Anguttara Nikaya

1. Kapitel: nissaya-vagga

A.XI. 1-5 (Gleichlautend mit früheren Texten)

Die Texte 1-4 entsprechen genau den ersten fünf Texten des Zehner-Buches. Hier werden jedoch »Abwendung« und »Entsüchtung«, die dort einen Doppelbegriff bilden, gesondert angeführt, so daß sich eine Elfergruppe ergibt.


A.XI. 6 Das Schicksal des Schmähsüchtigen

Unmöglich ist es, ihr Mönche, es kann nicht sein, daß ein Mönch, der seine Ordensbrüder beleidigt und beschimpft und ein Schmäher der Heiligen ist, nicht einer der elf Arten des Mißgeschickes verfallen sollte. Welcher elf?

Das Unerreichte erreicht er nicht; das Erreichte schwindet ihm; in der Guten Lehre erreicht er keine Klarheit; oder er ist voller Selbstüberschätzung hinsichtlich der Guten Lehren; oder er lebt das Reinheitsleben ohne Freude; oder er verübt eines der beschmutzenden Vergehen; oder er gibt die Askese auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück; oder er wird von schwerer Krankheit heimgesucht; oder er verfällt dem Wahnsinn oder der Geistesstörung; er stirbt eines unruhigen Todes; beim Zerfall des Leibes, nach dem Tode, gelangt er in niedere Welt, auf eine Leidensfährte, in die Daseinsabgründe, in eine Hölle.

Unmöglich ist es, ihr Mönche, es kann nicht sein, daß ein Mönch, der seine Ordensbrüder beleidigt und beschimpft, und ein Schmäher der Heiligen ist, nicht einer dieser elf Arten des Mißgeschickes verfallen sollte.


A.XI. 7-8 Losgelöste Wahrnehmung

I.

Der ehrwürdige Ananda sprach zum Erhabenen also:

»Mag wohl, o Herr, der Mönch eine solche Sammlung erreichen,

und daß er dennoch Wahrnehmung besitzt?«

»Ja, Ananda, wohl mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen.«

»Wie aber, o Herr, mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen?«

»Da, Ananda, hat der Mönch diese Wahrnehmung:

So, Ananda, mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde ist... daß er angesichts dessen, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht, im Geiste erforscht hat, daß er auch dabei ohne Wahrnehmung ist, und daß er trotzdem Wahrnehmung besitzt.« (Vgl. A.IX.37)

II (*1)

Und nachdem der ehrwürdige Ananda den Worten des Erhabenen erfreut seinen Beifall gespendet hatte, erhob er sich von seinem Sitze, verehrte den Erhabenen ehrerbietig, und, ihm die Rechte zukehrend, entfernte er sich und begab sich zum ehrwürdigen Sāriputta. Bei ihm angelangt... sprach er zum ehrwürdigen Sāriputta also: »Mag wohl, Bruder Sāriputta, der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er angesichts der Erde ohne Wahrnehmung der Erde ist...

Es folgen nun die gleichen Fragen und Antworten wie im ersten Abschnitt dieses Textes. Der Schluß lautet wie folgt:

»Wunderbar ist es doch, o Bruder, erstaunlich ist es, o Bruder, wie da hinsichtlich des höchsten Zieles (aggapada; wtl: die höchste Stätte, d.i. Nibbāna) die Auslegung und der Wortlaut des Meisters mit der Auslegung und dem Wortlaut seines Jüngers übereinstimmt, sich deckt und nicht widerspricht. Ich habe mich nämlich soeben, o Bruder, zum Erhabenen hinbegeben und ihn um diese Sache befragt. Und der Erhabene hat mir diese Sache in denselben Worten und Ausdrücken erklärt wie der ehrwürdige Sāriputta. Wunderbar ist es, o Bruder, erstaunlich ist es, o Bruder, wie da hinsichtlich des höchsten Zieles die Auslegung und der Wortlaut des Meisters mit der Auslegung und dem Wortlaut seines Jüngers übereinstimmt, sich deckt und nicht widerspricht.«


(*1) In PTS wird der folgende Abschnitt als eine gesonderte Lehrrede No. 8 gezählt, während er sich in ChS unmittelbar an den vorhergehenden Abschnitt anschließt und mit ihm den Text No. 7 bildet. Der Beginn des folgenden Abschnitts macht dies wahrscheinlicher, sowie auch der Umstand, daß die in den Ausgaben des Palitextes gegebene Inhaltsübersicht (uddāna) nur zehn Texte für dieses Kapitel nennt und nicht elf, wie bei gesonderter Zählung erforderlich. Um aber nicht von der PTS-Ausgabe und der früheren Auflage dieses Werkes abzuweichen, wurde die alte Zählung beibehalten.


A.XI. 9 Losgelöste Erwägung

Der ehrwürdige Ananda sprach zum Erhabenen also:

»Mag wohl, o Herr, der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er nicht Auge und Form erwägt (manasikareyya), nicht Ohr und Ton, Nase und Duft, Zunge und Geschmack, Körper und Körpereindruck, daß er nicht Erde, Wasser, Feuer und Wind erwägt, nicht das Raumunendlichkeitsgebiet, das Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet, das Nichtsheitsgebiet, das Gebiet der Weder- Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung erwägt, weder diese noch jene Welt erwägt, auch nicht das erwägt, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht, im Geiste erforscht hat, daß er aber dennoch Erwägung besitzt?«

»Ja, Ananda, wohl mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen.«

»Wie aber, o Herr, mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen?«

»Da, Ananda, erwägt der Mönch also: 'Das ist der Friede, das ist das Erhabene, nämlich der Stillstand aller karmischen Bildekräfte, die Loslösung von allen Daseinsgrundlagen, die Versiegung des Begehrens, die Entsüchtung, Erlöschung, Nibbāna.' So, Ananda, mag der Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß er nicht Auge und Form erwägt, nicht Ohr und Ton, Nase und Duft, Zunge und Geschmack, Körper und Körpereindruck, daß er nicht Erde, Wasser, Feuer und Wind erwägt, nicht das Raumunendlichkeitsgebiet, das Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet, das Nichtsheitsgebiet, das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-Noch-Nichtwahrnehmung erwägt, weder diese noch jene Welt erwägt, auch nicht das erwägt, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht, im Geiste erforscht hat, daß er aber dennoch Erwägung besitzt.«


A.XI. 10 Das Sinnen der Edlen

Einst weilte der Erhabene im Ziegelhause bei Nātika. Dort wandte er sich an den ehrwürdigen Saddha (auch die Lesart 'Sandha' findet sich für diesen Namen) und sprach:

»Wie ein edles Roß sollst du sinnen, Saddha, nicht wie ein ungebärdiges Roß

(siehe A.III.141-143; A.VIII.13-16 mit Anm.).

»Inwiefern aber, Saddha, sinnt man wie ein ungebärdiges Roß? Während, Saddha, das ungebärdige Roß am Futtertroge angebunden ist, sinnt es bloß über das Futter nach. Und warum? Weil eben das am Futtertroge angebundene ungebärdige Roß nicht darüber nachdenkt: »Was wird mich wohl heute der Rosselenker tun lassen? Werde ich es ihm wohl gut genug machen?« Während es am Futtertroge angebunden ist, sinnt es eben bloß über das Futter nach.

Ebenso auch, Saddha, hat sich da ein ungebärdiger Mensch in den Wald begeben, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Behausung. Und im Geiste von Sinnenlust gefesselt, von Sinnenlust verzehrt, verweilt er dort; und nicht weiß er der Wirklichkeit gemäß, wie man der aufgestiegenen Sinnenlust entrinnt. Im Inneren voller Sinnenlust sinnt er, sinnt er hin, sinnt er her, sinnt er vor sich hin. Im Geiste von Übelwollen gefesselt - von Starrheit und Mattigkeit gefesselt - von Aufgeregtheit und Gewissensunruhe gefesselt - von Zweifelsucht gefesselt, von Zweifelsucht verzehrt, verweilt er dort: und nicht weiß er der Wirklichkeit gemäß, wie er der aufgestiegenen Zweifelsucht entrinnt. Im Inneren voller Zweifel sinnt er, sinnt er hin, sinnt er her, sinnt er vor sich hin. Er sinnt über die Erde, sinnt über das Wasser, sinnt über das Feuer, sinnt über den Wind, sinnt über das Gebiet der Raumunendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, der Nichtsheit, der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahr--nehmung, sinnt über diese Welt, sinnt über jene Welt, sinnt über das, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im Geiste erforscht hat. So, Saddha, sinnt man wie ein ungebärdiges Roß.

Wie aber, Saddha, sinnt man wie ein edles Roß? Während, Saddha, das gute, edle Roß am Futtertroge angebunden ist, sinnt es nicht über das Futter nach. Und warum nicht? Weil eben das am Futtertroge angebundene gute, edle Roß darüber nachdenkt: »Was wird mich wohl heute der Rosselenker tun lassen? Werde ich es ihm gut genug machen?« Denn das gute, edle Roß betrachtet die Anwendung der Treibgerte als eine Schuld, eine Knechtung, eine Schande, eine Niederlage.

Ebenso auch, Saddha, hat sich da ein guter, edler Mensch in den Wald begeben, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Behausung. Und im Geiste nicht gefesselt und verzehrt von Sinnenlust - von Übelwollen - von Starrheit und Mattigkeit - von Aufgeregtheit und Gewissensunruhe - von Zweifelsucht, verweilt er dort; und wohl weiß er der Wirklichkeit gemäß, wie man der aufgestiegenen Zweifelsucht entrinnt. Nicht sinnt er über die Erde, das Wasser, das Feuer oder den Wind; nicht sinnt er über das Gebiet der Raumunendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, der Nichtsheit oder der Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung; sinnt nicht über diese Welt oder jene Welt; auch nicht über das, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht oder im Geiste erforscht hat; aber dennoch sinnt er. Dem also sinnenden guten, edlen Menschen aber, o Saddha, bringen die Himmelswesen mit Indra, Brahma und Pajāpati an der Spitze selbst von ferne ihre Verehrung dar:

'Verehrung dir, dem edlen Menschen,
Verehrung dir, dem höchsten Herrn,
von dem wir nicht erkennen können,
worüber du im Geiste sinnst!'«

Auf diese Worte sprach der ehrwürdige Saddha also zum Erhabenen:

»In welcher Weise aber, o Herr, sinnt der gute, edle Mensch?«

»Da, Saddha, ist für einen guten, edlen Menschen bei der Erde die Erdwahrnehmung ganz klar geworden (*1), ist beim Wasser die Wasserwahrnehmung, beim Feuer die Feuerwahrnehmung, beim Winde die Windwahrnehmung ganz klar geworden; ist bei der Wahrnehmung des Gebietes der Raumunendlichkeit, der Bewußtseinsunendlichkeit, der Nichtsheit, der Weder- Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung deren Wahrnehmung ganz klar geworden; ist bei der Wahrnehmung dieser oder jener Welt deren Wahrnehmung ganz klar geworden; ist auch bei allem, das er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im Geiste erforscht hat, die Wahrnehmung davon ganz klar geworden.

Also sinnend, Saddha, sinnt der gute, edle Mensch nicht über die Erde, das Wasser... sinnt er auch nicht über das, was er gesehen, gehört, empfunden, erkannt, erreicht, gesucht und im Geiste erforscht hat; aber dennoch sinnt er. Dem also sinnenden guten, edlen Menschen, o Saddha, bringen die Himmelswesen mit Indra, Brahma und Pajāpati an der Spitze selbst von ferne ihre Verehrung dar:

'Verehrung dir, dem edlen Menschen,
Verehrung dir, dem höchsten Herrn,
von dem wir nicht erkennen können,
worüber du im Geiste sinnst!'«

(*1) pathaviyā pathavisaññā vibbūta hoti. - K: Die beim Erdobjekt aufgestiegene Wahrnehmung der Vierer- oder Fünfervertiefung ist ganz klar und deutlich (vibhūtā pākatā hoti). Wie es heißt: 'Ganz klar ist die Formwahrnehmung, unklar ist die Knochenwahrnehmung.' In dieser Lehrrede nämlich wird wegen des Vorhandenseins der Überwindung (der Wahrnehmungsstufen) von der Klarheit gesprochen. Hier aber ist (die Wahrnehmung) zur Klarheit gekommen (vibhūtā nāma jātā), weil sie durch den Klarblick als vergänglich, leidvoll und ichlos erkannt wurde.


A.XI. 11 Der Höchste

Einst weilte der Erhabene bei Rājagaha, im Kloster der Wanderasketen, an der Fütterungsstätte der Pfauen. Dort wandte sich der Erhabene an die Mönche:

»Mit drei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht, die höchste Sicherheit, die höchste Heiligkeit, das höchste Ziel und gilt als erster unter Göttern und Menschen. Welches sind diese drei Eigenschaften?

Und mit drei weiteren Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht:

Auch mit weiteren drei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht:

Und auch mit diesen zwei Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht, die höchste Sicherheit, die höchste Heiligkeit, das höchste Ziel und gilt als erster unter Göttern und Menschen:

Mit diesen beiden Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, hat der Mönch die höchste Vollendung erreicht, die höchste Sicherheit, die höchste Heiligkeit, das höchste Ziel und ist der erste unter Göttern und Menschen.

Auch Sanankumāra (Skr: Sanatkumāra, wtl: der ewige Jüngling, ist in der Hindumythologie einer der vier Söhne Brahmas), ihr Mönche, der Brahma, hat folgende Verse gesprochen:

»Der Adelsherr als Höchster gilt,
wo man der Kastenlehre folgt;
doch unter Göttern, Menschen ist der Höchste,
wer weise und voll Tugend ist.«

Diese Verse aber, ihr Mönche, hat Sanankumāra, der Brahma, mit Recht vorgetragen, nicht zu Unrecht vorgetragen (sugītā no duggītā; fehlt in ChS), hat sie richtig gesprochen, nicht verkehrt gesprochen; und sie sind zweckmäßig, nicht zwecklos und haben meinen Beifall. Denn auch ich sage:

Der Adelsherr als Höchster gilt,
wo man der Kastenlehre folgt;
doch unter Göttern, Menschen ist der Höchste,
wer weise und voll Tugend ist.«

    Oben  


"Oben" width="40" height="40">