Zurueck Milindapañha, Teil 2

2. Kapitel 

 

Mil. 2.2.1. Wiedergeburt

 

Der König sprach: «Derjenige, ehrwürdiger Nāgasena, der wiedergeboren wird, ist dies wohl derselbe (wie derjenige, der stirbt) oder ein anderer?»

«Weder derselbe noch ein anderer.»

«Gib mir ein Beispiel!»

«Was meinst du, o König: bist du wohl jetzt, als Erwachsener, noch eben derselbe, der du damals als kleiner, junger, unmündiger Säugling warst?»

«Das nicht, o Herr! Denn eines war ja jener kleine, junge, unmündige Säugling, und ein anderer bin ich jetzt als Erwachsener.»

«Wenn dies wirklich so wäre, o König, so hättest du (der Erwachsene) ja weder Vater noch Mutter noch Lehrer und somit könnte es niemanden geben, der Kenntnisse, Sittlichkeit und Weisheit besitzt. Dann hatte wohl auch jeder der vier embryonalen Zustände eine andere Mutter und das Kind eine andere Mutter als der Erwachsene? Und derjenige, der eine Wissenschaft erlernt, sollte wohl gar eine andere Person sein als derjenige, der die Wissenschaft ausgelernt hat, und der Übeltäter eine andere Person als derjenige, dem zur Strafe dafür Hände und Füße abgehauen werden?»

«Nicht doch, o Herr! Wie würdest du aber die Sache erklären?»

«Ich, o König, war damals der kleine, junge, unmündige Säugling, und ich bin jetzt der Erwachsene. Denn basierend auf eben diesen Körper werden alle diese (Zustände des Kindes und des Erwachsenen) einheitlich zusammengefaßt.»

«Gib mir ein Gleichnis!»

«Sagen wir, o König, ein Mann zündet eine Lampe an. Würde wohl diese Lampe die ganze Nacht hindurch brennen?»

«Gewiß, o Herr!»

«Wie aber, o König: ist die Flamme in der ersten Nachtwache dieselbe wie die Flamme in der mittleren, und die Flamme in der mittleren Nachtwache dieselbe wie die Flamme in der letzten?»

«Gewiß nicht, o Herr.»

«Dann brennt wohl, o König, eine Lampe in der ersten Nachtwache, eine andere in der mittleren und wieder eine andere in der letzten Nachtwache?»

«Das nicht, o Herr! Denn das Licht war während der ganzen Nacht abhängig von ein und derselben Lampe.»

«Genau in derselben Weise, o König, schließt sich die Kette der Erscheinungen (Oder: "die Kontinuität der Daseinsvorgänge" dhamma-santati) aneinander. Eine Erscheinung entsteht, eine andere schwindet. Dies verläuft als gäbe es kein Vorher oder Nachher. Daher ist (das Kind) nicht dasselbe (wie der Erwachsene), aber ist auch kein anderer. In (seinem) früheren Bewußtsein ist das spätere Bewußtsein einbegriffen.»

 

Note:

Das ist als ein rein konventioneller Ich-begriff. - Diese Stelle kann auch auf die anfängliche Frage nach dem Vorgang der Wiedergeburt bezogen werden und wäre dann wie folgt zu übersetzen:

«Daher ist (der Wiedergeborene) nicht derselbe (wie der Verstorbene), aber auch kein anderer. Im früheren Bewußtsein (als Bedingung) ist das spätere (Wiedergeburts-) Bewußtsein einbegriffen.»

 

«Gib mir noch ein weiteres Gleichnis!»

«Es ist genau derselbe Vorgang, o König, wenn die frische Milch nach einiger Zeit zu Dickmilch wird, die Dickmilch zu Butter und die Butter zu Butteröl. Wenn da nun einer sagen sollte, daß Milch und Dickmilch, oder Butter und Butteröl ein und dasselbe seien, spräche der wohl die Wahrheit?»

«Gewiß nicht, o Herr! Denn erst durch Abhängigkeit von dem einen Zustand ist der andere ins Dasein getreten.»

«Genau in derselben Weise, o König, schließt sich die Kette der Erscheinungen aneinander. Eine Erscheinung entsteht, eine andere schwindet. Dies verläuft, als gäbe es kein Vorher oder Nachher. Daher ist es weder derselbe noch ein anderer, (der wiedergeboren wird). Im früheren Bewußtsein ist das spätere Bewußtsein einbegriffen.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


Mil. 2.2.2. Gewißheit hinsichtlich des Nichtwiedergehorenwerdens

 

Der König sprach: «Ist wohl derjenige, ehrwürdiger Nāgasena, der nicht mehr wiedergeboren wird sich dessen bewußt (das ist der vom Begehren befreite Vollkommen-Heilige, arahatta)?»

«Gewiß, o König.»

«Woher aber weiß er das, o Herr?»

«Weil eben der Grund und die Bedingung zum Wiedergeborenwerden aufgehoben sind.» (Die Ursache der Wiedergeburt ist nämlich das in den Leidenschaften sich äußernde Begehren, tanhā)

«Erläutere mir dies!»

«Gesetzt, ein Landmann, o König, hätte sein Feld bestellt und gesät, und er füllt nun seine Scheune mit dem Korne. In der Folgezeit aber stellt er seine Arbeit ganz ein und lebt von dem aufgespeicherten Korne, oder er gibt es weg, oder verwendet es nach Bedarf. Wäre sich wohl da, o König, jener Landmann bewußt, daß seine Kornspeicher nicht mehr voll werden?»

«Gewiß, o Herr.»

«Woher aber weiß er das, o König?»

«Weil eben der Grund und die Bedingung, die erforderlich sind, daß sich seine Kornspeicher füllen, aufgehoben sind.»

«Genau so, o König, weiß man, wenn der Grund und die Bedingung zum Wiedergeborenwerden aufgehoben sind, daß man nicht mehr wiedergeboren wird.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»

 


Mil. 2.2.3. Erkenntnis und Weisheit

 

Der König sprach: «Hat wohl derjenige, ehrwürdiger Nāgasena, dem Erkenntnis (ñāna) aufsteigt, ebenfalls Weisheit (paññā)?»

«Ja, o König.»

«Wie? Dann ist wohl, o Herr, Erkenntnis und Weisheit dasselbe?»

«Ja, o König.»

«Wer aber Erkenntnis oder - was dasselbe ist - Weisheit besitzt, kann der wohl noch Ungewißheit haben oder nicht?»

«In manchen Dingen wohl, in anderen nicht.»

«Worin aber, o Herr, kann er ungewiß sein?»

«In Gebieten des Wissens, die er nicht gelernt hat, oder hinsichtlich einer Gegend, in der er noch nicht war, oder in Namen und Begriffen, die er noch nie gehört hat.»

«Worin aber, o Herr, kann er nicht mehr ungewiß sein?»

«In der durch die Weisheit gewonnenen Überzeugung von der Vergänglichkeit, dem Leiden und der Ichlosigkeit des Daseins: darin kann er nicht mehr ungewiß sein.»

«Was wird nun aus seiner Verblendung, ehrwürdiger Nāgasena?» (Wörtlich: «Wohin geht seine Verblendung?» So auch in der folgenden Frage über die Weisheit).

«Im Augenblicke, wo die Erkenntnis aufsteigt, schwindet die Verblendung.»

«Erläutere mir dies!»

«Gleichwie, o König, sobald ein Mann in einem finsteren Gemache ein Licht anzündet, das Dunkel verschwindet und Helle eintritt: gerade so, o König, schwindet die Verblendung im Augenblick, wo die Erkenntnis aufsteigt.»

«Und was, o Herr, wird aus der Weisheit?»

«Im Augenblicke, o König, wo die Weisheit ihren Zweck erfüllt hat, schwindet sie. Die aber durch diese Weisheit gewonnene Überzeugung von der Vergänglichkeit, dem Leiden und der Ichlosigkeit des Daseins, die schwindet nicht.»

«Gib mir eine Erläuterung für das, was du da eben sagtest, ehrwürdiger Nāgasena!»

«Nimm an, o König, ein Mann wolle noch des Nachts einen Brief senden. Und er ruft seinen Schreiber, läßt die Lampe anzünden und diktiert ihm den Brief. Darauf läßt er die Lampe wieder auslöschen. Obwohl nun die Lampe erloschen ist, ist doch der Brief keineswegs vernichtet. In derselben Weise, o König, schwindet die Weisheit in dem Augenblicke, wo sie ihren Zweck erfüllt hat. Die aber durch diese Weisheit gewonnene Überzeugung von der Vergänglichkeit, dem Leiden und der Ichlosigkeit des Daseins, die schwindet nicht.»

«Gib mir ein weiteres Gleichnis!»

«In den östlichen Ländern, o König, haben die Leute die Sitte, längs ihrer Hütten je fünf Töpfe voll Wasser aufzustellen, um ein ausbrechendes Feuer sofort löschen zu können. Sobald nämlich eine Hütte Feuer gefangen hat, schütten sie diese fünf Töpfe voll Wasser darüber, so daß das Feuer alsbald erlischt. Wie nun aber, o König? Möchten darauf wohl jene Leute sich noch längerhin mit diesen Wassertöpfen abgeben?»

«Gewiß nicht, o Herr. Die Töpfe haben ja ihren Zweck erfüllt. Was haben sie dieselben denn noch weiter nötig?»

«Die fünf Töpfe voll Wasser nun, o König, bedeuten die fünf geistigen Fähigkeiten, nämlich: Vertrauen, Willenskraft, Achtsamkeit, Sammlung und Weisheit. Unter den Leuten aber ist der in der Sammlung sich Übende zu verstehen. Das Feuer sind die Leidenschaften. Und wie nun vermittelst jener fünf Töpfe voll Wasser das Feuer gelöscht wird, so werden vermittelst dieser fünf geistigen Fähigkeiten die Leidenschaften zum Erlöschen gebracht, sodaß dieselben, wenn sie einmal erloschen sind, künftighin nicht mehr entstehen können. Ebenso, o König, schwindet die Weisheit im Augenblicke, wo sie ihren Zweck erfüllt hat. Die aber durch diese Weisheit gewonnene Überzeugung von der Vergänglichkeit, dem Leiden und der Ichlosigkeit des Daseins: die schwindet nicht.»

«Gib mir noch ein weiteres Gleichnis!»

«Es verhält sich hiermit, o König, wie mit einem Arzt. Nehmen wir an, dieser geht mit fünf Arten von Arzneiwurzeln zu einem Kranken, preßt diese aus und gibt den Saft dem Kranken zu trinken, so daß dadurch alsbald seine Beschwerden schwinden. Möchte wohl, o König, daraufhin jener Arzt noch daran denken, für ihn längerhin diese Arzneien zu verwenden?»

«Gewiß nicht, o Herr. Die Arzneiwurzeln haben ja ihren Zweck erfüllt. Was hat er sie denn noch länger nötig?»

«Unter den fünf Arzneiwurzeln nun, o König, sind die fünf geistigen Fähigkeiten zu verstehen, unter dem Arzt der in Sammlung des Geistes sich Übende, unter der Krankheit die Leidenschaften und unter dem Kranken der Weltling. Wie nun vermittelst jener fünf Arzneiwurzeln die Beschwerden gestillt werden und der Kranke geheilt wird, so werden vermittelst dieser fünf geistigen Fähigkeiten die Leidenschaften gestillt, so daß dieselben, wenn sie einmal gestillt sind, künftighin nicht mehr entstehen können. Ebenso, o König, schwindet die Weisheit in dem Augenblicke, wo sie ihren Zweck erfüllt hat. Die aber durch diese Weisheit gewonnene Überzeugung von der Vergänglichkeit, dem Leiden und der Ichlosigkeit des Daseins, die schwindet nicht.»

«Gib mir noch ein weiteres Gleichnis!»

«Nimm an, o König, ein schlachtenkundiger Krieger ziehe mit seinen fünf Wurfspeeren versehen in den Zweikampf, um seinen Gegner zu besiegen. Wenn dieser nun während des Kampfes jene Wurfspeere geschleudert und seinen Gegner besiegt hat, wird er wohl dann noch daran denken, irgendwie länger von diesen Speeren Gebrauch zu machen?»

«Gewiß nicht, o Herr. Die Wurfspeere haben ja ihren Zweck erfüllt. Welchen Zweck sollten sie noch weiter haben?»

«Unter den fünf Wurfspeeren nun, o König, hat man die fünf geistigen Fähigkeiten zu verstehen, unter dem schlachtenkundigen Krieger den in der Sammlung sich Übenden und unter dem Gegner die Leidenschaften. Wie nun vermittelst der fünf Wurfspeere der Gegner besiegt wird, so werden vermittelst dieser fünf geistigen Fähigkeiten die Leidenschaften besiegt, so daß dieselben, wenn sie einmal besiegt sind, künftighin nicht mehr entstehen können. Ebenso, o König, schwindet die Weisheit im Augenblicke, wo sie ihren Zweck erfüllt hat. Die aber durch diese Weisheit gewonnene Überzeugung von der Vergänglichkeit, dem Leiden und der Ichlosigkeit des Daseins, die schwindet nicht.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»

 


Mil. 2.2.4. Schmerzen beim Heiligen

 

Der König sprach: «Mag wohl, ehrwürdiger Nāgasena, einer, der nicht mehr wiedergeboren wird (das ist ein Vollkommen-Heiliger), noch irgend ein Schmerzgefühl empfinden?»

«Eine Art des Schmerzgefühls mag er wohl noch empfinden, eine andere aber nicht.»

«Welche aber sind dies?»

«Körperliches Schmerzgefühl, o König, mag er wohl noch empfinden, geistiges Schmerzgefühl aber nicht mehr.»

«Wieso aber, o Herr?»

«Da der Grund und die Bedingung zur Entstehung des körperlichen Schmerzgefühles noch nicht aufgehoben sind (denn die Entstehung körperlicher Schmerzen ist abhängig vom Körper, nicht vom Willen), darum mag er noch körperliches Schmerzgefühl empfinden. Da aber der Grund und die Bedingung zur Entstehung des geistigen Schmerzgefühles aufgehoben sind, darum mag er geistiges Schmerzgefühl nicht mehr empfinden.

[Die Entstehung geistiger Schmerzen ist bedingt durch die Willensverfassung des Einzelnen. Geistiges Schmerzgefühl (Kummer, Gram, Trübsal, Melancholie und Verzweiflung) ist stets mit einem Triebe des sich Widersetzens, Widerstrebens, Grollens oder Hassens (dosa, patigha vyāpāda) verbunden und wird daher im Buddhismus als unheilsam betrachtet. Wie kann man da den Buddhismus eine pessimistische Lehre nennen, wo bereits jede geistig trübe Stimmung schon als unheilsam verworfen wird und eine der Hauptmeditationen diejenige der universalen Freude (muditā-bhāvanā) ist?]

 

Auch der Erhabene, o König, sagt:

<Nur eine Art des Schmerzes mag er (der von Wiedergeburt befreite Heilige) noch empfinden, und zwar den körperlichen Schmerz. Geistigen Schmerz aber empfindet er nicht mehr>.» (S.36.9)

«Wenn er noch Schmerzen empfindet, warum erlöst er sich dann nicht völlig?» (parinibbāyati; d.h. warum zieht er dann nicht den Tod vor, denn durch den Eintritt des Todes tritt bei dem von Wiedergeburt befreiten Vollkommen-Heiligen die Erlösung vom Dasein (khandha-parinibbāna) ein.)

«Der Vollkommen-Heilige, o König, kennt weder Neigung noch Widerwillen. Die Vollkommen-Heiligen pflücken nicht die unreife Frucht. Weise warten sie ab die Zeit der Reife (*1). Sagt doch, o König, auch der Ordensältere Sāriputta, der Fürst der Wahrheitslehre:

 

 

 

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


(*1) Im Falle unheilbarer intensiver Körperschmerzen wird zwar der Heilige es vorziehen, seinem Leben ein Ende zu machen, wie auch von verschiedenen Heiligen berichtet wird. Der Freitod ist nach buddhistischer Auffassung keineswegs ein Verbrechen. Bei dem von Begehren noch Unerlösten ist er allerdings eine ganz zwecklose und törichte, auf Unwissenheit des Wiedergeburtsgesetzes beruhende Handlung. Vgl. Majjhima-Nikāya, Nr. 144: «Wer da, Sāriputta, einen Körper ablegt und einen anderen (neuen) Körper annimmt, der, sag ich, ist tadelhaft.»

(*2) Vgl. Theragāthā («Lieder der Mönche»), Verse 1002-1003, wo diese dem ehrw. Sāriputta zugeschriebenen Verse in umgekehrter Reihenfolge und in etwas anderem Wortlaut stehen. Der genaue Wortlaut unserer Stelle hat seine Parallele in den Versen des ehrw. Sankicca (Theragāthā 606-607).


Mil. 2.2.5. Moralische Relativität der Gefühle

 

Der König sprach: «Sind wohl, ehrwürdiger Nāgasena, die angenehmen Gefühle heilsam oder sind sie unheilsam oder moralisch neutral?»

«Sie mögen entweder heilsam sein, o König, oder unheilsam oder moralisch (karmisch) neutral.»

«Wenn nun, o Herr, die heilsamen Gefühle nicht leidvoll sind und die leidvollen Gefühle nicht heilsam, dann kommt es nicht vor, daß Heilsames leidvoll ist.»

«Was meinst du, o König? Wenn da ein Mann in der einen Hand eine heiße Eisenkugel hält und in der anderen einen kalten Schneeball, möchten dem da nicht, o König, beide Hände vor Schmerzen brennen?»

«Gewiß, o Herr.»

«So sind wohl beide heiß, o König?»

«Das nicht, o Herr.»

«Oder beide kalt?»

«Das auch nicht, o Herr.»

«So siehe denn deinen Fehlschluß ein! Wenn es die Hitze ist, die das schmerzliche Brennen verursacht, aber nicht beide Hände heiß sind, so tritt der Schmerz nicht dadurch in Erscheinung. Ist es aber die Kälte, doch nicht beide Hände sind kalt, so ist es auch nicht die Kälte, durch die der Schmerz in Erscheinung tritt. Wo rühren denn nun, o König, die Schmerzen der beiden Hände her? Sie sind doch weder beide kalt, noch beide heiß, sondern die eine ist heiß und die andere kalt?»

«Ich bin nicht imstande, mit einem solchen Gegner wie dir, eine Diskussion zu führen. Erkläre mir also, bitte, die Sache!»

Und der Ordensältere Nāgasena unterwies den König in einer mit der höheren Lehre (*1) verbundenen Darstellung, indem er sprach: «Sechs mit der Weltlichkeit verbundene Freudgefühle gibt es, o König, und sechs mit der Weltentfremdung verbundene, sechs mit der Weltlichkeit verbundene Leidgefühle und sechs mit der Weltentfremdung verbundene, sechs mit der Weltlichkeit verbundene Gleichmutsgefühle und sechs mit der Weltentfremdung verbundene. Somit gibt es sechs Gruppen zu je sechs Gefühlen. Das macht sechs und dreißig Arten der vergangenen Gefühle, sechs und dreißig Arten der gegenwärtigen Gefühle und sechs und dreißig Arten der zukünftigen Gefühle. Wenn man nun diese zu einer Summe zusammenzählt, so erhält man hundert und acht Arten der Gefühle.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!


(*1) abhidhamma sainyuttāya kathāya. - Das Wort abhidhamma bezieht sich hier wohl kaum auf das Abhidhamma-Pitaka, die dritte kanonische Textsammlung, sondem hat wahrscheinlich die hier wiedergegebene allgemeine Bedeutung einer «höheren Lehre». Derselbe Ausdruck wird auch auf Seite 83 gebraucht.

Die hier folgende Einteilung der Gefühle findet sich in M.137.

Siehe auch die Vedanā-Samyutta, S.36.21


Mil. 2.2.6. Wiedergeburt

 

Der König sprach: «Wer ist (es), ehrwürdiger Nāgasena, der wiedergeboren wird?»

«Eine geistig-körperliche Verbindung (nāma-rūpa).»

«Wie? Ist es eben diese (gegenwärtige)?»

«Nein, o König. Sondern durch diese gegenwärtige geistig-körperliche Verbindung wird ein gutes oder böses Wirken (kamma) betätigt, und zufolge dieses Wirkens wird wiederum eine neue geistig-körperliche Verbindung geboren.»

«Wenn es aber, o Herr, nicht diese gegenwärtige Geist-Körperlichkeit ist, die wiedergeboren wird, wird man dann nicht von der Folge böser Taten frei sein?»

(Der König meint dies offenbar, weil die nach dem Tode bestehende körperlich-geistige Verbindung eine ganz andere ist als diejenige, durch welche die bösen Taten gezeugt wurden. Er faßt beide irrtümlicherweise als Wesenheiten auf)

«Ja, wenn man nicht wiedergeboren wird, dann wohl; wird man aber wiedergeboren, o König, so entgeht man nicht der Folge böser Taten.»

«Gib mir eine Erläuterung hierfür!»

«Nimm an den Fall, ein Mann habe von einem anderen Mangofrüchte gestohlen und der Eigentümer der Mangofrüchte ergreife ihn und bringe ihn vor den König mit der Anklage, seine Mangofrüchte gestohlen zu haben. Jener aber sage: <Ich habe nicht dessen Mangofrüchte gestohlen, o Herr. Denn jene Mangofrüchte die von diesem gepflanzt wurden, sind nicht dieselben, die ich genommen habe. Ich habe keine Strafe verdient.> - Würde da nicht jener Mann, doch der Strafe schuldig sein?»

«Gewiß, o Herr!»

«Und aus welchem Grunde?»

«Was jener auch immer vorbringen mag, so verdient er eben Strafe wegen der letzten Mangofrüchte, denn diese konnten ohne die früheren Mangofrüchte nicht da sein.»

«Genau in derselben Weise nun, o König, wird durch diese gegenwärtige geistig-körperliche Verbindung ein gutes oder böses Wirken betätigt, und zufolge jenes Wirkens wird wiederum eine neue geistigkörperliche Verbindung geboren.»

(Das gleiche Argument wird hier noch mit Reis und Zuckerrohr wiederholt.)

«Gib mir noch ein weiteres Gleichnis!»

«Gesetzt, o König, ein Mann zünde sich zur Zeit des Frostes ein Feuer an. Und nachdem er sich gewärmt habe, gehe er weg, ohne das Feuer auszulöschen. Jenes Feuer aber ergreife das Feld eines anderen. Und der Eigentümer jenes Feldes nehme ihn fest und bringe ihn vor den König mit der Anklage, ihm sein Feld eingeäschert zu haben. Jener aber sage: <Ich habe nicht dessen Feld angezündet, o Herr. Denn das Feuer, das ich versäumt habe auszulöschen, war nicht dasselbe, wodurch dessen Feld eingeäschert wurde. Ich habe keine Strafe verdient.> - Würde da nicht jener Mann doch der Strafe schuldig sein?»

«Gewiß, o Herr!»

«Und aus welchem Grunde?»

«Was jener auch immer vorbringen mag, so verdient er eben Strafe wegen des letzten Feuers, denn dieses konnte ohne das frühere Feuer nicht entstehen.»

«Genau in derselben Weise nun, o König, wird durch diese gegenwärtige körperlich-geistige Verbindung ein gutes oder böses Wirken betätigt, und zufolge jenes Wirkens wird wiederum eine neue körperlichgeistige Verbindung geboren.»

«Gib mir noch ein weiteres Gleichnis!»

«Sagen wir, o König, ein Mann begebe sich mit einer Lampe hinauf in eine Dachkammer, um dort sein Mahl einzunehmen. Die brennende Lampe aber setze das Strohdach in Flammen, das Strohdach aber das Haus und das Haus das Dorf. Und gesetzt, die Dorfbewohner nehmen jenen Menschen fest und fragen ihn, warum er denn ihr Dorf in Brand gesetzt habe, worauf er ihnen erwidere: <Ich habe das Dorf nicht in Brand gesetzt. Das Licht der Lampe, bei dessen Licht ich gegessen habe, war nicht dasselbe Feuer, wodurch das Dorf eingeäschert wurde!> - Falls nun jene, in Streit geraten, zu dir kommen möchten, o König, für wessen Sache würdest du dich da entscheiden?»

«Für die Dorfbewohner, o Herr!»

«Und warum?»

«Was jener Mann auch immer vorbringen mag, so nahm doch auf alle Fälle das Feuer seinen Ursprung in jener brennenden Lampe.»

«Ebenso auch ist, obgleich die mit dem Tode endende körperlich-geistige Verbindung eine andere ist als die im Momente der Wiedergeburt bestehende, dennoch diese aus der früheren entstanden. Und darum entgeht man nicht der Folge böser Taten.»

«Gib mir ein weiteres Gleichnis!»

«Gesetzt, o König, ein Mann wähle sich ein junges Mädchen zum Weibe und ginge dann hinweg, indem er das Brautgeld hinterlegte. Jenes Mädchen aber wachse im Laufe der Zeit heran und werde volljährig. Und ein anderer Mann gebe ihr darauf das Brautgeld und heirate sie. Der erstere aber komme zurück und frage ihn, warum er ihm denn sein Weib entführt habe. Jener aber spreche: <Ich habe ja gar nicht dein Weib entführt. Denn jenes junge Mädchen, das du zum Weibe erwählt und für das du dein Brautgeld hinterlegt hast, ist ein ganz anderes als dieses erwachsene, volljährige Mädchen, das ich mir erwählt und für das ich mein Brautgeld hinterlegt habe!> - Gesetzt nun, o König, beide möchten in Streit geraten und zu dir kommen, für wessen Sache würdest du dich da entscheiden?»

«Für die Sache des ersteren, o Herr.»

«Und warum?»

«Was der andere auch immer vorbringen mag, so ist doch auf alle Fälle das erwachsene, volljährige Mädchen die Fortsetzung des früheren.»

«Ebenso auch ist, obgleich die mit dem Tode endende körperlich-geistige Verbindung eine andere ist als die im Momente der Wiedergeburt bestehende, dennoch diese aus der früheren entstanden. Und darum entgeht man nicht der Folge böser Taten.»

«Gib mir noch ein anderes Gleichnis!»

«Nimm an, o König, ein Mann kaufe von einem Kuhhirten einen Topf süße Milch. Beim Weggehen aber übergebe er diesem den Topf Milch zum Aufbewahren mit der Bemerkung, daß er morgen die Milch abholen wolle. Nehmen wir nun an, die Milch werde am nächsten Tage zu Dickmilch. Und der Mann komme zurück und verlange nach seinem Topfe Milch. Der andere aber zeige ihm die Dickmilch, worauf der erstere ihm entgegne: <Ich habe ja von dir gar keine Dickmilch gekauft. Gib mir meinen Topf frische Milch her!, Der andere aber spreche: <Ohne mein Zutun (wörtlich: ohne (mein) Wissen) ist deine Milch zu Dickmilch geworden.> - Gesetzt nun den Fall, o König, beide möchten in Streit geraten und zu dir kommen, für wessen Sache würdest du dich da entscheiden?»

«Für die des Kuhhirten, o Herr.»

«Und warum?»

«Was jener andere auch immer vorbringen mag, so ist doch auf alle Fälle die Dickmilch aus der anderen Milch entstanden.»

«Ebenso auch ist, obgleich die mit dem Tode endende körperlich-geistige Verbindung eine andere ist als die im Momente der Wiedergeburt bestehende, dennoch diese aus der früheren entstanden. Und darum entgeht man nicht der Folge böser Taten.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


Mil. 2.2.7. Ungehörige Frage

 

Der König sprach «Wirst du wohl noch wiedergeboren, ehrwürdiger Nāgasena?»

«Genug damit, o König! Was willst du denn mit jener Frage wieder? Habe ich dir denn nicht bereits schon erklärt, daß ich, falls ich (in der Sterbestunde) noch an der Welt hänge, wiedergeboren werde, im anderen Falle aber nicht?»

«Gib mir ein Gleichnis!»

«Nimm an, o König, irgend einer leiste dem Könige einen Dienst. Und der König sei mit ihm zufrieden und gebe ihm ein Amt, das ihn in den Stand setze, im Besitze und Genusse aller fünf Sinnesfreuden sein Leben zu verbringen. Wenn nun jener den Leuten sagen möchte, daß ihm der König nichts vergüte, würde da wohl jener Mann richtig handeln?»

«Gewiß nicht, o Herr.»

«Genau aber so steht es mit dir, o König. Denn was soll deine Frage? Habe ich dir denn nicht bereits schon erklärt, daß ich, falls ich (in der Sterbestunde) noch an der Welt hänge, wiedergeboren werde, im anderen Falle aber nicht?»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


Mil. 2.2.8. Die körperlich-geistige Verbindung

 

Der König sprach: «Was du da eben, ehrwürdiger Nāgasena, <körperlich-geistige Verbindung> nanntest, was ist da das Geistige und was das Körperliche?»

«Was da, o König, grob (stofflich) ist, das gilt als das Körperliche (rūpa); und was es da an feinen (unstofflichen) Erscheinungen, wie Bewußtsein und Geistesfaktoren gibt, das gilt als das Geistige (nāma).»

«Aus welchem Grunde aber, ehrwürdiger Nāgasena, wird nie das Geistige allein oder das Körperliche allein wiedergeboren?»

«In gegenseitiger Abhängigkeit, o König, stehen diese Erscheinungen, und ganz gleichzeitig entstehen sie.»

«Erläurere mir dies!»

«Gleich wie, o König, es ohne Dotter kein Ei geben kann - da nämlich beide sich gegenseitig bedingen und eine ganz gleichzeitige Entstehung haben -: ebenso auch, o König, kann ohne das Geistige das Körperliche nicht existieren, denn beide stehen in gegenseitiger Abhängigkeit und entstehen ganz gleichzeitig; und so war es seit undenkbaren Zeiten.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


Mil. 2.2.9. Zeit

 

Der König sprach: «Du sprachst da eben von undenkbaren Zeiten, ehrwürdiger Nāgasena. Was hat man denn unter dem Worte <Zeit> zu verstehen?»

«Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Zeit, o König.»

«Wie nun, o Herr, existieren alle diese Zeiten?»

«Die eine Zeit existiert, die andere nicht.»

«Welche aber, o Herr, existiert und welche nicht?»

«Diejenigen Gebilde (sankhārā), o König, die vergangen, entschwunden, aufgelöst und verändert sind, deren Zeit existiert nicht. Diejenigen Erscheinungen (dhamma) aber, die (jetzt) Kamma-Ergebnisse sind oder fähig sind, Kamma-Ergebnisse zu haben (*) oder anderswo Wiedergeburt geben, deren Zeit existiert. Diejenigen Wesen (sattā), die gestorben und anderswo wiedergeboren sind, deren Zeit existiert. Für solche Wesen aber, die gestorben und anderswo nicht wiedergeboren sind, existiert Zeit nicht mehr. Ja, für diejenigen Wesen, welche die vollkommene Daseinslösung erreicht haben, existiert Zeit nicht mehr, da sie eben vollkommen erloschen sind.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


(*)ye dhammā vipākā ye ca vipākadhammadhammā. Der letztgenannte Begriff bezieht sich vor allem auf das heilsame und unheilsame Wirken (kamma), welches imstande ist, Ergebnisse zu zeitigen. Es ist dies ein charakteristischer Abhidhamma-Begriff, der sich im Dhammasangani 988 (PTS) findet. Die Nicht-Existenz zukünftiger Gebilde kann als hier impliziert angenommen werden.


3. Kapitel

Mil. 2.3.1. Bedingtheit des Zeitablaufs

 

Der König sprach: «Worin, ehrwürdiger Nāgasena, wurzeln wohl der vergangene, der gegenwärtige und der zukünftige Zeitlauf?»

«Der vergangene, der gegenwärtige und der zukünftige Zeitlauf, o König, wurzeln im Nichtwissen. Und durch Nichtwissen bedingt sind die Kammaformationen (willentliches Wirken); durch die Kammaformationen bedingt ist das (Wiedergeburts-) Bewußtsein; durch das Bewußtsein bedingt ist das Geistige und Körperliche; durch das Geistige und Körperliche bedingt sind die sechs Sinnengrundlagen; durch die sechs Sinnengrundlagen bedingt ist der Sinneneindruck; durch den Sinneneindruck bedingt ist das Gefühl; durch das Gefühl bedingt ist Begehren; durch Begehren bedingt ist Anhaften; durch Anhaften bedingt ist der Werdeprozeß; durch den Werdeprozeß bedingt ist (Wieder-) Geburt; durch Geburt bedingt sind Altern und Sterben, Sorge, Klage, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung.

Somit ist ein erster Anfang dieses ganzen Zeitlaufs undenkbar.»

«Klug bist du, ehrwürdiger Nāgasena!»


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