SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

IV.5. Das Höchste (Paramatthaka-Sutta)

 

(Eine Achter-Sutte)

 

796

Hat man vom 'Höchsten' eine Ansicht sich gebildet,
An die man sich gewöhnt hat, sie bevorzugt,
Alles, was anders ist, gilt als geringer.
So kommt's, daß Meinungsstreit nicht endet.

 


K zitiert hier das bekannte Gleichnis von den Blinden, die einen Elefanten je nach den einzelnen, von ihnen berührten Körperteilen beschreiben.


 

797

Worin man für sich selber Heil und Vorteil sieht,
Sei's in Gesehenem, Gehörtem, anderswie Erfahrenem,
Sei es in Regeln oder auch Gelübden,
Das eben greift man davon auf als Dogma,
Für minderwertig hält man alles andere.

 


Zeile a = v. 784c.


 

798

,Beschränktes Denken' nennen es die Kenner,
Wenn man vom eigenen Standpunkt anderes geringschätzt*.
Daher nicht auf Gesehenes, Gehörtes, anderswie Erfahrenes,
Auch nicht auf Regeln und Gelübde soll der Mönch sich stützen.

 


Beschränktes Denken, wtl.: Fesselung (gantham); vgl. die Innere Fesselung oder Bindung durch Dogmatismus (idamsaccabhiniveso gantho; siehe Wtb.: gantha.

* Wtl.: daß man (auf eines) gestützt (nissito), anderes als gering betrachtet. K: gestützt auf den eigenen Meister, dessen Lehren usw.


 

799

Auch (andere Sonder-)Ansicht soll er nicht erdenken,
Sie sich aus Wissen, Regeln und Gelübden formend,
Als gleich nicht mög' er sich vergleichen,
Nicht für gering sich halten oder auch für besser.

 


Zeile a/b. - MNidd bezieht sich auf nicht überlieferte, auf die Läuterung durch Sinnenwahrnehmung hinausgehende, selber geformte Ansichten, geschöpft aus dem Wissen meditativer Erfahrungen, magischer Kräfte, aus falschem Denken, aus Regeln und Riten (selber geschaffen oder willkürlich interpretiert). Dies schließt also auch die Versuche eigener Religions- oder Sektenbildung ein.


 

800

Das einst Geglaubte ließ er ohne Hangen,
Und auch in (anderem) Wissen sucht er keine Stütze.
Nicht nimmt Partei er unter den Sektierern,
Nicht fällt auf irgend eine Ansicht er zurück.

 


Das einst Geglaubte; wtl.: Ergriffene ließ er (attam pahāya); vgl. 790f und Anm. zu 787c. K: "Das, was er früher ergriffen hatte (gahitam), gibt er auf und ergreift nichts anderes." Dies bezieht sich auf den in 798a/b erwähnten überlieferten Glauben; Zeile b auf den in 799a/b gemeinten selber geformten.

"Fällt . . . zurück" (pacceti); oder auch "folgt gläubig".


 

 

801

Der kein Verlangen hat nach beiden Enden,
Nach Daseinsformen hier und drüben,
Kein geistig Eingewöhnen gibt es mehr für ihn,
Kein Dogma, unter Lehren ausgesucht.

 


Nach beiden Enden. K und MNidd geben die in 778 Anm. gegebene Reihe erklärender Begriffe. Alternativ bezieht MNidd 'die beiden Seiten' oder 'Enden' auch noch auf das 'Hier und Drüben' (Zeile b), woran hier wohl in erster Linie zu denken ist.

Geistig Eingewöhnen (nivesanā); vgl. v. 785.

Zeile c/d entspricht v. 785a/b.


 

 

802

Hier beim Gesehenen, Gehörten, anderswie Erfahrenen,
Auch nicht geringste Ansicht legt er sich zurecht,
Die sich auf solche Wahrnehmungen gründet.
Solch wahren Priester, welcher keine Ansicht annimmt,
Worin hier in der Welt könnt' man ihn einbegreifen?

 


Zeile a/b. - Wtl.: "Der beim Gesehenen usw. nicht die geringste (aus der) Wahrnehmung (abgeleitete) ergrübelte (Ansicht) hat." Die Wiedergabe folgte MNidd: "aus einem Wahrnehmungsbild (saññā-viggaha) entstandene, zurechtgelegte Ansicht." Auch diese Stelle bezieht sich wohl zunächst auf den Ausgangspunkt der vorhergehenden Sutte, "Rein", d.i. auf den Glauben an die läuternde Kraft bestimmter Sinnen-Wahrnehmungen. Darüber hinaus gilt diese Aussage aber auch für jede Ansicht, die sich auf, als 'objektiv und eindeutig' aufgefaßte, falsch interpretierte Sinnen-Data stützt, ohne dabei die Natur des Sinnen-Eindrucks (v. 778) und des Wahrnehmungsprozesses (v. 779) verstanden zu haben.

Zeile d = v. 793d.


 

803

Ergrübelnd nichts und nicht Idolen folgend,
Nicht nehmen sie solch falsche Lehren an;
Und auch an Regeln, Riten und Gelübden
Kann nicht erkennen man den wahren Priester.
Erlöst, fällt er als Heiliger nimmermehr zurück.

 


Zeile a = v. 794a.

(falsche) Lehren (dhamma); MNidd: die 62 falschen Ansichten.

# Zeile e. - Erlöst, wtl.: zum Anderen Ufer gelangt (pāram gato); vgl. 210 Anm. - Fällt nimmermehr zurück (na pacceti), d.h. auf die überwundenen Leidenschaften und Schwächen und auch nicht auf Grübeleien, Ansichten, Glauben an Riten usw. (vgl. 800d).


IV.6. Alter (Jarā-Sutta)

 

804

Kurz, wahrlich, ist ja dieses Leben!
Man stirbt, eh' hundert Jahre um sind,
Und auch wer über dies hinaus lebt,
Auch er stirbt schließlich durch sein Alter.

 

805

Um das als 'Mein' Geliebte klagen da die Menschen.
Doch dauernden Besitz, den gibt es nicht*.
In der Veränderung nur hat diese Welt Bestand!
Wenn dies man weiß, so weilt man nicht im Hause.

 


Vgl. M.22 (PTS I, 137; K. E. N., I, 333).

MNidd: "Durch Veränderung und Wandel der jeweilig früheren Daseinsgruppen (khandha), Elemente (dhātu) und Sinnen-Grundlagen (āyatana) bestehen die späteren Daseinsgruppen, Elemente und Sinnengrundlagen."


 

806

Verloren wird's auch durch den Tod,
Wovon der Mensch glaubt: 'Es ist meinsn_806_mein!'
Wenn weise dies mein Jünger hat erkannt,
Neigt er dem Mein-Gedanken nicht mehr zu.

 


Zeile a/b. - MNidd zitiert hierzu folgende Verse aus dem Jātaka:

Ob früher die Schätze dem Sterblichen schwinden,
Ob vorher entschwindet der Sterbliche selbst,
Nicht dauern Schätze, Wunschbetörter, wisse!
Drum klag' ich nicht, auch wenn es Klagens Zeit.
Aufsteigt der Mond und ründet sich und schwindet,
Die Sonne glüht und eilt zum Untergang:
Gesehen hab' ich so den Lauf der Dinge
Drum klag' ich nicht, auch wenn es Klagens Zeit.

807

Wie, was erschienen war im Traum,
Ein Mensch, der aufwacht, nicht mehr sieht,
So sieht man nicht mehr den geliebten Menschen,
Der hingeschieden ist, vom Tod ereilt.

 

808

Die Menschen, die man sah und hörte,
Die man mit diesem, jenem Namen nannte,
Nur dieser Name wird von ihnen bleiben,
Als Künder vom dahingeschwundenen Menschen.

 

809

Nicht weicht das Sorgen, Klagen und die Habsucht
Von denen, die nach Eigentum begierig.
Daher der Muni, lassend jeglichen Besitz,
Zieht hin, der (einzigen) Sicherheit gewahr.

 


K: Die Sicherheit (khema) ist das Todlose, Nibbāna.


 

810

Ein Mönch, der, losgelöst im Innern,
In abgeschiedener Wohnstatt lebt,
Dies, sagt man, ist für ihn das Rechte,
Daß er im Dasein nimmermehr sich zeigt.

 

811

Der Muni, der von allem unabhängig,
Nicht Liebes schafft er sich und nicht, was unlieb.
Nicht Klage haftet an ihm und nicht Habsucht,
Wie Wasser nicht am Lotusblatte haftet.

 

812

So wie der Tropfen nicht am Lotusblatt,
Wie an der Lotusblüte nicht das Wasser haftet,
So kennt ein Muni auch kein Haften mehr
An immer neuem Dasein, sei es hier, sei's drüben,
Noch am Gesehenen, Gehörten, anderswie Erfahrnen.

 

813

Wer abgeschüttelt hat, hegt kein Vermeinen
Bei allem, was gesehen, gehört und anderswie erfahren.
Nicht sucht er andere Läuterung (als den Edlen Pfad).
Er kennt Begier nicht und hegt nicht Abscheu.

 


Zeile c. - Siehe Anm. zu 789d.

Er kennt Begierde nicht und hegt nicht Abscheu (na hi so rajjati no virajjati); vgl. Anm. zu 795d. - MNidd: "Die 'törichten Weltlinge' (bālaputhujjana) süchten, die 'edlen Weltlinge' (kalyānaputhujjana) und die sieben 'Übungsergebenen' (sekha) empfinden Abscheu; der Heilige süchtet weder, noch empfindet er Abscheu."


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