Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

493. Die Erzählung von dem großen Kaufmann (Mahavanija-Jataka)

„Zusammen kamen die Kaufleute“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Kaufleute, die zu Savatthi wohnten. Als diese nämlich einmal fortziehen wollten, um Handel zu treiben, spendeten sie dem Meister ein großes Geschenk, nahmen die Zufluchten [1] und die Gebote an und sprachen: „Herr, wenn wir gesund zurückkehren, werden wir wieder deine Füße verehren.“ Darauf zogen sie mit fünfhundert Wagen fort. Da kamen sie in eine Wildnis. Sie kannten nicht mehr den Weg, verirrten sich und schweiften in dem Walde umher, der ohne Wasser und ohne Nahrung war. Da sahen sie einen Nigrodha-Baum, der von Nagas behütet wurde; sie schirrten die Wagen los und ließen sich am Fuße des Baumes nieder.

Als sie nun seine Blätter sahen, die so glänzend waren, als seien sie mit Wasser benetzt, und seine Zweige, die aussahen, als seien sie mit Wasser gefüllt, dachten sie bei sich: „Es sieht aus, als ob sich Wasser in diesem Baume befinde. Wir wollen den nach Osten gerichteten Zweig abschlagen; er wird uns Wasser geben.“ Darauf stieg einer den Baum hinauf und hieb den Zweig ab; da kam ein Wasserstrom hervor so dick wie der Stamm einer Fächerpalme. Als sie darin gebadet und davon getrunken hatten, schlugen sie den nach Süden gerichteten Zweig ab; daraus kam Speise hervor von verschiedenartigem, höchstem Wohlgeschmack. Als sie diese verzehrt hatten, hieben sie den nach Westen gerichteten Zweig ab; daraus kamen geschmückte Weiber hervor. Als sie sich mit diesen vergnügt hatten [2], hieben sie den nach Norden gerichteten Zweig ab; daraus kamen die sieben Arten der Kostbarkeiten hervor. Diese nahmen sie, füllten damit ihre Wagen und kehrten nach Savatthi zurück.

Nachdem sie hier ihr Geld verwahrt hatten, begaben sie sich mit wohlriechenden Substanzen und Kränzen in den Händen nach dem Jetavana. Hier begrüßten sie den Meister, brachten ihm ihre Verehrung dar und hörten, ihm zur Seite sitzend, die Verkündigung der Lehre. Am andern Tage spendeten sie ein großes Almosen und sprachen: „Herr, den Vorteil dieser Spende wenden wir der Baumgottheit [3] zu, die uns die Schätze gab“; damit schenkten sie ihr den Gewinn des guten Werkes. Nach Beendigung des Mahles fragte der Meister: „Welcher Baumgottheit wendet ihr den Vorteil zu?“ Darauf erzählten die Kaufleute dem Vollendeten, wie sie in dem Nigrodha-Baume diese Schätze gefunden hätten. Der Meister versetzte: „Ihr habt jetzt infolge eurer Mäßigkeit, weil ihr nicht von Habgier euch übermannen ließet, die Schätze erhalten; in der Vorzeit aber verloren diejenigen, die unmäßig und von Habgier erfüllt waren, ihre Schätze und ihr Leben.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Ehedem befand sich in der Nähe der Stadt Benares ebendieselbe Wildnis und auch derselbe Nigrodha-Baum. Kaufleute hatten sich verirrt und sahen ebendiesen Nigrodha-Baum.

Diese Begebenheit erzählte der Meister, da er der völlig Erleuchtete war, mit folgenden Strophen:

§1. Zusammen kamen die Kaufleute

aus den verschiednen Königreichen;

sie zogen fort, um Geld zu sammeln,

und einen machten sie zum Führer.

 

§2. Als sie nun an die Wildnis kamen,

die ohne Nahrung, wasserlos,

sah'n sie 'nen großen Feigenbaum

mit kühlem Schatten, herzerquickend.

 

§3. Dort ließen sie sich darauf nieder

im kühlen Schatten dieses Baumes

und es bedachten die Kaufleute

in ihrer Torheit, voll Verblendung:

 

§4. „Voll Flüssigkeit ist dieser Baum

und auch das Wasser sieht man fließen;

auf, Kaufleute, wir wollen ihm

den Zweig abschlagen, der nach Osten.“

 

§5. Der abgeschlagne sprudelt' Wasser

hervor, das rein und unbefleckt;

drin wuschen sich die Kaufleute

und tranken, soviel sie nur wünschten.

 

§6. Zum zweiten dachten sie gemeinsam

in ihrer Torheit, voll Verblendung:

„Auf, Kaufleute, wir wollen ihm

den Zweig abschlagen, der nach Süden.“

 

§7. Der abgeschlagne sprudelte

Reisbrei und Fleisch hervor in Menge,

Brei, der nach wenig Wasser aussah,

auch Ingwer, Bohnenbrüh' und andres.

 

§8. Als nun davon genossen hatten

die Kaufleute, soviel sie wollten,

da dachten sie zum dritten Male

in ihrer Torheit, voll Verblendung:

 

§9. „Auf, Kaufleute, wir wollen ihm

den Ast abhauen, der nach Westen.“

Der abgehau'ne sprudelte

hervor gar schön geschmückte Weiber,

 

§10. die bunte Kleider an sich trugen,

geziert mit Edelsteinohrringen;

und jeder einzelne erhielt

von Weibern volle fünfundzwanzig.

 

§11. Zusammen ließen sie sich nieder

im kühlen Schatten dieses Baumes;

und so umgeben von den Frauen,

soviel sie wollten, die Kaufleute

 

§12. zum vierten Male sie bedachten

in ihrer Torheit, voll Verblendung:

„Auf, Kaufleute, wir wollen ihm

den Ast abschlagen, der nach Norden.“

 

§13. Der abgeschlagne sprudelte

Perlen hervor und viel Korallen,

auch Gold und Silber eine Menge,

dazu noch kunstvolle Gewebe,

 

§14. Kleider aus Kasi-Baumwolle

und mannigfaltige Gewänder.

Als die Kaufleute diese Waren,

soviel sie wollten, aufgeladen,

 

§15. da dachten sie zum fünften Male

in ihrer Torheit, voll Verblendung:

„Auf, hau'n wir ihm die Wurzel ab,

vielleicht erhalten wir noch mehr.“

 

§16. Da stand der Karawanenführer

auf, bittend seine Hände faltend:

„Was hat der Feigenbaum verbrochen,

ihr Kaufleute? Heil sei euch allen [4]!

 

§17. Der Zweig nach Osten gab uns Wasser,

Speise und Trank gab der nach Süden,

Frauen gab uns der Zweig nach Westen

und alle Wünsche der nach Norden.

Was hat der Feigenbaum verbrochen,

ihr Kaufleute? Heil sei euch allen!

 

§18. In welches Baumes Schatten man

sich niedersetzt oder sich ausruht,

dem darf man nicht den Ast zerstören;

denn schlecht ist, wer den Freund verrät.“

 

§19. Doch sie, die vielen, hörten nicht

auf dieses einen Mannes Worte:

mit wohl geschliffnen Ästen griffen

den Baum sie an der Wurzel an.“ —

Als aber der Naga-König sah, wie sie, um den Baum zu fällen, an seine Wurzeln herangekommen waren, dachte er: „Ich ließ ihnen, da sie dürsteten, Wasser geben, dann himmlische Speise, dann Lager und dienende Frauen und dann Kostbarkeiten, mit denen sie ihre fünfhundert Wagen füllen konnten. Jetzt aber sagen sie, sie wollten den Baum an der Wurzel umhauen. Sie sind allzu gierig; außer dem Karawanenführer muss man alle übrigen töten.“ Und er musterte sein Heer [5]: „So viele Kämpfer sollen in ihrer Rüstung hervorkommen, so viele Bogenschützen, so viele Waffen Tragende.“

Um dies zu erklären, sprach der Meister folgende Strophe:

§20. Darauf kamen hervor von Schlangen

in voller Rüstung fünfundzwanzig,

dazu dreihundert Bogenschützen

und noch sechstausend Waffenträger.

Der Naga-König aber sprach folgende Strophe:

§21. „Tötet und fesselt diese Leute

und schenket ihnen nicht das Leben;

außer dem Karawanenführer

verwandelt alle sie zu Asche!“

Die Nagas taten so; dann luden sie die Tücher und die anderen Schätze vom Norden auf die fünfhundert Wagen, nahmen den Karawanenführer mit sich und geleiteten selbst die Wagen nach Benares. Hier legten sie alle Schätze in seinem Hause nieder, verabschiedeten sich von ihm und kehrten wieder in ihre Naga-Behausung zurück.

 

§A2. Da der Meister diesen Sachverhalt erkannte, sprach er zum Zwecke der Ermahnung folgendes Strophenpaar:

§22. „Darum soll auch der weise Mann,

der seinen eignen Nutzen kennt,

nicht in der Habgier Macht gelangen;

er töte diesen Feindesgeist [6].

 

§23. Wenn er den Nachteil davon merkt,

und dass aus Gier nur Leid entsteht,

so soll von Lust frei und Begierde

weise der Mönch die Weltflucht üben.“

Nachdem er aber diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, fügte er hinzu: „So, ihr Laienbrüder, sind in der Vorzeit Kaufleute, die in die Gewalt der Habgier gekommen waren, in schweres Verderben gestürzt; darum darf man sich nicht in die Gewalt der Habgier begeben.“

 

§C. Hierauf verkündigte er die Wahrheiten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangten jene Kaufleute zur Frucht der Bekehrung) und verband dann das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Naga-König Sāriputta, der Karawanenführer aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem großen Kaufmann


[1] Vgl. oben Jataka 486 Anm. 1. [Die drei Dinge, zu denen die Laienbruder ihre Zuflucht nahmen: der Buddha, die Lehre und die Gemeinde.]

[2] Trotzdem sie die fünf Gebote angenommen hatten.

[3] Diese kann dadurch zu einer höheren Existenz gelangen.

[4] Hier ohne besondere Bedeutung, nur als respektvolle Anrede an die anderen Kaufleute gedacht. Für seine Stellung als Karawanenführer ist diese Achtungsbezeigung (auch das Händefalten) eigentlich auffallend.

[5] Das Heer des Naga-Königs besteht natürlich aus Nagas, d. h. Schlangen, die hier bewaffnet gedacht sind.

[6] D. h. er möge diese habgierige Gesinnung in sich ertöten, die ihm schädlich ist wie ein Feind.


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