Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung

19. (II,9) Dvedhāvitakka Sutta, Zweierlei Erwägungen

DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapindikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Mönche: "Ihr Mönche!" - "Erlauchter!" antworteten da jene Mönche dem Erhabenen aufmerksam. Der Erhabene sprach also:

"Früher, ihr Mönche, noch vor der vollen Erwachung, kam mir, dem unvollkommen Erwachten, Erwachung erst Erringenden, dieser Gedanke: 'Wie, wenn ich nun die Erwägungen nach der einen und nach der anderen Seite sonderte?' Und ich sonderte nun, ihr Mönche, die Erwägungen des Begehrens, Schadens und Wütens nach der einen Seite, und sonderte die Erwägungen des Entsagens, Nichtschadens, Nichtwütens nach der anderen Seite. Als mir nun, Mönche, bei diesem ernsten, eifrigen, heißen Mühen eine Erwägung des Begehrens aufstieg, sagte ich mir: 'Aufgestiegen ist mir da diese Erwägung des Begehrens; und sie führt zu eigener Beschränkung und führt zu fremder Beschränkung, sie führt zu beider Beschränkung, rodet die Weisheit aus, bringt Verstörung mit sich, führt nicht zur Wahnerlöschung, führt zu eigener Beschränkung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. 'Führt zu fremder Beschränkung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. 'Führt zu beider Beschränkung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. 'Rodet die Weisheit aus, bringt Verstörung mit sich, führt nicht zur Wahnerlöschung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. Und so oft nun, ihr Mönche, eine Erwägung des Begehrens in mir aufstieg, da verleugnete, vertrieb, vertilgte ich sie eben.

"Als mir nun, Mönche, bei diesem ernsten, eifrigen, heißen Mühen eine Erwägung des Schadens, eine Erwägung des Wütens aufstieg, sagte ich mir: 'Aufgestiegen ist mir da diese Erwägung des Schadens, diese Erwägung des Wütens; und sie führt zu eigener Beschränkung und führt zu fremder Beschränkung, sie führt zu beider Beschränkung, rodet die Weisheit aus, bringt Verstörung mit sich, führt nicht zur Wahnerlöschung, führt zu eigener Beschränkung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. 'Führt zu fremder Beschränkung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. 'Führt zu beider Beschränkung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. 'Rodet die Weisheit aus, bringt Verstörung mit sich, führt nicht zur Wahnerlöschung': da ich also sann, ihr Mönche, löste sie sich auf. Und so oft nun, ihr Mönche, eine Erwägung des Schadens, eine Erwägung des Wütens in mir aufstieg, da verleugnete, vertrieb, vertilgte ich sie eben.

"Was da, ihr Mönche, ein Mönch lange erwägt und überlegt, dahin neigt sich der Sinn. Wenn der Mönch, ihr Mönche, eine Erwägung des Begehrens lange erwägt und überlegt, so hat er die Erwägung des Entsagens verleugnet, die Erwägung des Begehrens großgezogen, und sein Herz neigt sich zur Erwägung des Begehrens. Wenn der Mönch, ihr Mönche, eine Erwägung des Schadens, eine Erwägung des Wütens lange erwägt und überlegt, so hat er die Erwägung des Nichtschadens, die Erwägung des Nichtwütens verleugnet, die Erwägung des Schadens, die Erwägung des Wütens großgezogen, und sein Herz neigt sich zur Erwägung des Schadens, zur Erwägung des Wütens.

"Gleichwie etwa, ihr Mönch, ein Rinderhirt im letzten Monat der Regenzeit, im Herbste, wenn die Ernte eingebracht ist, seine Herde sammelt, die Rinder von da und von dort herantreibt, herzutreibt und in die Hürden und Ställe bringt, und warum das? Weil ja sonst, ihr Mönche, der Hirt gewissen Verlust oder Nachteil, Unglück oder Unbill gewärtigen müßte: ebenso nun auch, ihr Mönche, merkte ich da des Schlechten Elend, Erbärmlichkeit und Besudelung und des Guten heilsamen Einfluß in der Entsagung.

 

"Als mir nun, Mönche, bei diesem ernsten, eifrigen, heißen Mühen eine Erwägung des Entsagens aufstieg, sagte ich mir: 'Aufgestiegen ist mir da diese Erwägung des Entsagens; und sie führt wahrlich nicht zu eigener Beschränkung, nicht zu fremder Beschränkung, führt zu keines Beschränkung, fördert die Weisheit, bringt keine Verstörung mit sich, führt zur Wahnerlöschung. Ob ich sie nun, ihr Mönche, bei Nacht erwäge und überlege, ob ich sie nun, ihr Mönche, bei Tag erwäge und überlege, ich kann in ihr nichts Schreckliches finden: ob ich sie gleich, ihr Mönche, Tag und Nacht erwäge und überlege, ich kann in ihr nichts Schreckliches finden. Aber gäbe ich mich dem Erwägen und Überlegen zu lange hin, so würde mein Körper ermüden, bei müdem Körper das Herz matt werden, und das matte Herz ist fern von der Selbstvertiefung.' Da faßte ich denn, ihr Mönche, mein Herz innig zusammen, beruhigte es, einigte es, festigte es, und warum das ? Damit mein Herz nicht matt werde.

"Als mir nun, ihr Mönche, bei diesem ernsten, eifrigen, heißen Mühn eine Erwägung des Nichtschadens, eine Erwägung des Nichtwütens aufstieg, sagte ich mir: 'Aufgestiegen ist mir da diese Erwägung des Nichtschadens, diese Erwägung des Nichtwütens; und sie führt wahrlich nicht zu eigener Beschränkung, nicht zu fremder Beschränkung, führt zu keines Beschränkung, fördert die Weisheit, bringt keine Verstörung mit sich, führt zur Wahnerlöschung. Ob ich sie nun, ihr Mönche, bei Nacht erwäge und überlege, ob ich sie nun, ihr Mönche, bei Tag erwäge und überlege, ich kann in ihr nichts Schreckliches finden: ob ich sie gleich, ihr Mönche, Tag und Nacht erwäge und überlege, ich kann in ihr nichts Schreckliches finden. Aber gäbe ich mich dem Erwägen und Überlegen zu lange hin, so würde mein Körper ermüden, bei müdem Körper das Herz matt werden, und das matte Herz ist fern von der Selbstvertiefung.' Da faßte ich denn, ihr Mönche, mein Herz innig zusammen, beruhigte es, einigte es, festigte es, und warum das? Damit mein Herz nicht matt werde.

"Was da, ihr Mönche, ein Mönch lange erwägt und überlegt, dahin neigt sich der Sinn. Wenn der Mönch, ihr Mönche, eine Erwägung des Entsagens lange erwägt und überlegt, so hat er die Erwägung des Begehrens verleugnet, die Erwägung des Entsagens großgezogen, und sein Herz neigt sich zur Erwägung des Entsagens. Wenn der Mönch, ihr Mönche, eine Erwägung des Nichtschadens, eine Erwägung des Nichtwütens lange erwägt und überlegt, so hat er die Erwägung des Schadens, die Erwägung des Wütens verleugnet, die Erwägung des Nichtschadens, die Erwägung des Nichtwütens großgezogen, und sein Herz neigt sich zur Erwägung des Nichtschadens, zur Erwägung des Nichtwütens.

"Gleichwie etwa, ihr Mönche, ein Rinderhirt im letzten Monat des Sommers, wenn das Korn auf den Feldern ringsum in voller Reife steht, seine Herde hüten und im Walde wie auf der Wiese wohl achthaben muß: 'Die Rinder sind da': ebenso nun auch, ihr Mönche, mußte ich da wohl achthaben: 'Die Dinge sind da.'

 

  1. "Gestählt war aber, ihr Mönche, meine Willenskraft, unbeugsam, gewärtig die Achtsamkeit, unverrückbar, beruhigt der Körper, ohne Regung, vertieft das Gemüt, einig. Und ich weilte nun, ihr Mönche, gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, in sinnend erwägender ruhegeborener seliger Heiterkeit, in der Weihe der ersten Schauung. 

  2. Nach Vollendung des Sinnens und Erwägens erwirkte ich innere Meeresstille, Einheit des Gemütes, sinnens und erwägens freie, in Einigung geborene selige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung. 

  3. In heiterer Ruhe weilte ich gleichmütig, einsichtig, klar bewußt, ein Glück empfand ich im Körper, von dem die Heiligen sagen: 'Der gleichmütig Einsichtige lebt beglückt'; so erwirkte ich die Weihe der dritten Schauung. 

  4. Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkte ich die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmütig einsichtigen vollkommenen Reine, die vierte Schauung.

 

"Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtete ich das Gemüt auf die erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen. Ich erinnerte mich an manche verschiedene frühere Daseinsform, als wie an ein Leben, dann an zwei Leben, dann an drei Leben, dann an vier Leben, dann an fünf Leben, dann an zehn Leben, dann an zwanzig Leben, dann an dreißig Leben, dann an vierzig Leben, dann an fünfzig Leben, dann an hundert Leben, dann an tausend Leben, dann an hunderttausend Leben, dann an die Zeiten während mancher Weltenentstehung, dann an die Zeiten während mancher Weltenvergehungen, dann an die Zeiten während mancher Weltenentstehungen - Weltenvergehungen. 'Dort war ich, jenen Namen hatte ich, jener Familie gehörte ich an, das war mein Stand, das mein Beruf, solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende; dort verschieden trat ich anderswo wieder ins Dasein: da war ich nun, diesen Namen hatte ich, dieser Familie gehörte ich an, dies war mein Stand, dies mein Beruf, solches Wohl und Wehe habe ich erfahren, so war mein Lebensende; da verschieden trat ich hier wieder ins Dasein.' So erinnerte ich mich mancher verschiedenen früheren Daseinsform, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen. Dieses Wissen, ihr Mönche, hatte ich da in den ersten Stunden der Nacht als erstes errungen, das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen, das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, als ich in so ernstem, eifrigem, heißem Mühn verweilte.

"Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtete ich das Gemüt auf die Erkenntnis des Verschwindens - Erscheinens der Wesen. Mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, sah ich die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, ich erkannte wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. 'Diese lieben Wesen sind freilich in Taten dem Schlechten zugetan, in Worten dem Schlechten zugetan, in Gedanken dem Schlechten zugetan, tadeln Heiliges, achten Verkehrtes, tun Verkehrtes; bei der Auflösung des Leibes, nach dem Tode, gelangen sie auf den Abweg, auf schlechte Fährte, zur Tiefe hinab, in untere Welt. Jene lieben Wesen sind aber in Taten dem Guten zugetan, in Worten dem Guten zugetan, in Gedanken dem Guten zugetan, tadeln nicht Heiliges, achten Rechtes, tun Rechtes; bei der Auflösung des Leibes, nach dem Tode, gelangen sie auf gute Fährte, in selige Welt.' So sah ich mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, ich erkannte wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren. Dieses Wissen, ihr Mönche, hatte ich da in den mittleren Stunden der Nacht als zweites errungen, das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen, das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, als ich in so ernstem, eifrigem, heißem Mühn verweilte.

"Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtete ich das Gemüt auf die Erkenntnis der Wahnversiegung. 

 

 

Also erkennend, also sehend ward da mein Gemüt erlöst vom Wunscheswahn, erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. 'Im Erlösten ist die Erlösung', diese Erkenntnis ging auf. 'Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt' verstand ich da. Dieses Wissen, ihr Mönche, hatte ich nun in den letzten Stunden der Nacht als drittes errungen, das Nichtwissen zerteilt, das Wissen gewonnen, das Dunkel zerteilt, das Licht gewonnen, als ich in so ernstem, eifrigem, heißem Mühn verweilte.

"Gleichwie etwa, ihr Mönche, wenn eine große Herde Wildes in waldigem Tale auf weiten sumpfigen Moorgrund geraten wäre, und irgendein Mensch wollte ihr übel, sinne auf ihr Verderben und Unheil; da versperrte er den Weg, der sicher, günstig, fröhlich zu wandeln ist, und ließe den Abweg offen, der zum Sumpfe führt, triebe sie hin: so würde nun, Mönche, diese große Herde Wildes bald schwinden und abnehmen. Doch wenn sich, ihr Mönche, irgendein Mensch dieser großen Herde Wildes erbarmte, auf ihr Wohl und Heil sinne, möchte er den Weg, der sicher, günstig, fröhlich zu wandeln ist, offenbar machen, den Abweg versperren, die sumpfige Fährte verrammeln, die Tiere von dort verscheuchen: so würde nun, Mönche, diese große Herde Wildes bald zunehmen, blühen und gedeihen.

 

"Ein Gleichnis habe ich da, meine Mönche, gegeben, um den Sinn zu erklären. Das aber ist nun der Sinn. 

"Und so habe ich, Mönche, den sicheren Weg, der günstig und fröhlich zu wandeln ist, offenbar gemacht, den Abweg versperrt, die sumpfige Fährte verrammelt, den Gang in den Sumpf verleidet. Was ein Meister, ihr Mönche, den Jüngern aus Liebe und Teilnahme, von Mitleid bewogen, schuldet, das habt ihr von mir empfangen. Da laden, ihr Mönche, Bäume ein, und dort leere Klausen. Wirket Schauung, Mönche, auf daß ihr nicht lässig werdet, später nicht Reue empfindet: das haltet als unser Gebot."

"Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.


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