Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

323. Die Erzählung von Brahmadatta (Brahmadatta-Jataka)

„Wer etwas bittet, Brahmadatta“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er bei Alavi am Aggalava-Monument verweilte, mit Beziehung auf die Vorschrift über die Erbauung von Zellen.

§D. Die Begebenheit ist schon oben im Manikantha-Jataka [Jataka 253] erzählt.

Nachdem hier aber der Meister gefragt hatte: „Ist es wahr, ihr Mönche, dass ihr beständig viel erbittet und erbettelt?“, und zur Antwort erhielt: „Ja, Herr“, tadelte er die Mönche und sprach: „Ihr Mönche, als den Weisen der Vorzeit vom Könige die Herrschaft über die Erde angeboten wurde, während sie doch nur ein Paar Schuhe mit einer Sohle erbitten wollten, trugen sie ihre Bitte, aus Furcht das Schamgefühl zu verletzen, nicht in Gegenwart einer großen Menschenmenge vor, sondern sagten sie im Geheimen.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem im Reiche Kampillaka in der Stadt Uttarapancala [2] Pancala regierte, nahm der Bodhisattva in einem Flecken in einer Brahmanenfamilie seine Wiedergeburt. Als er herangewachsen war und zu Takkasila alle Künste erlernt hatte, betätigte er in der Folgezeit die Asketen-Weltflucht und lebte im Himalaya, indem er sich von aufgelesenen Ähren und von den Wurzeln und Früchten des Waldes nährte. Nachdem er lange dort geweilt, begab er sich, um sich mit Salz und Saurem zu versehen, in das Bereich der Menschen und kam in die Stadt Uttarapancala. Er blieb im königlichen Parke und ging am nächsten Tage, um Almosen zu sammeln, in die Stadt. Dabei kam er auch an das Tor des königlichen Palastes. Der König war befriedigt über seinen Wandel und sein Aussehen, ließ ihn im Thronsaale Platz nehmen, setzte ihm eines Königs würdige Speisen vor und ließ ihn, nachdem er seine Zustimmung erhalten, in seinem Parke wohnen. Beständig nahm der Asket sein Mahl im Hause des Königs ein.

Als die Regenzeit vorüber war, wollte er nach dem Himalaya zurückkehren. Da dachte er: „Wenn ich mich auf den Weg mache, muss ich Schuhe mit einer Sohle und einen Sonnenschirm aus Blättern erhalten. Ich werde den König darum bitten.“ Als nun eines Tages der König zu ihm in den Park kam, ihn begrüßte und der Asket ihn neben sich sitzen sah, dachte er: „Jetzt werde ich ihn um die Schuhe und den Sonnenschirm bitten.“ Da kam ihm aber folgender Gedanke: „Wer einen anderen bittet, er solle ihm etwas geben, der weint; und wenn der andere sagt, er könne dies nicht, so weint er wieder. Die Volksmenge soll aber nicht mich weinen sehen, noch den Großkönig. Wenn wir im Geheimen, an einem verborgenen Orte auch beide weinen, so werden wir darüber schweigen.“ Daher sprach er zu ihm: „O Großkönig, ich verlange nach der Einsamkeit.“ Als dies der König hörte, ließ er seine Leute sich entfernen. Jetzt aber dachte der Bodhisattva: „Wenn auf meine Bitte der König nichts geben wird, so wird unsere Freundschaft zerstört werden; darum werde ich ihn nicht bitten.“ Und da er sich an diesem Tage nicht getraute, die Sache zu nennen, sagte er: „Gehe nur wieder, Großkönig; ich werde schon sehen.“

Als eines Tages der König wieder in den Park gekommen war, tat der Bodhisattva wieder dasselbe; und so vergingen, indem er sich nicht traute, seine Bitte vorzubringen, zwölf Jahre. Da dachte der König: „Mir sagt der Edle, er verlange nach der Einsamkeit; und wenn mein Gefolge sich zurückgezogen hat, getraut er sich nichts zu sagen. Während er reden will, sind jetzt zwölf Jahre vergangen. Schon lange betätigt er hier den heiligen Wandel; er ist wohl unzufrieden geworden, möchte Freuden genießen und verlangt deshalb nach der Königsherrschaft, glaube ich. Da er sich aber das Wort ‘Königsherrschaft’ nicht auszusprechen getraut, bleibt er still. Heute werde ich ihm die Königsherrschaft und alles andere geben, was er wünscht.“

Er begab sich in den Park, begrüßte den Bodhisattva und setzte sich neben ihn. Als der Bodhisattva sagte: „Mich verlangt nach der Einsamkeit“, und dann, als das Gefolge des Königs sich zurückgezogen hatte, sich nichts zu verlangen traute, sprach der König: „Ihr sagt seit zwölf Jahren, Ihr verlangtet nach der Einsamkeit, und wenn Ihr mit mir allein seid, getraut Ihr Euch nichts zu sagen. Ich lasse Euch von der Königsherrschaft angefangen alles wählen, was Ihr wollt. Seid ohne Furcht und bittet um das, was Euch gefällt.“ Der Bodhisattva entgegnete: „O Großkönig, wirst du mir geben, worum ich bitte?“ „Ja, ich werde es geben“, antwortete der König. Darauf sprach der Bodhisattva: „O Großkönig, wenn ich mich auf den Weg mache, brauche ich ein Paar Schuhe mit einer Sohle und einen Sonnenschirm aus Blättern.“

Der König erwiderte: „Herr, so wenig getrautet Ihr Euch innerhalb zwölf Jahren nicht zu erbitten?“ „Ja, o Großkönig.“ „Warum tatet Ihr so, Herr?“ Darauf sprach der Bodhisattva: „O Großkönig, wenn einer bittet, man solle ihm dies und das geben, so weint er; der aber, der sagt, er könne es nicht geben, weint wieder. Wenn du meine Bitte nicht erfüllt hättest, so dachte ich, sollte die Volksmenge nicht sehen, dass wir weinten und wieder weinten; darum verlangte ich nach der Einsamkeit.“ Nach diesen Worten sprach er von Anfang an folgende drei Strophen:

§1. „Wer bittet, König Brahmadatta,
setzt einem Doppelten sich aus;
nichts kriegt er oder er kriegt Geld.
Das ist der Bittenden Erfolg [3].
 
§2. Das Bitten kann man Weinen nennen,
du großer König der Pancalas;
und wer die Bitte nicht erfüllt,
von dem sagt man, er weine wieder.
 
§3. Dass mich nicht sollten weinen sehen
all die versammelten Pancalas
und dich dazu nicht wieder weinen,
darum wünscht' ich die Einsamkeit.“

Durch die Bezeigung der Ehrfurcht erfreut, sprach der König, indem er ihm seinen Wunsch gewährte, folgende vierte Strophe:

§4. „Ich schenke dir, Brahmane, von roten Kühen
ein volles Tausend und einen Stier dazu [4].
Denn warum sollt' ein Edler dem Edlen nichts geben,
da er von dir die weisen Strophen hörte?“

Der Bodhisattva aber erwiderte: „O Großkönig, ich strebe nicht nach sinnlichen Freuden; um was ich bitte, nur das gib mir!“ Nachdem er die Schuhe mit einer Sohle und den Sonnenschirm aus Blättern erhalten, ermahnte er noch den König mit folgenden Worten: „O Großkönig, strebe unablässig, halte die Gebote, betätige die Uposatha-Vorschriften.“ Darauf kehrte er trotz der Bitten des Königs in den Himalaya zurück. Dort erlangte er die Erkenntnisse und die Vollkommenheiten und gelangte dann in die Brahma-Welt.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der König Ananda, der Asket aber war ich.“

Ende der Erzählung von Brahmadatta


[2] Dies ist auch der Name eines Volkes im Norden von Indien. Vgl. Jataka 228 Anm. 4.

[3] Diese Strophe gleicht fast wörtlich der letzten Strophe des Jataka 211.

[4] Dies sind die beiden ersten Verse der letzten Strophe des Jataka 260. An dieser Stelle ist übrigens ein unliebsamer Druckfehler stehen geblieben; es muss natürlich heißen „von roten Kühen“ anstatt „von tausend Kühen“.


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