Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

416. Die Erzählung von Parantapa (Parantapa-Jataka)

„Es wird sich mir das Böse nahen“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Veluvana verweilte, mit Beziehung auf den Mordversuch des Devadatta. — Damals nämlich begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, Devadatta ist immer darauf aus, den Vollendeten zu töten. Er hat die Bogenschützen ausgesandt, den Felsen geschleudert und den Elefanten Nalagiri losgelassen. Er ersinnt immer ein Mittel, um den Vollendeten zu vernichten.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon war dieser auf meinen Tod bedacht; während er aber mir nicht einmal Furcht einflößen konnte, geriet er selbst dadurch ins Unglück.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Schoße von dessen erster Gemahlin seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war, erlernte er zu Takkasila alle Künste. Er machte sich auch einen Zauberspruch zu eigen, mit dem er alle Tierstimmen verstehen konnte. Nachdem er sich bei seinem Lehrer Mühe gegeben, kehrte er nach Benares zurück. Der Vater verlieh ihm die Stelle des Vizekönigs. Obwohl er ihn aber zum Vizekönig gemacht hatte, bekam er Lust, ihn zu töten, und wünschte, ihn nicht mehr zu sehen.

Ein Schakalweibchen aber war mit seinen zwei Jungen bei Nacht, als sich die Menschen zur Ruhe zurückgezogen hatten, durch eine Öffnung der Mauer in die Stadt eingedrungen. Unweit vom Schlafgemach des Bodhisattva befand sich bei seinem Palaste eine Halle; dort hatte ein Wanderer seine Schuhe ausgezogen und sie zu seinen Füßen auf den Boden gestellt; er selbst legte sich auf eine Bank, schlief aber noch nicht. Die Jungen des Schakalweibchens schrieen vor Hunger. Da sagte ihnen ihre Mutter: „Ihr Kinder, macht keinen Lärm! In dieser Halle hat ein Mann seine Schuhe ausgezogen, sie auf den Boden gestellt und sich selbst auf die Bank gelegt. Er schläft aber noch nicht. Wenn er eingeschlafen ist, werde ich diese Schuhe wegtragen und euch zu fressen geben.“ So sagte sie in ihrer Sprache.

Der Bodhisattva, der durch die Macht seines Zaubers ihre Sprache verstand, ging aus seinem Schlafgemach hinaus, öffnete das Fenster und rief: „Wer ist da?“ „Ich, o Fürst, ein Wandersmann“, war die Antwort. „Wo hast du deine Schuhe?“ „Auf dem Boden, o Fürst.“ „Hebe sie auf und hänge sie in die Höhe“, versetzte der Bodhisattva. Als dies das Schakalweibchen hörte, wurde es zornig auf den Bodhisattva.

An einem andern Tage drang es wieder in die Stadt ein. Damals nun war ein Betrunkener, um Wasser zu trinken, in den Lotosteich hinab gestiegen. Er fiel hinein, sank unter und starb, weil er keine Luft bekam. Seine Kleidung aber bestand aus zwei Gewändern und in seinem Gewande trug er tausend Kahapanas und einen Ring am Finger. Als nun auch jetzt die Jungen des Schakalweibchens schrieen: „Wir sind hungrig“, sagte ihre Mutter: „Ihr Kinder, macht keinen Lärm! In diesem Lotosteiche liegt ein toter Mann; dieser besitzt dies und das. Nachdem er aber tot ist, liegt er wie in einem Laden [1]; ich werde euch diesen Mann zu fressen geben.“ Als der Bodhisattva dies hörte, öffnete er sein Fenster und rief: „Wer ist in der Halle?“ Einer stand auf und antwortete: „Ich, o Fürst.“ Darauf sagte zu ihm der Bodhisattva: „Gehe, nimm von dem Manne, der in diesem Lotosteiche gestorben ist, seine Gewänder, seine tausend Kahapanas und seinen Fingerring und versenke seinen Leichnam so im Wasser, dass er nicht wieder an die Oberfläche kommt.“ Jener tat so.

Das Schakalweibchen aber rief voll Zorn: „An dem früheren Tage ließest du meine Kinder die Schuhe nicht fressen, heute lässt du sie den toten Mann nicht verzehren. Gut! Am dritten Tage von heute an wird ein feindlicher König kommen und die Stadt umlagern. Dann wird dich dein Vater zum Kämpfen aussenden und man wird dir dabei den Kopf zerschmettern. Dann werde ich das Blut deiner Kehle trinken und dadurch meinen Hass befriedigen. Du fängst mit mir Feindschaft an; ich werde es schon sehen!“ Nachdem sie mit diesem Schrei den Bodhisattva erschreckt hatte, eilte sie mit ihren Jungen fort.

Am dritten Tage kam der feindliche König und umlagerte die Stadt. Da sagte der König zum Bodhisattva: „Gehe, Lieber, und kämpfe mit ihm.“ Doch dieser antwortete: „O Fürst, ich habe ein Gesicht gehabt; ich getraue mich nicht hinzugehen. Ich fürchte eine Gefahr für mein Leben.“ Doch der König versetzte: „Ob du tot oder nicht tot bist, was geht das mich an? Gehe nur!“ Der Bodhisattva erwiderte: „Gut, o Fürst“; er nahm sein Gefolge mit, ging aber nicht bei dem Tore hinaus, wo der König stand, sondern ließ ein anderes Tor öffnen und verließ hier die Stadt. Als er aber fortzog, war die ganze Stadt wie leer; alle zogen mit ihm zusammen fort. An einem passenden Orte schlug er ein befestigtes Lager und lagerte sich dort.

Da dachte der alte König: „Der Vizekönig hat die Stadt leer gemacht und ist mit dem Heere entflohen; der feindliche König aber steht rings um die Stadt. Jetzt ist mein Leben verloren!“ Um sein Leben zu retten, nahm er nur die Königin, den Hauspriester und einen Diener namens Parantapa mit sich; zur Nachtzeit entfloh er in einem unkenntlich machenden Gewande und gelangte in den Wald. Als aber der Bodhisattva von dessen Flucht Kunde erhielt, kehrte er in die Stadt zurück, begann den Kampf und schlug den feindlichen König in die Flucht. So gewann er die Herrschaft zurück.

Sein Vater aber erbaute sich am Ufer eines Flusses eine Laubhütte und weilte dort, indem er sich von den Früchten des Waldes nährte. Der König und der Hauspriester gingen fort, um Waldfrüchte zu holen; der Sklave Parantapa aber blieb immer bei der Königin in der Laubhütte. Damals nun entstand durch den König im Schoße seiner Gemahlin eine Frucht. Infolge ihres beständigen Zusammenseins mit Parantapa aber verfehlte sie sich mit diesem. Eines Tages sprach sie zu Parantapa: „Wenn es der König erfährt, bleibst weder du noch ich am Leben; töte ihn!“ „Wie soll ich ihn töten?“ fragte jener. Sie antwortete: „Er lässt dich sein Schwert und sein Badegewand tragen, wenn er zum Baden geht. Darum, wenn du an dem Platz, wo er badet, merkst, dass er müde geworden ist, so spalte seinen Kopf mit dem Schwerte, schlage seinen Körper in kleine Stücke und vergrabe sie in der Erde.“ Jener gab seine Zustimmung.

Eines Tages war der Hauspriester allein fortgegangen, um Waldfrüchte zu sammeln, und hatte dabei unweit von dem Uferrande, wo der König zu baden pflegte, einen Baum erstiegen, wo er die Früchte abpflückte. Der König wollte baden; er ließ daher den Parantapa sein Schwert und sein Badegewand nehmen und begab sich nach dem Ufer des Flusses. Als er nun während des Badens müde geworden war, packte ihn Parantapa, um ihn zu töten, beim Halse und schwang auf ihn das Schwert. Aus Todesfurcht schrie jener. Als der Hauspriester den Schrei hörte, schaute er hinab und sah, wie Parantapa gerade den König tötete. Voll Furcht ließ er den Zweig los, stieg vom Baum herab, kroch in ein Dickicht und setzte sich dort nieder.

Parantapa aber hatte das Geräusch von dem losgelassenen Zweige gehört. Als er daher den König getötet und in der Erde vergraben hatte, dachte er bei sich: „An diesem Orte war ein Geräusch hörbar, als ob ein Zweig losgelassen würde; wer ist denn da?“ Als er aber niemand sah, badete er und entfernte sich. Nachdem dieser fortgegangen war, kam der Hauspriester von dem Orte hervor, wo er gesessen hatte, und merkte, dass der König in kleine Stücke zerhauen und in einem Erdloch vergraben worden war. Aus Furcht, er möchte getötet werden, stellte er sich, als ob er blind wäre, und begab sich nach der Laubhütte. Als ihn Parantapa sah, sagte er: „Brahmane, was ist mit dir geschehen?“ Dieser antwortete, als ob er ihn nicht erkennte: „O Fürst, ich komme zurück, nachdem ich meine Augen verloren. Ich stellte mich in einem Walde, der dicht besetzt ist von Giftschlangen, neben einen Ameisenhügel; da wird eine Giftschlange mich mit dem Hauche ihrer Nase getroffen haben.“

Parantapa dachte nun: „Er kennt mich nicht und redet mich deshalb mit dem Namen König an; ich will ihn trösten!“ Und er sprach zu ihm: „Brahmane, sei unbekümmert; ich werde dich pflegen.“ Nachdem er ihn so getröstet, gab er ihm Waldfrüchte zu essen und stillte seine Bedürfnisse.

Von da an holte der Sklave Parantapa die Waldfrüchte. Die Königin aber gebar einen Sohn. Als der Knabe heranwuchs, sprach sie einmal, während sie zur Zeit der Morgendämmerung zufrieden dasaß, leise zu dem Sklaven Parantapa: „Hat dich jemand gesehen, da du den König tötetest?“ Er antwortete: „Niemand hat mich gesehen; ich hörte aber ein Geräusch, als ob ein Zweig losgelassen würde, und weiß nicht, ob dieser Zweig von einem Menschen oder einem Tiere losgelassen wurde. Wenn aber einmal eine Gefahr für mich kommen wird, so muss sie von dem kommen, der den Zweig losgelassen.“ Und indem er sie anredete, sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Es wird sich mir das Böse nahen,

es wird sich nahen mir Gefahr;

denn damals ward ein Zweig bewegt

von einem Menschen oder Tier.“

Sie dachten aber, der Brahmane schlafe. Dieser jedoch schlief nicht, sondern hörte ihre Rede.

Eines Tages nun, als der Sklave Parantapa ausgegangen war, um Waldfrüchte zu sammeln, gedachte der Hauspriester an seine Brahmanin und sprach lallend folgende zweite Strophe:

§2. „Nach meiner Gattin hab ich Sehnsucht,

der scheuen [2], die nicht gar so fern;

sie wird mich gelb und mager machen,

so wie der Zweig Parantapa.“

Da fragte ihn die Königin: „Was sagst du da, Brahmane?“ Er erwiderte: „Ich war in Gedanken.“ An einem andern Tage aber sprach er folgende dritte Strophe:

§3. „Mit Schmerz erfüllt mich die Geliebte,

die in der Stadt weilt ohne Tadel;

sie wird mich gelb und mager machen,

so wie der Zweig Parantapa.“

Wieder an einem andern Tage sprach er folgende vierte Strophe:

§4. „Wenn an ihr schwarzes Aug' ich denke,

ihr Lächeln, ihre süßen Worte,

so werd' ich gelb davon und mager,

wie durch den Zweig Parantapa.“ —

In der Folgezeit aber war der Prinz herangewachsen und sechzehn Jahre alt geworden. Da ließ ihn der Brahmane das Ende seines Stockes ergreifen [3], ging nach der Badestelle hin, machte die Augen auf und schaute ihn an. Der Prinz fragte: „Bist du denn nicht blind, Brahmane?“ Dieser antwortete: „Ich bin nicht blind; durch dieses Mittel aber habe ich mein Leben gerettet.“ Darauf fuhr er fort: „Kennst du deinen Vater?“ „Gewiss“, versetzte der Prinz. Doch jener sprach: „Dies ist nicht dein Vater; dein Vater ist der König von Benares und dies ist nur euer Sklave. Nachdem er sich mit deiner Mutter versündigt, hat er an dieser Stelle deinen Vater getötet und vergraben.“ Nach diesen Worten holte er die Gebeine aus der Erde hervor und zeigte sie dem Prinzen.

Da wurde der Prinz von furchtbarem Zorn erfüllt und er fragte jenen: „Was soll ich jetzt tun?“ Er antwortete: „Was er an dieser Uferstelle an deinem Vater getan hat, das tue du jetzt an ihm.“ Dann erzählte er ihm die ganze Begebenheit und lehrte ihn während ein paar Tagen, wie er das Schwert zu führen habe. Eines Tages nun nahm der Prinz das Schwert und das Badegewand und sagte: „Vater, wir wollen baden gehen.“ Parantapa stimmte zu und ging mit ihm. Als er aber in das Bad hinabgestiegen war, packte ihn der Prinz mit der Linken am Schopfe, mit der Rechten fasste er das Schwert und sprach: „Du hast an dieser Uferstelle meinen Vater am Schopf gepackt und ihn, da er um Hilfe rief, getötet; jetzt werde ich an dir dasselbe tun!“ Von Todesangst ergriffen sprach jener jammernd folgende zwei Strophen:

§5. „Jetzt ist der Laut zu dir gedrungen

und hat dir alles nun erzählt;

verkündigt ward es dir von dem,

der einst den Zweig hat losgelassen.

 

§6. Zu deinem Ohr ist jetzt gedrungen,

was ich in meiner Torheit dachte;

denn damals ward ein Zweig bewegt

von einem Menschen oder Tier.“

Darauf sprach der Prinz folgende Schlussstrophe:

§7. „Du hast doch dieses wohl gewusst,

dass du in Todesnot wirst kommen;

und doch hast meinen Vater du

getäuscht und zugedeckt mit Zweigen.“

Nach diesen Worten aber tötete er ihn und bedeckte ihn mit Zweigen. Dann reinigte er sein Schwert, wusch sich und kehrte nach der Laubhütte zurück. Nachdem er dem Hauspriester erzählt, dass er jenen getötet habe, und seine Mutter gescholten hatte, überlegten sie, was sie tun sollten. Die drei Leute begaben sich nach Benares. Der Bodhisattva übertrug seinem jüngeren Bruder das Amt des Vizekönigs; er selbst tat gute Werke wie Almosen Geben u. dgl. und gelangte dann in den Himmel.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der alte König Devadatta, der junge König aber war ich.“

Ende der Erzählung von Parantapa


[1] D. h. er treibt an der Oberfläche des Wassers und ist so leicht erreichbar wie eine Ware in einem Laden.

[2] Ein Ehrenname für eine Frau, die immer ihren Mann fürchten soll.

[3] Neil übersetzt: „made him take a stick“. Gemeint ist aber jedenfalls der Stock, an dem er den vermeintlichen Blinden leitet.


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