Anguttara Nikaya

III. Die dritten fünfzig Sutten (tatiyapannāsaka)

11. Kapitel: samboha-vagga

A.III. 104 Vor der vollen Erwachung

Noch vor meiner vollen Erwachung, ihr Mönche, als ein Bodhisatta (*1), da kam mir folgender Gedanke: 'Was ist wohl hinsichtlich der Welt der Genuß, was ist das Elend und was die Entrinnung?' Und es ward mir folgendes klar: 'Wodurch bedingt in der Welt Glück und Freude aufsteigt, das ist der Welt Genuß; daß aber die Welt vergänglich ist, leidvoll und dem Wechsel unterworfen, das ist der Welt Elend; was da aber hinsichtlich der Welt die Zügelung und Aufhebung der Willensgier ist, das ist die Entrinnung von der Welt.'

Und solange ich, ihr Mönche, nicht derart wirklichkeitsgemäß hinsichtlich der Welt den Genuß als Genuß, das Elend als Elend und das Entrinnen als Entrinnen erkannte, solange war ich noch nicht gewiß, ob ich in der Welt mit ihren guten und bösen Geistern und ihren Brahma-Göttern, mit ihrer Schar von Asketen und Priestern, Göttern und Menschen die unübertroffene höchste Erleuchtung vollkommen verwirklicht hatte. Sobald ich aber derart hinsichtlich der Welt den Genuß als Genuß, das Elend als Elend und das Entrinnen als Entrinnen der Wirklichkeit gemäß erkannte, da, ihr Mönche, war ich gewiß, daß ich in der Welt mit ihren guten und bösen Geistern und ihren Brahma-Göttern, mit ihrer Schar von Asketen und Priestern, Göttern und Menschen die unübertroffene höchste Erleuchtung vollkommen verwirklicht hatte. Und das Wissen und die Einsicht ging mir da auf: 'Unerschütterlich ist die Befreiung meines Geistes. Dies ist die letzte Geburt, kein neues Dasein gibt es mehr.'


(*1) Ein Bodhisatta ist ein zur vollen Erleuchtung (bodhi), zur Buddhaschaft karmisch bestimmtes Wesen (satta).


A.III. 105 Das Suchen

Der Welt Genuß, ihr Mönche, habe ich gesucht; was es in der Welt an Genuß gibt, das habe ich erlangt; und wie weit in der Welt der Genuß geht, das habe ich in Weisheit wohl durchschaut.

Der Welt Elend, ihr Mönche, habe ich gesucht; was es in der Welt an Elend gibt, das habe ich erlangt; und wie weit in der Welt das Elend geht, das habe ich in Weisheit wohl durchschaut.

Das Entrinnen aus der Welt, ihr Mönche, habe ich gesucht; was das Entrinnen aus der Welt ist, das habe ich erlangt; und wie weit in der Welt das Entrinnen geht, das habe ich in Weisheit wohl durchschaut.

(Schluß wie zweiter Teil von Text 104.)


A.III. 106 Gäbe es keinen Genuß . . .

Gäbe es, ihr Mönche, in der Welt keinen Genuß, so würden die Wesen nicht nach der Welt begehren. Weil es nun aber Genuß in der Welt gibt, darum eben begehren die Wesen nach der Welt. Gäbe es in der Welt kein Elend, so würden die Wesen nicht der Welt überdrüssig werden. Weil es nun aber Elend in der Welt gibt, darum eben werden die Wesen der Welt überdrüssig. Gäbe es in der Welt kein Entrinnen, so könnten die Wesen aus der Welt nicht entrinnen. Weil es nun aber in der Welt ein Entrinnen gibt, darum eben entrinnen die Wesen aus der Welt.

Und solange die Wesen nicht hinsichtlich der Welt den Genuß als Genuß, das Elend als Elend und die Entrinnung als Entrinnung der Wirklichkeit gemäß erkannt haben, solange sind die Wesen aus der Welt mit ihren guten und bösen Geistern und ihren Brahma-Göttern, mit ihrer Schar von Asketen und Priestern, Göttern und Menschen, noch nicht entronnen, haben sich noch nicht von ihr losgelöst und befreit, und verweilen mit einem in der Welt befangenen Gemüte.

Sobald aber die Wesen hinsichtlich der Welt den Genuß als Genuß, das Elend als Elend und die Entrinnung als Entrinnung der Wirklichkeit gemäß erkannt haben, dann sind sie der Welt mit ihren guten und bösen Geistern und ihren Brahma-Göttern, mit ihrer Schar von Asketen und Priestern, Göttern und Menschen, entronnen, haben sich von ihr losgelöst und befreit und verweilen mit einem in der Welt nicht befangenen Gemüte.


A.III. 107 Wahres Asketentum

Jene Asketen und Priester, ihr Mönche, die den Genuß der Welt nicht als Genuß, das Elend nicht als Elend und die Entrinnung nicht als Entrinnung der Wirklichkeit gemäß verstehen, diese kann ich nicht als Asketen und Priester betrachten; denn nicht haben ja jene Verehrten das Ziel des Asketentums, das Ziel des Priestertums sich noch bei Lebzeiten zu eigen gemacht, es selber erkennend und verwirklichend.

Jene Asketen und Priester aber, ihr Mönche, die den Genuß der Welt als Genuß, das Elend als Elend und die Entrinnung als Entrinnung der Wirklichkeit gemäß verstehen, diese können als Asketen und Priester gelten; denn jene Verehrten haben ja das Ziel des Asketentums, das Ziel des Priestertums sich noch bei Lebzeiten zu eigen gemacht, es selber erkennend und verwirklichend.


A.III. 108 Gesang und Tanz

Als Geheul, ihr Mönche, gilt in der Ordenszucht des Heiligen das Singen, als Wahnsinn das Tanzen, als kindisch das unpassende Lachen mit aufgerissenem Munde. Darum ist das Singen und Tanzen eine Verletzung der Ordnung. Seid ihr über Dinge erfreut, so genüge euch ein bloßes Lächeln.


A.III. 109 Unersättlichkeit

Den Genuß dreier Dinge, ihr Mönche, kann man nicht leicht satt bekommen. Welcher drei Dinge?

Den Genuß dieser drei Dinge, ihr Mönche, kann man nicht leicht satt bekommen.


A.III. 110 Das Gleichnis vom Giebelhause I

Es sprach der Erhabene zu Anāthapindika, dem Hausvater, also:

»Ist, o Hausvater, der Geist unbewacht, so sind auch die Taten in Werken, Worten und Gedanken unbewacht. Wer aber darin unbewacht ist, dessen Taten in Werken, Worten und Gedanken stehen offen dem Schlechten ('stehen offen dem Schlechten' (avassuto); wtl: ein Leck habend, durchlässig). Stehen sie aber dem Schlechten offen, so werden seine Taten in Werken, Worten und Gedanken verderbt sein; und mit verderbten Taten in Werken, Worten und Gedanken hat er keinen guten Tod, keine glückliche Sterbestunde.

Gleichwie, o Hausvater, bei einem Giebelhause, das schlecht gedeckt ist, Giebel, Dachsparren und Mauern ungeschützt sind, der Feuchtigkeit offen stehen und verderben, ebenso auch sind bei unbewachtem Geist die Taten in Werken, Worten und Gedanken unbewacht, stehen dem Schlechten offen, werden verderbt, und man hat keinen guten Tod, keine glückliche Sterbestunde.

Ist aber der Geist bewacht, so sind auch die Taten in Werken, Worten und Gedanken bewacht. Wer aber darin bewacht ist, dessen Taten in Werken, Worten und Gedanken sind dem Schlechten verschlossen (anavassuto). Bleiben sie dem Schlechten verschlossen, so können sie nicht verderbt werden, und man hat einen guten Tod, eine glückliche Sterbestunde.

Gleichwie, o Hausvater, bei einem Giebelhause, das gut gedeckt ist, Giebel, Dachsparren und Mauern geschützt sind, verschlossen der Feuchtigkeit und nicht verderben, ebenso auch sind bei bewachtem Geist die Taten in Werken, Worten und Gedanken bewacht, sind dem Schlechten verschlossen, können nicht verderbt werden, und man hat einen guten Tod, eine glückliche Sterbestunde.«


A.III. 111 Das Gleichnis vom Giebelhause II

Es sprach der Erhabene zu Anāthapindika, dem Hausvater, also:

»Läßt man, o Hausvater, den Geist verkommen (vyāpannam; K: Abweichung vom natürlichen Zustand (des Geistes)), so werden auch die Taten in Werken, Worten und Gedanken verkommen und man hat keinen guten Tod, keine glückliche Sterbestunde.

Gleichwie, o Hausvater, bei einem schlecht gedeckten Giebelhause, Giebel, Dachsparren und Mauern verkommen, ebenso auch werden, wenn man den Geist verkommen läßt, die Taten in Werken, Worten und Gedanken verkommen und man hat keinen guten Tod, keine glückliche Sterbestunde.

Läßt man aber den Geist nicht verkommen, so werden auch die Taten in Werken, Worten und Gedanken nicht verkommen. Läßt man seine Taten in Werken, Worten und Gedanken nicht verkommen, so hat man einen guten Tod, eine glückliche Sterbestunde.

Gleichwie, o Hausvater, bei einem gut gedeckten Giebelhause Giebel, Dachsparren und Mauern nicht verkommen, ebenso auch werden, wenn man den Geist nicht verkommen laßt, auch die Taten in Werken, Worten und Gedanken nicht verkommen und man hat einen guten Tod, eine glückliche Sterbestunde.«


A.III. 112 Tatenentstehung und Tatenversiegung

Drei Entstehungsgründe der Taten (kamma) gibt es, ihr Mönche. Welche drei? 

Eine Tat (kamma), die aus Gier getan wurde, die aus Gier entsprungen, durch Gier bedingt, durch Gier entstanden ist, solche Tat ist unheilsam, verwerflich, hat Leid als Ergebnis, führt zu neuer Tatenentstehung und nicht zur Tatenversiegung (kamma-nirodhāya).

Eine Tat, die aus Haß getan wurde, die aus Haß entsprungen, durch Haß bedingt, durch Haß entstanden ist, solche Tat ist unheilsam, verwerflich, hat Leiden als Ergebnis, führt zu neuer Tatenentstehung und nicht zur Tatenversiegung.

Eine Tat, die aus Verblendung getan wurde, die aus Verblendung entsprungen, durch Verblendung bedingt, durch Verblendung entstanden ist, solche Tat ist unheilsam, verwerflich, hat Leid als Ergebnis, führt zu neuer Tatenentstehung und nicht zur Tatenversiegung.

Drei Entstehungsgründe der Taten gibt es, ihr Mönche. Welche drei? 

Eine Tat, die aus Gierlosigkeit - aus Haßlosigkeit - aus Unverblendung getan wurde, die daraus entsprungen, dadurch bedingt und entstanden ist, solche Tat ist heilsam, untadelhaft, hat Glück als Ergebnis, führt zur Tatenversiegung und nicht zu neuer Tatenentstehung.


A.III. 113 Entstehen und Ende des Begehrens

Drei Entstehungsgründe der Taten gibt es, ihr Mönche. Welche drei? Auf Grund vergangener giererregender Dinge entsteht Begehren, oder auf Grund gegenwärtiger oder auf Grund zukünftiger.

Wie aber, ihr Mönche, entsteht auf Grund vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger giererregender Dinge das Begehren? Da erwägt man vergangene, gegenwärtige oder zukünftige giererregende Dinge im Geiste, denkt darüber nach. Während man sie aber im Geiste erwägt, über sie nachdenkt, entsteht in einem das Begehren. Begehrlich geworden, ist man an jene Dinge gefesselt; denn die Gierbefleckung des Geistes nenne ich eine Fessel, ihr Mönche. So entsteht auf Grund vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger giererregender Dinge das Begehren.

Diese drei Entstehungsgründe der Taten gibt es, ihr Mönche.

Drei [weitere] Entstehungsgründe der Taten gibt es, ihr Mönche. Welche drei? Auf Grund vergangener oder gegenwärtiger oder zukünftiger giererregender Dinge entsteht kein Begehren.

Wie aber, ihr Mönche entsteht auf Grund vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger Dinge kein Begehren? Da erkennt man der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen giererregenden Dinge künftiges Ergebnis (vipākam, d.i. das Karma-Ergebnis). Ihr künftiges Ergebnis kennend, meidet man sie. Indem man sie aber meidet und den Geist von ihnen abwendet, erkennt man sie weise durchdringend. So entsteht auf Grund vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger giererregender Dinge kein Begehren.

Diese drei Entstehungsgründe der Taten gibt es, ihr Mönche.


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