Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

359. Die Erzählung von der Goldantilope (Suvannamiga-Jataka)

„So flüchte doch, du großes Tier“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf eine Tochter aus edler Familie. Diese nämlich, eine Tochter aus der Familie zu Savatthi, die den beiden ersten Schülern aufzuwarten pflegte, war gläubig und bekehrt. Sie war eine Verehrerin des Buddha, der Lehre und der Gemeinde; sie war ausgezeichnet durch reinen Wandel, weise und erfreute sich am Almosen Geben und anderen guten Werken. — Diese wählte eine andere Familie zu Savatthi von gleichem Range, die aber irrgläubig war, zur Frau. Ihre Eltern aber sagten: „Unsre Tochter ist gläubig und bekehrt; sie verehrt die drei Kleinodien und hat ihre Freude am Almosen Geben und anderen guten Werken. Ihr aber seid irrgläubig; ihr werdet sie nicht nach ihrem Belieben Almosen spenden, die Predigt der Lehre anhören, in das Kloster gehen, die Gebote halten und die Uposatha-Gebräuche beobachten lassen. Wir werden sie euch nicht geben; wählet ein Mädchen aus einer Familie, die ebenso irrgläubig ist wie ihr!“

Da jene so zurückgewiesen wurden, sagten sie: „Wenn eure Tochter in unser Haus gezogen ist, so soll sie dies alles tun, ganz wie es ihr gefällt; wir werden sie nicht daran hindern. Gebet sie uns!“ Daher erwiderten die anderen: „Nehmet sie also.“ Jene veranstalteten unter günstiger Konstellation eine große Festlichkeit und führten sie in ihr Haus. Sie zeichnete sich aus durch pflichttreuen Wandel und war eine ihrem Gatten ergebene Frau; auch ihre Verpflichtungen gegen Schwiegervater und Schwiegermutter erfüllte sie treulich.

Eines Tages sagte sie zu ihrem Gatten: „Du Sohn eines Edlen, ich wünsche den Theras, die von meiner Familie unterstützt werden, ein Almosen zu spenden.“ „Gut, Liebe“, erwiderte jener, „spende nach Wunsch Almosen!“ Eines Tages ließ sie die beiden Theras zu sich einladen, erwies ihnen große Ehrung und setzte ihnen ausgezeichnete feste und flüssige Speise vor. Als sie dann ihnen zur Seite saß, sagte sie: „Herr, diese Familie ist der Irrlehre ergeben und ungläubig; sie kennt nicht den Vorzug der drei Kleinodien. Gut wäre es, wenn Ihr solange nur hier Euer Mahl einnehmen würdet, bis diese Familie den Vorzug der drei Kleinodien erkennt.“ Die Theras gaben ihre Zustimmung und nahmen dort beständig ihr Mahl ein. Darauf sprach sie wieder zu ihrem Gatten: „Du Sohn eines Edlen, die Theras kommen beständig nur hierher; warum besucht Ihr sie nicht?“ Als er dies hörte, erwiderte er: „Gut, ich werde sie besuchen.“

Am nächsten Tage, als die Theras ihr Mahl beendet hatten, teilte sie dies ihrem Manne mit. Dieser kam herbei, begann mit den Theras eine liebenswürdige Unterhaltung und setzte sich ihnen zur Seite. Darauf erklärte ihm der Heerführer der Lehre die Lehre. — Von der Predigt des Thera und von seinem heiligen Wandel befriedigt, ließ jener von da an den Theras einen Sitz zum Niedersitzen herrichten und Wasser bereitstellen und während des Mahles hörte er die Lehre.

In der Folgezeit schwand sein Irrglaube. Eines Tages nun, als der Thera den beiden die Lehre predigte, verkündete er die Wahrheiten; am Ende der Verkündigung der Wahrheiten gelangten die beiden zur Frucht der Bekehrung. Von da an gaben alle, von seinen Eltern angefangen bis hinunter zu den Sklaven und Dienern, ihren Irrglauben auf und wurden Verehrer des Buddha, der Lehre und der Gemeinde.

Eines Tages nun sprach jene junge Frau zu ihrem Gatten: „Du Sohn eines Edlen, was soll mir das Wohnen im Hause? Ich möchte die Welt verlassen.“ Er erwiderte: „Gut, Liebe, auch ich werde die Welt verlassen.“ Darauf führte er sie mit großem Gefolge in das Nonnenkloster und ließ sie dort Nonne werden. Er selbst ging zum Meister hin und bat um die Aufnahme in den Orden. Der Meister nahm ihn auf und erteilte ihm auch später die Weihe. Die beiden aber erlangten die übernatürliche Einsicht und gelangten nicht lange darauf zur Heiligkeit. —

Eines Tages aber begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, die junge Nonne so und so ist für sich selbst eine Hilfe geworden und für ihren Gatten; beide verließen die Welt, erreichten die übernatürliche Einsicht und gelangten so zur Heiligkeit.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, hat diese ihren Gatten von der Schlinge der Lust befreit; früher befreite sie auch die Weisen der Vorzeit aus der Schlinge des Todes.“ Darauf schwieg er; auf die Bitte der Mönche aber erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Himalaya im Antilopengeschlechte seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war, war er sehr schön und reizend; er war von goldener Farbe und ausgestattet mit Händen und Füßen wie von künstlicher Lackarbeit, mit Hörnern, die silbernen Blumengewinden glichen, mit Augen wie Edelsteinkugeln und mit einem Antlitz, das einem Haufen roter Gewänder vergleichbar war. Seine Gattin war ein Antilopenweibchen; auch sie war sehr schön. Sie wohnten in Eintracht und Frieden miteinander. Achtzigtausend bunte Gazellen dienten dem Bodhisattva.

Während sie so lebten, befestigte ein Gazellenjäger an den Gazellenwechseln eine Schlinge. Als nun eines Tages der Bodhisattva vor den Gazellen herging, verstrickte er sich mit dem Fuße in die Schlinge. Um sie zu zerreißen zog er an, aber er zerriss sich nur die Haut. Nochmals zog er an; da zerriss er sich das Fleisch. Abermals zog er an; da zerriss er sich die Sehne und die Schlinge blieb fest am Knochen haften. Da er die Schlinge nicht zerreißen konnte, stieß er das Gefangenengeschrei aus. Als dies die Gazellen hörten, fürchteten sie sich und liefen davon.

Auch seine Gattin war entflohen. Als sie sich aber unter den Gazellen umschaute und den Bodhisattva nicht fand, dachte sie: „Diese Gefahr wird meinem Gatten zugestoßen sein.“ Rasch eilte sie zu ihm hin und sagte weinend, mit Tränen in den Augen: „Herr, du bist doch sehr stark. Warum sollst du dieser Schlinge nicht gewachsen sein können? Nimm deine Kraft zusammen und zerreiße sie.“ Und indem sie seine Energie anspornte, sprach sie folgende erste Strophe:

§1. „So flüchte doch, du großes Tier,
so flüchte doch, Goldfüßiger!
Zerreiße die lederne Schlinge;
nicht freu ich mich allein im Walde.“

Da dies der Bodhisattva hörte, sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Ich möchte fliehn, doch kann ich nicht;
mit Kraft zerstampfe ich den Boden.
Doch diese feste Lederschlinge,
die schneidet in den Fuß mir ein.“

Darauf erwiderte das Antilopenweibchen: „Gebieter, fürchte dich nicht, ich werde durch eigene Kraft den Jäger bitten, ihm auch mein eigenes Leben opfern und dir das Leben retten.“ Nachdem sie so das große Wesen getröstet, blieb sie stehen, den Bodhisattva umschlingend.

Der Jäger aber nahm Schwert und Spieß und kam herbei wie ein Feuer, das ein Weltalter zerstören will [1]. Als jene ihn sah, tröstete sie ihren Gatten mit folgenden Worten: „Gebieter, der Jäger kommt. Ich werde durch eigene Kraft bewirken, dass er dich frei lässt; fürchte dich nicht!“ Darauf ging sie dem Jäger entgegen, eilte auf ihn zu, trat ihm zur Seite, begrüßte ihn und sprach: „Gebieter, mein Gatte ist goldfarbig, ausgestattet mit tugendhaftem Wandel und er ist der König über achtzigtausend Gazellen.“ Nachdem sie so den Vorzug des Bodhisattva verkündet hatte, sprach sie, indem sie um ihre Tötung bat, wenn nur der Gazellenkönig am Leben bleibe, folgende dritte Strophe:

§3. „Hier breite Laub und Blätter aus,
o Jäger, zieh heraus dein Schwert!
O mögest du zuerst mich töten
und später erst das große Tier!“

Als der Jäger dies hörte, wurde er voll Verwunderung, denn er dachte: „Selbst die als Menschen Geborenen geben ihr Leben nicht her um ihres Gatten willen, um wie viel weniger die Tiere! Was ist dies?“ Da kam ihm folgender Gedanke: „Diese Gazelle redet in menschlichen Lauten mit süßer Stimme; ich schenke ihr und ihrem Gatten das Leben.“ Und er sprach, da sein Herz über sie befriedigt war, folgende vierte Strophe:

§4. „Nicht hörte ich, noch sah ich je
ein Tier, das menschlich redete;
mögst du, du Liebe, glücklich sein
und auch dazu dies große Tier!“

Als so das Gazellenweibchen den Bodhisattva glücklich sah, sprach sie, indem sie voll Freude dem Jäger ihre Danksagung darbrachte, folgende fünfte Strophe:

§5. „O mögst du, Jäger, so dich freuen
mit allen deinen Anverwandten,
wie ich mich heute darf erfreuen,
da ich befreit den Gatten sehe.“

Der Bodhisattva aber dachte bei sich: „Dieser Jäger hat mir und meiner Gattin und damit den achtzigtausend Gazellen das Leben geschenkt. Er ist mir eine Hilfe geworden; auch ich muss ihm eine Hilfe werden.“ Da er infolge seines Tugendvorrangs wusste, dass es sich zieme, dem Gebenden auch etwas zu geben, schenkte er ihm eine Menge Edelsteine, die er beim Futtersuchen gesehen hatte, und sagte: „Lieber, unterlasse von jetzt an das Töten von lebenden Wesen u. dgl. Ernähre mit diesem Schatze deine Familie, unterhalte damit Frau und Kinder und tue gute Werke wie Almosen Geben und Beobachtung der Gebote.“ Nachdem er ihn so ermahnt, verschwand er im Walde.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Jäger Channa [2], das Gazellenweibchen war diese junge Nonne; der Gazellenkönig aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Goldantilope


[1] Am Ende eines Weltalters wird durch ein Feuer alles Bestehende zerstört und es beginnt in allmählichem Aufbau ein neues.

[2] Dies war ein Mönch, der wegen Verkehrs mit Andersgläubigen eine Zeit lang ausgeschlossen worden war.


 

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