SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

IV.13. Die große Entgegnung (Mahā-Viyūha-Sutta)

 

895 (DER FRAGENDE)

Die Menschen, welche eingewöhnt in Ansicht,
Behauptend: 'Dieses nur ist Wahrheit',
Ziehen bloßen Tadel sich all diese zu?
Ist es nicht Lob auch, das sie dabei ernten?

 

896 (DER ERHABENE)

Wertlos ist dieses! Nicht dient es dem Frieden.
Stets zweifach, künd' ich, sind des Streites Früchte.
Dieses erkennend, möge man nicht streiten,
Die Ruhe schauend, jene Stätte ohne Streit.

 


Zeile b. - Die zweifache Frucht des Streits ist Lob und Tadel; vgl. v. 828.

Zeile c = 830c.

Zeile d. - khemābhipassam avivādabhummam; die Ruhe oder höchste Sicherheit ist Nibbāna.


 

897

Was da an Meinung von der Menge ausgeht,
Nicht nähert sich all dem, wer wissend.
Wer nimmer nahe geht, woran auch sollte er sich nähern,
Der an Gesehenem und Gehörtem kein Genüge findet?

 


Zeile b. - D.h. er kümmert sich nicht darum; es geht ihm nicht nahe (na upeti).

Zeile c. - Anūpayo so upayam kim eyya; vgl. hierzu und zu Zeile b (na upeti) die Verse 786, 787 m. Anm. - MNidd: "Welcher Körperlichkeit, welchem Gefühl usw. sollte er sich nähern mit dem Gedanken: 'Dies ist mein Ich'? Welcher Wiedergeburt, welchem Dasein usw. sollte er sich nähern?"

Zeile d. - An Gesehenem und Gehörtem. MNidd bezieht es wieder auf die Läuterung durch glückbringende Seh-, Hörobjekte usw. Es ist aber wohl auch allgemein aufzufassen als das Unbefriedigtsein von der Sinnen-Wahrnehmung. Vgl. v. 851: "Im Sinnen-Eindruck dessen Leerheit schauend."


 

898

Die da im Regeltum das Höchste sehen,
Sie sagen, daß durch Zügelung 'Reinheit' komme.
Gelübden, die sie aufgenommen, dienen sie:
,Dies laßt uns üben, daß uns Reinheit werde!'
Daseinssverdungen nennen sie sich 'Kenner'.

 


Zeile b. - D.h. ausschließlich durch die Befolgung einer sittlichen oder asketischen Zucht.


 

899

Wenn einer abfällt von den Regeln und Gelübden,
In Angst gerät er, wenn sein Werk mißlungen.
Er sehnt sich, schmachtet nach der 'Reinheit',
Dem Pilger gleich, verlassen von der Karawane.

 


Zeile a. - MNidd: "weil er von anderen abspenstig gemacht wurde oder weil er der Einhaltung dieser Regeln und Gelübde nicht gewachsen ist."

Zeile d. - K: "wie ein Reisender, der seine Karawane verloren hat, sich nach ihr oder nach Hause sehnt."


 

900

Von Regeln und Gelübden gänzlich lassend,
Und auch vom Wirken, schlechtem oder gutem.
Nach 'rein' und 'unrein' kein Verlangen tragend,
Entziehe man sich dem und suche nicht darin den Frieden.

 


Zeile c. - MNidd: nicht verlangend nach den für 'rein' gehaltenen fünf Sinnen-objekten und 62 falschen Ansichten oder nach jeglichem Weltlich-Heilsamen; nicht nach 'Unreinem' verlangend, d.h. nach karmisch Unheilsamem oder nach den 62 falschen Ansichten.

Zeile d. - Wtb: Man lebe, sich (davon) zurückhaltend, und nehme (es) nicht als den Frieden an. 'Friede' bezieht sich hier, lt. MNidd und K, auf die falsche Ansicht darüber; vgl. 784.


 

901

Sich stützend auf Kasteiung oder eklen Brauch,
Auch auf Gesehenes, Gehörtes, anderswie Erfahrenes,
Den Weg verfehlend, jammern sie um 'Reinheit',
Die unbefreit vom Durst nach immer neuem Dasein.

 


Zeile c. - Den Weg verfehlend ist freie Wiedergabe für uddham-sarā, wtl.: darüber hinausgehend. Es wurde aufgefaßt im Sinne von atisāram-ditthi in v. 889 (s. Anm.). Dafür spricht auch die inhaltliche Parallele zu v. 899a/b, MNidd: "Die Asketen und Brahmanen, welche Anhänger der accanta-suddhi (Höchste Reinheit; s. v. 794) sind, die an Läuterung durch den Samsāra glauben, welche die Unwirksamkeit der Taten lehren, die Ewigkeitsgläubigen, diese nennt man uddham-sarā. Sie verkündigen die Reinigung durch den Samsāra." Dies legt als alternative Übersetzung nahe: "die weiter (in der Wandelwelt, samsāra) kreisen (sarā)."


 

 

902

Dem, der verlangt, kommt immer neu Begehren;
Besorgnis stellt sich ein bei Wunschgedanken.
Für den es aber Sterben und Entstehen nicht gibt,
Worum sollt' er sich sorgen und wonach begehren?

 


Zeile a. - Die Hinzufügung in Klammern, lt. Erklärung im K: "Dem Verlangenden kommen immer wieder neue Begehrungen Befriedigung des Begehrens vermehrt es nur."

Zeile b. - Besorgnis (samvedhitam); wtl.: Erzittern. - Bei Wunschgedanken (pakappitesu), Vgl. v. 784 Anm.; von den dort genannten zwei Arten tanhā- und ditthi-pakappanā kommt die ersle in Frage, die hier wie oben wiederzugeben ist. MNidd: "Raub seines Besitzes fürchtend, zittert man; wenn er geraubt wird und auch nach dem Raube zittert man; Besitz-Verlust fürchtend, zittert man usw."


 

 

903 (DER FRAGENDE)

Die Lehre, die die einen für die höchste halten,
Die eben halten andere für geringer,
Welch' Rede wohl ist Wahrheit unter diesen?
Denn alle die bezeichnen sich als 'Kenner'!

 


Zeile c/d = v. 879c/d,


 

904 (DER ERHABENE)

Die eigene Lehre nennen sie vollendet,
Des anderen Lehre aber sei geringer.
Derart befangen kommen sie ins Streiten,
Und jeder nennt die eigene Meinung 'Wahrheit'.

 


Zeile c = v. 879a.


 

905

Wenn durch den Tadel anderer sie geringer würde,
Dann gäb' es keine Lehre, die vorzüglich wäre.
Denn jede andere Lehre hält die Menge für gering,
Doch von der eig'nen redet sie mit Nachdruck.

 


Vgl. v. 890.


 

906

So eben ist ihr Kult der eigenen Lehre!
Gemäß dem Lob, das sie den eigenen Wegen zollen,
All' diese Lehren müßten Wahrheit sein,
Denn jede für sich selbst beansprucht 'Reinheit'.

 

907

Lenkung durch andere kennt kein wahrer Priester
Und auch kein Dogma, unter Lehren ausgesucht.
Daher hat Meinungsstreit er gänzlich überwunden,
Denn keine andere Lehre hält er für die beste.

 


Zeile d. - MNidd: "Keine andere Lehre außer der vierfachen Vergewärtigung der Achtsamkeit . . . dem Edlen Achtfachen Pfad."


 

908

,Ich sehe es und weiß: So eben ist es!'
In falscher Ansicht sehen einige 'Reinheit'.
Wenn so er sieht, was nützt es einem solchen?
Den Weg verfehlend, halten anderes sie für 'Reinheit'.

 


Zeile c. - MNidd: "Was nützt es ihm zur Durchdringung des Leidens, zum Aufgeben der Leidens-Entstehung, zur Übung des Pfades usw."

Zeile d. - Den Weg, verfehlend; atisitvā wohl für atisaritvā; siehe v. 889 Anm.


 

909

Ein Mensch, der sehend, sieht wohl Geist und Körper,
Doch durch sein Sehen wird er nichts als diese kennen.
Mag nach Belieben viel er sehen oder wenig,
Nicht dadurch wird ihm 'Reinheit', sagen Kenner.

 


Zeile a. - MNidd: "Er wird sie als beständig, erfreulich und ichhaft sehen; nicht aber ihr Entstehen und Schwinden, den Genuß, das Elend und das Entrinnen dabei."


 

910

Ein Dogmenkünder, wahrlich, ist nicht leicht belehrbar;
Erdachte Ansicht ist es, der er nachfolgt.
Woran er hängt, das, sagt er, sei das Gute,
Das 'Reine' kündend, wie er's eben ansieht.

 


Zeile a. - Nicht leicht belehrbar (na subbināyo). Das Pali-Wort ist in dieser Form nicht klar: 1) das verdoppelte b ist vielleicht falsche Analogie zum Gegenbegriff dubbināyo = dur-vināyo (schlecht belehrbar); 2) die Dehnung des a geschah metri causa, wie aus der mit dubbinayo beginnenden erklärenden Synonymenreihe in MNidd ersichtlich. Diese wird fortgesetzt mit duññāpayo etc. (d.i. einer, den man schwer zur Erkenntnis bringen kann). Der Subkommentar (Tīka) erklärt dubbinaya mit vinetum dukkho | (d.i.: schwer zu führen oder zu belehren). Unser Textwort steht also offenbar für su-veneyyo. Dieser Auffassung wurde in der Übersetzung gefolgt. PTS hat eine nicht sehr wahrscheinliche Lesart suddhi-nāyo (vielleicht für nāyako?), 'Führer zur Reinheit'.

Zeile b. - Erdachte Ansicht (pakappitam ditthim); die spekulative Phantasie oder phantastische Theorie; s. v. 784 Anm.

Zeile d. - K: "So wie seine Ansicht ist, so eben sieht er es; nicht will er es anders sehen."


 

911

Der Heilige fügt sich nicht ein ins Maß
Von etwas, das begreifbar ist, benennbar.
Nicht mehr ergeht er sich in Theorien
Und hat sich auch dem Wissen nicht verschrieben.
Erkennend all die Meinungen der Menge,
Bleibt er betrachtend, wo die anderen greifen.

 


Zeile a/b. - Na brāhmano kappam upeti samkham; vgl. v. 784 (pakappitā samkhatā), v. 860 (kappam n'eti), v. 1047 (na upeti samkham).

Zeile d. - Wtl.: kein Wissensfreund (na ñāna-bandhu). MNidd: "Weder das Wissen der acht meditativen Erreichungszustände, noch die fünf Hohen Wissen (abbiññā), noch ein falsches Wissen macht er aus Begehren oder aus falscher Ansicht zu einer Bindung (bandham) für sich." Vgl. v. 800b.

Zeile f. - Upekhati uggahananta-m-aññe; upekhati bedeutet 'gleichmütig betrachten' (s. upekhā). - Uggahananta = ugganhantā wurde, MNidd folgend, übersetzt wie das präfixlose ganhanti: "sie greifen, nämlich nach jenen Meinungen der Menge"; vgl. uggahītam (v. 795e). K erklärt wörtlich: die anderen erlernen, studieren diese Meinungen".


 

912

Der Muni, der die Bande dieser Welt gelöst,
Wenn Streitgespräch entstanden, nimmt er nicht Partei.
Inmitten Friedloser befriedet, bleibt er ein Betrachter.
Er greift nicht mehr, wo noch die anderen greifen.

 


Zeile b. - Vgl. v. 800c.

Zeile c. - Ein Betrachter oder 'gleichmütig' (upekkhako); vgl. Anm. 911f.


 

913

Alte Triebe lassend, neue nicht erzeugend,
Folgt nicht der Willkür er und ist kein Dogmenkünder.
Von Theorien ganz befreit, ein Weiser,
Von Selbst-Vorwürfen frei, lebt unbefleckt er in der Welt.

 


Zeile b. - Folgt nicht der Willkür er (na chandagū); zu chanda in dieser Bedeutung vgl. v. 781. Das vom Muni gleichfalls vermiedene andere Extrem ist der Dogmenkünder (nivissavādī).


 

 

914

Von all den Dingen keinem sich verbindend,
Was auch gesehen ward, gehört und anderswie erfahren.
Der Muni, der die Bürde abwarf, ganz entbunden,
Der unbegreifbar: er entsagt nicht und ersehnt nicht.

 


Zeile a/b = v. 793a/b.

Zeile d. - Unbegreifbar (na kappiyo); vgl. v. 860 (akappiyo) und v. 521 m. Anm. - Er entsagt nicht und ersehnt nicht (nūparato na patthiyo); vgl. vv. 795d, 813d.


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