Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

429. Die große Erzählung von dem Papageien (Maha-Suka-Jataka)

„So lang ein Baum mit Früchten ist bedeckt“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Mönch. Nachdem nämlich dieser von dem Meister einen Betrachtungsstoff erhalten hatte, nahm er auf dem Lande im Reiche Kosala in der Nähe eines Grenzdorfes seinen Aufenthalt in einem Walde. Die Bewohner richteten für ihn Plätze für den Aufenthalt bei Nacht, Plätze für den Aufenthalt bei Tage u. dgl. her, erbauten ihm an einer Stelle, zu der man leicht hinkommen und von der man auch wieder leicht weggehen konnte, eine Hütte und erwiesen ihm mit Aufmerksamkeit Dienste.

Als er aber dort die Regenzeit verbrachte, verbrannte im ersten Monat jenes Dorf und für die Bewohner blieb nicht einmal der Same für die Feldfrüchte übrig; darum konnten sie ihm keine vorzügliche Almosenspeise mehr geben. Weil jener aber in der ihm passenden Behausung wegen der Almosenspeise in Bedrängnis kam, vermochte er nicht durch seine Betrachtung sich zu einem der Wege oder zu einer Frucht der Wege emporzuringen.

Als er nun nach Ablauf von drei Monaten zurückkehrte, um dem Meister seine Verehrung zu bezeigen, begann dieser eine liebevolle Unterhaltung mit ihm und fragte: „War dir auch, wenn du durch Almosen Sammeln belästigt warst, deine Behausung passend?“ Darauf erzählte ihm jener die ganze Begebenheit. Der Meister merkte daraus, dass die Behausung zur Erreichung seines Zwecks passend gewesen war, und sprach: „O Mönch, ein Asket muss, wenn seine Behausung für ihn passend ist, die in ihm aufsteigende Essbegierde unterdrücken, sich mit dem begnügen, was er zur Nahrung erhält, und in Zufriedenheit das Asketenleben betätigen. In der Vorzeit unterdrückten Weise, obwohl sie nur als Tiere wiedergeboren waren, als sie auf einem Baume, der ihnen als Wohnung wohl gefiel, nur Staub zu essen bekamen, ihre Begierde nach besserer Nahrung; sie gaben voll Zufriedenheit die Pflicht der Liebe nicht auf und begaben sich nicht anderswohin. Warum aber hast du, weil deine Almosenspeise unschmackhaft und rau war, die dir passende Behausung aufgegeben?“ Darauf erzählte er, von jenem gebeten, folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Ehedem wohnten im Himalaya am Ufer des Ganges in einem Wald von Feigenbäumen viele hunderttausend Papageien. Dort verzehrte ein Papageienkönig, als an dem Baume, wo er wohnte, die Früchte ausgegangen waren, was an Resten noch übrig war von Sprossen, Blättern, Rinde oder Abfällen, und trank aus dem Ganges Wasser dazu. So war er äußerst genügsam und bescheiden geworden und begab sich nicht anderswohin.

Durch den Ruhm seiner Bescheidenheit und Genügsamkeit aber erzitterte die Behausung des Gottes Sakka [1]. Als Sakka über die Ursache hiervon nachdachte, gewahrte er den Papagei. Um ihn auf die Probe zu stellen, ließ er jenen Baum verdorren. Der Baum wurde zum Stumpf und stand ganz durchlöchert da; wenn der Wind ihn traf, so kamen aus den Löchern Staubteilchen heraus. Der Papageienkönig aber verzehrte diesen Staub und trank im Ganges Wasser dazu; ohne anderswohin zu gehen und ohne auf die Hitze und den Wind Rücksicht zu nehmen, blieb er oben auf dem Stumpf des Feigenbaumes sitzen.

Als nun Sakka seine äußerste Genügsamkeit erkannte, dachte er: „Ich will ihn den Vorzug der Freundschaft [2] schildern lassen; dann werde ich ihm einen Wunsch gewähren, dem Feigenbaum unsterbliche Früchte gewähren und wieder zurückkehren.“ Er nahm die Gestalt eines Schwanenkönigs an, ließ das Göttermädchen Suja vorausgehen und begab sich nach dem Wald von Feigenbäumen. Unweit setzte er sich auf dem Zweige eines Baumes nieder und sprach, mit dem Papageien ein Gespräch beginnend, folgende erste Strophe:

§1. „So lang ein Baum mit Früchten ist bedeckt,
essen von ihm die Vögel von allen Seiten;
doch wenn sie merken, die Früchte sind vergangen,
so fliegen von dort nach allen Seiten die Vögel.“

Nach diesen Worten aber fügte er, um ihn von dort wegzutreiben, folgende zweite Strophe hinzu:

§2. „Fliege fort, Rotschnäbliger, bleibe nicht,
warum bleibst du versunken am trocknen Baume?
Sag mir dies, du, der du bunt wie der Frühling,
warum verlässt du nicht, Papagei, den vertrockneten Baum?“

Darauf antwortete ihm der Papageienkönig: „Ich, o Schwan, verlasse diesen Baum nicht, weil ich mir der Dankbarkeit gegen ihn bewusst bin.“ Und er sprach die folgenden beiden Strophen:

§3. „Die ihrer Freunde Freund geworden sind,

seitdem sie leben, Schwan, in Glück und Unglück,

die lassen ihn nicht, ob tot er ist oder lebend,

die Guten, die an der Guten Tugend gedenken.

 

§4. So bin auch ich, o Schwan, der Guten einer,

befreundet ist der Baum mir und verwandt;

drum kann ich ihn ums Leben nicht verlassen,

obwohl ich merk, er ist tot; dies wäre unrecht.“

Als Sakka diese Worte vernommen, sprach er befriedigt, um ihn zu preisen und ihm einen Wunsch zu gewähren, die folgenden beiden Strophen:

§5. „Gut ist es, dass du Freundschaft hieltest

und Liebe zeigst und Freundestreue;

wenn diese Tugend du erwählst,

wirst du gepriesen von den Weisen.

 

§6. Drum einen Wunsch gewähr ich dir,

Papagei, der du fliegst in Lüften;

drum wünsche dir, Krummschnäbliger,

was immer du im Herzen willst.“

Da dies der Papagei hörte, sprach er, um seinen Wunsch zu äußern, folgende siebente Strophe:

§7. „Wenn du, o Schwan, mir einen Wunsch gewährst,
so soll der Baum hier wieder Leben haben;
mit Zweigen, Früchten und mit jungem Grün
soll er voll Süße dastehn weithin glänzend.“

Ihm seinen Wunsch gewährend sprach Sakka folgende achte Strophe:

§8. „Du sollst ihn sehn voll Früchten, Freund, und mächtig,
Wohnung soll dir der Feigenbaum gewähren.
Mit Zweigen, Früchten und mit jungem Grün
soll er voll Süße dastehn weithin glänzend.“

Nachdem er aber so gesprochen, veränderte er sein Aussehen und zeigte sich und Suja in ihrer wahren Gestalt. Aus dem Ganges nahm er Wasser mit seiner Hand und traf damit den Stumpf des Udumbara-Baumes. Sogleich belebte sich wieder der Baum; er erhielt seine Zweige und sein Laubdach wieder und bekam süße Früchte. Wie ein Berg aus puren Edelsteinen stand er da voll Herrlichkeit. Als dies der Papageienkönig sah, sprach er voll Freude, um Sakka zu preisen, folgende Strophe:

§9. „So mögst du, Sakka, glücklich leben
mit allen deinen Anverwandten,
wie heut' ich wieder glücklich bin,
da ich den Baum voll Früchten sehe.“

Nachdem aber Sakka ihm seinen Wunsch gewährt und dem Feigenbaum die Fähigkeit verliehen hatte, ewige Früchte zu tragen, kehrte er mit Sujata wieder an seinen Wohnort zurück.

Um diese Begebenheit zu schildern, gibt es noch folgende Schlussstrophe vom völlig Erleuchteten:

§10. Da nach dem Wunsch des Papageien

voll Früchten er den Baum gemacht,

kehrt' mit der Gattin er zurück

nach Nandana, dem Götterwohnsitz.“

 

§A2. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, fügte er hinzu: „So, o Mönch, waren in der Vorzeit die Weisen, obwohl sie in der Familie der Tiere wiedergeboren waren, frei von Begierde nach besserer Nahrung; warum bist du, der du doch in dieser Lehre Mönch geworden, von dieser Begierde besessen? Gehe und bleibe dortselbst wohnen.“ Und er gab ihm einen neuen Betrachtungsstoff.

 

§C. Hierauf verband er das Jataka mit folgenden Worten (der Mönch aber kehrte dorthin zurück und gelangte durch geistige Beschauung zur Heiligkeit): „Damals war Sakka Anuruddha, der Papageienkönig aber war ich.“

Ende der großen Erzählung von dem Papageien


[1] Ein Zeichen dafür, dass auf der Erde etwas Außergewöhnliches geschieht, wodurch der Betreffende der Sakka-Würde sich würdig macht.

[2] Gott Sakka weiß, dass der Papagei nur aus Dankbarkeit und aus Freundschaft zu der im Baume wohnenden Gottheit auf dem Baume wohnen bleibt.


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