Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

510. Die Erzählung von Ayoghara (Ayoghara-Jataka)

„Wenn eine Nacht zum ersten Mal“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, auch mit Beziehung auf die große Weltentsagung. Damals aber sagte er ebenfalls: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon hat der Vollendete die große Weltentsagung betätigt“, und erzählte hierauf folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, empfing die erste Gemahlin des Königs Brahmadatta eine Leibesfrucht. Nachdem die Zeremonie der Empfängnis [1] gefeiert und ihre Frucht zur Reife gelangt war, gebar sie zur Zeit der Morgendämmerung einen Sohn. In ihrer früheren Existenz aber hatte eine Nebenbuhlerin von ihr den Wunsch sich vorgenommen: „Ich will die von dir geborenen Kinder auffressen dürfen“; diese war nämlich selbst unfruchtbar und hatte aus Hass gegen die Mutter der Kinder diesen Entschluss gefasst. Deshalb war sie als Dämonin wiedergeboren worden. Die andere aber war die erste Gemahlin des Königs geworden und hatte ihren Sohn geboren. Damals aber bekam die Dämonin die Erlaubnis zu ihrem Tun. Vor den Augen der Königin kam sie daher, schrecklich anzusehen, riss den Knaben an sich und entfloh. Die Königin schrie laut: „Eine Dämonin hat meinen Sohn an sich genommen und ist damit fortgelaufen.“ Die andere aber fraß schmatzend den Knaben auf wie eine Zwiebelknolle; nachdem sie dann die Königin mit verschiedenen Handbewegungen u. dgl. geängstigt und erschreckt hatte, entfernte sie sich wieder.

Der König hatte es wohl gehört, doch dachte er: „Was kann man einer Dämonin tun?“, und blieb still. Als aber die Königin zum zweiten Male gebären sollte, stellte er eine starke Bewachung dazu. Die Königin gebar abermals einen Sohn; da kam die Dämonin, fraß das Kind auf und entfernte sich wieder.

Beim dritten Male nahm der Bodhisattva seine Wiedergeburt im Schoße der Königin. Da ließ der König eine große Menge Volkes sich versammeln und sagte ihnen: „Jedes Kind, das die Königin zur Welt bringt, frisst eine Dämonin auf; was ist da zu tun?“ Da sagte einer: „Die Dämonen fürchten sich vor dem Blatt der Fächerpalme; man muss an den Händen und Füßen der Fürstin ein Fächerpalmenblatt befestigen.“ Ein anderer sagte: „Sie fürchten sich vor einem Erzhause; man muss ein Haus aus Erz [1a] erbauen.“ Der König erwiderte: „Gut“; er ließ aus seinem Reiche die Schmiede zusammenkommen, befahl ihnen, ein Haus aus Erz zu erbauen und gab ihnen Gehilfen dazu. Inmitten der Stadt errichteten sie das Haus an einem hübschen Platze; von den Säulen angefangen waren alle Teile des Hauses aus Erz gemacht. In neun Monaten war es vollendet, ganz aus Erz, eine große viereckige Halle; beständig war es von Lampen beleuchtet

Als nun der König merkte, dass die Leibesfrucht der Königin zur Reife gelangt war, ließ er das Erzhaus herrlich schmücken und ging mit ihr in das Erzhaus hinein. Hier gebar sie einen Sohn, der die Kennzeichen des Glückes und der Tugend an sich trug; und man gab ihm den Namen Prinz Ayoghara (= „Erzhaus“). Nachdem ihn der König den Ammen übergeben und eine starke Wache dort verteilt hatte, fuhr er mit der Königin von rechts um die Stadt und stieg wieder in seinen reich gezierten Palast hinauf. — Als aber die Dämonin in ihrem Wunsche nach Wasser einmal fortging und von dem Wasser des Vessavana [2] nahm, verlor sie dabei das Leben. —

Das große Wesen nun wuchs beständig in dem Erzhause auf, und als es zu Verstand gekommen war, erlernte es auch dort alle Künste. Da fragte der König einmal seine Minister: „In welchem Alter steht jetzt mein Sohn?“ Als er vernahm: „Er ist sechzehn Jahre alt, o Fürst, ein Held voll Stärke, der auch im Stande ist, tausend Dämonen niederzuhalten“, sagte er: „Ich werde ihm die Herrschaft übergeben“. Er ließ die ganze Stadt prächtig schmücken und befahl: „Holt ihn aus dem Erzhause heraus und bringt ihn hierher!“

Die Minister erwiderten: „Gut, o Fürst“; sie ließen die ganze zwölf Yojanas umfassende Stadt Benares zieren und begaben sich mit dem mit allen Schmucksachen behängten Leibelefanten des Königs dorthin. Sie schmückten den Prinzen, ließen ihn auf dem Rücken des Elefanten Platz nehmen und sagten ihm: „O Fürst, reitet um die Eurer Familie gehörige Stadt Benares von rechts herum und bezeiget dann Eurem Vater Eure Ehrfurcht; heute noch werdet Ihr den weißen Sonnenschirm empfangen.“

Während aber das große Wesen die Stadt von rechts umritt, sah es den herrlichen Park, die herrlichen Farben, Lotosteiche und Plätze, die herrlichen Paläste u. a. m. und es dachte: „Mein Vater ließ mich diese ganze Zeit in einem Gefängnis wohnen und erlaubte mir nicht, eine solche reich geschmückte Stadt anzusehen; was habe ich für eine Schuld begangen?“ Und es fragte die Minister. Diese antworteten: „O Fürst, Ihr habt keine Schuld; aber Eure zwei Brüder fraß eine Dämonin auf und darum ließ Euch Euer Vater in einem Erzhause wohnen. Durch das Erzhaus wurde Euch das Leben gerettet.“

Als er ihre Worte vernahm, dachte er bei sich: „Nachdem ich zehn Monate lang im Mutterschoße wie in der Eisenkessel-Hölle oder in der Mist-Hölle [3] zugebracht hatte, wohnte ich, seitdem ich aus dem Mutterleibe hervorging, sechzehn Jahre lang in diesem Gefängnis und durfte nicht einmal hinausschauen. Wenn ich aber auch aus der Hand der Dämonin befreit bin, bin ich doch nicht vom Alter und vom Tode befreit. Was brauche ich die Herrschaft? Wenn ich aber den Thron bestiegen habe, dann ist es für mich schwer, der Welt zu entsagen; heute noch werde ich meinen Vater um Erlaubnis bitten, die Welt zu verlassen, werde in den Himalaya ziehen und dort die Weltflucht betätigen.“

Nachdem er um die Stadt von rechts herumgeritten war, ging er in den königlichen Palast, bezeigte dem Könige seine Ehrfurcht und blieb vor ihm stehen. Als der König den Glanz seiner Schönheit erblickte, wurde er von starker Liebe zu ihm erfüllt und schaute seine Minister an. Diese fragten: „Was sollen wir tun, o Fürst?“ Er antwortete: „Stellt meinen Sohn auf einen Haufen von Kostbarkeiten, erteilt ihm mit drei Muschelschalen die Weihe und breitet über ihn den mit Gold bedeckten weißen Sonnenschirm aus!“

Jetzt grüßte das große Wesen ehrfurchtsvoll seinen Vater und sprach: „Mich verlangt nicht nach der Herrschaft. Ich will die Welt verlassen; gestattet mir die Weltflucht!“ Der König entgegnete: „Mein Sohn, warum verschmähst du den Thron und willst die Weltflucht betätigen?“ Er antwortete: „O Fürst, nachdem ich zehn Monate lang im Mutterleibe wie in der Mist-Hölle geweilt hatte, musste ich, als ich ihren Schoß verlassen, aus Furcht vor einem Dämon sechzehn Jahre lang in einem Gefängnis wohnen und durfte nicht einmal hinausschauen; es war, als wäre ich in die Ussada-Hölle geworfen. Während ich aber von der Dämonin befreit bin, bin ich doch nicht frei vom Altern und vom Tode; denn der Tod kann von niemand überwunden werden. Ich bin unzufrieden mit dem Dasein; solange mich Krankheit, Alter und Tod nicht überkommen, will ich die Weltflucht betätigen und in Tugend wandeln. Genug für mich mit der Herrschaft; erlaube es mir, o Fürst!“ Nach diesen Worten sprach er, um seinem Vater die Wahrheit zu verkündigen, folgendermaßen:

§1. „Wenn eine Nacht zum ersten Male

im Mutterschoß geruht der Knabe,

liegt er wie die wachsende Wolke

und kehrt nicht um in der Entwicklung [4].

 

§2. Nicht wenn man kämpft, nicht wenn man kräftig schreit [5],

entgeht man drum dem Altern und dem Tod;

unter Geburt und Tod hier leidet alles.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§3. Ein vierteiliges [6] Heer, furchtbar zu schauen,

die Reichsfürsten besiegen und bezwingen;

den Tod jedoch können sie nicht besiegen.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§4. Von Elefanten, Pferden, Wagen, Fußvolk

umgeben können viele sich befreien,

doch können sie sich nicht vom Tode retten.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§5. Mit Elefanten, Pferden, Wagen, Fußvolk

zerstören und vernichten tapfre Helden,

den Tod jedoch können sie nicht zerstören.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§6. Zornige Elefanten vor Wut schäumend

zertreten ganze Städte, töten Leute,

den Tod jedoch können sie nicht zertreten.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§7. Die Bogenschützen, die geschickten, klugen,

die weithin treffen, auf das Auge zielen,

sie können dennoch nicht den Tod verwunden.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§8. Seen vergehn mit Felsen und mit Wäldern,

nach langer Zeit vergeht das alles hier

und alles wird zerstört im Lauf der Zeiten;

drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§9. Von allen hier, ob Männer oder Frauen,

ist unbeständig hier der Wesen Leben

wie Trinkers Kleid [7] und wie ein Baum im Sande;

drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§10. Wie Früchte von dem Baum die Menschen fallen

jung sowie alt durch ihres Leibs Zerstörung,

Frauen und Männer in des Lebens Mitte;

drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§11. Nicht glänzt dies Leben wie der Sterne König [8],

denn was verschwunden, das kehrt nicht zurück;

für 's Alter bleibt nicht Freude mehr noch Glück.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§12. Dämonen und Unholde und Gespenster

mit ihrem Atem töten sie voll Zorn die Menschen;

mit ihrem Atem können sie den Tod nicht töten.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§13. Dämonen und Unholde und Gespenster

kann man, auch wenn sie zornig sind, versöhnen;

den Tod jedoch, ihn kann man nicht versöhnen.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§14. Die Übeltäter, Feinde und Verletzer

die Kön'ge strafen, wenn von Schuld sie hören;

den Tod zu strafen sind sie nicht im Stande.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§15. Die Übeltäter, Feinde und Verletzer

können die Kön'ge auch mit sich versöhnen;

den Tod jedoch können sie nicht versöhnen.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§16. Die Krieger nicht und auch nicht die Brahmanen,

die Reichen nicht und die durch Kraft Berühmten,

nicht finden Mitleid sie beim Herrn des Todes;

drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§17. Die Löwen, Tiger und Panter besiegen,

wer ihnen widersteht, und fressen ihn;

den Tod jedoch können sie nicht verzehren.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§18. Die Gaukler, die in dem Theater spielen,

täuschen die Augen aller Zuschauer;

den Tod jedoch, ihn können sie nicht täuschen.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§19. Die Giftschlangen voll Zorn mit starkem Gifte,

sie beißen Menschen und sie töten sie;

doch nicht vermögen sie den Tod zu beißen.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§20. Wenn die Giftschlangen in der Wut gebissen,

so machen Ärzte unwirksam ihr Gift;

nicht können sie dies bei des Todes Gift.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§21. Dhammantari, Vetarani und Bhoja [9]

machten das Gift der Schlangen unwirksam;

doch sind sie tot, man hört nur noch von ihnen.

Drum ist es mein Entschluss: ich lebe heilig.

 

§22. Die Zauberer, die starken Zauber kennen,

machen sich unsichtbar durch ihre Mittel;

des Todes Blick jedoch sie nicht entgehen.

Drum ist es mein Beschluss: ich lebe heilig.

 

§23. Tugend fürwahr beschützt den Tugendhaften,

die wohl gepflegte Tugend bringt das Glück.

Dies ist der Nutzen wohl gepflegter Tugend:

nicht kommt zu Strafen [10], wer in Tugend lebt [11].

 

§24. Nicht haben Tugend und Untugend

beide den nämlichen Erfolg;

die Untugend bringt in die Hölle,

die Tugend aber führt zum Heil [12].“ —

Nachdem so das große Wesen mit diesen vierundzwanzig Strophen seinem Vater die Wahrheit verkündigt hatte, fügte es hinzu: „O Großkönig, Euer Reich soll Euer Eigentum bleiben; mich verlangt nicht danach. Während ich aber mit Euch rede, überkommt mich schon Krankheit, Alter und Tod. Bleibet Ihr hier!“ So verzichtete es, wie ein wütender Elefant seine Kette zerreißt oder wie ein junger Löwe seinen goldenen Käfig zerbricht, auf die Lüste, grüßte ehrfurchtsvoll seine Eltern und zog fort. Sein Vater aber sagte: „Auch mich verlangt nicht nach dem Thron“; damit verzichtete er auf die Herrschaft und zog mit ihm. Als er fortgezogen war, ließen auch die Königin, die Minister, die Brahmanen, Hausväter und alle übrigen Stadtbewohner ihre Häuser im Stich und zogen fort. Es war eine große Vereinigung; zwölf Yojanas bedeckte die Versammlung. Mit ihr zog das große Wesen nach dem Himalaya.

Als aber Sakka ihren Auszug wahrnahm, schickte er Vissakamma dorthin und ließ ihn eine Einsiedelei errichten zwölf Yojanas lang und sieben Yojanas breit; auch ließ er sie mit allen Ausrüstungsgegenständen für Weltflüchtlinge versehen. Wie dann weiter das große Wesen die Weltflucht betätigte und den anderen Ermahnungen gab, wie es die Brahmawelt erreichte und seine Versammlung dazu brachte, dass sie nicht an die Straforte kamen, das ist alles zu erzählen so wie oben ausgeführt.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und hinzugefügt hatte: „So, ihr Mönche, hat auch früher schon der Vollendete die große Weltentsagung betätigt“, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals waren die Eltern die Familie des Großkönigs, die Versammlung war die Buddhaschar, der weise Ayoghara aber war ich.“

Ende der Erzählung von Ayoghara


[1] Nach Feststellung der Empfängnis wurde eine Zeremonie gefeiert, um die Frucht in göttlichen Schutz zu stellen.

[1a] D.h. Eisen.

[2] Ein andrer Name für Kuvera, den Gott des Reichtums. Er ist zugleich der Fürst der Dämonen.

[3] Im ganzen gibt es 136 Höllen, 8 größere und 128 kleinere, zu welch letzteren die beiden genannten gehören.

[4] Der Kommentator fügt folgende Verse hinzu (vgl. dazu Milinda-Panha S. 421):

„Zuerst entsteht der kleine Fötus,

vom Fötus kommt der Embryo;

vom Embryo entsteht das Fleisch

und aus dem Fleisch entsteht das Feste;

vom Festen darauf Leib und Schenkel,

Haupthaare, Körperhaar und Nägel.

Und alles, was die Mutter sein

an Trank und Speise zu sich nimmt,

davon ernährt sich dort der Mann,

der in der Mutter Schoß gekommen.“

[5] Der Kommentator erklärt zwar „vassita“ als „samannagata“, aber die wörtliche Bedeutung gibt auch einen guten Sinn.

[6] Bestehend aus Elefanten, Reitern, Wagen und Fußvolk.

[7] Nach dem Kommentator: weil der Trinker oft sein Gewand für Branntwein verkauft.

[8] Der Mond.

[9] Nach dem Kommentator die Namen von berühmten Ärzten.

[10] Gemeint sind die oben am Ende des Jataka 509 genannten vier Strafexistenzen. [Hölle, Tiere, büßende Geister, Dämonen]

[11] Diese Strophe steht auch in der Einleitung zum Jataka-Buche (bei Fausböll Band I, S. 31), sowie in den Theragatha 303, und im Kommentar zum Dhammapadam S. 126.

[12] Auch im Kommentar zum Dhammapadam S. 99 und Theragatha S. 35 zitiert.


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