Vimāna Vatthu

81. (VII,7): Kanthako

Als der Bodhisatto als Prinz Siddhattho noch im Hause lebte, hatte er ein prächtiges Reitpferd namens Kanthako, das am gleichen Tage wie er geboren worden war. Auf dem Rücken dieses Pferdes verließ der Bodhisatto Kapilavatthu und ritt in die Freiheit. In jener Nacht durchquerte der Bodhisatto dank der Schnelligkeit seines Pferdes drei Reiche und kam schließlich am Morgen zum Grenzfluß Anomā. Auf dem anderen Ufer entließ der Bodhisatto seinen getreuen Diener Channo und sandte ihn mit Kanthako zurück nach Kapilavatthu, während er als heimatloser Asket nach Rājagaham pilgerte. Kanthako liebte seinen Herrn sehr. Zum Abschied leckte er die Füße des Bodhisatto und schaute ihm unverwandt mit großen Augen nach, als er davonging. Als der Bodhisatto aus dem Gesichtskreis verschwunden war, konnte Kanthako den Schmerz des Abschieds nicht ertragen und starb auf der Stelle, 29 Jahre alt.

 

Sofort wurde er bei den Göttern der Dreiunddreißig in einem prächtigen Vimāna wiedergeboren. Dort erblickte Mahāmoggallāno ihn auf einer Himmelsreise, wie er sich gerade zum himmlischen Park begab, zusammen mit einem großen Gefolge. Als Kanthako Moggallāno erblickte, begrüßte er ihn ehrfürchtig. Dann befragte Moggallāno ihn:

 

Moggallāno:

So wie zur Vollmondszeit der Mond

mit seinem Has, der Sterne Herr,

umgeben von der Sterne Schar

durchwandert alles ringsumher, (1164)

 

so überstrahlet ebenso

ja deiner Himmelswohnung Pracht

an Schönheit gar die Götterstadt

gleichwie wenn auf die Sonne geht. (1165)

 

Es wechselt Gold ab mit Beryll

und Silber wechselt mit Kristall,

mit Katzenaugen da besetzt,

mit Perlen und Rubinen noch. (1166)

 

Ein solcher Platz erfreut den Geist

und ausgestattet mit Beryll

mit Giebelhäusern lieblich schön,

so dein Palast ist gut geplant. (1167)

 

Die Lotosteiche dich erfreun

wo tummeln sich die Goldfische,

das Wasser kühl und völlig klar

am Rand mit goldnem Sand bestreut. (1168)

 

Von Lotossen vielfach bedeckt

von roten, weißen übersät,

gar lieblich strömend Düfte aus

und herrlich sanft vom Wind bewegt. (1169)

 

Auf beiden Seiten man erblickt

die dichten Wälder, wohl geplant

wo Bäume hier in Blüten stehn

und andre tragen Früchte da. (1170)

 

Auf Couch, die goldne Füße

hat, mit weichem wollnem Fell bedeckt

da sitzen gleich dem Götterfürst

die Nymphen, um zu dienen dir. (1171)

 

Mit allem ihrem Schmuck versehn

mit Kränzen wunderschön bekränzt

erfreun sie dich, der groß an Macht

und du bist froh wie Götterfürst. (1172)

 

Mit Kesseltrommel, Muschelhorn,

mit Laute, Trommel, Tamburin

erfreust du dich in voller Lust

an Tanz, Gesang und an Musik. (1173)

 

Gestalten himmlisch, mannigfach

und Töne und Geschmäcke auch

und Düfte, Tastung ebenso

sind für dich da, erfreun den Geist. (1174)

 

In dem Vimāna wunderbar

als Göttersohn von großem Glanz,

da überstrahlst an Schönheit du

sogar den Sonnenaufgang noch. (1175)

 

Ist dies die Frucht des Gebens nun?

Ist es von Tugenden die Frucht?

Ist es vom Handgruß dir erwirkt?

So frag ich, sage es mir an. (1176)

 

Sprecher:

Der Göttersohn im Geist beglückt,

als Moggallāno ihn befragt,

erklärt auf seine Frage ihm,

welch Wirken diese Frucht erzeugt. (1177)

 

Göttersohn:

Kapilavatthu heißt die Stadt,

der Sakyer Hauptstadt, wo ich ward

als Kanthako geborn zugleich

mit einem Sohn Suddhodanos. (1178)

 

Als er zur Zeit der Mitternacht

fortzog um der Erwachung will'n,

mit seinen sanften Händen mich

netzartig, Nägel kupferfarb, (1179)

 

er streichelte die Flanken mir:

"Trag mich davon, mein lieber Freund,

wenn ich Erwachung, höchste, fand,

die Welt wird kreuzen auch den Strom." (1180)

 

Nachdem die Stimme ich gehört,

hab aufgewiehert ich da laut,

im Herz erhoben, frohen Sinns,

mein Lachen, das war mächtig groß. (1181)

 

Als ich gemerkt, daß aufstieg

dann der Sakyersohn, der groß an Ruhm,

im Herz erhoben, hocherfreut

trug ich davon den besten Mann. (1182)

 

Nachdem ins Ausland wir gelangt

und eben auf die Sonne ging,

zog unbeirrt er weiter dann,

ließ mich und Channo da zurück. (1183)

 

Die kupfern Nägel an den Zehn,

die leckt ich mit der Zunge ihm.

Als weiterzog der große Held,

hab ich ihm weinend nachgeblickt. (1184)

 

Als ich ihn nicht mehr sehen konnt,

den Sakyersohn, des Glückes Kind,

von einem starken Schmerz bedrängt

fiel auf der Stelle tot ich um. (1185)

 

Durch dieses habe ich erlangt,

in dem Vimāna hier zu wohn.

Erfüllt sind alle Wünsche mir,

bin wie in Himmels Götterstadt. (1186)

 

Und seit ich habe da gelacht,

als ich von der Erwachung hört,

dieselbe heilsam Wurzel wird

zur Triebversiegung führen mich. (1187)

 

Wenn du, o Herr, nun gehen wirst,

den Meister, Buddha, da zu sehn

berichten mögst du auch von mir

ich neige mich zu Füßen ihm. (1188)

 

Ich selber will auch zu ihm gehn

zum Sieger, dem da keiner gleicht.

Gar selten, wahrlich, sieht man wohl

den, der der Welt verleihet Schutz. (1189)

 

Sprecher:

Dankbar, empfindend was getan,

begab er sich zum Meister hin.

Als er den Sehenden gehört,

der Lehre Auge ging ihm auf. (1190)

 

Geläutert von dem Ansichtszwang

von Zweifel und von Tugendwerk,

zu Füßen grüßt den Meister er

und dann war er verschwunden da. (1191)

 

Bemerkungen:

Ein Tier kann leicht ein Gott werden, aber kein Tier kann, solange es Tier ist, die Lehre verstehen und den Stromeintritt erlangen. Aber in der nächsten Existenz ist das durchaus möglich. Als Reitpferd eines Buddha geboren zu werden, am selben Tage wie er, ist schon ein besonderes Wirken, setzt schon eine Nähe zum Bodhisatto voraus. Daß Kanthako im Alter von 29 Jahren an "gebrochenem Herzen" starb, ist nicht schwer nachzuvollziehen.

1179: Die netzartige Haut an Hand und Fuß gehört zu den 32 Merkmalen eines Großen Mannes. Die kupferfarbenen Nägel sind eines der 80 Nebenmerkmale.

1181: udaggacitto sumano (1182: udaggacitto mudito): im Herz (citta) erhoben (udaggo), frohen Sinns (su-mano) oder hocherfreut (mudito). Das sind Ausdrücke für besondere Gefühlserhebungen, positive und edle Gemütsregungen.

1183: unbeirrt (an-apekho), ohne die Absicht zurückzublicken und am Vergangenen zu haften.

1191: Damit sind die drei ersten Fesseln genannt, die beim Stromeintritt schwinden: Ansichtszwang (ditthi-gata: Ich-Welt-Gläubigkeit), existentieller Zweifel (vicikiccha), Tugendwerk (vata, für sila-bhata-paramāsa).

Diese Erzählung bietet eine gute Gelegenheit, vordergründige und tiefere Wertungen zu unterscheiden:

Vordergründig betrachtet war Kanthako ein bedauernswertes Wesen, das sein Menschentum vertan hatte und in einen untermenschlichen Bereich gelangt war, wo es keine Läuterung und keinen Ausweg gibt, sondern nur programmierte Instinkte, die zwangsläufig ablaufen. Gegenüber diesem Untermenschen Kanthako war Devadatto ein Glückspilz, ein Übergott (deva = Gott): ein Prinz, ein Vetter des Buddha, mit gewaltigen geistigen Fähigkeiten, die ihn zur Vertiefung und zu magischer Macht kommen ließen.

Tiefer betrachtet war Kanthako ein Wesen, das zum letzten Mal im Samsāro unter das Menschentum gesunken war und als Symbol für die Annäherung an den Buddha dessen Reitpferd wurde. Die Möglichkeit, sofort im nächsten Dasein den Stromeintritt bei den Dreiunddreißig Göttern zu erreichen, lag schon in ihm bereit. Devadatto hingegen verspielte alle seine Fähigkeiten und kam sehr lange in die Hölle, in die Unterwelt, der der stromeingetretene Göttersohn Kanthako für ewig entgangen war.

Also: es kommt immer auf die Richtung an, in welche ein Wesen sich entwickelt, ob zum Heil oder zum Unheil, ob zum Nirvana hin oder in die Tiefen des Samsāro hin. Der momentane Zustand zeigt nur das frühere Wirken an und läßt nichts über das künftige Wirken sagen, das aus unsichtbarer Tiefe kommt. Also, urteilt nicht die Tiere ab.

Die Geschichte findet sich, breiter ausgemalt, auch im Mahāvastu Bd. II, S. 191 ff.


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