Visuddhi Magga XXI

Die Reinheit des fortschreitenden Erkenntnisblickes (patipadāñānadassana-visuddhi)


Einleitung
 
 

Der in 8 Erkenntnissen aber den Gipfel erreicht habende Hellblick und, als neunte Erkenntnis, die der Wahrheit sich Anpassende Erkenntnis: diese gelten als die 'Reinheit des fortschreitenden Erkenntnisblickes'.

 

Als diese 8 Erkenntnisse hat man hier die folgenden von den Trübungen befreiten, dem rechten (Hellblicks-) Vorgang folgenden und als Hellblick geltenden Erkenntnisse zu betrachten, nämlich:

(1) Die in Betrachtung des Entstehens und Hinschwindens bestehende Erkenntnis (udayabbayānupassanā-ñāna).
(2) Die in Betrachtung der Auflösung bestehende Erkenntnis (bhangā-nupassanā-ñāna).
(3) Die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis (bhayatupatthāna-ñāna).
(4) Die in Betrachtung des Elends bestehende Erkenntnis (ādīnavānu-passanā-ñāna).
(5) Die in Betrachtung der Abwendung bestehende Erkenntnis (nibbidānupassanā-ñāna).
(6) Die im Erlösungswunsche bestehende Erkenntnis (muccitukamyatā-ñāna).
(7) Die in Nachdenkender Betrachtung bestehende Erkenntnis (pati-sankhānupassanā-ñāna).
(8) Die im Gleichmut hinsichtlich der Gebilde bestehende Erkenntnis (sankhārupekkhā-ñāna).
(9) Die 9. Erkenntnis, d. i. die der Wahrheit sich Anpassende Erkenntnis (saccānuloma-ñāna) ist eine Bezeichnung der Anpassungs-Erkenntnis (anuloma-ñāna).

 

Wer also diese (letztere) zu erwirken wünscht, übe sich in jenen Erkenntnissen, beginnend mit der von den Trübungen befreiten 'Erkenntnis des Entstehens und Hinschwindens.'

 


Vis. XXI. 1. Die in Betrachtung des Entstehens und Hinschwindens bestehende Erkenntnis (udayabbayānupassanā-ñāna)

 

Welchen Zweck nun aber hat die wiederholte Übung in der Erkenntnis des Entstehens und Hinschwindens?

 

Den Zweck, die 3 Merkmale zu beobachten. Zuvor nämlich, als die Erkenntnis des Entstehens und Hinschwindens noch von den 10 Trübungen getrübt war, war sie nicht imstande, die 3 Merkmale (anicca, dukkha, anattā) der Wahrheit und Wirklichkeit gemäß zu beobachten. Von den Trübungen aber befreit, ist sie dazu imstande.

 

Infolge Nichtbeachtens wessen aber, und infolge Verhülltseins wodurch, zeigen sich die Merkmale nicht?

 

Infolge Nichtbeachtens des Entstehens und Hinschwindens und infolge des Verhülltseins durch die Daseinskontinuität: dadurch zeigt sich nicht das Merkmal der 'Vergänglichkeit' (anicca).

Infolge des Nichtbeachtens des häufigen Bedrücktseins und infolge des Verhülltseins durch die Körperbewegungen: dadurch zeigt sich nicht das Merkmal des 'Elends' (dukkha).

Infolge des Nichtbeachtens der Zerlegbarkeit in vielerlei Daseinselemente und infolge des Verhülltseins durch das Kompakterscheinen: dadurch zeigt sich nicht das Merkmal der 'Unpersönlichkeit' (anattā).

 

 

Ist aber nach Erfassung des Entstehens und Hinschwindens die Daseinskontinuität unterbrochen, so zeigt sich das Merkmal der Vergänglichkeit, der Wahrheit und Wirklichkeit gemäß.

Sind einem durch Betrachtung des häufigen Bedrücktseins die Körperbewegungen klar geworden, so zeigt sich das Merkmal des Elends, der Wahrheit und Wirklichkeit gemäß.

Ist durch Zerlegung in die vielartigen Daseinselemente die Zerlegung des Kompakterscheinenden vollzogen, so zeigt sich das Merkmal der Unpersönlichkeit, der Wahrheit und Wirklichkeit gemäß.

 

 

Hier nun sollte man folgende Erklärung kennen: 'vergänglich' ist dasselbe wie das Vergänglichkeitsmerkmal, 'elend' dasselbe wie das Elendmerkmal, 'unpersönlich' dasselbe wie das Unpersönlichkeitsmerkmal.

 

Dabei gelten als vergänglich die 5 Daseinsgruppen.

Und warum? Wegen ihres Entstehens, Hinschwindens und Anderswerdens, oder weil geworden sie wieder zu nichts werden. Als das Vergänglichkeitsmerkmal gilt das Entstehen, Hinschwinden und Anderswerden oder die auf das Gewordensein folgende und im Nichtmehrsein bestehende Veränderung des Zustandes.

 

 

"Was vergänglich ist, das ist elend": nach diesem Ausspruche gelten die 5 Daseinsgruppen als elend. Und warum? Wegen des beständigen Bedrücktseins. Die Eigenschaft des beständigen Bedrücktseins aber gilt als das Elendmerkmal.

 

"Was aber elend ist, das ist unpersönlich": nach diesem Ausspruche gelten eben die 5 Daseinsgruppen als unpersönlich. Und warum? Wegen ihrer Machtlosigkeit. Der Zustand der Machtlosigkeit aber gilt als das Unpersönlichkeitsmerksmal.

 

Alles dieses erfaßt der Übungsbeflissene mit der von Trübungen freien und als dem rechten Vorgange folgender Hellblick geltenden Erkenntnis von der Betrachtung des Entstehens und Hinschwindens, der Wahrheit und Wirklichkeit gemäß.

 


Vis. XXI. 2. Die in Betrachtung der Auflösung bestehende Erkenntnis (bhangānupassanā-ñāna)

 

Während er aber nach solchem Beobachten wieder und wieder die körperlichen und unkörperlichen Dinge als vergänglich, elend und unpersönlich erwägt und untersucht, arbeitet jene Erkenntnis scharf in ihm, und die Gebilde zeigen sich ihm schnell. Während aber die Erkenntnis scharf in ihm arbeitet und die Gebilde sich ihm schnell zeigen, haftet er weder am Entstehen noch am Beharren noch am Fortgang noch an der Vorstellung, und bloß noch auf Versiegen, Hinschwinden, Auflösung und Erlöschung ist seine Aufmerksamkeit geheftet. 'Nachdem so die Gebilde aufgestiegen sind, kommen sie so zum Erlöschen': während er aber so erkennt, steigt ihm in diesem Zustande die in Betrachtung der Auflösung bestehende Hellblick-Erkenntnis auf, von der es heißt (Pts. I. 57 f):-

 

"Inwiefern aber gilt das in Betrachtung der Auflösung bestehende Wissen beim Nachdenken über die Objekte als Hellblick-Erkenntnis?

 

"Dadurch daß etwas Körperliches als Objekt da ist, entsteht das Bewußtsein, und dieses löst sich wieder auf. Über jenes Objekt nachdenkend, betrachtet der Übungsbeflissene die Auflösung jenes Bewußtseins. Wie aber betrachtet er es?

 

"Dadurch, daß Gefühl als Objekt da ist ... Wahrnehmung ... Geistesformationen ... Bewußtsein ... Auge ... usw. ... Altern und Sterben, dadurch entsteht das Bewußtsein, und dieses löst sich wieder auf ... indem er dieses fahren läßt, überwindet er das Festhalten daran.
 
 

 
 

"Dies gilt im Sinne des Erkennens als Erkenntnis (ñāna), im Sinne des Wissens als Wissen (paññā). Darum wird das in Betrachtung der Auflösung bestehende Wissen beim Nachdenken über die Objekte als Hellblick-Erkenntnis bezeichnet."

 

Hierbei nun bedeutet der Ausdruck "Beim Nachdenken über die Objekte" soviel wie: durch Nachdenken irgend ein Objekt verstehend, es mit Hinsicht auf Versiegen und Hinschwinden erkennend.

 

"Das in Betrachtung der Auflösung bestehende Wissen": - Jene Erkenntnis, die beim Nachdenken über die Objekte mit Hinsicht auf Versiegen und Hinschwinden aufgestiegen ist, diese wird als Hellblick-Erkenntnis bezeichnet.

 

"Inwiefern aber?": dies bezeichnet hier eine mit der Absicht des Erklärens gestellte Frage. Um nun zu zeigen, wie sich dies verhält, wurde erklärt: 'Dadurch daß etwas Körperliches als Objekt da ist usw.'

 

"Dadurch daß etwas Körperliches als Objekt da ist, entsteht das Bewußtsein, und dieses löst sich wieder auf" dies besagt da folgendes: Mit etwas Körperlichem als Objekt steigt das Bewußtsein auf, und dieses schwindet wieder danach. Oder der Sinn ist: Während etwas Körperliches das Objekt bildet usw.

 

"Über jenes Objekt nachdenkend" bedeutet da: über jenes körperliche Objekt nachgedacht und es verstanden habend, es mit Hinsicht auf sein Versiegen und Hinschwinden erkannt habend.

 

"Betrachtet der Übungsbeflissene die Auflösung jenes Bewußtseins" bedeutet: Was da jenes Bewußtsein betrifft, durch das das körperliche Objekt mit Hinsicht auf sein Versiegen und Hinschwinden erkannt wurde, so betrachtet er jenes Bewußtseins Auflösung mit dem darauf folgenden Bewußtsein. Darum sagten die Alten Meister: "Das Erkannte sowohl wie das Erkennen: beides durchschaut er klar."

 

"Betrachtet er" (anupassati) bedeutet hier soviel wie: wiederholt schaut er hinter her (anu-anu-passati), schaut auf vielerlei Weise immer wieder hin. Darum heißt es: "Wie aber betrachtet er es? Als vergänglich betrachtet er es usw." Weil da nun die Auflösung als höchster Gipfel der Vergänglichkeit gilt, so betrachtet der die Auflösung betrachtende Übungsbeflissene jedes Gebilde als vergänglich, nicht als beständig. Weil nun aber das, was vergänglich ist, etwas Elendes ist und das Elend etwas Unpersönliches, darum betrachtet er fernerhin die Gebilde als etwas Elendes, nicht als Glück, betrachtet sie als etwas Unpersönliches, nicht als Persönlichkeit. Weil man nun aber an dem, was vergänglich, elend und unpersönlich ist, keine Freude finden sollte und nach dem, woran man keine Freude finden sollte, auch nicht begehren sollte, darum wendet, sobald dies gemäß der Auflösungsbetrachtung als vergänglich, elend und unpersönlich erkannt ist, der Übende sich von den Gebilden ab und erfreut sich nicht daran, löst sich davon los und giert nicht mehr danach. Also nicht danach gierend, bringt er zunächst durch seine weltliche Erkenntnis die Gier zum Erlöschen und läßt sie nicht mehr aufsteigen, nicht mehr entstehen. Das ist der Sinn. Oder aber: also der Gier entrückt, läßt er, genau wie die gegenwärtigen Gebilde, durch schlußfolgernde Erkenntnis auch die nichtgegenwärtigen erlöschen und nicht mehr aufsteigen, erwägt sie mit Hinsicht auf ihr Erlöschen. Bloß noch ihr Erlöschen betrachtet er, nicht mehr ihr Entstehen. Das ist der Sinn. Sich also übend, läßt er sie fahren und klammert sich nicht daran. Und was soll dies besagen? Daß diese Betrachtung der Vergänglichkeit usw. auch das Fahrenlassen im Sinne des Aufgehens und des Fortdrängens bezeichnet, da sie eben die befleckenden Leidenschaften, zusammen mit den Daseinsgruppen und Karmaformationen, durchs Gegenteil vertreibt und die Übel der gewordenen Dinge erkennt, und infolge des Hingeneigtseins zu dem diesen entgegengesetzten Nirwahn hindrängt. Darum also vertreibt der mit dieser Erkenntnis ausgestattete Mönch in besagter Weise die befleckenden Leidenschaften und drängt zum Nirwahn hin. Auch nicht hält er fest an den Leidenschaften, daß sie etwa wieder aufkeimen könnten, noch auch hält er fest an den gewordenen Objekten infolge Nichterkennens ihrer Übel. Somit sagt man, daß er losläßt, nicht festhält.

 

Um nunmehr dem Übenden die Überwindung der Dinge durch diese Erkenntnisse zu zeigen, wurde gesagt: "Es (jedes Gebilde) als vergänglich betrachtend, überwindet er die Vorstellung der Beständigkeit usw." Hierbei bedeutet 'Lust' soviel wie das mit Verzückung verbundene Begehren. Für das Übrige gilt die oben gegebene Erklärung.

 

In den Versen aber bedeutet "Von einer Grundlage zur andern übergehen": das Übergehen von einer früheren Grundlage auf die nächstfolgende, insofern man, nach Erkennen der Auflösung des Körperlichen, wiederum erkennt, wie auch dieses Bewußtsein, mit dem man die Auflösung erkannt hat, sich ebenfalls wieder auflöst.

 

"Von einer Wahrnehmung zur anderen sich wenden": nachdem man die (Betrachtung des) Entstehens hat fahren lassen, bei (Betrachtung des) Hinschwindens verweilen.

 

"Und was sich da als Kraft des Aufmerken betätigt": gemeint ist die Gewandtheit im Aufmerken, die, nach Erkennen der Auflösung des Körperlichen, unmittelbar auf das die Auflösung zum Objekt habende Bewußtsein folgt, um wiederum die Auflösung dieses Bewußtseins zu betrachten.

 

"Dies als den nachdenkenden Hellblick man da kennt": Dieses Nachdenken über das Objekt gilt als die Betrachtung der Auflösung.

 

"Daß man entsprechend den Objekten aber bei beiden ganz genau das Gleiche feststellt": Dies bedeutet das Feststellen der gleichen Natur beider (d. i. des wahrgenommenen und des nicht-wahrgenommenen Objektes) durch Schlußfolgerung aus dem selber geschauten Objekte; 'Genau wie dieses Gebilde sich auflöst, haben sich auch in der Vergangenheit die Gebilde aufgelöst und werden sie sich auch in der Zukunft auflösen.' Auch die Alten Meister haben gesagt:

 

 

"Und daß man der Erlöschung ist geneigt" bedeutet so viel wie: daß nach gleicher Feststellung bei beiden (dem selber Erlebten und dem nicht selber Erlebten) hinsichtlich ihrer Auflösung man hingeneigt ist zu eben jener als Auflösung geltenden Erlöschung, ihr zugewandt ist, dahin strebt, darauf hinzielt.

 

"Als Hellblick in des Schwindens Merkmal gilt": Dies wird als der das Merkmal des Hinschwindens erkennende Hellblick bezeichnet.

 

"Beim Denken über die Objekte": die früheren Objekte wie das des Sehens usw. erkennend.

 

"Klarseh'n der Dinge Untergang": jener Objekte Auflösung klar erkannt habend, erkennt er wiederum, wie das dieses Bewußtsein zum Objekt habende (spätere) Bewußtsein sich auflöst.

 

"Gewahrsein auch der Dinge Leerheit": während er in solcher Weise die Auflösung betrachtet kommt in ihm das Gewahrsein der Leerheit zustande: 'Bloße Gebilde lösen sich auf. Ihre Auflösung ist der Tod. Nicht gibt es da irgend eine weitere Persönlichkeit'. Darum sagten die Alten Meister:

 

 

"Als 'Hoher Wissenshellblick' gilt": Was da an Nachdenken über die Objekte besteht, an Betrachtung ihrer Auflösung und an Gewahrsein der Leerheit, das wird als der Hohe Wissenshellblick bezeichnet.

 

"Wer in den drei Betrachtungen erfahren": ein in den 3 Betrachtungen wie der der Vergänglichkeit, des Elends und der Unpersönlichkeit erfahrener Mönch.

 

"In dem viergeteilten Hellblick": d. i. in den 4 Arten des Hellblicks, nämlich dem der Abwendung, der Loslösung, Erlöschung und des Fahrenlassens (nibbidā, virāga, nirodha, patinissagga).

 

"Dem kommt die Tüchtigkeit in dreifachem Gewärtigsein": d. i. seine Erfahrung in diesem dreifachen Gewahrsein: hinsichtlich des Versiegens und Hinschwindens, hinsichtlich des Schreckens, hinsichtlich der Leerheit.

 

"Kommt ... bei keiner von den vielen Ansichten ins Schwanken": schwankt nicht mehr hinsichtlich der vielartigen Ansichten, wie der Ewigkeitsansicht usw. 'Bloß das noch nicht zuvor Erloschene erlischt, das noch noch nicht zuvor Zerfallene löst sich auf': auf diese Weise erkennt jene im Gange seiende unerschütterliche Erwägung nur noch die Auflösung, indem sie bei allen Gebilden die im Entstehungs- und Beharrungsmomente bestehende Vorstellung fahren läßt, genau wie man bei einem zerfallenden schwachen Tongefäße oder beim Ausstreuen von feinem Staube oder beim Backen von Ölsamen nur noch die Auflösung wahrnimmt. Gleichwie ein am Ufer eines Teiches oder Flusses stehender Mann, wenn es in dicken Tropfen regnet, sieht, wie auf der Oberfläche des Wassers immer wieder große Wasserblasen entstehen und sich wieder auflösen, genau so auch sieht der Übende, wie alle Gebilde sich immer wieder auflösen. Mit Hinsicht auf einen solchen Übungsbeflissenen hat der Erhabene gesagt (Dhp.170):

 

Wer in dieser Weise wiederholt betrachtet, wie alle Gebilde sich immer wieder auflösen, in dem ist die von 8 Segnungen begleitete und in der Betrachtung der Auflösung bestehende Erkenntnis mächtig geworden. Dieses nun sind hier die 8 Segnungen: - Überwindung der Daseinsansicht, Aufgeben der Lebenslust, allzeit rechter Eifer, reiner Lebenswandel, Überwindung der Geschäftigkeit, Furchtlosigkeit, Erlangung von Geduld und Milde, Herrschaft über Lust und Unlust. Darum sagen die Alten Meister:

 

Hier endet die in Betrachtung der Auflösung bestehende Erkenntnis.
 


Vis. XXI. 3. Die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis (bhayatupatthāna-ñāna)

 

Indem der Hellblickbeflissene nun so diese das Versiegen ' Hinschwinden, Sichauflösen und Erlöschen aller Gebilde zum Objekt habende 'Betrachtung der Auflösung' pflegt, entfaltet und häufig übt, erscheinen ihm alle den Daseinsarten, Daseinsschoßen, Daseinsfährten, Bewußtseinsstätten und Wesenswelten angehörenden vielartigen Gebilde als großer Schrecken, genau wie da einem furchtsamen Manne, der glücklich zu leben wünscht, Löwen als ein großer Schrecken erscheinen, oder auch Tiger, Panther, Bären, Hyänen, Gespenster, Dämonen, wilde Stiere und Hunde, brünstige und wilde Elefanten, schreckliche Giftschlangen, zuckende Blitze, Leichenstätten, Schlachtfelder und feurige Kohlengruben. Ebenso, wer da erkennt, wie in der Vergangenheit die Gebilde erloschen sind, die gegenwärtigen Gebilde erlöschen, und auch die in der Zukunft entstehenden Gebilde genau so erlöschen werden, dem steigt bei solcher Gelegenheit die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis auf.

 

Hierzu folgendes Gleichnis: - Eine Frau hatte drei Söhne, die sich gegen den Fürsten vergangen hatten, und der Fürst ordnete ihre Enthauptung an. Jene Frau nun begab sich mit ihren Söhnen zusammen zur Richtstätte. Nachdem man dem ältesten Sohne das Haupt abgeschlagen hatte, ging man daran, den mittleren zu enthaupten. Als die Frau aber sah, daß man ihrem ältesten Sohne das Haupt abgeschlagen hatte und nun daran war, den mittleren zu enthaupten, gab sie alle Anhänglichkeit zu ihrem jüngsten Sohne auf, denkend: 'Auch diesen wird ja dasselbe Schicksal ereilen wie die beiden anderen.' Genau nun, wie da die Frau sieht, daß ihrem ältesten Sohne das Haupt abgeschlagen ist, so erkennt der Übende, wie die vergangenen Gebilde alle erloschen sind. Wie aber die Frau sieht, daß man nun daran ist, den mittleren Sohn zu enthaupten, so erkennt der Übende, wie die gegenwärtigen Gebilde am Erlöschen sind: 'Auch diesen Gebilden wird es genau so ergehen wie jenen.' Wie dann die Frau alle Anhänglichkeit für den jüngsten Sohn aufgibt, denkend: 'Auch diesen wird dasselbe Schicksal ereilen', so erkennt der Übende, daß auch die zukünftigen Gebilde erlöschen werden: 'Auch die in der Zukunft entstehenden Gebilde werden sich auflösen.'

 

Noch ein weiteres Gleichnis: - Ein Weib mit einer Fehlgeburt, so sagt man, gebar zehn Kinder. Davon waren neun tot, und eines starb kurz nach der Geburt. Ein weiteres aber war noch im Mutterleib. Als die Frau nun die neun Kinder tot und das zehnte am Sterben sah, verlor sie alle Anhänglichkeit zu dem noch in ihrem Leibe befindlichen Kinde, denkend: 'Auch diesem wird es genau so ergehen wie den anderen.' - Wie da nun jene Frau des Todes ihrer neun Kinder gedenkt, so erkennt der Übende, daß die vergangenen Gebilde alle erloschen sind. Wie die Frau sieht, wie das von ihr empfangene Kind am Sterben ist, so erkennt der Übende, daß auch die zukünftigen Gebilde erlöschen werden. In dem Augenblick aber, wo er solches erkennt, steigt in ihm die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis auf.

 

Kennt nun die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis Furcht, oder kennt sie keine Furcht? Nein, sie kennt keine Furcht. Denn es ist bloß eine Feststellung, wenn man erkennt: 'Die vergangenen Gebilde sind erloschen, die zukünftigen werden erlöschen.' Wenn nämlich ein Mann, der Augen besitzt, am Stadttore drei Gruben voll glühender Kohlen erblickt, so empfindet er selber keine Furcht, sondern stellt bloß fest, daß alle, die da hineinfallen, nicht wenig zu leiden haben. Oder, wenn ein Mann, der Augen hat, drei in einer Reihe aufgepflanzte Speere - einen aus Akazienholz, einen aus Eisen und einen aus Gold - betrachtet, so empfindet er selber keine Furcht, sondern macht bloß die Feststellung: 'Alle, die sich auf diese Speere stürzen, werden nicht wenig zu leiden haben.' Genau so auch kennt die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis selber keine Furcht, sondern macht bloß die Feststellung: 'Jene vergangenen Gebilde, die den mit drei feurigen Kohlengruben und den drei Speeren vergleichbaren drei Daseinssphären angehören, sind nun erloschen, die gegenwärtigen sind am Erlöschen, und die zukünftigen werden erlöschen.' Insofern nun diese Erkenntnis alle den Daseinssphären, Daseinsschoßen, Daseinsfährten, Bewußtseinsstätten und Wesenswelten angehörenden Gebilde, die da voller Elend und Gefahren sind, als Schrecken sich völlig gewärtig hält, so nennt man diese Betrachtung das Sichgewärtighalten des Schreckens. Hinsichtlich solcher im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehenden Erkenntnis aber lautet der Text (Pts. II. p. 63):

 

"Wer die Gebilde als vergänglich ... elend ... unpersönlich betrachtet, was erscheint dem als Schrecken? Wer die Gebilde als vergänglich betrachtet, dem erscheint die 'Daseinsbedingung' (nimitta) als Schrecken. Wer sie als elend betrachtet, dem erscheint der 'Daseinsfortgang' (pavatta) als Schrecken. Wer sie als unpersönlich betrachtet, dem erscheint sowohl die Daseinsbedingung als auch der Daseinsfortgang als Schrecken."

 

Hierbei gilt als die 'Daseinsbedingung' (nimitta) die in den Karmaformationen bestehende Karmabedingung. Dies ist eine Bezeichnung für alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Karmaformationen. Wer nämlich die Gebilde als vergänglich erwägt, der betrachtet bloß noch den Tod der Gebilde. Daher erscheint ihm die Daseinsbedingung als Schrecken.

 

Als 'Daseinsfortgang' (pavatta) gilt der Fortgang des körperlichen und unkörperlichen Daseins. Wer nämlich die Gebilde als elend betrachtet, der sieht bei dem als etwas Glückliches geltenden Daseinsfortgang bloß noch das wiederholte Bedrücktwerden. Daher erscheint ihm der Daseinsfortgang als Schrecken.

 

Wer die Gebilde aber als unpersönlich betrachtet, dem erscheinen beide (Daseinsbedingung wie Daseinsfortgang) gleichsam wie ein leeres Dorf, eine Luftspiegelung, eine Geisterstadt u. dgl. Somit erscheinen ihm die Daseinsbedingung und der Daseinsfortgang beide als Schrecken.

 

Hier endet die im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis. 


Vis. XXI. 4. Die in der Elendbetrachtung bestehende Erkenntnis (ādīnavānupassanā-ñāna)

 

Während der Übende aber jene 'im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Erkenntnis' pflegt, entfaltet und häufig übt, zeigt sich ihm in all den Daseinssphären, Daseinsschoßen, Daseinsfährten, Bewußtseinsstätten und Wesenswelten weder Schutz noch Versteck noch Ausweg noch Zuflucht; und kein Verlangen und Haften befällt ihn auch nur bei einem einzigen unter den diesen Daseinssphären usw. angehörenden Gebilden.

Sie erscheinen ihm etwa so, wie dem auf ein angenehmes Leben bedachten furchtsamen Menschen ein zwar reizend gelegenes, aber die Behausung wilder Tiere bildendes Waldesdickicht usw. erscheint, oder wie eine von Panthern bewohnte Höhle oder von Krokodilen und Ungeheuern erfülltes Wasser oder Feinde mit gezückten Schwertern oder vergiftete Speise oder ein von Räubern besetzter Weg oder glühende Kohlen oder das von einem schlagfertigen Heere besetzte Schlachtfeld. Wie nämlich wegen des die Behausung wilder Tiere bildenden Waldesdickichts usw. jenem Manne sich vor Angst und Erregung die Haare sträuben und er überall nur Elend gewahrt, so auch sieht der Übungsbeflissene, wenn ihm bei Betrachtung der Auflösung alle Gebilde als Schrecken erscheinen, überall nur noch das Fade, das Unbefriedigende, das Elend. Und während er so die Dinge erkennt, gilt die Erkenntnis des Elends als in ihm aufgestiegen, mit Beziehung worauf es heißt (Pts.I.59f):

 

"Inwiefern aber gilt das im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Wissen als die Erkenntnis des Elends?

 

 

 

 

 

 

"Das gilt im Sinne des Erkennens als Erkenntnis, im Sinne des Wissens als Wissen. Somit gilt das im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Wissen als die Erkenntnis des Elends." -

 
 

 

Hier nun werden 5 Begriffe, nämlich Daseinsentstehung, Wiedergeburt, Daseinsfortgang, Daseinsbedingung, Karmische Anhäufung, als Objekte für die Erkenntnis des Elends erwähnt, die übrigen als ihre Synonyme. Insdaseintreten und Geburt: diese beiden Worte sind Synonyme für Daseinsentstehung und Wiedergeburt. Daseinsfährte und Entstehungsvorgang: diese beiden Worte sind Synonyme für Daseinsfortgang; Alter usw. für Daseinsbedingung. Darum wurde eben gesagt:

 

Ferner:
 

 
"'Das Nichtmehrentstehen ist Sicherheit': dies gilt als die Erkenntnis der Friedensstätte": dies wurde gesprochen, um die der Erkenntnis des Elends entgegengesetzte Erkenntnis zu zeigen. Oder man könnte annehmen, daß dies deshalb gesprochen wurde, um den Segen der Erkenntnis des Elends zu zeigen, der durch das Sichgewärtighalten des Schreckens zustandegekommen ist, weil nämlich dem Übungsbeflissenen die Daseinsentstehung usw. als Schrecken klar gewärtig und sein Geist dem entgegengesetzten Zustand zugeneigt ist.

 

Weil nun da aber jener Schrecken notwendigerweise ein Elend ist und das Elend - weil nicht frei von dem Köder der Daseinsrunde, dem Weltköder und dem Köder der befleckenden Leidenschaften - mit Weltlichkeit verknüpft ist, das aber mit Weltlichkeit Verknüpfte als bloßes Gebilde gilt, darum eben wurde gesagt:" 'Die Daseinsentstehung ist ein Elend': solches im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Wissen gilt als die Erkenntnis des Elends." Wenn dies auch so ist, so sollte man dennoch hier die Verschiedenheit des Daseinsfortganges mit Hinsicht auf die Verschiedenheit der Merkmale kennen, nämlich der Merkmale des Schreckens, des Elends und des mit Weltlichkeit Verknüpften.

 

'Damit aber besitzt der Übende das Wissen von den zehn Erkenntnissen' bedeutet: indem der Übende die Erkenntnis des Elends besitzt, besitzt, durchdringt und verwirklicht er 10 Erkenntnisse, nämlich: 5 die Daseinsentstehung usw. und 5 das Nichtmehrentstehen usw. betreffende Erkenntnisse.

 

'Und beider Wissen Tüchtigkeit' bedeutet: die Tüchtigkeit in diesen zwei Erkenntnissen, der Erkenntnis des Elends und der Erkenntnis der Friedensstätte.

 

'Bei (den vielen) Ansichten kein Schwanken kennt': d. h. nicht mehr ins Wanken gerät hinsichtlich der über das höchste, sichtbare Nirwahn u. dgl. bestehenden Ansichten.

 

Das Übrige ist hier ganz klar.

 

Hier endet die in Betrachtung des Elends bestehende Erkenntnis.

 


Vis. XXI. 5. Die in Betrachtung der Abwendung bestehende Erkenntnis (nibbidānupassanā- ñāna)

 

Während der Übende auf diese Weise alle Gebilde als Elend erkennt, wendet er sich ab von allen, den Daseinssphären, Daseinsschoßen, Daseinsfährten, Bewußtseinsstätten und Wesenswelten angehörenden vielartigen Gebilden, ist ihrer überdrüssig, findet keinen Gefallen mehr daran.

 

Hier endet die in Betrachtung der Abwendung bestehende Erkenntnis.

 

Diese Erkenntnis nun ist dem Sinne nach dieselbe wie die beiden früheren Erkenntnisse (3 und 4: Sichgewärtighalten des Schreckens und Elendbetrachtung). Darum sagten die Alten Meister:

 

"Wenn auch das Sichgewärtighalten des Schreckens bloß eine einzige Erkenntnis ist, so hat sie dennoch drei Namen erhalten. Weil sie nämlich alle Gebilde als Schrecken erkannt hat, ist der Name 'Sichgewärtighalten des Schreckens' aufgekommen. Weil sie bei eben jenen Gebilden das Elend offenbart hat, ist der Name 'Betrachtung des Elends' aufgekommen. Weil sie durch das Sichabwenden von eben jenen Gebilden aufgestiegen ist, ist der Name 'Betrachtung der Abwendung' aufgekommen."

 

Auch im Kanon (Pts. II. p. 63) heißt es: "Das im Sichgewärtighalten des Schreckens bestehende Wissen, die Erkenntnis des Elends und die Abwendung dieser Dinge haben die gleiche Bedeutung, nur ihr Wortlaut ist verschieden."


Vis. XXI. 6. Die Erkenntnis des Erlösungswunsches (muccitukamayatā-ñāna)

 

Indem aber der edle Sohn auf Grund dieser Erkenntnis der Abwendung sich von den Gebilden abwendet, ihrer überdrüssig wird und keinen Gefallen mehr daran findet, haftet sein Geist auch nicht mehr an einem einzigen von allen jenen Gebilden, die da eingeschlossen sind in den Daseinssphären, Daseinsschoßen, Daseinsfährten, Bewußtseinsstätten und Wesenswelten, hängt sich nicht mehr daran, wird dadurch nicht mehr gefesselt; sondern von allen Gebilden wünscht er sich zu befreien, wünscht ihnen zu entrinnen.

 

Womit aber läßt sich dies vergleichen? Es läßt sich vergleichen mit einem ins Netz geratenen Fische, einem im Rachen einer Schlange befindlichen Frosche, einem im Käfig eingesperrten Hahn, einem in der Gewalt einer festen Schlinge befindlichen Hirsch, einer in der Macht des Schlangenbeschwörers befindlichen Schlange, einem in tiefem Schlamm eingesunkenen Elefanten, dem in den Rachen des Drachen geratenen königlichen Schlangendämon, dem in den Rachen Rahus geratenen Mond, oder einem von Feinden umringten Manne usw. Wie alle diese Wesen dem oder jenem Zustande zu entkommen, zu entrinnen wünschen, so auch wünscht der Geist jenes Übenden von allen Gebilden sich zu befreien und ihnen zu entrinnen. Wer aber so bei allen Daseinsgebilden ohne Haften sich von jedem Daseinsgebilde zu befreien wünscht, in dem steigt die im Erlösungswunsche bestehende Erkenntnis auf.

 

Hier endet die im Erlösungswunsche bestehende Erkenntnis.


Vis. XXI. 7. Die in Nachdenkender Betrachtung bestehende Erkenntnis (patisankhānupassanā-ñāna)

 

Jener Übende, der so von allen Daseinssphären, Daseinsschoßen, Daseinsfährten, Bewußtseinsstätten und Wesenswelten sich zu befreien wünscht, erforscht, um sich von jedem Daseinsgebilde zu befreien, wiederum eben jene Gebilde, indem er vermittels der in Nachdenkender Betrachtung bestehenden Erkenntnis die 3 Merkmale feststellt.

 

Alle Gebilde erkennt er aus diesen Gründen als 'vergänglich' (anicca): weil sie ohne Dauer sind, nur eine Zeit lang bestehen, durch Entstehen und Hinschwinden begrenzt sind, hinfällig, wandelbar, zerbrechlich, unbeständig, dem Wechsel unterworfen, ohne Kern, nicht seiend, gezeugt, dem Sterben unterworfen usw.

 

Als 'elend' (dukkha) erkennt er sie aus folgenden Gründen: weil sie immer wieder bedrückt werden, schwer zu ertragen sind, als Grundlage der Leiden gelten, als Siechtum, Beule, Dorn, keinen Schutz, kein Versteck und keine Zuflucht bietend, als Elend, als des Übels Wurzel, als Mörder, als mit üblen Trieben verknüpft, als Lockspeise des Mahr, als Geburt, Alter, Krankheit, Kummer, Jammer, Verzweiflung und den befleckenden Leidenschaften unterworfen usw.

 

Als 'unrein' (asubha) erkennt er die Gebilde, weil sie behaftet sind mit den Merkmalen des Elends, d. i. weil sie unedel sind, übelriechend, ekelerregend, widerlich, nicht des Schmückens wert, hässlich und abstoßend.

 

Als 'unpersönlich' (anattā) erkennt er sie aus folgenden Gründen: weil sie etwas Fremdes sind, hohl, nichtig, leer, ohne Eigentümer, ohne Herrn, ohne einen, der Macht darüber hätte.

 

Wer so die Gebilde erkennt, von dem heißt es, daß er durch Feststellung der 3 Merkmale die Gebilde erfaßt hat.

 

Warum aber erforscht der Übende die Gebilde in solcher Weise! Um einen Weg zu seiner Befreiung zu erwirken. Hierzu folgendes Gleichnis: - Ein Mann, der Fische fangen will, nimmt sein Netz und befestigt es im Wasser. Während er nun seine Hand durch die Öffnung des Netzes steckt und dabei im Wasser eine Schlange am Halse packt, glaubt er, einen Fisch gefangen zu haben, und ist erfreut darüber: 'Ja, einen großen Fisch habe ich gefangen!' Als er aber seine Hand aus dem Wasser zieht und nachschaut, erkennt er an den drei Kreuzen, daß es eine Schlange ist. Und von Angst erfüllt, sein Elend erkennend, voll Ekel vor dem Festhalten und in der Absicht, sich zu retten, wendet er eine List an, um sich von ihr zu befreien: vom äußersten Schwanzende ab wickelt er die Schlange von seinem Arme ab und wirbelt sie dann mit erhobener Hand zwei oder drei Mal über seinem Kopfe im Kreise herum; so die Schlange entkräftet habend, schleudert er sie von sich mit dem Rufe: 'Fort mit dir, du falsche Schlange!' Darauf steigt er eiligst den Damm wieder hinauf. Dort bleibt er stehen, indem er auf den gekommenen Weg zurückblickt, und denkt: 'Wahrlich, dem Rachen einer mächtigen Schlange hin ich da entkommen!'

 

 

"Worüber nachgedacht habend steigt in dem die Gebilde als vergänglich, elend und unpersönlich Erwägenden die Erkenntnis auf? Über die Daseinsbedingung nachgedacht habend, steigt in dem die Gebilde als vergänglich' Erwägenden die Nachdenkende Erkenntnis auf. Über den Daseinsfortgang nachgedacht habend, steigt in dem die Gebilde als 'elend' Erwägenden die Erkenntnis auf. Sowohl über die Daseinsbedingung als auch über den Daseinsfortgang nachgedacht habend, steigt in dem die Gebilde als 'unpersönlich' Erwägenden die Nachdenkende Erkenntnis auf."

 

Hierbei nun bedeutet 'über die Daseinsbedingung nachgedacht habend' soviel wie: die als Gebilde geltende Daseinsbedingung mit Hinsicht auf das Merkmal der Vergänglichkeit, d. i. als unbeständig und nur eine Zeit lang dauernd, erkannt habend. Als ob man da zuerst erkenne und dann erst später die Erkenntnis aufsteige, so wurde dies in konventioneller Weise gesagt, gerade auch wie es geschieht in solchen Aussprüchen wie: 'Durch Geist und Geistobjekt bedingt (wörtl., zurückgegangen seiend auf Geist u. G.') steigt das Geistbewußtsein auf' usw. Oder man hat dies so zu verstehen, daß man, gemäß dem Einheitsprinzip das Frühere mit dem Späteren zu einem verbindend, so gesagt hat. In dieser Weise hat man auch an den übrigen beiden Stellen ('über den Daseinsfortgang nachgedacht habend' und 'sowohl über die Daseinsbedingung als auch über den Daseinsfortgang nachgedacht habend') den Sinn zu verstehen.

 

Hier endet die in Nachdenkender Betrachtung bestehende Erkenntnis.


Vis. XXI. 7a. Leerheitsbetrachtung

 

Nachdem der Übende vermittels der in Nachdenkender Betrachtung bestehenden Erkenntnis so die Gebilde als leer (suñña) erforscht hat: 'Leer sind die Gebilde alle', erforscht er fernerhin die zweifache Leerheit (suññatā): "Leer ist dies an einer Persönlichkeit und an etwas einer Persönlichkeit Angehörendem" (S. 25.85??).

 

Nachdem er so nun weder eine Persönlichkeit noch irgend etwas anderes der Persönlichkeit Angehörendes entdeckt hat, erforscht er ferner das, was als die vierfache Leerheit gelehrt wurde (M. 106), nämlich:

 

"Nicht bin ich irgendwo irgendwem irgendwas, und nicht gehört mir irgendwo in irgend einer Hinsicht irgendwas." Und in welches Weise?

 

Er erkennt: "Nicht bin ich irgendwo" (n'āham kvacani), d. h. er sieht nirgendwo seine Persönlichkeit (sein Ich).

 

Er erkennt: .Nicht bin ich irgendwem irgendwas" (n'āham kassaci kiñcanam asmi): er sieht nicht, daß er eine eigene Persönlichkeit aufweisen könnte, die für irgend einen anderen in irgend einer Hinsicht etwas sei, Bruder für den Bruder, Freund für den Freund, oder Eigentum für den Eigentümer.

 

"Und nicht gehört mir irgendwo" (na ca mama kvacani): Läßt man hier vorerst das Wörtchen 'mir' (mama) aus, also: 'Und nicht gehört irgendwo', so ist der Sinn dieser: 'Und nicht sieht er die Persönlichkeit des anderen irgendwo.' Fügt man nun das Wörtchen 'mir' bei, also 'Nicht gehört mir in irgend einer Hinsicht irgendwas', so ist der Sinn dieser: Er erkennt nicht des anderen Persönlichkeit als ihm selber in irgend einer Hinsicht angehörend, findet keinen, den er aufweisen und für einen Solchen halten könnte, wie etwa im Falle des Bruders den Bruder, im Falle des Freundes den Freund, oder im Falle eines Gebrauchsgegenstandes den Gebrauchsgegenstand. Weil nun so der Übende:

 

1. nirgendwo weder seine eigene Persönlichkeit sieht,
2. noch sie als dem anderen in irgend einer Beziehung angehörend entdecken kann,
3. noch des anderen Persönlichkeit sieht, noch
4. als ihm selber in irgend einer Beziehung angehörend entdecken kann, so hat eben jener Übende die vierfache Leere erfaßt.

 

Hat nun der Übende auf diese Weise die vierfache Leere erforscht, so erforscht er die Leerheit wiederum auf sechserlei Weise. Und in welcher Weise?

 

1. 'Leer ist das Auge an einer Persönlichkeit
2. an etwas einer Persönlichkeit Angehörendem,
3. an etwas Unvergänglichem,
4. an etwas Beständigem,
5. an etwas Ewigem,
6. an etwas dem Wechsel nicht Unterworfenem.
 

Ebenso ist es mit Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist, mit Form, Ton, Duft, Saft, Körpereindrucksobjekt, Geistobjekt, mit Sehbewußtsein usw. Seheindruck usw.' So hat man diese Erklärung bis zu Alter und Tod weiter auszuführen.

 

Hat nun der Übende so auf sechserlei Weise die Leerheit erforscht, so erforscht er die Leerheit wiederum auf achtfache Weise, nämlich 'Körperlichkeit ist ohne Kern, gehaltlos, leer an 1. Unvergänglichkeitsgehalt; leer an 2. Beständigkeitsgehalt, an 3. Glücksgehalt, an 4. Persönlichkeitsgehalt, leer an etwas 5. Unvergänglichem, 6. Beständigem, 7. Ewigem, 8. dem Wechsel nicht Unterworfenem.

 

Genau so ist es mit Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein, mit Auge, Ohr ... Altern und Sterben. Gleichwie Schilfrohr ohne Kern ist, gehaltlos und leer, ebenso die Rizinusstaude, der Feigenbaum, der Setavachabaum, der Kimsukabaum, oder ein Schaumballen, eine Wasserblase, eine Luftspiegelung, ein Bananenstamm, oder Gaukelwerk: genau so auch sind Körperlichkeit, Gefühl usw. ohne Kern, gehaltlos und leer.'

 

Hat nun der Übende so auf achtfache Weise die Leerheit erforscht, so erforscht er die Leerheit ferner wieder auf zehnfache Weise. Und in welcher Weise? Er betrachtet die Körperlichkeit als 1: hohl, 2. nichtig, 3. leer, 4. unpersönlich, 5. herrenlos, 6. ungefügig dem eigenen Wunsch, 7. nicht (wunschgemäß) erlangbar, 8. als etwas, worüber man keine Macht hat, 9. fremd, 10. abgesondert (von Vergangenheit und Zukunft). Genau so betrachtet er Gefühl, Wahrnehmung usw.

 

Hat er nun so auf zehnfache Weise die Leerheit erforscht, so erforscht er sie fernerhin wieder auf zwölffache Weise, nämlich: 'Die Körperlichkeit ist weder ein 1. Wesen, noch das 2. Lebensprinzip, noch 3. Mann, noch 4. Kind, noch 5. Frau, noch 6. Mensch, noch 7. Persönlichkeit, noch etwas 8. einer Persönlichkeit Angehörendes, noch 9. Ich, noch 10. Mein, noch 11. einem anderen angehörend, noch 12. irgendwem angehörend. Genau so ist es mit Gefühl, Wahrnehmung usw.'

 

Hat nun so der Übende auf zwölffache Weise die Leerheit erforscht, so erforscht er sie wiederum durch untersuchende Durchdringung in zweiundvierzigfacher Weise, nämlich: er betrachtet das Körperliche als vergänglich, leidvoll, Siechtum, Beule, Dorn, Übel, Bedrängnis, als etwas Fremdes, Hinfälliges, als Unheil, Unglück, Schrecken, Plage, als wandelbar, zerbrechlich, unbeständig, als keinen Schutz, kein Versteck, keine Zuflucht und keine Rettung bietend, als hohl, nichtig, leer, unpersönlich, unbefriedigend, elend, dem Wechsel unterworfen, als ohne Kern, des Übels Wurzel, als Mörder, nicht-seiend, mit üblen Trieben verknüpft, als erzeugt, als Lockspeise des Mahr, als der Geburt unterworfen, dem Alter unterworfen, der Krankheit unterworfen, dem Sterben unterworfen; als Kummer, Jammer, Leiden, Trübsal und Verzweiflung unterworfen; als mit Hinsicht auf Entstehung, auf Untergang und auf Entrinnung. Genau so betrachtet er Gefühl, Wahrnehmung usw. Auch wurde gesagt (CNid.p.278f): "Wer Körperlichkeit oder Gefühl oder Wahrnehmung oder Geistesformationen oder Bewußtsein usw. als vergänglich betrachtet ... mit Hinsicht auf Entstehung, Untergang und Entrinnung betrachtet, der schaut die Welt als leer an."

 


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