Zurueck Milindapañha, Teil 7

5. Kapitel

 

Mil. 7.5.1. Der Löwe

 

«Sieben Eigenschaften des Löwen, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches sind diese.»

«Gleichwie, o König, der Löwe eine helle, ungetrübte, lautere, lichte Farbe hat: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, ein reines, fleckenloses, lauteres und lichtes Herz besitzen und frei sein von Gewissensunruhe. Das, o König, ist die erste Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Löwe auf seinen vier Füßen ausschreitet wie ein Held: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, auf den vier Machtfährten (Iddhipādā) wandeln. Das, o König, ist die zweite Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Löwe mit einer herrlichen, leuchtenden Mähne bedeckt ist: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, mit der herrlichen, leuchtenden Mähne der Sittlichkeit ausgestattet sein. Das, o König, ist die dritte Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Löwe sich vor keinem beugt, selbst wenn er dadurch das Leben verlieren sollte: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, selbst wenn er das Nötigste an Gewand, Almosenspeise, Wohnstätte und Heilmitteln und Arzneien verlieren sollte, sich vor keinem beugen Das, o König, ist die vierte Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Löwe von seiner Beute ein Stück nach dem anderen verzehrt und eben an der Stelle, auf die er sich gestürzt hat, solange frißt, bis er genug hat, und sich nicht die besten Fleischbissen aussucht: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, die Speisen der Reihe nach aufzehren. Er soll sich auch nicht die Häuser aussuchen, sondern sich der Reihe nach zu den Häusern hinbegeben ohne eins zu übergehen; und an der Stelle in der Almosenschale, von der er den ersten Bissen genommen hat, soll er weiter essen, und zwar bloß um seinen Körper zu erhalten; soll sich nicht die besten Bissen heraussuchen. Das, o König, ist die fünfte Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Löwe nichts Aufgespeichertes verzehrt und sich der Beute, von der er einmal gefressen hat, nicht mehr nähert: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, keine (selber) aufgespeicherten Speisen genießen. Das, o König, ist die sechste Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Löwe, wenn er keine Beute erlangt, nicht erregt wird, und wenn er Beute erlangt, dieselbe auffrißt, ohne daran zu haften oder dadurch betört zu werden oder in Unruhe zu geraten: so auch, o König, soll der Yogi, der Yogabeflissene, auch wenn er keine Speise erlangt, nicht erregt werden; und erlangt er Speise, so soll er sie verzehren, ohne daran zu haften oder dadurch betört zu werden oder in Unruhe zu geraten, das Elend merkend und den Ausgang erkennend. Das, o König, ist die siebente Eigenschaft des Löwen, die er anzunehmen hat. Auch der Erhabene, o König, der Gott der Götter, sagt in der hehren Samyutta-Sammlung, indem er den Mahā-Kassapa pries: <Zufrieden, ihr Mönche, ist Kassapa mit jedweder Almosenspeise; die Zufriedenheit mit jedweder Almosenspeise lobt er, und nicht verfällt er der Almosenspeise wegen auf üble Wünsche und ungeziemendes Benehmen. Erlangt er keine Almosenspeise, so wird er nicht erregt. Erlangt er aber Almosenspeise, so verzehrt er dieselbe, ohne daran zu haften oder dadurch betört zu werden oder in Unruhe zu geraten, das Elend merkend und den Ausweg erkennend.>»

(Samyutta 16.1)

  


Mil. 7.5.2. Die Rotgans

 

«Drei Eigenschaften der Rotgans, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches sind diese?»

«Gleichwie, o König, die Rotgans bis zu ihrem Lebensende ihren Gefährten nicht verläßt: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, bis zu seinem Lebensende die weise Erwägung nicht fahren lassen. Das, o König, ist die erste Eigenschaft der Rotgans, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, die Rotgans von Moos und Wasserpflanzen lebt und damit zufrieden ist, bei jener Zufriedenheit aber weder an Kraft noch Anmut abnimmt: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, mit dem was er erhält, zufrieden sein. Denn ist er mit dem, was er erhält, zufrieden, so nimmt er weder an Sittlichkeit ab, noch an Sammlung, noch an Weisheit noch an Erlösung, noch an dem Erkenntnisblick der Erlösung; so nimmt er nicht ab an all den heilsamen Dingen. Das, o König, ist die zweite Eigenschaft der Rotgans, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, die Rotgans keinem Wesen etwas zuleide tut: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, Stock und Waffe verwerfen, zartfühlend und von Liebe erfüllt sein und zu allen lebenden Wesen und Geschöpfen Wohlwollen und Mitleid hegen. Das, o König, ist die dritte Eigenschaft der Rotgans, die er anzunehmen hat. Auch der Erhabene, o König, der Gott der Götter, sagt in der Geburtsgeschichte von der Rotgans:

 

(Jātaka 451)

  


Mil. 7.5.3. Der Nashornvogel

 

«Zwei Eigenschaften des Nashornvogels, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches sind diese?»

«Gleichwie, o König, das Weibchen des Nashornvogels aus Eifersucht auf ihr eigenes Männchen die Jungen nicht pflegt (und im Bewußtsein, daß wegen des Männchens diese Jungen zur Welt gekommen sind, sie in ihrem Schnabel fortschleppt und in eine Spalte desselben Baumes legt und ihnen, bis sie groß sind, das Futter aus dem Walde bringt): so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, auf die in seinem eignen Herzen geborenen Leidenschaften eifersüchtig sein, sie vermittelst der Stützen der Achtsamkeit in die Spalte rechter Zügelung bringen und an der Pforte des Herzens Wache halten über seinen Körper. Das, o König, ist die erste Eigenschaft des Nashornvogels, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, der Nashornvogel bei Tage im Walde auf Beute ausgeht und des Abends sich zum eignen Schutz zu dem Vogelschwarm hinbegibt: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, einsam der Abgeschiedenheit pflegen, um von den Fesseln Befreiung zu finden. Erlangt er aber dort keine Zufriedenheit, so soll er, um der Gefahr des Tadels zu entgehen, sich zur Mönchsgemeinde begeben und unter ihrem Schutze weilen. Das, o König, ist die zweite Eigenschaft des Nashornvogels, die er anzunehmen hat. Auch der Brahmā Sahāmpati, o König, hat in Gegenwart des Erhabenen gesagt:

 

(Samyutta 16.13)

  


Mil. 7.5.4. Die Haustaube

 

«Eine Eigenschaft der Haustaube, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches ist diese?»

«Gleichwie die Haustaube, o König, wenn sie in einem fremden Hause weilt, sich in keinen der Gegenstände verliebt, sondern gleichmütig bleibt und bloß von Vogelgedanken erfüllt ist: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, wenn er in ein fremdes Haus tritt, kein Verlangen empfinden nach den den Frauen oder Männern gehörenden Betten, Stühlen, Kleidern und Schmucksachen, den Gegenständen des Genusses und Vergnügens und den mancherlei Arten von Speisen; sondern gleichmütig soll er bleiben und die Asketengedanken sich gegenwärtig halten. Das, o König, ist die eine Eigenschaft der Haustaube, die er anzunehmen hat. Auch der Erhabene, o König, der Gott der Götter, sagt in der Geburtsgeschichte des Nārada:

 

(Jātaka Nr. 477)

  


Mil. 7.5.5. Die Eule

 

«Zwei Eigenschaften der Eule, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches sind diese?»

«Gleichwie, o König, die Eule mit den Krähen in Feindschaft lebt und sich des Nachts zum Krähenschwarme begibt und dort gar manche Krähe tötet: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, mit der Unwissenheit in Feindschaft leben und von seinem einsamen Verstecke aus die Unwissenheit zerschmettern, von Grund aus vernichten. Das, o König, ist die erste Eigenschaft der Eule, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, die Eule sich versteckt hält: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, die Abgeschiedenheit lieben, an der Abgeschiedenheit Gefallen finden. Das, o König, ist die zweite Eigenschaft der Eule, die er anzunehmen hat. Auch der Erhabene, o König, der Gott der Götter, sagt in der hehren Samyutta-Sammlung: <Da, ihr Mönche, liebt der Mönch die Abgeschiedenheit, findet an der Abgeschiedenheit Gefallen. Und er erkennt der Wirklichkeit gemäß, was Leiden ist; er erkennt der Wirklichkeit gemäß, was die Entstehung des Leidens ist; er erkennt der Wirklichkeit gemäß, was die Aufhebung des Leidens ist; und er erkennt der Wirklichkeit gemäß, was der zur Leidensaufhebung führende Pfad ist.>»

(Samyutta 56. Sacca-Samyutta Nr. 2)

  


Mil. 7.5.6. Der Specht

 

«Eine Eigenschaft des Spechtes, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches ist diese?»

«Gleichwie, o König, der Specht durch sein Schreien die anderen von einem Glück oder einer Gefahr in Kenntnis setzt: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, in seiner Darlegung des Gesetzes die leidvollen Daseinsformen als eine Gefahr verkünden und das Nibbāna als die Sicherheit. Das, o König, ist die eine Eigenschaft des Spechtes, die er anzunehmen hat. Auch der Ordensältere Pindola-Bhāradvāja, o König, hat gesagt:

 

  


Mil. 7.5.7. Die Fledermaus

 

«Zwei Eigenschaften der Fledermaus, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches sind diese?»

«Gleichwie die Fledermaus, o König, wenn sie in ein Haus hineingeflogen und einige Zeit umhergeflogen ist, wieder hinausfliegt, ohne dort lange zu zögern: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, wenn er ins Dorf um Almosen gegangen und der Reihe nach von Haus zu Haus getreten ist, mit der erlangten Almosenspeise sofort wieder das Dorf verlassen, ohne dort lange zu zögern. Das, o König, ist die erste Eigenschaft der Fledermaus, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, wenn die Fledermaus in fremder Leute Haus weilt, sie diesen keinen Schaden verursacht: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, wenn er sich zu den Familien hinbegeben hat, diesen keinerlei Reue verursachen (d.h. ein Bedauern, einen unwürdigen Mönch unterstützt zu haben), sei es durch zu vieles Bitten, oder durch häufige Anspielungen, oder häufige Fehler im Benehmen, oder durch zu vieles Reden, oder durch Gleichgültigkeit gegen ihr Glück und Unglück; auch soll er sie nicht ihre Hauptarbeit vernachlässigen lassen, sondern ihnen in jeder Weise Erfolg wünschen. Das, o König, ist die zweite Eigenschaft der Fledermaus, die er anzunehmen hat. Auch der Erhabene, o König, der Gott der Götter, sagt in der Sammlung der Langen Lehrreden, in dem <Sutta von den Merkmalen> (Lakkhana-Sutta):

 

(Dīgha-Nikāya, Nr. 30)

  


Mil. 7.5.8. Der Blutegel

 

«Eine Eigenschaft des Blutegels, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen welches ist diese?»

«Gleichwie der Blutegel, o König, wo immer er haftet, fest anhaftet und das Blut saugt: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, an dem Gegenstande der Betrachtung, auf den er seinen Geist geheftet hat, hinsichtlich seiner Farbe, seiner Gestalt, seiner Lage, seines Ortes, seiner Begrenzung, seiner Merkmale und Ursachen gründlich festhalten und vermittels eben jener Vorstellung den süßen Saft der Erlösung einsaugen. Das, o König, ist die eine Eigenschaft des Blutegels, die er anzunehmen hat. Auch der Ordensältere Anuruddha hat gesagt:

 

  


Mil. 7.5.9. Die Schlange

 

«Drei Eigenschaften der Schlange, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen welches sind diese?»

«Gleichwie, o König, die Schlange auf dem Bauche kriecht: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, auf Weisheit gestützt wandeln; denn wenn er auf Weisheit gestützt wandelt, so wandelt sein Geist eben auf dem rechten Pfade, vermeidet den Irrtum und entfaltet das klare Erkennen. Das, o König, ist die erste Eigenschaft der Schlange, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, die Schlange beim Kriechen den giftigen Kräutern aus dem Wege geht: so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, bei seinem Wandel die üblen Taten meiden. Das, o König, ist die zweite Eigenschaft der Schlange, die er anzunehmen hat.

Wie ferner, o König, die Schlange beim Anblicke der Menschen Schmerz, Besorgnis und Kummer empfindet so auch soll der Yogi, der Yogabeflissene, sobald er einen üblen Gedanken gedacht hat, von Schmerz, Besorgnis und Kummer erfüllt sein und sich sagen: <In Nachlässigkeit habe ich den Tag dahingebracht; nie mehr kann ich diesen Tag zurück erhalten.> Das, o König, ist die dritte Eigenschaft der Schlange, die er anzunehmen hat. Auch in der Bhallātiya-Geburtsgeschichte heißt es von den zwei Kinnaras:

 

(Jātaka Nr. 504)

  


Mil. 7.5.10. Die Riesenschlange

 

«Eine Eigenschaft der Riesenschlange, sagst du, ehrwürdiger Nāgasena, habe man anzunehmen: welches ist diese?»

«Gleichwie, o König, die Riesenschlange mit ihrem gewaltigen Körper gar viele Tage mit halb leerem Magen lebt und elend ist, nicht genügend Nahrung findet, um damit den Leib zu füllen, und, ohne den Leib zu füllen, bloß zur Erhaltung des Körpers nötige Nahrung zu sich nimmt: genau so steht es mit dem Yogi, dem Yogabeflissenen. Er nämlich, der dem Almosengang zugetan ist, anderen um Almosen geht, die Gaben anderer abwartet, nichts selber nimmt, findet schwerlich genug Nahrung, um seinen Leib damit zu füllen. Da soll denn der heilsbegierige edle Sohn die vier oder fünf Bissen essen und den Rest mit Wasser ausfüllen. Das, o König, ist die eine Eigenschaft der Riesenschlange, die er anzunehmen hat. Auch der Ordensälteste Sāriputta, o König, der Feldherr des Gesetzes, hat gesagt:

 

 

(Lieder der Mönche 985 u. 986)

  


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