Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

396. Die Erzählung von dem Klafter (Kukku-Jataka)

„Zwei und ein halbes Klafter“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Königsermahnung.

 §D. Die Begebenheit aus der Vergangenheit wird im Tesakuna-Jataka [Jataka 521] erzählt werden.

§B. Als aber ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva dessen Minister, der ihm in weltlichen und geistlichen Dingen Rat erteilte. Der König ging die bösen Wege und führte in Ungerechtigkeit seine Regierung; er bedrückte das Land und suchte immer, Geld zusammenzubringen. Der Bodhisattva wollte dem König eine Ermahnung geben und suchte beständig nach einem Gleichnis.

Das Schlafzimmer des Königs aber war noch nicht vollendet, seine Bedeckung war nicht fertiggestellt. Die Dachsparren trugen den Giebel, waren aber erst angelehnt. Als nun einmal der König, um sich zu erholen, in den Park gegangen und dort umhergewandelt war, kehrte er in sein Haus zurück. Da blickte er in die Höhe und sah die Rundung des Giebels. Aus Furcht, dieser möchte auf ihn fallen, ging er hinaus, blieb draußen stehen und schaute abermals hinauf. Da kam ihm folgender Gedanke: „Durch wen steht der Giebel fest und durch wen die Dachsparren?“ Und indem er den Bodhisattva danach fragte, sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Zwei und ein halbes Klafter ist der Giebel hoch,
und rundherum misst er der Spannen acht.
Aus Simsapa- [2] und Sara-Holz [3] ist er, der feste;
worauf ist er gestützt, dass er herab nicht fällt?“

Als dies der Bodhisattva hörte, dachte er bei sich: „Jetzt habe ich ein Gleichnis gefunden, um dem König eine Ermahnung geben zu können“; und er sprach folgende Strophen:

§2. „Die dreißig Dachsparren aus Sara-Holz,
die rings gebogen stehn in gleicher Weise,
von denen ist gefasst er, stark gehalten,
dass grad' er steht und nicht herunterfällt.
 
§3. So wird der Weise auch von festen Freunden,
die unerschütterlich und rein und weise,
gehalten, dass er nicht aus seiner Höhe stürzt,
so wie der Giebel, den die Sparren stützen.“ —

Während aber der Bodhisattva so redete, merkte der König, dass er sein eigenes Tun meine, und erwiderte: „Wenn kein Giebel vorhanden ist, so haben die Dachsparren keinen festen Halt und auch der Giebel steht nicht fest, wenn ihn die Dachsparren nicht festhalten; wenn die Dachsparren zerbrechen, fällt der Giebel herunter. Ebenso geht es einem ungerechten König, der sich nicht an seine Freunde und Minister, an sein Heer, an die Brahmanen und Hausväter anschließt, wenn diese zerbrechen, weil er nicht von ihnen gehalten wird, die Herrschaft verlieren. Ein König muss also tugendhaft sein.“

In diesem Augenblick brachte man ihm eine Zitrone zum Geschenk. Der König sagte zum Bodhisattva: „Freund, iss die Zitrone!“ Der Bodhisattva nahm sie und sprach: „O Großkönig, diejenigen, die diese Frucht nicht essen können, machen sie entweder bitter oder sauer. Die Weisen aber, die es verstehen, nehmen die Bitterkeit weg, holen die Säure nicht hervor, sondern trinken den unversehrten Saft der Zitrone.“ Und indem er dem Könige mit diesem Gleichnis das Mittel sagte, wie man sich Geld verschaffen solle, sprach er folgende zwei Strophen:

§4. „Wie einer, der nicht der Zitrone harte Schale
mit seinem Messer abschält, sie nur bitter macht,
wenn er sie aber abschält, sie genießbar macht, o Fürst,
doch wenn die dünne Haut er nimmt, sie wieder schlecht macht,
 
§5. So macht der Weise es in Stadt und Dörfern:
Frei von Gewalttat sammelt er das Geld des Königs;
der Tugend stets ergeben, richtig lebend,
erreicht sein Ziel er und verletzt nicht andre [4].“

Während noch der König sich mit dem Bodhisattva unterhielt, begab er sich mit ihm an das Ufer eines Lotosteiches. Da sah er eine schöne blühende Lotosblume, die die Farbe der jungen Sonne hatte, die aber vom Wasser nicht benetzt wurde, und sagte: „Freund, diese Lotosblume, die doch im Wasser geboren ist, lebt da, ohne vom Wasser benetzt zu werden.“ Darauf ermahnte ihn der Bodhisattva: „O Großkönig, auch ein König muss derartig sein“, und sprach folgende Strophen:

§6. „Wie eine Lotosblume, die mit weißer Wurzel
in klarem Wasser in dem Teich geboren,
sich weit entfaltet, glänzend wie das Feuer,
und nicht berührt sie Schmutz, noch Kot, noch Wasser,
 
§7. so wird, wer rechtlich handelt, nicht gewaltsam,
wer rein in seinem Tun und frei vom Bösen,
nicht von Befleckung heimgesucht; er gleicht
der Lotosblume, die im Wasser wächst.“

Als der König die Ermahnung des Bodhisattva vernommen, führte er von da an in Gerechtigkeit seine Regierung, tat gute Werke wie Almosen Spenden u. dgl. und gelangte darauf in den Himmel.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war Ananda der König, der weise Minister aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Klafter


[2] Simsapa ist der Baum Dalbergia sisu.

[3] Sara-Holz bedeutet wohl „das beste Holz“; denn das Holz des Sara-Strauches, des Zuckerrohres, kann nicht gut gemeint sein.

[4] Der Kommentator fügt hier zur Erklärung die 4. Strophe des Jataka 385 bei.

[Almosen, Tugend, Opferfreude,
Geradheit, Milde, Selbstbezähmung,
Versöhnlichkeit und Menschlichkeit,
Geduldigsein und Freundlichkeit.]

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