SUTTA-NIPĀTA, Lehr-Dichtungen

Die Fragen der Priesterjünger

V.1. Ājita (Ājita-Mānava-Pucchā)

 

(Anhang B.2 gibt Erläuterungen zu dieser Sutte aus dem Nettippakarana.)

 

1032 AJITA

Wodurch verhüllt ist diese Welt?
Wodurch denn ist sie ohne Licht?
Was ist's, o künde, das sie unrein macht?
Was ist in ihr die große Furcht?

 


Das sie unrein macht (abhilepanam), wtl.: die Beschmierung; CNidd erklärt durch die Begriffsreihe: "das Klebrige, Anhaftende; die Fessel, die Befleckung (upakkilesa)."


 

1033 DER ERHABENE

Unwissen ist es, das die Welt verhüllt.
Durch Habsucht und durch Lässigkeit, -
Durch diese ist sie ohne Licht.
Gelüsten macht sie unrein, sag' ich;
Das Leid ist ihre große Furcht.

 


Durch Habsucht (vevicchā; auch in v. 941); wohl von Skr. vevitsā, Desiderativum (Wunschform) von Ö vid: der Wunsch. etwas kennen zu lernen. Im Pali hat das Wort allerdings seine eigene Entwicklung genommen und hat hier die Bedeutung 'Verlangen- oder 'Habsucht'. Als Beleg hierfür siehe Puggala-Paññatti, wo vevicchā in der sich an lobha (Gier) anschließenden Synonymen-Reihe erscheint, und zwar zwischen macchariya (Eifersucht, Neid) und kadariya (Geiz). MNidd erklärt es mit macchariya. Der Begriff dürfte zu verstehen sein als das unruhige, rastlose Verlangen und vielleicht, in Anknüpfung an die obige Sanskrit-Bedeutung, die Sucht nach immer neuen Reizen und Genüssen. die 'Genuß-Neugier'. - Im Netti-P. (s. Anhang B. 2) wird vivicchā (so dortige Lesart) allerdings mit vicikicchā (Zweifel) erklärt: "Ein Mensch. der von den 'Hemmungen' (nīvarana) verhüllt ist (nivuto- s. Verszeile a), zweifelt (vivicchati). Vivicchā bedeutet nämlich 'Zweifel'." Diese Erklärung ist jedoch sicher unzutreffend.

Gelüsten macht sie unrein (japp'ābhilepanam). K: "Begehren (tanhā) ist nämlich für diese Welt wie die Leimrute (lepa- Hindeutung auf abhilepanam) für die Affen." Die Ausführung dieses Gleichnisses findet sich im Samyutta-Nikāya, 47,7.


 

1034 AJITA

Die Ströme fließen überall, -
Was ist es, das die Ströme hemmt?
Verkünd' uns der Strömungen Abwehr,
Wodurch man die Strömungen dämmt!

 


Die Ströme. K: "die nach den Sehobjekten usw. hinfließenden Begehrens-ströme." Dies ist auch belegt durch Dhammapada v. 339, wo von den 36 Strömungen gesprochen wird; dies bezieht sich auf die im Angutt.-Nik. (Übers. v. Nyanatiloka: Vierer-Buch, Nr. 199) behandelten '36 Fährten oder Gedanken des Begehrens' (tanhā-vicaritāni). Der darauf folgende Dhammapada-Vers 340 beginnt ührigens mit den gleichen Worten, wie unser Sn-Vers: Savanti sabbadhī sotā. Vgl. ferner Itivuttaka 109: "Die Strömung des Flusses, das, ihr Mönche, ist eine Bczeichnung für das Begehren." Siehe auch Anhang B. 2.


 

1035 DER ERHABENE

Die Ströme (des Begehrens) in der Welt
Durch Achtsamkeit sind sie gehemmt.
Der Strömungen Abwehr künd' ich:
Die Weisheit ist es, die sie dämmt.

 


Zeile d. - Weisheit: In der Zusammenstellung mit 'Achtsamkeit' (sati; Zeile b) mag auch hier, wie in v. 969 (s. Anm.), besonders an die 'Wissensklarheit' (sampajañña) zu denken sein.


 

1036 AJITA

Weisheit und Achtsamkeit und (ihre Stütze), Geist und Körper, -
Wo dieses schwindet, künd' es, Herr, auf meine Frage!

 


Zeile a - Hinzufügung in ( ) laut Komm. zu Netti-Pakarana (s. Anhang B. 2).


 

1037 DER ERHABENE

Auf diese Frage, die du stelltes,
Will ich dir's sagen, Ājita,
Wo Geist und Körper restlos schwindet:
Durch des Bewußtseins Schwinden ist's,
Daß diese beiden gleichfalls schwinden!

 


Zeile d/e. - K: (Geist und Körper schwinden) zusammen mit dem Bewußtsein, nicht früher und nicht später." - CNidd: "Durch Aufhebung des Karma-erzeugenden Bewußtseins (abhisankhāra-viññāna)."


 

1038 AJITA

Die (heilige) Ergründer sind der Dinge und auch die vielen 'Kämpfer' hier,
Nach ihrem Wandel frage ich den Weisen.
Ihn magst du, o Verehrter, mir verkünden!

 


(Heilige) Ergründer der Dinge (sankhāta-dhammāse). CNidd: "die Heiligen." Dieser Vers wird im Samyutta-Nikāya, 12, 31 (Geigers Übers. II, S. 68ff) zitiert und von Sāriputta erklärt.

Kämpfer (sekhā; wtl.: Übende). So werden diejenigen genannt, die eine der ersten sieben Hohen Pfade und Ziele erreicht haben, d.h. bis zum Heiligkeits-Pfad (arahatta-magga) einschließlich. Die achte Stufe ist das Heiligkeits-Ziel (arahatta-phala), bei dessen Erreichung man als asekha, d.h. als 'Kampfeslediger' gilt.


 

 

1039 DER ERHABENE

Nach Sinnen-Lüsten möge er nicht gieren,
Den Geist halt' er von Trübung frei,
Und kundig meisternd alle Dinge
geh' achtsam seines Wegs der Mönch!

 


V.2. Tissa-Metteyya

 

1040 TISSA-METTEYA

Wer lebt zufrieden hier in dieser Welt?
Wer ist von jeder Regung frei?
Wer, hat er beide Enden klar durchschaut,
Bleibt in der Mitte unberührt als Denker?
Wen nennst du einen Großen Mann?
Wer überwand die Näherin (Begehren)?

 


Regung (iñjita) ist vor allem die Begehrens-Regung; s Vers 750.

Näherin; s. Anm. 1042.


 

1041 DER ERHABENE

Inmitten Sinnen-Dingen wer den Reinen Wandel führt.
Frei von Begehren, stets voll Achtsamkeit,
Der Mönch, der als Ergründer Stillung fand,
Nicht gibt es Regung mehr in ihm.

 


Als Ergründer (wtl.: in Ergründung; samkhāya); vgl. v. 1038 m. Anm.


 

1042

Wer beide Enden klar durchschaut,
Bleibt in der Mitte unberührt als Denker.
Ihn nenn' ich einen Großen Mann.
Er überwand die Näherin (Begehren).

 


Wer beide Enden klar durchschaut; vgl. v. 778 m. Anm.

Er überwand die Näherin (Begehren) (so'dha sibbanim accagā). Die Erklärung in ( ) ist durch Angutt.-Nik., Sechser-Buch, Nr. 61 belegt, wo v. 1042 zitiert und von den Mönchen erörtert wird. Der Buddha selber äußert sich dort wie folgt:

"Alle der Reihe nach, ihr Mönche, habt ihr recht gesprochen. Worauf sich aber im 'Weg zum Anderen Ufer' (parāyane) meine Antwort auf Metteyyas Frage bezog, das sollt ihr nun erfahren . . . Der Sinnen-Eindruck, ihr Mönche, bildet das eine Ende, die Entstehung des Sinnen-Eindrucks das andere Ende, die Aufhebung des Sinnen-Eindrucks die Mitte, das Begehren (tanhā) aber ist die Näherin. Denn das Begehren näht (oder heftet; sibbati) sie (d.i. die beiden Enden) zusammen zur Entstehung dieser oder jener Daseinsform."

In, Atthasālinī' (dem Kommentar zum Abhidhamma-Werk 'Dhammasangani') heißt es: "Die Gier (lobha) gilt als Näherin im Sinne des Aneinanderfügens; denn die Gier näht oder heftet durch Tod und Wiedergeburt die Wesen im Daseinskreislauf aneinander, wie ein Schneider ein Tuch an ein anderes."

Das Bild von der Näherin wird zuerst von dem befragenden Brahmanen gebraucht, und wir dürfen daher annehmen, daß er dabei an die altindische, ihm sicher vertraute Lehre vom 'Weltfaden' oder 'Faden-Ātman' (sūtr'ātman) gedacht hat, für die im folgenden einige Belege gegeben werden. Die Antwort des Buddha darf somit als eine Ablehnung und Berichtigung dieser Lehre aufgefaßt werden.

Satapatha-Brāhmana: "Die Sonne ist der Haken (der Anhalts- oder Anknüpfungspunkt; āsañjana), an den diese Welten geknüpft sind vermittels der Himmelsrichtungen . . . Sie bindet diese Welten an sich durch den Faden-Ātman." - In der vorbuddhistischen Brhadāranyaka-Upanisad (3, 7) heißt es: "Kennst du jenen Faden, von welchem diese Welt und die andere Welt und alle We!ten zusammengebüschelt werden? . . . Kennst du jenen inneren Lenker, der diese Welt und die andere Welt und alle Wesen innerlich regiert? . . . Wahrlich, wer jenen Faden kennt und jenen inneren Lenker . . ., der kennt alles . . . Der Wind (vāyu) fürwahr ist jener Faden . . . Der die Erde usw. innerlich regiert, der ist deine Seele, der innere Lenker, der unsterbliche" (Deussen "Sechzig Upanishads", p. 439ff; s. auch p. 660, 683). Deussen bemerkt hierzu: "Da Vāyu (der Wind) als psychischer und kosmischer Prāna nur ein Symbol des Ātman, dieser aber wiederum der Antaryāmin oder innere Lenker der Wesen ist, so sind Vāyu und Antaryāmin im Grunde identisch, und als einheitlicher Gedanke des ganzen Abschnittes läßt sich bezeichnen, daß der Ātman das erkennende Subjekt in uns, sowohl von innen alle Dinge regiert als auch von außen alles Einzelne wie das Weltganze in seinem Bestande zusammenhält." Āruneya-Up: "Das Brahman ist die Schnur (sūtram)" (Deussen, 1. c., p. 693) - Shankara: "Wie Holzpuppen durch Pflöcke und Schnüre bewegt werden, so wird die Welt vom Faden-Ātman gelenkt." Interessante europäische Quellen für das Bild vom (goldenen) Faden gibt Ananda K. Coomāraswamy in "Figures of Speech or Figures of Thought" (London 1946), p. 116, 224, 236. Zum Bild von der Näherin vgl. auch die verwandte mythologische Vorstellung von den Schicksals-Spinnerinnen, den Nornen und Parzen.

Dem Buddha zufolge ist es also die Begierde, die all diesen verschiedenen Vorstellungen vom 'Weltfaden' oder 'Faden-Ātman' zugrundeliegt. Sie ist die wahre 'Näherin'; sie ist die webende, bindende und zusammenhaltende Kraft, nach der schon uraltes Denken fragte.


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