Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung

M. 147. (XV,5) Rāhulovāda Sutta (Rahulo)

DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapindikos.

Da kam dem Erhabenen in einsamer Abgeschiedenheit der Gedanke in den Sinn: 'Reif geworden sind bei Rahulo Dinge, die Erlösung reif werden lassen; wie, wenn ich nun Rahulo mehr noch zur Wahnversiegung bereitmachte?'

Und der Erhabene, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise, erhielt in der Stadt, von Haus zu Hause tretend, das Almosen, kehrte zurück, nahm das Mahl ein und wandte sich dann an den ehrwürdigen Rahulo:

"Versieh' dich, Rahulo, mit der Strohmatte: wir wollen nach dem Dunkeln Walde gehn, dort bis gegen Abend verweilen."

"Wohl, o Herr!" sagte da der ehrwürdige Rahulo, dem Erhabenen gehorchend; und er versah sich mit der Strohmatte und folgte dem Erhabenen Schritt um Schritt nach.

Um diese Zeit aber war der Erhabene von einer vieltausendfachen Geisterschar gefolgt: 'Heute wird der Erhabene den ehrwürdigen Rahulo mehr noch zur Wahnversiegung bereitmachen.'

Und der Erhabene zog sich ins Innere des Dunkeln Waldes zurück und setzte sich am Fuß eines Baumes, an geeignetem Orte nieder. Und auch der ehrwürdige Rahulo nahm, nach des Erhabenen Begrüßung, an der Seite Platz. An den ehrwürdigen Rahulo, der da zur Seite saß, wandte sich nun der Erhabene also:

"Was meinst du wohl, Rahulo: ist das Auge unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Was meinst du wohl, Rahulo: sind die Formen unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Was meinst du wohl, Rahulo: ist das Sehbewußtsein unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Was meinst du wohl, Rahulo: ist die Sehberührung unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Was meinst du wohl, Rahulo: was auch da durch Sehberührung bedingt an Gefühl hervorgeht, an Wahrnehmung hervorgeht, an Unterscheidung hervorgeht, an Bewußtsein hervorgeht, ist eben das unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Was meinst du wohl, Rahulo: ist das Ohr, die Nase, die Zunge, der Leib, der Geist unvergänglich oder vergänglich? Sind die Töne, die Düfte, die Säfte, die Tastungen, die Gedanken unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Was meinst du wohl, Rahulo: ist das Hörbewußtsein, das Riechbewußtsein, das Schmeckbewußtsein, das Tastbewußtsein, das Denkbewußtsein unvergänglich oder vergänglich? Ist die Hörberührung, die Riechberührung, die Schmeckberührung, die Tastberührung, die Denkberührung unvergänglich oder vergänglich? Was meinst du wohl, Rahulo: was auch da durch Hörberührung, durch Riechberührung, durch Schmeckberührung, durch Tastberührung, durch Denkberührung bedingt an Gefühl hervorgeht, an Wahrnehmung hervorgeht, an Unterscheidung hervorgeht, an Bewußtsein hervorgeht, ist eben das unvergänglich oder vergänglich?"

"Vergänglich, o Herr!"

"Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?"

"Weh', o Herr!"

"Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: 'Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst'?"

"Gewiß nicht, o Herr!"

"Bei solcher Betrachtung, Rahulo, wird der erfahrene heilige Jünger des Auges überdrüssig, der Formen überdrüssig, des Sehbewußtseins überdrüssig, der Sehberührung überdrüssig: und was auch da durch Sehberührung bedingt an Gefühl hervorgeht, an Wahrnehmung hervorgeht, an Unterscheidung hervorgeht, an Bewußtsein hervorgeht, eben dessen wird er überdrüssig, er wird des Ohres, der Nase, der Zunge, des Leibes, des Geistes überdrüssig der Töne, der Düfte, der Säfte, der Tastungen, der Gedanken überdrüssig, des Hörbewußtseins, des Riechbewußtseins, des Schmeckbewußtseins, des Tastbewußtseins, des Denkbewußtseins überdrüssig, der Hörberührung, der Riechberührung, der Schmeckberührung, der Tastberührung, der Denkberührung überdrüssig: und was auch da durch Hörberührung, durch Riechberührung, durch Schmeckberührung, durch Tastberührung, durch Denkberührung bedingt an Gefühl hervorgeht, an Wahrnehmung hervorgeht, an Unterscheidung hervorgeht, an Bewußtsein hervorgeht, eben dessen wird er überdrüssig. Überdrüssig wendet er sich ab. Abgewandt löst er sich los. 'Im Erlösten ist die Erlösung', diese Erkenntnis geht auf. 'Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt' versteht er da."

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich der ehrwürdige Rahulo über das Wort des Erhabenen.

Während da nun diese Darlegung stattgefunden, hatte sich beim ehrwürdigen Rahulo das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst.

Jener vieltausendfachen Geisterschar aber war das abgeklärte, abgespülte Auge der Wahrheit aufgegangen:
 

'Was irgend auch entstanden ist

Muß alles wieder untergehn.'


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