Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

403. Die Erzählung von Atthisena (Atthisena-Jataka)

„Die Leute, die ich gar nicht kenne“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er bei Alavi an dem Aggalava-Monument verweilte, mit Beziehung auf die Lehrvorschrift über den Bau von Zellen.

§D. Die Erzählung aus der Gegenwart ist schon oben im Manikantha-Jataka [Jataka 253] berichtet worden.

Der Meister aber sprach zu den Mönchen: „Ihr Mönche, in früherer Zeit, als der Buddha noch nicht erschienen war, dachten Weltflüchtlinge, die einen andern Glauben hatten, obwohl sie von Königen aufgefordert wurden: ‘Das Bitten ist für die andern unlieb und unangenehm’, und baten um nichts.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einer Brahmanenfamilie in einem Flecken seine Wiedergeburt; man gab ihm den Namen „Jung-Atthisena“ [1a]. Nachdem er herangewachsen war und zu Takkasilā alle Künste erlernt hatte, sah er in der Folgezeit den Nachteil ein, der in den Lüsten liege, betätigte die Weltflucht der Weisen und erlangte die Vollkommenheiten und die Erkenntnisse. Nachdem er lange im Himalaya geweilt, stieg er, um sich mit Salz und Saurem zu versehen, in das Bereich der Menschen hinab. Er gelangte nach Benares und verbrachte im Parke die Nacht. Am nächsten Tage machte er seinen Almosengang und kam dabei in den Hof des königlichen Palastes.

Befriedigt von seinem Wandel und seinem Aussehen ließ ihn der König zu sich rufen, wies ihm im Thronsaale auf einem Polster einen Sitz an und setzte ihm gute Speise vor. Nachdem er dann am Ende des Mahles seine Danksagung angehört, ließ er sich befriedigt von ihm seine Zustimmung dazu geben und wies dem Bodhisattva im königlichen Parke seine Wohnung an. Zwei- oder dreimal des Tages kam er, um ihm seine Aufwartung zu machen.

Eines Tages sagte er zu dem Asketen, befriedigt von seiner Predigt: „Vom Königreiche angefangen sagt mir, was Ihr Euch wünscht.“ So lud er ihn zum Wünschen ein. Der Bodhisattva aber sagte nicht: „Gib mir dies und das!“ Andere Bittende sagen: „Gib mir dies“, und erbitten sich so, was immer sie sich wünschen; der König aber gibt es ihnen, auch wenn er nicht damit zufrieden ist.

Eines Tages dachte nun der König: „Andere Bittende und Bettler bitten mich, ich solle ihnen das und das geben; der edle Atthisena aber bittet mich um nichts, seitdem ich ihn zum Wählen aufforderte. Er ist aber weise und der Mittel kundig; ich will ihn fragen.“ Eines Tages ging er nach dem Frühmahle zu ihm, setzte sich ihm zur Seite und sprach, indem er ihn fragte, warum andere zu bitten pflegten, er aber nicht bitte, folgende erste Strophe:

§1. „Die Leute, die ich gar nicht kenne,
die Bettelnden, Atthisena,
die bitten mich, wenn sie mich treffen;
doch warum bittest du mich nicht?“

Als dies der Bodhisattva hörte, sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Wer bittet, der ist unlieb, und auch
wer eine Bitte nicht gewährt.
Darum erbitt ich nichts von dir;
ich möchte keine Feindschaft haben.“

Da aber der König dessen Worte vernahm, sprach er folgende drei Strophen:

§3. „Wenn einer nur vom Bitten lebt

und nicht zur Zeit die Bitte stellt,

raubt er das gute Werk dem andern

und hat nicht für sich selbst zu leben.

 

§4. Wenn einer nur vom Bitten lebt

und rechtzeitig die Bitte stellt,

verhilft er zu 'nem guten Werk

dem andern und kann selber leben.

 

§5. Es zürnen doch die Weisen nicht,

wenn einen Bittenden sie sehen.

Du Heiliger, du bist mir lieb;

drum wünsch dir alles Mögliche.“

Obwohl aber so dem Bodhisattva selbst das Königreich zum Wunsche angeboten wurde, erbat er nichts. Als nun der König so seine Absicht kundgetan hatte, sagte der Bodhisattva, um ihm den Wandel eines Weltflüchtlings zu zeigen: „O Großkönig, diese Art zu bitten wird von Laien ausgeübt, die den Lüsten ergeben sind, nicht von Weltflüchtlingen. Ein Asket nämlich muss von der Zeit an, da er die Welt verlässt, ein den Laien unähnliches reines Leben führen.“ Indem er so den Asketenwandel erklärte, sprach er folgende sechste Strophe:

§6. „Fürwahr, es bitten nicht die Weisen,
ein Kluger kennt schon ihren Wunsch.
Drum bleiben stehen nur die Edlen;
das ist der Edlen Art zu bitten [2].“

Als der König die Worte des Bodhisattva vernommen, versetzte er: „Herr, wenn ein verständiger Helfer einem zu seiner Familie Gehörigen das Notwendige gibt, weil er es selbst einsieht, so gebe auch ich dir das und das.“ Und er sprach folgende siebente Strophe:

§7. „Ich schenke dir, Brahmane, von roten Kühen
ein volles Tausend und einen Stier dazu.
Denn warum sollt' ein Edler dem Edlen nichts geben,
da er von dir die weisen Strophen hörte [3]?“

Auf diese Worte aber erwiderte der Bodhisattva: „O Großkönig, ich bin ein armer Asket, ich brauche keine Kühe“, und wies so die Gabe zurück. Der König beharrte bei seiner Ermahnung, gab Almosen, tat noch andere gute Werke und gelangte dadurch in den Himmel. Der Bodhisattva aber kam unablässig in Ekstase versunken in den Brahma-Himmel.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangten viele zur Frucht der Bekehrung usw.): „Damals war der König Ananda, Atthisena aber war ich.“

Ende der Erzählung von Atthisena


[1a] Auf Pali: „Atthisenakumara“.

[2] D. h. bei einem klugen Geber braucht der Bittende nicht den Mund zu öffnen, sondern dieser weiß schon selbst, wessen der vor ihm Stehende bedarf.

[3] Diese Strophe findet sich auch im Jataka 323 Strophe 4 und in ähnlicher Form im Jataka 211. [Gemeint ist statt Jataka 211 wohl eher Jataka 260 Strophe 3.]


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