Khuddaka-Pātha

Vorwort

Mit der Veröffentlichung der vorliegenden deutschen Übersetzung des Khuddaka-Pātho wird eine zwar kleine, aber in mancher Hinsicht recht merkwürdige und interessante Quellenschrift des alten Pāli-Buddhismus dem deutschen Publikum erschlossen, eine Schrift, die trotz ihres geringen Umfanges sich in der buddhistischen Welt eines hohen Ansehens erfreut. Ich bin vor allen Dingen bemüht gewesen, möglichst wörtlich und möglichst verständlich zu übersetzen. Alles weitere kann der Leser aus Einleitung, Text, Anmerkungen und Anhängen ersehen.

Möge die vorliegende kleine Arbeit als ein bescheidener Beitrag zur Erforschung des Pāli-Buddhismus in Fach- und Laien-Kreisen eine freundliche Aufnahme und Beurteilung finden.

Leipzig, Karl Seidenstücker, April 1910


Oskar Schloß Verlag München - Neubiberg


Einleitung

Der Platz im Pali-Kanon

Der buddhistische Pali-Kanon (Tipitaka) gliedert sich in die drei grossen Teile: Vinaya-Pitakam, Sutta-Pitakam, Abhidhamma-Pitakam. Der erste Teil enthält vorwiegend Abhandlungen, die auf den Mönchsorden Bezug haben, der zweite Teil Reden und Aussprüche Buddhas und seiner Jünger, und der dritte Teil behandelt vorwiegend Fragen metaphysischen Charakters.

Das Sutta-Pitakam, der wichtigste Teil des Pali-Kanons, besteht aus fünf Nikāyos oder grossen Sammlungen von Reden und Aussprüchen Buddhas und seiner Jünger.

Diese Sammlungen heissen:

  1. Digha-Nikāyo,
  2. Majjhiina-Nikāyo,
  3. Samyutta-Nikāyo,
  4. Anguttara-Nikāyo,
  5. Khuddaka-Nikāyo.

Der zuletzt genannte Khuddaka-Nikāyo (d. i. die 'Sammlung kurzer Texte'), zu dem auch der vorliegende Khuddaka-Pātho gehört, umfasst folgende fünfzehn selbständige Schriften:

  1. Khuddaka-Pātho,
  2. Dhammapadam,
  3. Udānam,
  4. Itivuttakam,
  5. Sutta-Nipāto3),
  6. Vimāna-Vatthu,
  7. Peta-Vatthu,
  8. Thera-Gāthā,
  9. Theri-Gāthā,
  10. Jātakam,
  11. Niddeso,
  12. Patisambhidā-Maggo,
  13. Apadānam,
  14. Buddha-Vamso,
  15. Cariyā-Pitakam.

Der Khuddaka-Pātho gehört also zum Sutta-Pitakam. und ist das erste Buch des Khuddaka-Nikāyo.


Der Titel

Khuddaka-Pātho bedeutet kurze Texte, kurze Lesungen, kurze Unterweisungen. Der Name ist gewählt nach den vier ersten, sehr kurzen Abschnitten des Buches (Saranattayam, Dasasikkhāpadam, Dvattimsākāram, Kumārapañho), welche, im Gegensatz zu den nachfolgenden Sutten, als Pāthos bezeichnet werden.


 Umfang und Charakter des Buches

Obwohl der Khuddaka-Pātho die kürzeste Schrift des Tipitakam ist, genießt er in der buddhistischen Welt gleichwohl ein hohes Ansehn. "Er wird in Buddhaghosos Kommentaren zitiert, viele Beispiele im Sandhi-Kappo und anderen grammatischen Werken sind aus ihm gewählt, und sieben von seinen neun Kapiteln (nämlich I, II, III, IV, V, VI, IX) sind in die Texte aufgenommen worden, die bei der buddhistischen Parittā-Zeremonie verlesen werden" (Childers).

Parittā (vergl. Anmerkung 58 und Anhang 1) bedeutet wörtlich Schutz, Abwehr (sanskr. paritrā). Das Wort begegnet bereits in den Pitakas in dem Sinne von Beschwörung, Beschwörungslied, Bannformel, Segen, Segensspruch. Mau kannte schon im alten Buddhismus solche Beschwörungs-lieder zur Bannung böser Geister oder sonstiger unheilbringender Einflüsse; Anhang 1 gibt, als ein klassisches Beispiel alter Parittās, den 'Schlangensegen'. Die Parittā-Zeremonie scheint nun im Lauf der Zeit einen immer größeren Umfang angenommen zu haben, wenigstens ist sie heute auf Ceylon allgemein verbreitet.1) Heute versteht man in Ceylon unter Parittā (singhal. Pirit) die von Bhikkhus vorgenommene Rezitation (resp. Verlesung) von einigen dreißig, dem Kanon angehörenden Texten, um den Einfluss böser Mächte zu vertreiben. Die Parittā-Zeremonie wird bei allen möglichen Anlässen ausgeübt, z. B. beim Bau eines neuen Hauses, bei Todesfällen, Krankheiten und dergl.2) Diese dreißig Parittā-Texte stammen meist aus dem Sutta-Pitakam. Außerdem ist Parittam der Titel jenes (nicht-kanonischen) Parittā-Textbuches, welches die eben genannten Texte enthält, und dessen Inhalt bei dem Pirit-Dienst noch heute verlesen wird.


1) Schon in der alt-ceylonesischen Chronik Mahāvammso begegnet das Wort parittasuttam, Zauberschnur, Amulettschnur, und im Attanagalu-Vansa findet sich parittaggam, eine im Kloster befindliche ' für den Pirit-Dienst bestimmte Halle (Childer's). Indessen bedeutet parittasuttam wahrscheinlich eine Schnur, mit der die Teilnehmer an einer Parittā-Zeremonie umbunden werden, wie es noch heute in Ceylon üblich ist.

2) Auch im japanischen Buddhismus wird bis auf den heutigen Tag Parittā-Dienst geübt, z. B. bei Todesfällen. Dies alles lässt darauf schließen, dass wir es hier mit uralten Gebräuchen zu tun haben. Vergl. hierüber Anhang 4.

3) Wenn auch das in Ceylon gebrauchte Parittā-Textbuch eine relativ moderne Kompilation sein mag, so sind doch die in ihm enthaltenen Texte sehr alt und verweisen den Parittā-Dienst als solchen bereits in die Urzeit des Buddhismus.


 Es ist nun sehr merkwürdig, dass der weitaus grösste Teil des Khuddaka-Pātho dem Parittam einverleibt ist. Wir sind wohl auf Grund dieser Tatsache berechtigt, in den Sutten V, VI und IX (Mangala-, Ratana- und Metta-Suttam) alte Beschwörungslieder (nach Art der brahmanischen Mantren) zu sehen, - eine Tatsache, durch welche natürlich die ethische Schönheit dieser Partien an sich keinen Abbruch erleidet. Als Beschwörungslieder werden dieselben schon durch die Wiederholung gewisser stereotyper Wendungen gekennzeichnet. So im Mangala-Suttam das "etam mangalam uttamam" (zu beachten ist, dass hier mangalam sehr wohl 'Omen' bedeuten kann), ferner im Ratana-Suttam das 'sabb' evabhūtā sumanā bhavantu', 'idam pi buddhe (dhamme, sanghe) ratanam panitam, etena saccena suvatthi hotu,' sowie die drei letzten Verse; und im Metta-Suttam das 'sabbe sattā bhavantu sukhitattā' etc. Nun ist, seltsam genug, auch den beiden nicht in das Parittam aufgenommenen Sutten VII und VIII dennoch der mantrische Charakter kaum abzusprechen. Das Tirokudda-Suttam wird in dieses Gebiet schon durch seinen animistischen Inhalt verwiesen, der darauf hinausläuft, direkt zu Totenopfern aufzufordern, und noch heute werden in Ceylon und Siam einige seiner Verse bei Leichenverbrennungen rezitiert (vergl. Anm. 51 und Anhang 2). Und das Nidhikanda-Suttam macht sich durch sein sechsmal wiederholtes 'sabbam etena labbhati' als mantra-artiges Stück verdächtig. Dennoch stehen diese Sutten in Anbetracht ihres hohen ethischen Gehaltes turmhoch über den echt hinduistischen Mantren, wie sie uns etwa im Atharva-Veda und Mantra-Brahmana entgegen treten.

Zu bemerken ist noch, dass die letzten fünf Kapitel des Khuddaka-Pātho (also die Sutten) in metrischer Form gehalten sind.


Alter des Khuddaka-Pātho und Parallelen

Die meisten Stücke des Khuddaka-Pātho dürfen als sehr alt gelten. Drei seiner Sutten, nämlich das Mangala-, Ratana- und Metta-Suttam finden sich auch in dem recht altertümlichen Sutta-Nipāto. Die "dreifache Zuflucht" und die "zehn Observanzen" gehören ebenfalls dem ältesten Bestande des Buddhismus an, und der Kumārapañho ist ein kurzes Exzerpt aus dem Sangiti-Suttanto des Digha-Nikayo (D.33). Nun wird ein Teil dieses Sangiti-Suttam, nämlich die neun Sattāvāsā, in einer Inschrift Asokos als Ariyāvāsāni erwähnt (vergl. Rhys Davids, Der Buddhismus, S. 232). Ausserdem sind die einzelnen Stücke des Kumāra-Pañho an vielen Stellen der Pitakas zerstreut zu finden und gehören zweifellos dem genuinen Buddhismus an. Auch die 'zweiunddreißig Bestandteile des Körpers' begegnen an anderen Stellen des Kanons (so z. B. in dem Satipatthana-Suttam des Majjhima-Nikayo, welches ebenfalls ein älterer Text ist). Die Tirokudda- und Nidhikanda-Sutten finden sich sonst nirgends in den Pitakas; über ihr Alter wissen wir nichts; aber es ist kein Grund vorhanden, in ihnen jüngere Texte zu vermuten. Der animistische Charakter des Tirokudda-Suttam scheint mir eher für das Gegenteil zu sprechen.


 Text Ausgaben und Übersetzungen

Der um die Pāli-Forschung so hochverdiente R. C. Childers hat den Text des Khuddaka-Pātho zuerst herausgegeben nebst einer englischen Übersetzung im Journal of the Royal Asiatic Society (1869). Childers legte seiner Ausgabe das Manuskript eines gelehrten ceylonesischen Mönches zugrunde, nachdem er dasselbe mit einer in der India Office Library befindlichen burmanischen Handschrift verglichen hatte. Schon vorher (1839) hatte Gogerly die sieben Stücke des Khuddaka-Pātho, die dem ceylonesischen ParittāTextbuch einverleibt sind, aus diesem ins Englische übersetzt und im 'Ceylon Friend' veröffentlicht. Außerdem findet sich der Text des Khuddaka-Pātho in der siamesischen Gesamtausgabe des Tipitakam. Die vorliegende Übersetzung ist nach Childers Textausgabe hergestellt.

Wie ich erfahre, plant die Pāli Text Society, im Jahre 1912 eine neue Text-Ausgabe des Khuddaka-Pātho zu veröffentlichen.


  Oben  


Diese Kopie des Kkuddaka-Patho wurde mir freundlicherweise von Herrn Alfred Weil zur Verfügung gestellt. [WG]