "Dieser Körper, der fühlt, wahrnimmt, denkt und mit Bewußtsein begabt ist - dies bin ICH", so wähnt das Individuum, "alles übrige ist meine UMWELT."

Es weiß ja nicht, daß der Organismus ein Produkt des gleichen geistigen Gestaltungsprozesses darstellt, der auch die Umwelt hervorbrachte, und daß beide Gestaltungskomplexe eben nur wegen der partiellen Unbewußtheit des Geistes auseinandertreten. Denn nur solange sich der Geist noch nicht seines Wirkens, d.h. seiner selbst bewußt geworden ist, identifiziert er sich mit den Wirkungen und unterteilt die Gestaltungen in eigene und fremde, und solange existiert auch die Vorstellung von "Ich" und "Umwelt".

Die intellektuelle Erkenntnis dieser Tatsache kann den entscheidenden Wendepunkt in der Entwicklung des Geistes bedeuten, sofern nämlich die rechten Konsequenzen aus ihr gezogen werden. Sie eröffnet die ungeheuerliche Möglichkeit einer bewußten Steuerung der bisher ungezielt und äußerst schleppend verlaufenden geistigen Evolution. Allerdings nutzt die beste Erkenntnis nichts, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt wird. Die bloße Idee, daß Ich und Umwelt Projektionen des Bewußtseins sind, verändert die Wirklichkeit des Individuums in keiner Weise. Vielmehr kommt alles darauf an, die geistige Struktur gezielt zu beeinflussen, und dies wiederum kann nur durch Willensbeherrschung geschehen.

Das Karma-Gesetz öffnet dabei grundsätzlich zwei Entwicklungswege, den weltlichen und den überweltlichen Pfad. Da wir in früheren Vorträgen das Karma - Gesetz unter dem Aspekt des weltlichen Weges immer wieder behandelt haben, wollen wir hier einmal kurz den überweltlichen Pfad anvisieren. Denn bisher war stets vom unerwachten, unentwickelten Geist die Rede; uns interessiert nun aber doch: was geschieht, wenn der Geist erwacht und sich seiner selbst bewußt wird?


Den einzigen Zugang zum überweltlichen Pfad bietet die vipassanā oder Hellblick auch Klarblick erwirkende - Meditation, als deren Vorstufe man die Achtsamkeitsübung ansehen kann. Im wesentlichen läuft diese Meditation auf eine systematische Analyse der Erscheinungswelt hinaus, wobei durch fortschreitende Eliminierung der jeweils erkannten subjektiven Faktoren, das reine, ungefärbte, von diesen Faktoren freie Objekt herauspräpariert und schließlich transzendiert (überschritten) wird. Einfacher ausgedrückt: Es geht hier darum, die Illusion über die Erscheinungswelt schrittweise aufzuheben und die nackte Wirklichkeit bewußt zu machen, was zur Abwendung von, den Gestaltungen, zur Aufgabe jedes Gestaltungs willens und damit zur Befreiung vom Gestaltungs zwang führt.


Wie geht diese Enthaftung vor sich? Nehmen wir einmal an, wir sehen eine schöne Blume. Diese Gestaltung erscheint, wie wir wissen, als ein Produkt des unbewußten Wirkens im Bewußt, sein, denn wir erleben sie ja zunächst als äußeres, fremdgestaltetes Objekt, nicht als Erzeugnis unseres Willens. Die genauere meditative Betrachtung zeigt nun aber, daß dieses Objekt eine subjektive Komponente enthält; es setzt sich nämlich zusammen man aus der Blume an sich und dem auf sie gerichteten Willen, der sie als angenehmes, erfreuliches, schönes Ding erscheinen läßt. Beide Komponenten, Objekt und Wille sind in der fortgeschrittenen Meditation deutlich unterscheidbar.

Hiermit ist aber schon ein Teil des früher unbewußten Wirkens als Wille, als subjektive Komponente bewußt geworden und kann eliminiert werden. Die Achtsamkeit richtet sich nunmehr auf das reduzierte Objekt "Blume". Hierbei zeigt sich nach eingehender Betrachtung, daß es sich bei der "Blume" eigentlich um einen Komplex von Wahrnehmungen handelt, nämlich um Farbe, Form, eventuell Duft und Testempfindung, welche der Wille zur Vorstellung "Blume" verbindet. Wieder ist ein Teil des bislang unbewußten Wirkens als Wille erkannt und bewußt geworden. Die Betrachtung wird dann mit dem abermals reduzierten Objekt, beispielsweise mit der reinen Form, fortgesetzt.

Auf diese Weise schreitet die Enthaftung über Empfindung, Berührung, Sinneskontakt bis zur Geist - Körperlichkeit fort und erreicht hier einen Grenzzustand, in welchem sich Subjekt und Objekt gleichsam nackt gegenüberstehen. Je nach Einstellung ist dann das gesamte Bewußtsein entweder ein Nur - Subjekt oder ein Nur - Objekt; es klappt sozusagen zwischen diesen Einstellungen hin und her, ohne aber dabei seinen Inhalt im mindesten zu ändern. In diesem Zustand kann der Zusammenhang zwischen Wirken und Wirkung unmittelbar an der Quelle aller Gestaltungen erfahren werden.

Das Gestaltungsgesetz ist einfach und lautet: Eine Gestaltung wird bestimmt in ihrer Substanz oder ihrem Inhalt (rupa) durch den jeweils ergriffenen Nährstoff, in ihren formalen Qualitäten oder ihrer Erscheinungsform durch die geistige Struktur (nama).

Jede Gestaltung kann selbst wieder als Nährstoff ergriffen werden, was zu Gestaltungen höherer Ordnung führt. Je höher die Ordnung, desto geistähnlicher die Gestaltung und desto geringer ihr Gehalt an objektivierbarer Substanz. Ein primärer Nährstoff, etwa eine Ursubstanz, ist nicht zu erkennen, ebensowenig existieren absolute formale Qualitäten, etwa '' ewige Ideen.

Vielmehr sind Form und Substanz wechselseitig aufeinander bezogen: die Substanz der höchsten Ordnung ; (Wahrheit) ist identisch mit der Form der niedrigsten (Wirklichkeit), und die Substanz der niedrigsten Ordnung (Karmaformation) ist identisch mit der Form der höchsten (geistige Struktur).

Soweit reicht nun der weltliche Weg und das weltliche Wissen, und soweit reichen die Worte. Was aber jenseits der Objekt- Subjekt- Einstellung des Bewußtseins liegt, das vermag der Intellekt nicht mehr zu fassen. Es gibt zwar einen Namen dafür- Nibbāna, aber dieser Begriff ist ohne jeden faßbaren Inhalt. Wer aber einmal Nibbāna gekostet hat, der ist ein sotāpanna, ein Stromeingetretener, der hat den überweltlichen Pfad betreten und befindet sich auf dem Wege zur endgültigen Befreiung.

Der Stromeintritt wird ausgelöst durch den intuitiven Einblick in die Vergänglichkeit, das Elend und die Seelenlosigkeit des Daseinsprozesses, der für Sekundenbruchteile zum völligen Loslassen führt und blitzartig den Nibbāna Zustand erfahren läßt. Anschließend erfolgt sofort wieder Anhaftung und Reflexion über das Vorgefallene.

In der Rückbesinnung mag dieses erste kurze Erlebnis, weil für den Intellekt nicht reproduzierbar, traumhaft unwirklich erscheinen, jedoch hat der Hellblick drei bleibende Nachwirkungen, an welchen der Stromeingetretene sich selbst erkennen kann: Erstens ist er frei vom Persönlichkeitsglauben, denn er hat den seelenlosen Mechanismus des Bewußtwerde- Vorganges völlig durchschaut. Zweitens ist ihm jeder Zweifel hinsichtlich der Erscheinungswelt geschwunden; er weiß, daß alle Gestaltungen, auf den letzten Nenner gebracht, vergängliche und leidvolle Erregungszustände des Bewußtseins sind, und er kennt den Weg, der zur Aufhebung des Gestaltungszwanges und damit des Leidens führt. Drittens aber haben für ihn, der nicht mehr glaubt oder vermutet, sondern weiß, alle Regeln und rituellen Handlungen ihren Sinn verloren, und deshalb haftet er nicht mehr an Äußerlichkeiten.


Der Zustand völliger Enthaftung, vom Sotapanna nur zeitweilig erfahren, ist das eigentliche Element des Arahat, des Heiligen. Hier ist das Ziel des überweltlichen Pfades, Nibbana, endgültig erreicht und für immer gewonnen. Versuchen wir, zum Äußersten vorzustoßen und uns vorzustellen, was damit gemeint sein könnte.

Der Heilige, dessen Geist den höchsten Grad spiritueller Wachheil erreicht hat, kennt kein halbbewußtes Wirken, keinen Willen mehr. Daher schafft sein Tun auch kein Karma- es ist gleichsam ein Wirken und auch ein Nicht- Wirken. Wenn hier der Geist wirkt, dann ist er weder durch etwas Fremdes motiviert, noch wirkt er über ein Medium auf etwas Fremdes ein. Der vollerwachte Geist wirkt in sich selbst und durch sich selbst und aus sich selbst heraus. Dieses aktive Wirken ist zugleich ein passives Erkennen, denn im vollbewußten Wirken erlebt ja der Geist nichts anderes als eben sich selbst - seine Natur besteht ja gerade im puren Wirken. Gleichwohl ist dabei die Erscheinungswelt nicht etwa aufgehoben; sie existiert weiter, solange noch ein Karmarest vorhanden ist.

Nur erweist , sie sich eben als durch und durch geistige Gestaltung, als durch und durch gestalteter Geist. Wir sehen schon: unmöglich ist es, den Geisteszustand eines Heiligen eindeutig zu definieren, geschweige denn, ihn sich vorzustellen und nachzuerleben. Aber vielleicht hilft ein Gleichnis: wie rechte und linke Hand weder Gier noch Haß zueinander empfinden können, weil ein Bewußtsein beide vereinigt, so kann im vollbewußten Geist kein Wille mehr aufspringen: denn das, was wir normalerweise "Ich" und "Umwelt" nennen, findet sich hier in einem Wirken vereinigt. Wo aber die Bewußtseinsspaltung aufgehoben, das schizophrene System "Ich-Umwelt" aufgelöst und der Geist von allem Wahn geheilt ist, da finden auch Gier und Haß keinen Boden mehr und können nicht mehr aufkeimen.


Kehren wir zum Abschluß des Kapitels über die Geistformationen auf den sicheren Boden des uns Faßbaren zurück und ziehen wir die praktischen Konsequenzen aus dem Erarbeiteten! Wir sollten begriffen haben, daß die Welt um uns herum nicht zufällig unsere Welt ist, sondern daß sie unserer geistigen Struktur völlig entspricht, wenn sich auch alles in uns sträubt, das anzuerkennen. Verblendet durch den Ich-Wahn meinen wir, eine viel bessere Welt verdient zu haben als die, in der wir auf Grund unseres Karmas drinstecken.

Diese Ansicht ist mit Sicherheit falsch - richtig aber ist, daß wir an unserer Wirklichkeit leiden und sie verändern müssen. Wenn wir aber den Schwerpunkt des Problems nicht in uns selbst, sondern draußen in der Welt und bei den andern suchen, werden wir unweigerlich immer wieder in Gier, Haß und Verblendung geraten und nur neues Unheil anhäufen. Die Buddhalehre zeigt den einzig effektiven Weg, wie die Wirklichkeit bewußt verändert und das Leiden allmählich zum Schwinden gebracht werden kann. Sie vermittelt das hierzu erforderliche Rechte Wissen (pañña), unterweist in der Rechten Lebensweise (sīla) und leitet zu Rechter Sammlung (samādhi) an. Im Bereich der Geistesformationen heißt dies konkret:


pañña: Wissen um die Ursachen, Bedingungen und Wirkungen des geistigen Gestaltens, wie vorstehend erläutert.


sīla: Abstehen von jeder Handlung, auch von der Rede, wenn aufgrund eines äußeren Vorganges emotionale Erregung aufsteigt, sei es nun Gier, Haß oder geistige Verwirrung. Nicht blind reagieren und in die karmische Falle trapsen, sondern schlau wie ein Fuchs den vergifteten Köder erkennen und liegenlassen.


samādhi: Den Gestalter aller Gestaltungen, den Willen, lerne zu beherrschen und laß nicht zu, daß er von den Dingen beherrscht wird. Kämpfe beharrlich gegen üble, unheilsame Gedanken an und erwecke gütige, tolerante Gesinnung aller Welt gegenüber. Besonders zu empfehlen ist hier die Metta- Übung.

Damit schließt der dritte Teil unseres Vortrages über die gestaltenden Kräfte des Geistes.


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