Peta Vatthu

II. 12. Das Lied vom (Schwur beim) ohrenlosen Hunde

(Gespräch einer Vimānapetī mit dem Könige von Benares, der von ihr auf ihr Vimāna entführt worden war.)

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Dieses Vatthu enthält ähnlich wie II. 11 den Besuch bei einer Vimānagöttin, nur daß es im ersten Teile weiter ausgeführt, im zweiten Teile kürzer gehalten ist. Es ist eines der interessantesten unserer Sammlung. Die wichtigsten Punkte kommen durch die Rahmenerzählung deutlicher zum Bewußtsein, die ich deshalb im Auszug wiedergeben möchte.

Eine Frau in Kimbilā hatte Ehebruch begangen, schwört ihn aber ab mit dem Schwur, daß ein Hund mit abgeschnittenen Ohren (kannamunda) sie im Jenseits fressen soll, wenn es wahr ist. Sie stirbt an Gewissensbissen und kommt an einem der sieben großen Seen des Himālaya (am Kannamunda) zur Peta-Existenz. Fünfzig andere Frauen, die in derselben Sache einen falschen Schwur getan haben, werden diesem entsprechend als ihre Dienerinnen wiedergeboren. Als Belohnung für ihre guten Werke genießt sie die Freuden eines herrlichen Palastes, und die Summe ihrer guten Taten verdichtet sich in einen wunderbaren Lotusteich in der Nähe des Schlosses. Bei Tage lebt sie herrlich und in Freuden, um Mitternacht aber treibt die Macht der bösen Tat sie von ihrem Lager auf, und sie geht hinaus an den Teich. Hier erscheint dann der furchtbare Hund, der p. 152 16-19 geschildert wird (s. S. 38). Dieser frißt sie auf und wirft die Knochen in den Teich. Sofort steigt die Petī in früherer Gestalt wieder aus dem Wasser hervor.

Dieser Vorgang wiederholt sich jede Nacht, 5500 Jahre lang. Einsam, und dieses beständigen Vorganges überdrüssig, auch als Folge desselben Verlangens in ihrer früheren Existenz, verlangt sie nach einem Liebesgefährten. Sie wirft, um einen Sterblichen zu veranlassen, den Weg zu ihr zu suchen, herrliche Mangofrüchte in einen Fluß. Eine von diesen treibt hinab bis nach Benares und bleibt an der Stelle hängen, wo der König im Ganges gerade ein Bad nimmt. Er erprobt die Wirkung dieser Frucht, die neue Jugend und Kraft verleiht, und läßt durch einen Waldbewohner (vanacaraka) den Ursprung dieser wunderbaren Frucht erkunden. Dieser zieht den Ganges aufwärts; nach 60 Meilen trifft er einen Büßer, der ihm den weiteren Weg weist. Nach abermals 30 Meilen trifft er einen zweiten, und nach weiteren 15 einen dritten; von diesem letzten empfängt er die Unterweisung*),

*) Vgl.: "Der Prinz wanderte in den Wald hinaus; manche Woche und manchen Tag war er also dahingezogen, da kam er eines Tages in einen dichten Wald, und tief, tief im Walde an ein Einsiedlerhäuschen . . . schon wieder war er eine Zeitlang herumgezogen, . . . aber keiner wußte ihm etwas zu sagen. Da geriet er eines Tages wiederum in einen dichten, tiefen Wald, und kam darin an ein Einsiedlerhäuschen. (Hier erhält er die Auskunft:) Tausend Stunden von hier wohnt ein Einsiedler, der weiß es, wenn du ihn fragen willst. —Der Weg war zwar weit, aber Prinz Jack hatte nun mehr Mut gewonnen und ging kräftig zu, bis er an des Einsiedels Häuschen kam" J W. Wolff, Deutsche Hausmärchen, Göttingen u. Leipzig, 1851, p. 287).

er solle einem kleinen Flusse nachgehen, bei Nacht, wenn derselbe nicht fließe*),

*) Hinter dem Hexenhause befindet sich der Zugang zum Jenseits in einem "alten, wasserleeren Brunnen" (Grimm II p. 132; das blaue Licht).

und eine Fackel mit sich nehmen. Er tut, wie ihm geheißen, und bei Sonnenaufgang sieht er das Schloß der Petī und die Frauen. Er hat aber nicht genug Gutes getan, um dort genießen zu können, flieht voll Furcht und eilt nach Benares zurück. Der König gelangt auf demselben Wege nach dem Vimāna. Dort bleibt er bei der Petī einen Zeitraum von 150 Jahren. Erst dann wird er den seltsamen Vorgang des Gefressenwerdens gewahr, als er sich zu der Zeit um Mitternacht erhebt. Er beobachtet den Vorfall drei Tage lang und wird dann zum Befreier der Unglücklichen, indem er den Hund tötet. Dann tritt er hin zur Petī und führt mit ihr das obige Gespräch (II. 12); darauf bringt sie ihn nach Benares zurück.

 

Ich habe auf den Märchencharakter dieses Liedes schon im ersten Teile (oben S. 39 f.) hingewiesen und will an dieser Stelle nur noch einige Ausführungen hinzusetzen, um die einzelnen Züge klarer zu machen.

Da ist zunächst die Reise ins Märchenland mit der Auskunft des Weges durch verschiedene Personen, welche des Weges kundig sind. In dem angeführten Zitat aus deutschen Märchen ist es auch der letzte Einsiedler (= Büßer), der die endgültige Auskunft gibt. Diese Reise vollzieht sich in Stufen, die in der Dreizahl die lange Dauer anschaulich machen. Trotzdem verringert sich die Entfernung: aus Wochen werden Tage, aus diesen Stunden, in unserem Vatthu 60: 30: 15 Meilen, und der Held kommt ans Ziel.

 

Zweitens die Art des Zuganges zum Märchenschloß. Man wird hier bei näherem Zusehen große Ähnlichkeit mit Hadeseingängen entdecken (s. Literatur bei Scherman, Siuts etc.). Oben ist nur eine Parallele aus Grimms Märchen vom blauen Licht mitgeteilt.

Drittens kommt die Art der Bestrafung und das Wesen der Vergeltung in Betracht. Da handelt es sich hauptsächlich um die fortgesetzte Wiederholung desselben Vorgangs. Uralte mythologische Züge liegen dieser Anschauung zu Grunde: das ewige Auf und Ab des Naturgeschehens, Geborenwerden und Sterben, Wechsel von Licht und Finsternis. Auf den Charakter des Hundes ist schon hingewiesen (s. S. 38): die bösen Geister in den Märchen haben dieselbe Rolle als Vollstrecker der Gebote der Finsternis, des Sterbens und damit des größten Leidens. Ganz ähnliche Stellen finden sich z. B. in den von Schambach und Müller gesammelten Niedersächsischen Sagen p. 254 (zitiert nach Siuts p. 193; man könnte auch aus Grimm Belege bringen): "Darauf zerlegten ihn die Geister in Stücke und nagten die Knochen rein ab ... In den folgenden Nächten wiederholte sich genau dasselbe, was in der ersten Nacht mit ihm geschehen war". —Zum Wesen der Quälgeister vgl. auch Siuts § 572 (S. 289).

Doch dieses Sterben muß wieder zum Leben führen; unerschöpflich ist die Kraft des Lebens und der Tat. Nicht nur des Bösen Kraft ist unvergänglich (vgl. das beständige Wiederwachsen der Köpfe der Hydra und die unausgesetzte Wiederholung der Hadesstrafen im allgemeinen), auch die Wirkung des Guten besteht in der Erneuerung des Lebens aus dem Tode. Als Mittel dieser Erneuerung, der Reinigung, dient im Märchen das Wasser; es ist eine alte Tatsache, daß das Wasser des Lebens sich nur im Totenreiche findet (wie auch der Baum des Lebens im Vimāna), und so ist auch in unserer Dichtung der Teich das verjüngende Prinzip, welches durch das gute Kamma in Bewegung gesetzt wird. Ganz in derselben Weise, wie hier die Knochen zusammengesetzt werden, geht es auch im deutschen Märchen zu, vgl. z. B. Grimm II, p. 34 (der König vom goldenen Berg): "Ich komme zu dir, und habe in einer Flasche das Wasser des Lebens, damit bestreiche ich dich, und dann bist du wieder lebendig und gesund wie zuvor".

Auch die Zahlen im Peta Vatthu verdienen Beachtung. Aus unserm Liede läßt sich dazu folgendes bemerken.

Von keiner großen Bedeutung ist die Zahl der Jahre, welche die Petī ohne männlichen Verkehr verbringt: 5500 Jahre = 500 + 5000 Jahre; denn in derselben Weise wie 5 als gewisse Einheit angesehen wird (fünf Finger zusammengefaßt als Hand), die nur mehr, größer als 1 ist (zuweilen einfach so viel als doppelt), so ist 500 mehr als 100, d. h. sehr viel, und in dieser Art eine gebräuchliche Zahl bei jeder Erwähnung einer größeren Menge. Ebenso ist 5000 "noch viel mehr als tausend". Die Zahl der Jahre ist also eine sehr große, dīgharattam, wie es in den Höllenschilderungen lautet. Die Zahl 5 findet sich häufig in der Angabe der Jahre des Leidens, so außer an unserer Stelle noch als 55 in 99 27, 142 11; als 500 in 67 9, 69 20, 253 23; sonst kommen noch folgende Zahlenangaben für ähnliche Abschnitte des Samsara im P. V. vor;

10 000: 73 13; — 100 000: IV. 3 38; — 20 000: 135 12; —

30 000: IV. 15 1;—92 Kalpas: 19 23, 21 7.

Auf der Zahl des Ebenmaßes (4) und der Zahl 3 und Zusammensetzungen, resp. Steigerungen damit (2x3=6; 2x4 = 8) beruhend: 84 000: 254 12 (+ mahākappa);—6x84000: IV.7 7; —86000: 164 17; — 60000: IV. 15 1. Auf der Zahl 7 beruhend: 7: 6 3; — 700: 147 21, II. 12 18.—

Die fortlaufende Reihe 60. 30. 15 mag vielleicht im Grunde etwas mehr bedeuten als die bildlich ausgedrückte Verringerung der Entfernung. Im übrigen kommt die Zahl 15 im Zusammenhang mit dem Petaglauben als Bezeichnung des halben Monats vor, entweder der hellen oder (was häufiger) der dunklen Hälfte des Mondes. Natürlich ist 150 (ausgedrückt als diyyaddhasatam "das zweite Hundert halb") nichts weiter als 15 mit 10 multipliziert (wie 700 oft für 7, vgl. II. 11 5). Es ist dies die dunkle Hälfte des Monats, in welcher sie umherirren und keine Befreiung finden. Besonders im 3. und 4. Buch des P. V. finden sich zahlreiche Beispiele für das Leben der Petas in der dunklen Zeit. Im Einklang damit steht die Anschauung, daß die Gespenster an dunklen Plätzen hausen, an abgeschiedenen, einsamen Stellen, die der Mensch unter gewöhnlichen Umständen nicht betritt: es erfordert Seiten- und Irrwege, um zum Geisterschlosse zu gelangen.

Die am Eingange unseres Liedes stehende Schilderung des Vimāna ist eine der besten im Peta Vatthu; es finden sich noch mehrere, besonders in III. 3, ferner in III. 9 1—3. In der Beschreibung dieser Vimānas ergeht sich die Phantasie in den prächtigsten Farben, schier endlose Attribute paradiesischer Herrlichkeit durchsetzen eine jede Schilderung dieses Zauberschlosses. Wir haben an anderer Stelle (S. 40f.) über die Definition dieses Begriffs gesprochen und gesehen, wie die Erklärung als "Schloß" nicht ausreicht. Die Angabe im Petersburger Wörterbuch (VI. 11 39) lautet: "Ein durch die Luft fliegender palastähnlicher Wagen der Götter (in den Märchen überhaupt ein durch die Luft fliegender Wagen), dann ein kaiserlicher Palast, eine Kapelle usw."—Eine besonders großartige Beschreibung eines Vimānas ist die des BodhisattvaVimānas im Tusitahimmel, wie sie sich im z. Adhyāya des Lalita-Vistara findet.

Eine Variante von II. 12 ist III. 3, wo die Vimānapetī am See Rathakāra zur Existenz kommt, und auch die List mit den Mangofrüchten benutzt, um einen Mann an sich zu locken. Hier fällt die Bestrafung weg.


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