Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

405. Die Erzählung von Bakabrahma (Bakabrahma-Jataka)

„Siebzig und zwei“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Bakabrahma [1]. Dieser hatte nämlich folgenden falschen Glauben angenommen: „Dieser Zustand ist beständig, unveränderlich, immerwährend, unbeendbar; von hier aus gibt es in der Welt sonst keine Erlösung und kein Aufhören.“ In einer früheren Existenz nämlich hatte dieser Brahma früher die Ekstase betätigt und war im Vehapphala-Himmel wiedergeboren worden. Nachdem er dort fünfhundert Weltalter zugebracht hatte, wurde er im Subhakinna-Himmel wiedergeboren. Nachdem er dort vierundsechzig Weltalter gelebt, verließ er diesen Ort und wurde für acht Weltalter im Abhassara-Himmel wiedergeboren. Dort gelangte er zu jenem Irrglauben. Er erinnerte sich nämlich nicht, dass er eine höhere Brahma-Welt [2] verlassen und in diese niedere gekommen sei; und weil er beides nicht wusste, nahm er jenen Irrglauben an.

Der Erhabene aber merkte, dass dieser Gedanke in seinem Geiste aufgestiegen war. So wie ein starker Mann seinen gekrümmten Arm ausstreckt oder seinen ausgestreckten Arm krümmt [3], ebenso verschwand er aus dem Jetavana und erschien in der Brahma-Welt. Als Brahma den Erhabenen sah, sprach er zu ihm: „Komm, Ehrwürdiger, willkommen, Ehrwürdiger; schon lange ist es her, seitdem du dir die Gelegenheit genommen hast, hierher zu kommen. Dieser Zustand nämlich, Ehrwürdiger, ist beständig, unveränderlich, immerwährend, unbeendbar. Dieser Zustand wird nicht erzeugt, er altert nicht, er stirbt nicht, er vergeht nicht. Von hier aus gibt es aber keine andere Erlösung mehr.“

Nach diesen Worten aber sprach der Erhabene zu Bakabrahma: „Unwissend fürwahr ist geworden Bakabrahma; unwissend fürwahr ist er geworden, weil er dieses Unbeständige beständig, dieses Veränderliche unveränderlich, dieses zeitlich Begrenzte immerwährend, dieses Endliche unbeendbar nennt und weil er von der Erlösung, die es noch über diesen Zustand hinaus gibt, behauptet, es gebe darüber hinaus keine Erlösung.“

Als dies der Brahma hörte, dachte er: „Mit seinen Worten: ‘Du hast so gesagt, du hast so gesagt’, spürt mich dieser auf und verfolgt mich“; und wie ein schwacher Dieb, wenn er einige Schläge erhalten hat, ruft: „Bin ich allein ein Dieb? Auch der ist ein Dieb, auch jener ist ein Dieb“, und alle seine Genossen anzeigt, so zeigte auch er aus Furcht vor den Fragen des Erhabenen auch seine andern Genossen an und sprach folgende erste Strophe:

§1. „Siebzig und zwei, Gotama, Tugendhafte

sind erhaben über Geburt und Alter.

Dies ist die letzte Vollendung nach unserm Wissen

und mit Liedern preisen uns viele Leute.“

Als der Meister seine Worte vernommen, sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Nur kurz ist diese Zeit und nicht sehr lang,

die du, o Baka, für so lange hältst.

Auf hunderttausend Nirabuddha-Zeiten [4]

ist mir dein Leben, Brahma, wohlbekannt.“

Als Baka dies hörte, sprach er folgende dritte Strophe:

§3. „In das Unendliche blick ich, Erhabner,

Geburt, Schmerz, Alter hab ich überwunden.

Was brauche ich die frühere Tugendübung?

Verkünd'ge mir, was ich noch wissen sollte.“

Indem nun der Erhabene ihm seine früheren Existenzen mitteilte und erklärte, sprach er die folgenden vier Strophen:

§4. „Dass du einst viele Menschen hast getränkt,

die durstig waren in der Glut des Sommers,

an diese deine frühre Tugendübung

denk ich, als sei ich aus dem Traum erwacht [5].

 

§5. Am Ufer des Eni-Flusses hast du die Leute befreit,

die fest gefesselt wurden dahergeführt.

An diese deine frühre Tugendübung

denk ich, als sei ich aus dem Traum erwacht [6].

 

§6. Am Gangesflusse ward ein Schiff ergriffen

von einem gier'gen Naga, der nach Menschen verlangte:

doch du befreitest es, mit Kraft obsiegend.

An diese deine frühre Tugendübung

denk ich, als sei ich aus dem Traum erwacht [7].

 

§7. Einstmals war ich dein Schüler namens Kappa,

hielt dich für tugendhaft und ganz erleuchtet.

An diese deine frühre Tugendübung

denk ich, als sei ich aus dem Traum erwacht [9].“

Infolge der Worte des Meisters aber erinnerte jener sich wieder an das, was er früher getan, und sprach, um ihn zu preisen, folgende Schlussstrophe:

§8. „Fürwahr genau kennst du mein früh'res Leben,

das andre weißt du auch, drum bist du Buddha.

Darum lässt deine leuchtende Erscheinung

die Brahma-Welt in hellem Glanz erstrahlen.“

So ließ ihn der Meister seinen Buddhavorzug erkennen. Dann erklärte er die Lehre und verkündigte die Wahrheiten. Am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber wurden die Herzen von zehntausend Brahmas von der Anhänglichkeit an das Irdische losgelöst und von der Befleckung gereinigt.

Nachdem so der Erhabene vielen Brahmas eine Rettung geworden war, kehrte er nach dem Jetavana zurück und gab hier in der oben angeführten Art eine Unterweisung in der Lehre.

 

§C. Dann verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Asket Kesava Bakabrahma [11], der junge Brahmane Kappa aber war ich.“

Ende der Erzählung von Bakabrahma


[1] Es ist nicht der Gott Brahma, sondern ein Bewohner eines der Brahmahimmel.

[2] Der Abhassara-Himmel ist niedriger als der Subhakinna-Himmel und dieser steht wieder unter dem Vehapphala-Himmel.

[3] Ein in den älteren Texten häufig vorkommender Ausdruck für die Schnelligkeit.

[4] Ein Nirabuddha ist 10.000.000 in der 9. Potenz, also eine 64-stellige Zahl [= 10 hoch 63].

[5] Der Kommentator fügt zur Erklärung folgende Erzählung bei: Dieser Brahma war in einem früheren Weltalter ein Asket und wohnte in einer wüsten Wildnis; er holte dabei vielen, die in diese Wildnis kamen, Wasser und gab es ihnen. Eines Tages nun kam eine aus fünfhundert Wagen bestehende Karawane an diese wüste Wildnis. Die Leute konnten die Richtung nicht mehr unterscheiden, sondern suchten umher. Sie verloren ihr Holz und Wasser und dachten ohne Nahrung und durstgequält: „Jetzt sind wir verloren.“ Sie wendeten ihre Wagen um, ließen ihre Rinder frei und legten sich unter ihre Wagen. Als nun damals der Asket umherspähte, sah er sie. Er dachte: „Sie sollen nicht unter meinen Augen zugrunde gehen.“ Durch seine Wundermacht zog er den Gangesstrom heran und ließ ihn nach der Karawane zu fließen; unfern davon erschuf er einen Wald. Da tranken die Menschen Wasser, badeten, befriedigten ihre Ochsen, indem sie aus dem Walde Gras abschnitten, und sammelten Holz. Dann erkannten sie ihre Wegrichtung wieder und durchzogen wohlbehalten die Wildnis. Mit Bezug auf diese Tat ist dies gesagt.

[6] Der Kommentator erzählt dazu folgendes: Dieser Asket wohnte nämlich zu einer andern Zeit in der Nähe eines Grenzdorfes am Flussufer in einem Walde. Eines Tages aber stiegen Räuber vom Berge herab, zerstörten das Dorf, nahmen viele Menschen gefangen und führten sie auf den Berg. Unterwegs ließen sie ihre Begleiter warten, gingen in eine Berghöhle hinein und setzten sich nieder, indem sie sich ein Mahl kochten. Der Asket hörte das Schreien der Kühe, Büffel und der anderen Tiere und die Hilferufe der Frauen und Kinder und dachte: „Unter meinen Augen sollen sie nicht zugrunde gehen.“ Durch seine Wunderkraft verwandelte er seine Person und wurde ein König, umgeben von einem aus den vier Bestandteilen zusammengesetzten Heere. Er ließ die Kampftrommel schlagen und kam an diesen Ort. Als die Begleiter ihn sahen, meldeten sie es den Räubern. Die Räuber aber dachten: „Mit einem Könige kann man nicht kämpfen“; sie warfen die geraubte Beute weg und liefen fort, ohne ihr Mahl zu verzehren. Der Asket führte jene alle in ihr Dorf und ließ sie dort wohnen. Mit Bezug darauf ist dies gesagt.

[7] Hier fügt der Kommentator folgende Geschichte bei: Zu dieser Zeit wohnte der Asket am Gangesufer. Damals hatten die Leute zwei oder drei Schiffe miteinander verbunden und auf der Verbindung einen Blumenpavillon errichtet, wo sie sich niedersetzten und mit ihren Angehörigen aßen und tranken. Dann warfen sie den Branntwein, der beim Trinken übrig geblieben war, sowie den Brei, Fische, Fleisch, Reiskörner u. dgl., die beim Essen übrig geblieben waren, in den Ganges. Der im Ganges wohnende Naga-König aber wurde zornig, weil sie ihre Überreste auf ihn fallen ließen, und dachte: „Ich will sie alle ergreifen und im Ganges zurückhalten.“ Daher nahm er eine Gestalt an, die so groß war wie ein Droni-Schiff [8], zerteilte das Wasser und erschien vor ihren Augen, indem er seinen Schweif hoch stellte. Als jene den Schlangenkönig sahen, fingen sie von Todesfurcht ergriffen alle zusammen zu schreien an. Jener Asket aber hörte ihren Klagelaut und sah, wie der Naga-König ihnen zürnte. Daher dachte er: „Unter meinen Augen sollen diese nicht zugrunde gehen“, nahm rasch durch seine Wunderkraft die Gestalt eines Supanna an und kam herbei. Als ihn der Naga-König sah, tauchte er von Todesfurcht ergriffen im Wasser unter. Die Menschen gingen gerettet fort; in Bezug darauf ist obiges gesagt.

[8] Ein trogförmiges Schiff, heute Dhoney genannt.

[9] Hierzu erzählt der Kommentator: „Als du, großer Brahma, der Asket Kesava warst, war ich unter dem Namen Kappa dein Schüler und Gehilfe; und als du von dem Minister Narada von Benares nach dem Himalaya geführt wurdest, heilte ich deine Krankheit [10]. Als nun Narada zum zweiten Male kam und dich gesund sah, sprach er folgende Strophe:

„Da du den Menschenfürst verlassen,

der alle Wünsche dir erfüllte,

wie kann jetzt der ehrwürd'ge Kesi

in Kappas Hütte sich erfreuen?“

Zu ihm aber sprachest du:

„Süß und entzückend ist es hier,
gar anmutig sind diese Bäume;
die lieben Worte meines Kappa,
o Narada, erfreuen mich.“

So sagte der Erhabene, indem er erzählte, wie von ihm als Schüler die Krankheit von jenem geheilt wurde. Er erzählte dies aber, um Mahabrahma an alles zu erinnern, was er als Mensch getan hatte.

[10] Vgl. dazu oben Jataka 346 Strophen 1 und 2, wo auch die beiden hier angeführten Strophen übersetzt sind.

[11] Da ein eigentliches Jataka fehlt, bezieht sich die Identifizierung nur auf die Personen der letzten Geschichte.


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