Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

270. Die Erzählung von der Eule (Uluka-Jataka)

„Von allen ihren Anverwandten“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf den Streit zwischen den Krähen und den Eulen. Zu dieser Zeit nämlich bissen bei Tage die Krähen die Eulen; sobald aber die Sonne untergegangen war, zerschmetterten die Eulen allenthalben den schlafenden Krähen die Köpfe und brachten sie so ums Leben. — Wenn nun ein Mönch, der am Rande des Jetavana eine Zelle bewohnte, den Boden kehrte, musste er sieben oder acht Nalis [1] oder auch noch mehr Krähenköpfe, die vom Baume herabgefallen waren, beiseite schaffen. Er teilte dies den Mönchen mit.

In der Lehrhalle begannen darauf die Mönche folgendes Gespräch: „Freund, an dem Orte, wo der Mönch so und so wohnt, muss man Tag für Tag so viele Krähenköpfe beiseite werfen.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Die Mönche erwiderten: „Zu der und der“, und fragten dann: „Seit wann besteht aber, Herr, dieser Streit zwischen den Krähen und den Eulen?“ Der Meister antwortete: „Seit dem ersten Weltalter“, und erzählte ihnen folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Ehedem versammelten sich die Menschen im ersten Weltalter und machten einen sehr schönen Mann voll Herrlichkeit, der mit Majestät ausgestattet war und alle Abzeichen besaß, zum Könige. Auch die Vierfüßler kamen zusammen und machten einen Löwen zu ihrem König und die Fische im großen Meere machten den Ananda-Fisch [2] zu ihrem König [2a]. Darauf versammelten sich die Vogelscharen im Himalaya auf einer Felsplatte und sprachen: „Unter den Menschen gibt es einen König, ebenso unter den Vierfüßlern und unter den Fischen; unter uns aber ist noch keiner. Ohne einen Gebieter soll man nicht leben; auch uns kommt es zu, einen König zu erhalten. Suchet einen, der passend ist, um ihn zum Könige zu machen.“

Während sie sich aber nach einem solchen Vogel umschauten, fanden sie Gefallen an einer Eule und sprachen: „Diese gefällt uns“. Darauf rief ein Vogel dreimal, um zu erkennen, ob sie alle zustimmten. Während seiner beiden ersten Rufe stimmten sie zu; beim dritten Rufe aber erhob sich eine Krähe und sagte: „Warte ein wenig! Jetzt, wo man die Eule zum König weihen will, hat sie ein solches Gesicht; wie wird es erst sein, wenn sie zornig ist? Wenn sie uns im Zorn anschaut, werden wir sogleich vergehen wie Sesamkörner, die auf eine glühende Schale geworfen werden. Es gefällt mir nicht, sie zum König zu machen.“ Und um dies darzutun, sprach sie folgende erste Strophe:

§1. „Von allen ihren Anverwandten
die Eule ward zum Herrn gewählt;
wenn die Verwandten es erlauben,
möcht' ich ein Wort dagegen sagen.“

Um ihr dies zu erlauben, sprachen die Vögel folgende zweite Strophe:

§2. „Sprich, Liebe, wir erlauben es,

wie du es für das Beste hältst;

auch junge Vögel sind ja oft

voll Einsicht und hell von Verstand.“

Nachdem die Krähe so die Erlaubnis erhalten, sprach sie folgende dritte Strophe:

§3. „Heil sei euch allen! Nicht gefällt mir,

dass ihr die Eule macht zum König.

Seht ihr Gesicht, wenn sie vergnügt!

Wie wird es erst sein, wenn sie zürnt?“

Nach diesen Worten rief die Krähe: „Mir gefallt es nicht, mir gefällt es nicht“, und flog in die Luft empor. Die Eule erhob sich ebenfalls und verfolgte sie. Von da an hatten sie Feindschaft miteinander.

Die Vögel aber machten den Goldschwan zu ihrem Könige und entfernten sich wieder.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen, und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war ich der junge Schwan, der zum König geweiht wurde.“

Ende der Erzählung von der Eule


[1] Ein Maß von unbestimmter Größe; vgl. Jataka 107 Anm. 3.

[2] Vgl. den Anfang von Jataka 32.

[2a] Die Geschichte ist erzählt im Jataka 537 im 2. Kapitel mit den Strophen 8 bis 10.


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