Anguttara Nikaya

3. Kapitel: sattāvāsa-vagga

A.IX. 21 Die Bewohner von Uttarakuru

In drei Dingen, ihr Mönche, übertreffen die Menschen in Uttarakuru sowohl die Himmelswesen der Dreiunddreißig als auch die Menschen in Jambudīpa (Indien) (*1). In welchen drei Dingen? Sie sind selbstlos (*2) und ohne Habgier, und sie erreichen ein bestimmtes Alter; dies sind ihre besonderen Eigenschaften (*3).

In drei Dingen, ihr Mönche, übertreffen die Himmelswesen der Dreiunddreißig , sowohl die Menschen in Uttarakuru als auch diejenigen in Indien. In welchen drei Dingen? In himmlischer Lebensdauer, himmlischer Schönheit und himmlischem Glück.

In drei Dingen, ihr Mönche, übertreffen die Menschen in Jambudīpa (Indien) sowohl die Menschen in Uttarakuru als auch die Himmelswesen der Dreiunddreißig. In welchen drei Dingen? In Heldenmut, in Achtsamkeit (*4) und in der Befolgung dieses Heiligen Wandels (*5).


(*1) Nach altindischer Kosmologie gruppieren sich um das Mahāmeru- (oder Sumeru-)Gebirge vier Kontinente: Pubba-Videha (Ost-Videha), Aparagoyāna (West-Ochsenwagen), Uttara-Kuru (Nord-Kuru) und Jambudīpa (Rosenapfel-Insel). Jambudīpa schließt Indien ein.

(*2) amama; K erklärt es als nittanhā, 'begehrlos', sagt aber, daß der 'Kommentar' (wohl die Mahā-Atthakathā; s. Vorrede, Bd. I, S. 10) es als 'leidlos' (niddukkha) erklärt.

(*3) ChS: visesagunā; Lesart in Sinh., Si, PTS: visesabhuno; unerwähnt in K und SubK. Wenn die zweite Lesart zutrifft, so könnte man übersetzen 'haben besondere geistige Begabung'; in diesem Falle würde man es aber, wie in der 1. Aufl. dieses Werkes geschehen, als die dritte Eigenschaft zu betrachten haben, wobei dann die ersten beiden, nahe verwandten Begriffe als eine einzige Eigenschaft zu zählen wären.

(*4) K: Bei den Göttern ist die Achtsamkeit nicht stark entwickelt, wegen ihres überaus glücklichen Lebens, und bei den Höllenwesen ist Achtsamkeit nicht stark, wegen ihrer überaus leidhaften Existenz. Bei den Menschen Jambudīpas aber ist Achtsamkeit stark entwickelt, weil ihr Leben eine Mischung ist von Freude und Leid.

(*5) brahmacariyāvāso, K: der Heilige Wandel des achtfachen Pfades.


A.IX. 22 Die neun Rosse

Drei junge Rosse, ihr Mönche, will ich euch weisen und drei junge Menschen; drei gute Rosse und drei gute Menschen; drei würdige, edle Rosse und drei würdige, edle Menschen.

Dieser Text entspricht genau A.III.141-143, wo diese drei Dreiergruppen von Rossen und Menschen in drei einzelnen Lehrreden behandelt werden; hier, im Neunerbuch, ist der gleichlautende Text in einer einzigen Lehrrede zusammengefaßt.


A.IX. 23 Im Begehren wurzelnde Dinge

Neun im Begehren wurzelnde Dinge (*1) will ich euch weisen, ihr Mönche.

Auf das Begehren folgt das Suchen, auf das Suchen das Erlangen, auf das Erlangen das Entscheiden (*2), auf das Entscheiden die Willensgier (chandarāga; K: schwache Gier), auf die Willensgier der selbstische Drang (*3), auf den selbstischen Drang die Besitzergreifung, auf die Besitzergreifung der Geiz, auf den Geiz das Überwachen, und beim Überwachen greift man zu Stock und Schwert; es kommt zu Streit, Zank, Hader, Zwist, Verleumdung und Lüge, und viele andere üble, unheilsame Dinge stellen sich ein.


(*1) tanhā-mūlaka-dhammā. Zum folgenden vgl. D. 15: Mahā-nidāna-sutta.

(*2) Die Entscheidung (vinicchaya) über die Verwendung des Erlangten oder Gefundenen. Die ganze Reihe kann auch auf das durch Begehren nach geistiger Nahrung hervorgerufene geistige Suchen bezogen werden, gefolgt von der Bildung von Ansichten, Meinungen und Dogmen und dem Meinungsstreit.

(*3) ajjhosāna; K: die starke Einstellung auf 'Ich' und 'Mein'.


A.IX. 24 Die neun Daseinsformen der Wesen

Neun Daseinsformen der Wesen (sattāvāsa, vgl. A.VII.41 mit Anm) gibt es, ihr Mönche. Welche neun?

Es gibt Wesen, ihr Mönche, die verschieden sind in Körperform und verschieden in Wahrnehmung, als wie die Menschen, einige Himmelswesen und einige Wesen der niederen Welten. Das ist die erste Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die verschieden sind in Körperform, aber gleich in Wahrnehmung, als wie die Götter der Brahmawelt, die durch die erste (Vertiefung) entstandenen. Das ist die zweite Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die gleich sind in Körperform, aber verschieden in Wahrnehmung, als wie die Strahlenden Götter. Das ist die dritte Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die gleich sind in Körperform und gleich in Wahrnehmung, als wie die All-leuchtenden Götter. Das ist die vierte Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die ohne Wahrnehmung und Gefühl sind, als wie die Wahrnehmungslosen Wesen (*1). Das ist die fünfte Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die durch völlige Überwindung der Körperlichkeitswahrnehmungen, durch das Schwinden der Rückwirkwahrnehmungen und Nichtbeachten der Vielheitswahrnehmungen, mit der Vorstellung der Unendlichkeit des Raums, im Raumunendlichkeitsgebiete erschienen sind. Das ist die sechste Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die durch völlige Überwindung des Raumunendlichkeitsgebietes mit der Vorstellung der Unendlichkeit des Bewußtseins, im Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet erschienen sind. Das ist die siebente Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die durch völlige Überwindung des Bewußtseinsunendlichkeitsgebietes, mit der Vorstellung 'Nichts ist da', im Nichtsheitsgebiete erschienen sind. Das ist die achte Daseinsform der Wesen.

Es gibt Wesen, die nach völliger Überwindung des Nichtsheitsgebietes im Gebiet der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung entstanden sind. Das ist die neunte Daseinsform der Wesen.

Diese neun Daseinsformen der Wesen gibt es, ihr Mönche (*2).


(*1) asañña-satta Diese erscheinen natürlich nicht unter den sieben »Bewußtseinsstätten« (A.VII.41); ebenso fehlt dort das neunte Glied unserer Einteilung, d.i. die Wesen der 4. unkörperlichen Vertiefung, da diese an der »Grenzscheide des Bewußtseins« stehen.

(*2) K: Auch die 'Reinen Daseinsstätten' (oder Reinen Gefilde, suddhāvāsa, die nur für Nichtwiederkehrer erreichbar sind), rechnen als eine Daseinsform der Wesen (sattāvāsa). Da sie jedoch nicht zu allen Zeiten existieren, werden sie hier nicht erwähnt. Mit diesen Reinen Daseinsstätten verhält es sich nämlich wie mit der Kampfesstätte der Erleuchteten; denn während der unermeßlich großen Zeiträume, in denen keine Erleuchteten erstehen, bleibt diese Stätte leer.


A.IX. 25 Vollkommene Geistesentfaltung I

Wenn, ihr Mönche, ein Mönch seinen Geist in Weisheit voll und ganz entfaltet hat, so kann er mit Recht von sich sagen: »Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier.« Wie aber, ihr Mönche, hat ein Mönch seinen Geist in Weisheit voll und ganz entfaltet?

Wenn er erkennt: »Frei ist mein Geist von Gier«, so hat er in dieser Weise seinen Geist in Weisheit voll und ganz entfaltet. Wenn er erkennt: »Frei ist mein Geist von Haß, frei von Verblendung; nicht mehr unterworfen der Gier, dem Hasse, der Verblendung; nicht mehr imstande ist mein Geist, zu sinnlichem Dasein zurückzuführen, zu feinkörperlichem oder unkörperlichem Dasein zurückzuführen«, so hat er in dieser Weise seinen Geist in Weisheit voll und ganz entfaltet.


A.IX. 26 Vollkommene Geistesentfaltung II

So habe ich gehört. Einst weilten der ehrwürdige Sāriputta und der ehrwürdige Candikaputta im Bambushain bei Rājagaha, an der Fütterungsstätte der Eichhörnchen. Dort wandte sich der ehrwürdige Candikaputta an die Mönche und sprach:

»Devadatta, ihr Brüder, lehrt, daß ein Mönch, der durch Geistesübung seinen Geist entfaltet hat (*1), von sich mit Recht erklären kann: 'Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier.'«

Auf diese Worte aber entgegnete ihm der ehrwürtige Sāriputta: »Nicht so, o Bruder, legt Devadatta den Mönchen die Lehre dar, sondern er lehrt, daß ein Mönch, der durch seine Geistesübung seinen Geist voll und ganz entfaltet hat (*2), von sich mit Recht erklären kann: 'Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres nach diesem hier.'«

Und zum zweiten und dritten Male sprach der ehrwürdige Candikaputta zu den Mönchen:

»Devadatta, ihr Brüder, lehrt, daß ein Mönch, der durch Geistesübung seinen Geist entfaltet hat, von sich mit Recht erklären kann 'Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier.'«

Und zum zweiten und dritten Male entgegnete ihm der ehrwürdige Sāriputta:

»Nicht so, o Bruder, legt Devadatta den Mönchen die Lehre dar, sondern er lehrt, daß ein Mönch, der durch Geistesübung seinen Geist voll und ganz entfaltet hat, von sich mit Recht erklären kann: 'Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier.'

Wie aber, o Bruder, hat ein Mönch seinen Geist durch Geistesübung voll und ganz entfaltet?

Wenn er erkennt: 'Frei ist mein Geist von Gier', so hat er in dieser Weise seinen Geist durch Geistesübung voll und ganz entfaltet. Wenn er erkennt: 'Frei ist mein Geist von Haß, frei von Verblendung; nicht mehr unterworfen der Gier, dem Hasse, der Verblendung; nicht mehr imstande ist mein Geist, zu sinnlichem Dasein zurückzuführen, zu feinkörperlichem oder unkörperlichem Dasein zurückzuführen', so hat er in dieser Weise seinen Geist durch Geistesübung voll und ganz entfaltet.

Selbst wenn, o Bruder, einem derart vollkommen geisteserlösten Mönch sichtbare Formen gar eindringlich in den Gesichtskreis treten, hörbare Töne gar eindringlich in das Hörgebiet treten, riechbare Düfte gar eindringlich in das Riechgebiet treten, schmeckbare Säfte gar eindringlich in das Schmeckgebiet treten, körperliche Eindrücke gar eindringlich in das Körpergebiet treten, geistig erkennbare Dinge gar eindringlich in den Denkkreis treten, so vermögen sie seinen Geist nicht mehr zu fesseln; sein Geist bleibt unberührt, standhaft, unerschütterlich, und in all dem sieht er die Vergänglichkeit (*3).

Gesetzt, o Bruder, es befände sich da eine sechzehn Fuß hohe steinerne Säule, die acht Fuß tief im Boden ruhte und acht Fuß über den Boden emporragte. Sollte da auch von Osten, Westen, Norden oder Süden her ein heftiger Regen und Sturm herantreiben, so wäre derselbe nicht imstande, sie zu erschüttern, zu bewegen und zum Schwanken zu bringen. Und warum nicht? Eben wegen der Tiefe des Grundbaues, wegen der guten Eingrabung der Steinsäule.

Ebenso auch, o Bruder, selbst wenn einem vollkommen geisteserlösten Mönch sichtbare Formen gar eindringlich in den Gesichtskreis treten ... geistig erkennbare Dinge gar eindringlich in den Denkkreis treten, so vermögen sie seinen Geist nicht mehr zu fesseln; sein Geist bleibt unberührt, standhaft, unerschütterlich, und in all dem sieht er die Vergänglichkeit.«

Text 27 ist gleichlautend mit A.X.92, jedoch ohne den dortigen 10. Punkt, der den 'edlen Richtweg' behandelt.

Text 28 ist gleichlautend mit Text 27, jedoch an die Mönche gerichtet.

Text 29 und 30 sind gleichlautend mit A.X.79-80, jedoch, ohne den dortigen 10. Punkt (»ohne sichtbaren Grund«).


(*1) Lies: cetasā cittam citam hoti; PTS und Si haben fälschlich suparicitam, das lediglich in die Antwort Sāriputtas gehört. ChS hat richtig citam, läßt aber versehentlich cittam aus. - Citam bedeutet wörtlich 'angehäuft', d.i. gestärkt, intensiviert; offenbar als Wortspiel mit citta, Geist, Bewußtsein. - Cetasā, durch den Geist, durch Vergeistigung.

(*2) cetasā cittam suparicitam hoti; so auch in Text 25. Die Präfixe su und pari haben verstärkende Bedeutung.

(*3) So auch in A.VI.54 gegen Ende.


A.IX. 31 Stufenweise Erlöschung

Neun stufenweise Erlöschungen (anupubba-nirodha) gibt es, ihr Mönche. Welche neun?

  1. Für den in die erste Vertiefung Eingetretenen sind die sinnlichen Wahrnehmungen erloschen (während der Vertiefungen ist die Fünfsinnentätigkeit ausgeschaltet).
  2. Für den in die zweite Vertiefung Eingetretenen sind Gedankenfassen und Überlegen erloschen.
  3. Für den in die dritte Vertiefung Eingetretenen ist Verzückung erloschen.
  4. Für den in die vierte Vertiefung Eingetretenen ist Ein- und Ausatmung erloschen.
  5. Für den in das Gebiet der Raumunendlichkeit Eingetretenen sind die Körperlichkeitswahrnehmungen erloschen.
  6. Für den in das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit Eingetretenen ist die Vorstellung des Raumunendlichkeitsgebietes erloschen.
  7. Für den in das Nichtsheitsgebiet Eingetretenen ist die Vorstellung des Bewußtseinsunendlichkeitsgebietes erloschen.
  8. Für den in das Gebiet der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung Eingetretenen ist die Vorstellung des Nichtsheitsgebietes erloschen.
  9. Für den in die 'Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl' Eingetretenen sind Wahrnehmung und Gefühl erloschen.

Das, ihr Mönche, sind die neun stufenweisen Erlöschungen.


    Oben  


f="a09_032-041.html">