Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung

M. 118. (XII,8) Ānāpānasati Sutta (Bedachtsame Ein- und Ausatmung) 

(gekürzte, überarbeitete Vassung von Kurt Schmidt)

 

So habe ich es gehört:

                Einst weilte der Erhabene mit vielen berühmten älteren Jüngern auf der Terrasse der Mutter des Migara im Osthain bei Sāvatthi. Anwesend waren die ehrwürdigen Sāriputta, Mahamoggallāna, Mahakāssapa, Mahākaccana, Mahakótthita, Mahākāppina, Mahacunda, Anuruddha, Révata, Ananda und andere. Damals unterwiesen die älteren Bhikkhus die jüngeren, manche ältere unterwiesen 10, manche 20, manche 30, manche 40 jüngere. Die von den älteren Bhikkhus unterwiesenen jüngeren machten nach und nach große Fortschritte.

                Damals saß der Erhabene in einer Vollmondnacht zum Läuterungsfest[1] im Kreise der Bhikkhugemeinde unter freiem Himmel. Er blickte auf die stille und schweigende Versammlung und sagte: «Ich stehe fest auf dem Pfade. Strengt euch an, meine Bhikkhus, um das zu erreichen, was ihr noch nicht erreicht habt, um das zu verstehen, was ihr noch nicht verstanden habt! Ich will am nächsten Vollmondtag wieder nach Sāvatthi kommen.»

                Das hörten die im Landbezirk wohnenden Bhikkhus und zogen nach Sāvatthi, um den Erhabenen zu sehen. Die älteren Bhikkhus aber unterwiesen immer weiter die jüngeren, und diese machten nach und nach große Fortschritte. Dann saß der Erhabene wieder in der Vollmondnacht im Kreise der Bhikkhugemeinde unter freiem Himmel, blickte auf die stille und schweigende Versammlung und sprach:

                Achtsames Ein- und Ausatmen, meine Bhikkhus, trägt, wenn man es fleißig übt, reiche Frucht und hohen Lohn, es bringt die vierfache Achtsamkeitsübung zu voller Entfaltung, diese bringt die sieben Vorstufen des Erwachens zu voller Entfaltung, diese bringen, wenn sie fleißig geübt werden, die Befreiung durch Wissen[3] zu voller Entfaltung. Achtsames Ein- und Ausatmen wird auf solche Weise fleißig geübt und trägt dann reiche Frucht und hohen Lohn:

                Im Walde oder unter einem Baum oder in einem leeren Gemach setzt sich ein Bhikkhu mit gekreuzten Beinen nieder, den Oberkörper gerade aufgerichtet, und beginnt mit der Denkübung. Achtsam atmet er ein und aus. Atmet er lang ein, so ist er sich bewußt, daß er lang einatmet; atmet er kurz ein, so ist er sich bewußt, daß er kurz einatmet, atmet er lang oder kurz aus, so ist er sich bewußt, daß er lang oder kurz ausatmet. Dann übt er sich, jeden Atemzug voll empfindend ein- und auszuatmen; darauf übt er sich, so ein- und auszuatmen, daß der Körper dabei entspannt ist.

                Darauf empfindet er beim Ein- und Ausatmen Begeisterung, dann Wohlbehagen, dann die gestaltende Tätigkeit des Denkens; darauf bringt er beim Atmen die gestaltende Tätigkeit des Denkens zur Ruhe, dann beobachtet er beim Atmen den Denkvorgang, dann freut er sich sehr über das Denken, dann sammelt er seine Gedanken, dann macht er das Denken frei; ferner betrachtet er beim Atmen die Vergänglichkeit, das Schwinden der Leidenschaften, das Aufhören, das Entsagen.

                Wie bringt achtsames Ein- und Ausatmen, wenn es fleißig geübt wird, die vierfache Achtsamkeit zu voller Entfaltung? Hat ein Bhikkhu die Atemübung so weit durchgeführt, daß der Körper entspannt ist, dann sinnt er eifrig, mit klarem Geist und achtsam über den Körper nach, während er alle weltlichen Wünsche und Sorgen vergißt. Unter den Körpern ist das Ein- und Ausatmen auch ein Körper, sage ich. Darum sinnt ein Bhikkhu dabei über den Körper nach.[6]

                Während er beim Ein- und Ausatmen Begeisterung, dann Wohlbehagen, dann die gestaltende Tätigkeit des Denkens empfindet und schließlich die gestaltende Tätigkeit des Denkens zur Ruhe bringt, sinnt er eifrig, mit klarem Geist und achtsam über die Gefühle nach, indem er weltliche Wünsche und Sorgen vergißt. Unter den Gefühlen ist das Ein- und Ausatmen auch ein Gefühl, sage ich. Darum sinnt ein Bhikkhu dabei über die Gefühle nach.

                Während er beim Ein- und Ausatmen den Denkvorgang beobachtet, sich sehr über das Denken freut, seine Gedanken sammelt und sein Denken frei macht, sinnt er eifrig, mit klarem Geist und achtsam über die Gedanken nach, indem er weltliche Wünsche und Sorgen vergißt. Mit zerstreutem und unklarem Geist kann man nicht achtsames Ein- und Ausatmen üben, sage ich. Darum sinnt ein Bhikkhu dabei über die Gedanken nach.   

                Während er beim Ein- und Ausatmen die Vergänglichkeit, das Schwinden der Leidenschaften und das Entsagen betrachtet, sinnt er eifrig, mit klarem Geist und achtsam über die Gegenstände der Lehre[7] nach. Nachdem er das Schwinden der Wünsche und Sorgen erkannt und geschaut hat, ist er ganz und gar gleichmütig geworden. Darum sinnt ein Bhikkhu dabei über die Gegenstände der Lehre nach.

                Auf diese Weise bringt achtsames Ein- und Ausatmen die vierfache Achtsamkeitsübung zu voller Entfaltung, und so bringt die Achtsamkeitsübung die sieben Vorstufen des Erwachens zu voller Entfaltung. 

  1. Während ein Bhikkhu die Betrachtung des Körpers übt, wird seine Achtsamkeit nicht abgelenkt. Somit hat er die Erwachensvorstufe <Achtsamkeit> erreicht. Diese pflegt er dann und bringt sie zu voller Entfaltung. 

  2. Während er nun achtsam über die Lehre nachsinnt und die Wahrheit ergründet, erreicht er die Erwachensvorstufe <Ergründung der Wahrheit>. 

  3. Indem er sie voll entfaltet, erstarkt seine Tatkraft. Somit erreicht er die Erwachensvorstufe <Tatkraft>; 

  4. indem er sie voll entfaltet, entsteht in ihm Begeisterung. Somit erreicht er die Erwachensvorstufe <Begeisterung>; 

  5. dabei beruhigt sich sein Körper und er erreicht die Erwachensvorstufe <Ruhe>. 

  6. Bei beruhigtem Körper fühlt er sich wohl und sein Geist sammelt sich; so erreicht er die Erwachenstufe <Geistessammlung>. 

  7. Ist sein Geist gesammelt, so wird er ganz und gar gleichmütig; so erreicht er die Erwachensvorstufe <Gleichmut>. Diesen pflegt er und bringt ihn zu voller Entfaltung. 

Ebenso ist der Hergang, wenn der Bhikkhu die Betrachtung der Gefühle, der Gedanken und der Gegenstände der Lehre übt[8].

                Und wie führen die sieben Vorstufen des Erwachens, wenn sie fleißig geübt werden, zur Befreiung durch Wissen? Die Pflege der sieben Erwachensvorstufen setzt voraus: Alleinsein, Freisein von Leidenschaften, Aufhörenlassen und vollständiges Entsagen. So führen sie zur Befreiung durch Wissen.


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[1]pavāranā, um Ende der Regenzeit. Danach begann wieder das Wandern.

[3]vijjāvimutti, <Befreiung durch Wissen>, kommt in den alten Texten nicht vor. In alten Texten steht paññavimutti.

[7]dhammā, daß es hier nicht <Geistobjekte, (Nyanaponika) oder gar <Erscheinungen>, (Neumann) bedeutet, kann nach der obigen Aufzählung nicht zweifelhaft sein.

[8]Im Text wörtlich wiederholt.