II. SATIPATTHÁNA

 

A. BEGRIFFSBEDEUTUNG

Bevor wir mit der Darlegung dieser Methode der Geistesschulung beginnen, sollen einige allgemeine Informationen gegeben werden: zunächst über das Pāli-Wort Satipatthāna, unter dem diese Methode in den buddhistischen Ländern des Ostens bekannt ist und das nun auch manchen im Westen vertraut geworden ist als der Titel jener Lehrrede des Buddha, die der Grundtext dieser Methode ist.

Satipatthāna ist ein Lehrbegriff in der Pāli-Sprache, in der die älteste Fassung der Buddhalehre überliefert ist. Das Wort ist ein Kompositum. Der erste Wortbestandteil, sati, hat die Grundbedeutung «Gedächtnis», und im nicht-buddhistischen Sanskrit ist dies der vorwiegende Gebrauch des entsprechenden Wortes smrti. Im Schrifttum des Pāli-Buddhismus ist diese Bedeutung jedoch sehr selten. In buddhistischem Gebrauch bedeutet das Hauptwort sati mehr als die bloße Fähigkeit, sich an Vergangenes zu erinnern. Hier ist es vorwiegend die auf die Gegenwart gerichtete wache Aufmerksamkeit, die klare Bewußtheit und Besonnenheit, so daß «Achtsamkeit» die weitaus beste Übersetzung des Wortes ist. Wiedergaben in älteren deutschen Übersetzungen, wie «Einsicht», «Verinnerung», «Gedenken» oder gar «Andacht», sind unzutreffend.

Der zweite Wortbestandteil, patthāna, kann, den alten Kommentaren zufolge, zweifach verstanden werden: erstens als «Grundlage», weil nämlich die vier Hauptobjekte der Achtsamkeit (Körper, Gefühl, Bewußtseinszustand und Geistobjekte) ihre Basis und «Hauptstätte,. bilden; zweitens kann das Wort als eine Kürzung von upatthāna (wörtlich das Nahebei-Stellen) aufgefaßt werden und hat dann den Sinn des Gegenwärtighaltens der Achtsamkeit. Für diese Erklärung spricht der Umstand, daß verwandte Wortformen sehr häufig in Verbindung mit sati gebraucht werden, z.B. upatthita-sati, «gegenwärtig gehaltene Achtsamkeit»; und im Satipatthāna-Sutta selber: satim parimukham upatthapetvā, «die Achtsamkeit vor sich gegenwärtig haltend». Ein altes exegetisches Werk (der Subkommentar zur Lehrrede) erklärt wie folgt: «Nach Aufnehmen des Objekts den Gegenstand nicht fallen lassen, das ist das Gegenwärtighalten (upatthāna)». Im buddhistischen Sanskrit heißt demzufolge unsere Lehrrede smrty-upasthāna-sūtra.

Doch um einer besser verständlichen und sprachlich einfacheren Wiedergabe willen wurde hier (entgegen der ersten Auflage dieses Buches) die Übersetzung «Grundlagen der Achtsamkeit» gewählt.

 

B. STELLUNG IM BUDDHISTISCHEN LEHRGEBÄUDE

Die Achtsamkeit erscheint in einer Anzahl von Lehrbegriffs-Reihen, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden.

Rechte Achtsamkeit (sammā-sati) bildet das siebente Glied des «zur Leidensaufhebung führenden achtfachen Pfades» und wird in der Erklärung dieses Pfades ausdrücklich als die «vier Grundlagen der Achtsamkeit» definiert (siehe Seite 188).

Achtsamkeit ist das erste der sieben «Erleuchtungsglieder» (bojjhanga), d.h. jener Eigenschaften, die Wachstumsbedingungen wie auch wesentliche Bestandteile der Erleuchtung (bodhi) sind. Die Achtsamkeit steht an erster Stelle, nicht nur in der formalen Reihenfolge, sondern auch weil ihre Ausbildung grundlegend ist für die volle Entfaltung der anderen sechs Eigenschaften, und besonders für das zweite Erleuchtungsglied, «Wirklichkeitsergründung». Denn ohne eine ausgebildete Achtsamkeit ist eine Erkenntnis der Wirklichkeit, d.i. der körperlichen und geistigen Vorgänge, nicht möglich.

Die Wahrheit von der Leidensaufhebung wird hier gleichfalls auf die Einzelerfahrung zurückgeführt. Man kann die zeitweise Aufhebung des Begehrens erfahren, wenn man sein Entstehen mit Achtsamkeit beobachtet. Denn, wenn Reines Beobachten da ist, hat das Begehren keinen Raum; es kann nicht mit solcher Achtsamkeit gleichzeitig bestehen. Dieser Abschnitt illustriert die Textstellen: «Wie es zum Aufheben der (aus den Sinnengrundlagen) entstandenen Fesseln kommt, auch dies kennt er», und «Die Dinge in ihrem Vergehen betrachtend». - Wiederholte Erfahrung darin, wie Begehren in Einzelfällen schwindet oder zum Schwinden gebracht werden kann, gibt eine Vorahnung der endgültigen Aufhebung jeglichen Begehrens und wird die Überzeugung stärken, daß ein solches Ziel erreichbar ist.

Achtsamkeit ist ferner eine der fünf «geistigen Fähigkeiten» (indriya). Die anderen vier sind: Vertrauen, Energie, Sammlung und Weisheit. Abgesehen von ihrer Eigenfunktion, hat die Achtsamkeit hier die wichtige Rolle, über die harmonische Entwicklung und das Gleichgewicht der anderen vier Fähigkeiten zu wachen.

 

C. EINTEILUNGEN

Die Achtsamkeit ist vierfach entsprechend ihren Objekten. Sie richtet sich 1. auf den Körper, 2. auf das Gefühl, 3. auf den Geist, d.h. den Bewußtseinszustand im allgemeinen, 4. auf die Geistobjekte (dhamma), d.h. auf die Bewußtseinsinhalte im einzelnen, die mit Hilfe der Achtsamkeit allmählich die Denkformen der Buddhalehre (dhamma) annehmen. Dies sind die vier «Betrachtungen» (anupassanā), welche die Haupteinteilung der Lehrrede bilden. Sie werden auch manchmal «die vier Satipatthānas» genannt, im Sinne von Hauptgegenständen der Achtsamkeit.

Im buddhistischen Schrifttum wird die Achtsamkeit häufig mit einem anderen Begriff verbunden, den wir hier mit «Wissensklarheit» (sampajañña) wiedergeben. Diese beiden Begriffe formen in der Pāli-Sprache meist ein Kompositum, sati-sampajañña. In diesem Zusammenhang mag die Achtsamkeit weitgehend identifiziert werden mit der Geisteshaltung und Übung des Reinen Beobachtens, der ein großer Teil dieses Buches gewidmet sein wird. Der zweite Begriff, Wissensklarheit, bezieht sich hier auf klar bewußtes, klar erkennendes und gerichtetes Handeln und Denken.

Diese beiden Aspekte rechter Achtsamkeit sollen hier zunächst behandelt werden.


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