Visuddhi Magga II

Die Läuterungsübungen (dhutanga)

Einleitung zu den Läuterungsübungen (dhutanga)
Bedeutung der Läuterungsübungen
Merkmale, Wesen, Äußerung und Grundlage der Läuterungsübungen
Aufsichnehmen als Gelübde, Ausübungsvorschriften, Einleitung, Übertretung und Segnungen
1. Die Übung des Fetzenkleidträgers (pamsukūlikanga)
2. Die Übung des Dreigewandträgers (tecītvarikanga)
3. Die Übung des Brockensammlers (pindapātikanga)
4. Die Übung des Von-Haus-zu-Haus-Gängers (sapadana-carikanga)
5. Die Übung des Einmal-Essers (ekāsanikanga)
6. Die Übung des Topfspeisers (pattapindikanga)
7. Die Übung des die spätere Speise Verwerfenden (khalupacchāpindikanga)
8. Die Übung des Waldasketen (āraññikanga)
9. Die Übung des Baumasketen (rukkha-mūlikanga)
10. Die Übung des unter freiem Himmel Lebenden (abbhokāsikanga)
11. Die Übung des Friedhofasketen (sosānikanga)
12. Die Übung des mit jedem Lager Zufriedenen (yathāsanthatikanga)
13. Die Übung des Stetigsitzers (nesajjikanga)
Analyse der Begriffe 'dhuta' usw.
Zusammenfassung und Zerlegung

Vis. II. Einleitung zu den Läuterungsübungen (dhutanga)

 

 

Wir wollen nun mit der Erklärung der Läuterungsübungen (dhutanga) beginnen. Denn der in Sittlichkeit sich übende Asket sollte die Läuterungsübungen als Gelübde auf sich nehmen, um jene Tugenden, wie Bedürfnislosigkeit, Genügsamkeit usw. zu erwirken, durch welche die Läuterung der oben besprochenen Sittlichkeit zustande kommt. Denn so durch das Wasser solcher Tugenden, wie Bedürfnislosigkeit, Genügsamkeit, Entsagungsstrenge (*2) Abgeschiedenheit, Willensanstrengung, Mäßigkeit (*3), usw. (*4), von den Flecken reingespült, wird seine Sittlichkeit vollkommene Lauterkeit erlangen, seine Übungen werden ihm gelingen, und der durch die Vorzüge der untadeligen Sittlichkeit und der Übungen geläuterte Wandel wird an den drei alten 'Edlen Bräuchen' (ariya-vamsa) festhalten und fähig sein, den in 'Freude an Geistesentfaltung' bestehenden vierten Edlen Brauch sich zu eigen zu machen.

 

Dreizehn Läuterungsübungen nämlich hat der Erhabene gutgeheißen für die edlen Söhne, die, verzichtend auf weltliche Genüsse und unbekümmert um Leib und Leben, den (,zur Erreichung des Nirwahns') angemessenen Weg verwirklichen möchten, nämlich:

 

  1. Die Übung des Fetzenkleidträgers,
  2. die Übung des Dreigewandträgers,
  3. die Übung des Brockensammlers,
  4. die Übung des 'Von-Haus-zu-Haus-Gängers',
  5. die Übung des Einmal-Essers,
  6. die Übung des Topfspeisers,
  7. die Übung des 'die spätere Speise Verwerfenden',
  8. die Übung des Waldasketen,
  9. die Übung des Baumasketen,
  10. die Übung des unter freiem Himmel Lebenden,
  11. die Übung des Friedhofasketen,
  12. die Übung des mit jedem Lager Zufriedenen,
  13. die Übung des Stetigsitzers.

 

Von diesen Läuterungsübungen nun hat man die Erklärung zu kennen mit Hinsicht auf Bedeutung, Merkmale usw. (d.i. Wesen, Äußerung, Grundlage), Aufsichnehmen als Gelübde, Ausübungsvorschriften, Einteilung, Übertretung und die einzelnen Segnungen; ferner hat man ihre Erklärung zu kennen mit Hinsicht auf die moralische Dreiteilung, die Analyse der Begriffe 'dhuta' usw. und auf ihre Zusammenfassung und Zerlegung.


(*f2) sallekha, eig. 'Abschabung' (der Befleckungen). Kom.: "sallekha bedeutet die völlige Abkratzung, Abschabung und Dünnmachung der Befleckungen" (kilesa), "strenge Enthaltsamkeit" (Böhth.). Es wird gesagt, daß übertriebene Entsagungsstrenge zur 'Selbstqual' (atta-kilamatha) führe.

(*3) su-bhara-tā, eig. leichte Unterstützbarkeit.

(*4) d.i. geringe Geschäftigkeit und nüchterne Lebensweise. 


Vis. II. Bedeutung der Läuterungsübungen

 

Hinsichtlich der Bedeutung nun gilt dabei folgendes:

 

(1. Die Übung des Fetzenkleidträgers: pamsukūlik'anga).

Pamsukūla, d.i. Fetzenkleid (eigentlich 'Staubhügeltuch'), sagt man, weil sich dasselbe irgendwo im Schmutze auf der Straße, dem Friedhof oder einem Kehrichthaufen befunden hatte, oder weil es auf jenen Staubmassen (pamsu) wie ein Hügel (kūla) in die Höhe ragte. Oder es wird pamsukūla genannt, weil es gleichwie Schmutz (pamsu) einem ekelhaften (kucchita, als Erklärung für ku-) Zustand verfällt (ul), d.i. in einen ekelhaften Zustand eintritt. Das Tragen eines solcherart erklärten Fetzenkleides gilt als das Fetzenkleidtragen. Und wer dies zur Regel gemacht hat, ist ein Fetzenkleidträger. Die Übung eines solchen aber gilt als die Übung des Fetzenkleidträgers, anga wird als Mittel (kārana) bezeichnet. Somit ist dies zu verstehen als die Bezeichnung jenes Gelübdes, wodurch jener ein Fetzenkleidträger wird.

 

(2. Die Übung des Dreigewandträgers te-cīvarik' anga).

Auf genau dieselbe Weise gilt als Dreigewandträger, wer es zur Regel gemacht hat, die aus Doppelgewand (sanghātī), einfachem Obergewand (uttarâsanga) und Ledentuch (antaravāsaka) bestehenden 'drei Gewänder' (cīvara) zu tragen. Und die Übung eines solchen gilt als die Übung des Dreigewandträgers.

 

(3. Die Übung des Brockensammlers: pinda-pātik'anga).

Als pindapāta gilt das 'Fallen' (pāta; auch Schütten) der als Bettelspeise geltenden 'Brocken' (pinda) (in die Almosenschale des Mönches); das Niederfallen der von anderen gegebenen Brocken in den Almosentopf wird so genannt. Wer nun jene Brockensammlung einsammelt und, sich zu dieser oder jener Familie begebend, danach sucht, der ist ein 'Brockensammler' (pindapātika). Oder, wer es zur Regel gemacht hat, auf Brocken auszugehen (patitum, stürzen, sich auf etwas stürzen), der ist ein 'Brockengänger'. patitum ist hier soviel wie caritum (ausgehen auf, auch verzehren), pinda-pātī aber ist dasselbe wie pinda-pātika, Brockensammler. Die Übung eines solchen gilt als die Übung des Brockensammlers.

 

(4. Die Übung des 'Von-Haus-zu-Haus-Gängers: sapadāna-cārik' anga).

dāna (wörtlich das Abschneiden, v. dā) heißt Unterbrechung, apadāna bedeutet 'frei von Abschneidung', d.h. Nicht-Unterbrechung. sapadāna bedeutet also 'mit Nichtabschneidung', 'ohne Unterbrechung'; 'von Haus zu Haus'. Wer es nun zur Regel gemacht hat, von Haus zu Haus um Almosen zu gehen, der ist ein 'Von-Haus-zu-Haus-Gänger' (sapadāna-cārī); sapadāna-cārika aber ist dasselbe wie sapadāna-cārī. Die Übung eines solchen gilt als die Übung des 'Von-Haus-zu-Haus-Gängers'.

 

(5. Die Übung des 'Einmal-Essers': ek'āssanik'anga).

Als 'Einmal-Essen' gilt es, nur bei einer einzigen (eka) Sitzung (āsana) zu essen. Wer solches zur Regel gemacht hat, gilt als Einmal-Esser, und die Übung eines solchen als die Übung des Einmal-Essers.

 

(6. Die Übung des Topfspeisers: patta-pindik' anga).

Als Topfspeise gilt die bloß in einem einzigen Almosentopf befindliche Brockenspeise, wobei jedes weitere Gefäß verworfen wird. Wer nun, indem er beim Nehmen der Topfspeise die Vorstellung der 'Topfspeise' hat, die Topfspeise zur Regel gemacht hat, der gilt als Topfspeiser, und die Übung eines solchen als die Übung des Topfspeisers.

 

(7. Die Übung des 'die spätere Speise Verwerfenden': khalu-pacchābhattik' anga).

khalu ist eine Partikel mit der Bedeutung von 'Verweigerung'. Die von dem (eine Speise) Verwerfenden später erlangte Speise gilt als 'spätere Speise' (pacchā-bhatta). Wer aber dadurch, daß er beim Verzehren jener späteren Speise die Vorstellung der späteren Speise hat, das spätere Speisen zur Gewohnheit macht, der ist ein 'die spätere Speise Essender'. Ein die spätere Speise aber nicht Essender ist ein 'die spätere Speise Verwerfender'. Dies ist die Bezeichnung für einen, der aufgrund eines Gelübdes jede übergebliebene Speise verwirft. Im Kommentar aber heißt es: " 'khalu' ist ein gewisser Vogel. Wenn derselbe mit dem Schnabel eine Frucht aufgepickt hat und diese dann herabfällt, so frißt er keine andere mehr. Genau so ist dieser ein 'die spätere Speise Verwerfender'." Die Übung eines solchen aber gilt als die Übung des die spätere Speise Verwerfenden.

 

(8. Die Übung des Waldasketen: āraññik' anga).

Wer das Wohnen im Walde zur Regel gemacht hat, gilt als Waldasket (wörtlich 'Waldner') und die Übung eines solchen gilt als die Übung des Waldasketen.

 

(9. Die Übung des Baumasketen: rukkha-mūlik' anga).

Als rukkha-mūla gilt das Wohnen am Fuße (mūla, wörtlich Wurzel) eines Baumes (rukkha). Wer solches zur Regel gemacht hat, gilt als rukkha-mūlika oder Baumasket (wörtlich 'Baumwurzeler), und die Übung eines solchen als die Übung des Baumasketen.

 

(10. Die Übung des 'unter freiem Himmel Lebenden': abbhokāsik' anga;

11. Die Übung des Friedhofasketen: sosānik' anga). Hinsichtlich der Übung des 'unter freiem Himmel Lebenden' und des Friedhofasketen (wörtlich Friedhöflers) gilt die genau entsprechende Erklärung.

 

(12. Die Übung des mit jedem Lager Zufriedenen: yathā santhatik' anga).

,Jedes Lager' bedeutet: irgend ein Lager. Es ist die Bezeichnung derjenigen Lagerstätte, die einem angewiesen wurde mit den Worter 'Diese gehört dir.' Wer es nun zur Regel gemacht hat, in jeder beliebigen Lagerstätte zu wohnen, der gilt als ein 'mit jedem Lager Zufriedener und die Übung eines solchen gilt als die Übung des 'mit jedem Lager Zufriedenen'.

 

(13. Die Übung des Stetigsitzers: nesajjik' anga).

Wer das Liegen verwirft und es zur Regel gemacht hat, (auch bei Nacht) im Sitzen zu verweilen, der gilt als Stetigsitzer, und die Übung eines solchen gilt als die Übung des Stetigsitzers.

 

Alle diese nun heißen Läuterungsübungen (dhutanga, eigentlich Abschüttelungsmittel) weil sie Hilfsmittel (anga) sind für den Mönch der ein 'Abschüttler' (dhuta) ist, insofern er eben vermittels dieses oder jenes auf sich genommenen Gelübdes die befleckenden Leidenschaften abgeschüttelt hat. Oder, sie heißen so, weil ihr Hilfsmittel (anga) das Wissen (ñāna) ist, das wegen des Abschüttelns der befleckenden Leidenschaften mit dem Namen 'Abschüttelung' (dhuta) bezeichnet wird. Oder auch, sie heißen so, weil sie 'Abschüttelungen' sind, insofern sie die feindliche Dinge abschütteln, und weil sie die Hilfsmittel zum rechten Wandel sind. So also hat man hier die Erklärung hinsichtlich der Bedeutung zu verstehen.


Vis. II. Merkmale, Wesen, Äußerung und Grundlage der Läuterungsübungen

 

Alle diese Läuterungsübungen haben als Merkmal (lakkhana) den Willen (cetanā), sie als Gelübde auf sich zu nehmen. Auch im Kommentar heißt es: "Es ist die Person, die das Gelübde auf sich nimmt. Geist (citta) und Geistesfähigkeiten (cetasika) sind das, womit man das Gelübde auf sich nimmt.

 

Im Willen (cetanā) aber, das Gelübde zu befolgen besteht die Läuterungsübung. Das, was man verwirft, ist das Objekt."

 

Diese Läuterungsübungen aber haben als ihr 'Wesen' (rasa) das Zerstören der Gier.

 

Ihre 'Äußerung' paccupatthāna) besteht in Gierlosigkeit; und die edlen Eigenschaften wie Bedürfnislosigkeit usw. bilden ihre 'Grundlage' (padatthāna).

 

So hat man hier die Erklärung hinsichtlich der Merkmale usw. zu verstehen.


Vis. II. Aufsichnehmen als Gelübde, Ausübungsvorschriften, Einleitung, Übertretung und Segnungen

 

Hinsichtlich der fünf Punkte, wie des Aufsichnehmens als Gelübde, der Ausübungsvorschriften usw., aber gilt folgendes:

 

Bei Lebzeiten des Erhabenen hatte man diese Läuterungsübungen alle in Gegenwart des Erhabenen als Gelübde auf sich zu nehmen; nach seinem Dahinscheiden aber vor einem der Hauptjünger (mahā-sāvaka). In Ermangelung eines solchen aber mag man sie vor einem 'Triebversiegten' (khīnâsava) auf sich nehmen - vor einem 'Niewiederkehrenden' (anāgāmin) - einem 'Einmalwiederkehrenden' (sakad-āgāmin) - einem 'Stromeingetretenen' (sotāpanna; siehe ariya-puggala) - einem 'Dreikorbkenner' einem 'Kenner von zwei Körben' - einem 'Kenner von einem Korb' (*18) - einem Kenner von einer Sammlung (*19) - einem Kommentarlehrer - und in Ermangelung eines solchen von einem Befolger der Läuterungsübungen; und wenn es an einem solchen fehlt, soll man den Platz um den Schrein herum kehren, sich darauf in Hockstellung hinsetzen und, als ob man zum Allerleuchteten spräche, die Läuterungsübungen als Gelübde auf sich nehmen.

 

Ferner mag man auch ganz für sich das Gelübde tun. Hier mag man anführen die Geschichte von dem ältesten unter zwei Brüdern, den Ordensälteren vom Cetiyaberge, und seiner Bescheidenheit hinsichtlich der Läuterungsübungen (*20).

Bis hierher nun geht die allgemeine Besprechung.

 

Nunmehr wollen wir hinsichtlich jeder einzelnen Läuterungsübung eine Beschreibung geben von ihrem Aufsichnehmen als Gelübde, den Ausübungsvorschriften, der Einteilung, Übertretung und den Segnungen.


(*18) Die gesamten buddhistischen Schriften des Palikanons zerfallen in 3 Gruppen von Schriftensammlungen, den sog. 'Drei-Korb' oder das Ti-Pitaka. Die erste Gruppe bildet das Vinaya-Pitaka mit seinen 5 Büchern über die Ordenszucht; die zweite das Sutta-Pitaka mit 5 großen Sammlungen von Lehrreden dem Digha-, Majjhima-, Vistara-, Samyutta und Kuddaka-Nikaya; letzteres enthaltend 15 kleinere Werke wie Dhammapada, Suttanipata, Theragatha, Udāna usw.); die dritte Gruppe das Abhidhamma-Pitaka mit seinen 7 z.T. außerordentlich umfangreichen Werken über die buddhistische Psychologie. Eine in allen Teilen vollständige Übersicht über diesen so ungeheuren Schriftenkomplex des dem Westen noch so gut wie unbekannten Abhidhamma-Pitaka bietet Nyanatiloka, Guide through the Abhidhamma-Pitaka, Luyak, London, 1938, bzw. Buddhist Publication Society, Sri Lanka 1983.

(*19) ekāgamassa, fehlt bei Parākr., Dharm. u. Saddh., bedeutet übrigens auch genau dasselbe wie das vorausgehende eka-sangītikassa, nämlich ein Kenner von einem der 5 Nikayas.

(*20) Derselbe befolgte nämlich, ohne jemand davon wissen zu lassen, die Übung des Stetigsitzers. Eines Nachts, als plötzlich beim Gewitter ein heller Blitz aufleuchtete, wurde er von seinem Bruder in der Sitzstellung bemerkt. Auf die Frage nun, ob er das Gelübde eines Stetigsitzers auf sich genommen habe, legte er sich sofort nieder ohne ein Wort zu erwidern, nahm aber den folgenden Tag das Gelübde wieder von neuem auf sich.  


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