Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

326. Die Erzählung von der Kakkaru-Blume (Kakkaru-Jataka)

„Wer mit dem Körper nichts entwendet“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Devadatta. Als dieser die Gemeinde gespalten hatte und weggegangen war, die ersten Schüler aber mit seiner Gefolgschaft zurückgekehrt waren, kam ihm heißes Blut aus dem Munde heraus [1]. —

Darauf begannen die Mönche in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, nachdem Devadatta durch lügenhafte Reden die Gemeinde gespalten, ist er jetzt krank geworden und leidet großes Unglück.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch schon früher sprach dieser die Unwahrheit; und nicht nur jetzt leidet er infolge seiner unwahren Reden großes Unglück, sondern auch früher schon erging es ihm so.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva ein Göttersohn im Himmel der Dreiunddreißig Götter. Zu der Zeit aber wurde zu Benares ein großes Fest gefeiert. Viele Nagas, Supannas [2] und auch Erdgottheiten kamen herbei und schauten bei dem Feste zu. Auch vom Himmel der Dreiunddreißig Götter schmückten sich vier Göttersöhne mit einem Kopfputz aus göttlichen Blumen, die Kakkaru-Blumen hießen, und gingen, um das Fest zu sehen. Die Stadt, die sich zwölf Yojanas weit ausdehnte, wurde ganz von dem Dufte dieser Blumen erfüllt. Die Leute fragten: „Wer hat sich mit diesen Blumen geschmückt?“, und gingen umher, indem sie danach suchten. Da sagten die Göttersöhne: „Diese suchen nach uns“; sie flogen im Hofe des Königs empor und blieben durch ihre große göttliche Macht in der Luft stehen.

Viel Volks versammelte sich. Auch der König kam herbei samt den Vizekönigen. Darauf fragte man jene: „Aus welcher Götterwelt kommt ihr?“ „Wir kommen aus der Götterwelt der Dreiunddreißig.“ „Zu welchem Zweck seid ihr gekommen?“ „Um das Fest mit anzusehen.“ „Was sind das für Blumen?“ „Es sind göttliche Kakkaru-Blumen.“ Darauf riefen die Leute: „Ihr Herren, schmückt euch in eurer Götterwelt mit andern Blumen; gebt uns diese!“

Darauf sagten die Göttersöhne: „Diese göttlichen Blumen passen nur für Leute von großer Macht; für die Niedrigen, die Unweisen, die zu Gemeinem Geneigten, die Lasterhaften auf der Menschenwelt passen sie nicht. Für die Menschen aber, die mit den und den Tugenden ausgestattet sind, passen sie wohl.“ Nach diesen Worten sprach der älteste unter den Göttersöhnen folgende erste Strophe:

§1. „Wer mit dem Körper nichts entwendet,

wer mit dem Mund nicht unwahr redet,

wen Ehrung nicht macht übermütig,

ist der Kakkaru-Blume würdig.“ —

Als dies der Hauspriester des Königs hörte, dachte er: „Ich besitze zwar keine einzige dieser Tugenden; durch Lügen aber will ich diese Blumen erhalten und mich damit schmücken. Auf diese Weise wird das Volk von mir erkennen, dass ich mit Tugenden ausgestattet bin.“ Und er rief: „Ich besitze diese Tugenden“, ließ sich die Blumen bringen und schmückte sich damit. Dann bat er den zweiten Göttersohn. Dieser sprach folgende zweite Strophe:

§2. „Wer redlich trachtet nach Besitz,
nicht durch Betrug sich Geld verschafft,
wem Gelderwerb nicht steigt zu Kopfe,
ist der Kakkaru-Blume würdig.“

Der Hauspriester sagte: „Ich besitze diese Tugenden“, ließ sich auch diese Blumen bringen und schmückte sich damit. Dann bat er den dritten Göttersohn. Dieser sprach folgende dritte Strophe:

§3. „Der, dessen Herz nicht gelbsüchtig,
der fest ist, nicht der Lust ergeben,
der nicht allein das Süße isst,
ist der Kakkaru-Blume würdig.“

Der Hauspriester erwiderte: „Ich besitze diese Tugenden“, ließ sich auch diese Blumen bringen und schmückte sich damit. Dann bat er den vierten Göttersohn. Dieser sprach folgende vierte Strophe:

§4. „Wer nicht vor Augen, nicht im Rücken
von weisen Leuten Böses redet,
wer derart ist in Wort und Taten,
ist der Kakkaru-Blume würdig.“

Der Hauspriester erwiderte: „Auch diese Tugenden besitze ich“, ließ sich auch diese Blumen herbeibringen und schmückte sich damit. Nachdem so die Göttersöhne ihre vier Blumenkissen dem Hauspriester gegeben hatten, kehrten sie in ihre Götterwelt zurück.

Als sie aber fortgegangen waren, entstanden im Kopfe des Hauspriesters große Schmerzen. Sein Haupt war, als würde es mit einer scharfen Schwertspitze durchbohrt oder als würde es von einer eisernen Keule gepresst. Von Schmerz gepeinigt drehte er sich immer wieder um und schrie laut. Als man fragte, was er habe, antwortete er: „Ich habe lügenhafterweise von den Tugenden, die ich nicht besitze, behauptet, sie seien mir eigen, und die Göttersöhne um die Blumen gebeten. Nehmt sie mir vom Kopfe!“ Als man sie aber herabnehmen wollte, konnte man es nicht; es war, als seien sie mit eisernen Banden befestigt. Man hob ihn auf und trug ihn nach Hause.

Während er dort so schrie, vergingen sieben Tage. Der König sprach zu seinen Ministern: „Der lasterhafte Brahmane wird sterben; was sollen wir tun?“ Sie antworteten: „O Fürst, wir wollen abermals ein Fest veranstalten; dann werden die Göttersöhne wiederkommen.“ Der König ließ darauf wieder ein Fest veranstalten. Die Göttersöhne kamen wieder, erfüllten die ganze Stadt mit dem Dufte ihrer Blumen und stellten sich wieder in den Königshof. Eine große Volksmenge versammelte sich. Man brachte den lasterhaften Brahmanen herbei und legte ihn vor sie auf die Brust. Er bat die Göttersöhne: „Gebt mir das Leben wieder, ihr meine Gebieter!“

Darauf sprachen die Göttersöhne: „Für deinen lasterhaften, bösen Wandel passen diese Blumen nicht. Du hattest die Absicht, uns zu betrügen; du hast den Lohn für deine Lügen erhalten.“ Nachdem sie ihn so inmitten der großen Volksmenge getadelt, entfernten sie das Blumenkissen von seinem Haupte, gaben der Volksmenge eine Ermahnung und kehrten an ihren eigenen Aufenthaltsort zurück.

 

§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Brahmane Devadatta; von den Göttersöhnen war der eine Kassapa, der andre Moggalana, der dritte Sāriputta; der älteste Göttersohn aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Kakkaru-Blume


[1] Vgl. „Leben des Buddha“, S. 187.

[2] Vgl. Jataka 154 Anm. 2 und 3.


  Oben zeilen.gif (1054 bytes)