Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung

M. 53. (VI,3) Sekhapatipadā Sutta, Die Schritte des Kämpfers

DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene im Lande der Sakker, bei Kapilavatthu, im Park der Feigenbäume. Damals aber hatten die Sakyer von Kapilavatthu eben erst ein neues Herrenhaus erbauen lassen, und niemand noch hatte darin gewohnt, kein Asket und kein Priester noch irgendein menschliches Wesen.

Da begaben sich denn die Sakyer von Kapilavatthu dorthin wo der Erhabene weilte, begrüßten den Erhabenen ehrerbietig und setzten sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprachen nun die Sakyer von Kapilavatthu zum Erhabenen also:

"Es ist da, o Herr, von den Sakyern in Kapilavatthu ein neues Herrenhaus errichtet worden, und niemand noch hat es bewohnt, kein Asket und kein Priester, noch irgendein menschliches Wesen. Das möge, o Herr, der Erhabene zuerst benutzen: vom Erhabenen zuerst benutzt, werden es dann die Sakyer von Kapilavatthu benutzen. So soll es den Sakyern von Kapilavatthu lange zum Wohle, zum Heile gereichen!"

Schweigend gewährte der Erhabene die Bitte.

Als nun die Sakyer von Kapilavatthu der Zustimmung des Erhabenen sicher waren, standen sie auf, begrüßten den Erhabenen ehrerbietig, gingen rechts herum und begaben sich nach dem Herrenhause. Dort ließen sie den Boden ganz mit Matten bedecken, die Stühle bereitrichten, einen Eimer mit Wasser aufstellen und eine Öllampe zurecht machen. Dann kehrten sie wieder zum Erhabenen zurück, verneigten sich ehrerbietig vor dem Erhabenen und standen seitwärts. Seitwärts stehend sprachen nun die Sakyer von Kapilavatthu zum Erhabenen also:

"Ganz mit Matten bedeckt, o Herr, ist der Boden des Hauses, die Stühle stehn bereit, ein Eimer mit Wasser ist aufgestellt, eine Öllampe zurecht gemacht: wie es nun, o Herr, dem Erhabenen belieben mag."

Da hat denn der Erhabene sich gerüstet, Mantel und Schale genommen und ist in Begleitung der Jüngerschar zum Herrenhause hingeschritten. Dort angelangt spülte der Erhabene die Füße ab, trat in den Saal ein und setzte sich nahe dem mittleren Pfeiler, gegen Osten gewendet, nieder. Und auch die begleitenden Mönche spülten die Füße ab, traten in den Saal ein und setzten sich nahe der westlichen Wand, gegen Osten gewendet, nieder, so daß der Erhabene ihnen voransaß. Und auch die Sakyer von Kapilavatthu spülten die Füße ab, traten in den Saal ein und setzten sich nahe der östlichen Wand, gegen Westen gewendet, nieder, so daß der Erhabene ihnen voransaß.

Nachdem nun der Erhabene die Sakker von Kapilavatthu bis tief in die Nacht in lehrreichem Gespräche ermuntert, ermutigt, erregt und erheitert hatte, wandte er sich an den ehrwürdigen Anando:

"Besinne dich, Anando, den Sakyern von Kapilavatthu zuliebe auf die 'Schritte des Kämpfers'; der Rücken ist mir ermüdet: den will ich ausstrecken."

"Gern, o Herr!" erwiderte da der ehrwürdige Anando, dem Erhabenen gehorchend.

Und der Erhabene spreitete den Mantel, vierfach gefaltet, aus und legte sich auf die rechte Seite wie der Löwe hin, einen Fuß über dem anderen, gesammelten Sinnes, der Zeit des Aufstehns gedenkend.

Und der ehrwürdige Anando wandte sich nun also an Mahānamo den Sakyer:

"Da ist, Mahānamo, der heilige Jünger tüchtig in Tugend, die Tore der Sinne hütet er, beim Essen weiß er Maß zu halten, er weiht sich der Wachsamkeit, sieben rechte Eigenschaften eignen ihm, und die vier Vertiefungen, die das Herz erquicken, schon im Leben beseligen, die kann er nach Wunsch gewinnen, in ihrer Fülle und Weite.

"Wie aber ist, Mahānamo, der heilige Jünger tüchtig in Tugend? 

Da ist, Mahānamo, der heilige Jünger tugendhaft, in reiner Zucht richtig gezügelt bleibt er lauter im Handel und Wandel: vor geringstem Fehl auf der Hut kämpft er beharrlich weiter, Schritt um Schritt. Also ist, Mahānamo, der heilige Jünger tugendhaft.

"Wie aber hütet, Mahānamo, der heilige Jünger die Tore der Sinne? 

Hat da, Mahānamo, der heilige Jünger mit dem Gesichte eine Form erblickt, so faßt er keine Neigung, faßt keine Absicht. Da Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gesichtes verweilt, befleißigt er sich dieser Bewachung, er hütet das Gesicht, er wacht eifrig über das Gesicht. Hat er mit dem Gehöre einen Ton gehört - hat er mit dem Geruche einen Duft gerochen - hat er mit dem Geschmacke einen Saft geschmeckt - hat er mit dem Getaste eine Tastung getastet - hat er mit dem Gedenken ein Ding erkannt, so faßt er keine Neigung, faßt keine Absicht. Da Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gedenkens verweilt, befleißigt er sich dieser Bewachung, er hütet das Gedenken, er wacht eifrig über das Gedenken. Also hütet, Mahānamo, der heilige Jünger die Tore der Sinne.

"Wie aber weiß, Mahānamo, der heilige Jünger beim Essen Maß zu halten? 

Da nimmt, Mahānamo, der heilige Jünger gründlich besonnen die Nahrung ein, nicht etwa zur Erquickung und Erheiterung, nicht zur Schmuckheit und Zier, sondern nur um diesen Körper zu erhalten, zu fristen, um Schaden zu verhüten, um ein heiliges Leben führen zu können: 'So werd' ich das frühere Gefühl abtöten und ein neues Gefühl nicht aufkommen lassen, und ich werde ein Fortkommen haben, ohne Tadel bestehn, mich wohl befinden.' Also weiß, Mahānamo, der heilige Jünger beim Essen Maß zu halten.

"Wie aber weiht sich, Mahānamo, der heilige Jünger der Wachsamkeit? 

Da läutert, Mahānamo, der heilige Jünger bei Tage, gehend und sitzend, das Gemüt von trübenden Dingen; läutert in den ersten Stunden der Nacht, gehend und sitzend, das Gemüt von trübenden Dingen; legt sich in den mittleren Stunden der Nacht auf die rechte Seite wie der Löwe hin, einen Fuß über dem anderen, gesammelten Sinnes, der Zeit des Aufstehns gedenkend; läutert in den letzten Stunden der Nacht, wieder aufgestanden, gehend und sitzend, das Gemüt von trübenden Dingen. Also weiht sich, Mahānamo, der heilige Jünger der Wachsamkeit.

"Wie aber eignen, Mahānamo, dem heiligen Jünger sieben rechte Eigenschaften? 

  1. Da hat, Mahānamo, der heilige Jünger Zutrauen, er traut der Wachheit des Vollendeten, so zwar: 'Das ist der Erhabene, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene.' 
  2. Und er ist schamhaft, er schämt sich Schlechtes in Werken, Worten und Gedanken zu begehen, er wahrt sich, daß er nicht in böse, unheilsame Dinge gerate, 
  3. Und er ist schüchtern, er scheut sich Schlechtes in Werken, Worten und Gedanken zu begehen, er sorgt, daß er nicht in böse, unheilsame Dinge gerate. 
  4. Und er hat viel gehört, ist Behälter des Wortes, Hort des Wortes der Lehre; und was da am Anfang begütigt, in der Mitte begütigt, am Ende begütigt und sinn- und wortgetreu das vollkommen geläuterte, geklärte Asketentum überliefert: das kennt er, behält er, beherrscht er mit der Rede, bewahrt es im Gedächtnis, hat es von Grund aus verstanden. 
  5. Und er hat den Mut und die Kraft unheilsame Dinge zu verleugnen und heilsame Dinge zu erringen, er dauert stark und standhaft aus, gibt den heilsamen Kampf nicht auf. 
  6. Und er hat Einsicht, ist mit höchster Geistesgegenwart begabt: was da einst getan, einst gesagt wurde, daran denkt er, daran erinnert er sich. 
  7. Und er ist witzig, mit der Weisheit begabt, die Aufgang und Untergang sieht, mit der heiligen, durchdringenden, die zur völligen Leidensversiegung führt. 

Also eignen, Mahānamo, dem heiligen Jünger sieben rechte Eigenschaften.

"Und wie, Mahānamo, kann der heilige Jünger die vier Vertiefungen, die das Herz erquicken, schon im Leben beseligen, nach Wunsch gewinnen, in ihrer Fülle und Weite? 

Da weilt, Mahānamo, der heilige Jünger, gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, in sinnend gedenkender ruhegeborener seliger Verzückung, in der Weihe der ersten Vertiefung. Nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens erreicht er die innere Meeresstille, die Einheit des Geistes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Vertiefung geborene selige Verzückung, die Weihe der zweiten Vertiefung. In heiterer Ruhe, gleichmütig, achtsam, klar bewußt weilt er, ein Glück empfindet er im Körper, von dem die Heiligen sagen: 'Glückselig weilt der Gleichmütige, der Achtsame'; so erwirkt er die Weihe der dritten Vertiefung. Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt er die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmütig einsichtigen vollkommenen Reine, die vierte Vertiefung. Also kann, Mahānamo, der heilige Jünger die vier Vertiefungen, die das Herz erquicken, schon im Leben beseligen, nach Wunsch gewinnen, in ihrer Fülle und Weite.

"Ist nun, Mahānamo, der heilige Jünger also tüchtig in Tugend, hütet er also die Tore der Sinne, weiß er also beim Essen Maß zu halten, weiht er sich also der Wachsamkeit, eignen ihm also sieben rechte Eigenschaften, und kann er die vier Vertiefungen, die das Herz erquicken, schon im Leben beseligen, also nach Wunsch gewinnen, in ihrer Fülle und Weite, so heißt man ihn, Mahānamo, den heiligen Jünger, der die Schritte des Kämpfers gegangen, ja bis oben an die Verschalung gelangt ist, fähig zur Durchbrechung, fähig zur Erwachung, fähig die unvergleichliche Sicherheit zu finden.

"Gleichwie etwa, Mahānamo, wenn eine Henne ihre Eier, acht oder zehn oder zwölf Stück, wohl bebrütet, gänzlich ausgebrütet, völlig gar gebrütet hat; wie sollte da nicht jener Henne der Wunsch kommen: 'Ach möchten doch meine Küchlein mit den Krallen oder dem Schnabel die Eierschale aufhacken, möchten sie doch heil durchbrechen!', und jene Küchlein sind fähig geworden mit den Krallen oder dem Schnabel die Eierschale aufzuhacken und heil durchzubrechen: ebenso nun auch, Mahānamo, wird der heilige Jünger, sobald er also tüchtig in Tugend ist, also die Tore der Sinne hütet, also beim Essen Maß zu halten weiß, also der Wachsamkeit sich weiht, also sieben rechte Eigenschaften ihm eignen, und er also die vier Vertiefungen, die das Herz erquicken, schon im Leben beseligen, nach Wunsch gewinnen kann, in ihrer Fülle und Weite, als solcher, Mahānamo, der heilige Jünger geheißen, der die Schritte des Kämpfers gegangen, ja bis oben an die Verschalung gelangt ist, fähig zur Durchbrechung, fähig zur Erwachung, fähig die unvergleichliche Sicherheit zu finden.

"Hat nun, Mahānamo, ein solcher heiliger Jünger eben diese letzte, gleichmütig einsichtige vollkommene Reine erreicht, so erinnert er sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen. So ist er zum erstenmal hervorgebrochen, wie das junge Huhn aus der Eierschale.

"Hat nun, Mahānamo, ein solcher heiliger Jünger eben diese letzte, gleichmütig einsichtige vollkommene Reine erreicht, so sieht er mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, er erkennt wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. So ist er zum zweitenmal hervorgebrochen, wie das junge Huhn aus der Eierschale.

"Hat nun, Mahānamo, ein solcher heiliger Jünger eben diese letzte, gleichmütig einsichtige vollkommene Reine erreicht, so läßt er den Wahn versiegen und macht sich die wahnlose Gemüterlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten offenbar, verwirklicht und erringt sie. So ist er zum drittenmal hervorgebrochen, wie das junge Huhn aus der Eischale.

"Wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger tüchtig in Tugend ist, so gilt ihm das als Wandel. Wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger die Tore der Sinne hütet, so gilt ihm das als Wandel. Wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger beim Essen Maß zu halten weiß, so gilt ihm das als Wandel. Wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger sich der Wachsamkeit weiht, so gilt ihm das als Wandel. Wenn da, Mahānamo, dem heiligen Jünger sieben rechte Eigenschaften eignen, so gilt ihm das als Wandel. Wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger die vier Vertiefungen, die das Herz erquicken, schon im Leben beseligen, nach Wunsch gewinnen kann, in ihrer Fülle und Weite, so gilt ihm das als Wandel.

"Und wenn sich da, Mahānamo, der heilige Jünger mancher verschiedenen früheren Daseinsform erinnert, so gilt ihm das als Wissen. Und wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sieht, so gilt ihm das als Wissen. Und wenn da, Mahānamo, der heilige Jünger mit der Wahnversiegung sich die wahnlose Gemüterlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten offenbar macht, verwirklicht und erringt, so gilt ihm das als Wissen.

"Den heißt man, Mahānamo, den heiligen Jünger, der wissend bewährt ist, der wandelnd bewährt ist, der wissend und wandelnd bewährt ist. - Auch Brahma hat da, Mahānamo, Der ewige Jüngling, den Spruch gesagt:
 

'Der Krieger ist der höchste Herr 
Von allen, die von Adel sind; 
Der wissend, wandelnd ist bewährt 
Ist höchster Herr bei Gott und Mensch.' 

 

Das aber ist da, Mahānamo, ein Spruch, den Brahma, Der ewige Jüngling, recht gesungen, nicht unrecht gesungen, recht gesprochen, nicht unrecht gesprochen hat, der sinnig ist, nicht unsinnig, dem der Erhabene zugestimmt hat."

Und der Erhabene stand nun auf und wandte sich also an den ehrwürdigen Anando:

"Gut, gut Anando, gut hast du, Anando, den Sakyern von Kapilavatthu die 'Schritte des Kämpfers' gezeigt.

Also hatte der ehrwürdige Anando gesprochen, und der Meister es gebilligt. Zufrieden freuten sich jene Sakyer von Kapilavatthu über das Wort des ehrwürdigen Anandos."


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus