Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

227. Die Erzählung von dem Mistwurm (Guthapana-Jataka)

„Ein Held misst sich mit einem Helden“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Mönch. — Zu dieser Zeit nämlich war vom Jetavana dreiviertel Yojanas [1] entfernt ein Flecken; dort gab es viel Zettelspeise [2] und besondere Speise. Dort wohnte ein Unverschämter, der viele Fragen stellte. Wenn die jungen Mönche und die Novizen wegen der Zettelspeise und der besondern Speise kamen, so pflegte er sie zu fragen: „Wer erhält feste Speise, wer Getränk, wer flüssige Speise?“ Wenn sie es nicht sagen konnten, beschimpfte er sie; deshalb gingen sie aus Furcht vor ihm nicht mehr in das Dorf, um Zettelspeise oder besondere Speise zu holen. —

Eines Tages nun ging ein Mönch in die Zettelhalle [3] und fragte: „Herr, gibt es im Dorfe so und so Zettelspeise oder besondere Speise?“ Man antwortete ihm: „Ja, Freund. Dort stellt aber ein Unverschämter Fragen, und wenn man sie nicht beantworten kann, so zankt und schilt er. Aus Furcht vor ihm getraut sich keiner mehr, dorthin zu gehen.“ Darauf versetzte jener: „Herr, gebt mir einen Anteil an der dortigen Spende. Ich werde ihn bändigen und ihn lehren, sich zu bezwingen; ich werde bewirken, dass er von nun an, wenn er euch sieht, davonläuft.“ Die Mönche willigten ein und gaben ihm einen Anteil an der dortigen Spende.

Jener begab sich dorthin und zog am Dorftore sein Obergewand an. Als jener Unverschämte ihn sah, schoss er wie ein wütender Widder auf ihn los und sagte: „Beantworte mir eine Frage, Asket!“ Er antwortete: „Laienbruder, lasse mich nur erst im Dorfe herumwandeln, Reisschleim holen und mich in die Wartehalle begeben.“ Als er seinen Reisschleim erhalten und sich in die Wartehalle begeben hatte, sagte jener wieder wie vorher. Der Mönch aber erwiderte ihm: „Lasse mich erst den Reisschleim trinken, die Wartehalle auskehren und die Zettelspeise holen.“ Dann ließ er ihn die Almosenschale nehmen und sagte zu ihm: „Komm, ich will dir deine Frage beantworten.“ Damit führte er ihn zum Dorfe hinaus, legte sein Obergewand zusammen, tat es auf die Schultern, nahm ihm die Almosenschale ab und blieb stehen. Jetzt sagte der andre: „Asket, beantworte mir eine Frage!“ Der Mönch versetzte: „Ich will dir deine Frage beantworten.“ Mit einem Schlage warf er ihn zu Boden, schlug ihn, dass ihm fast die Knochen zerbrachen, warf ihm Kot ins Gesicht und sprach: „Wenn du von jetzt an wieder an einen Mönch, der in dies Dorf kommt, eine Frage stellst, so wirst du etwas erleben!“ Nachdem er ihm mit diesen Worten Furcht eingeflößt hatte, entfernte er sich. Sobald aber jener von da an Mönche sah, lief er davon.

Zu einer andern Zeit wurde diese Tat des Mönches in der Mönchsgemeinde bekannt. Eines Tages begann man in der Lehrhalle folgendes Gespräch: „Freund, der Mönch so und so hat dem Unverschämten Kot ins Antlitz geworfen und ist dann gegangen.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als sie erwiderten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, hat dieser Mönch jenen durch Mist zur Ruhe gebracht, sondern auch früher schon machte er es so.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Ehedem pflegten die Bewohner von Anga [4] und Magadha, wenn sie in das Land der anderen zogen, an der Grenze der zwei Königreiche einen Tag sich in einem Hause aufzuhalten, wo sie Branntwein tranken und Fisch und Fleisch verzehrten. In der Frühe schirrten sie dann wieder ihre Wagen an und zogen fort.

Als nun diese sich einmal entfernt hatten, kam ein vom Kot lebender Wurm infolge des Kotgeruches dorthin. Er sah an der Stelle, wo sie getrunken hatten, Branntwein verschüttet und trank aus Durst die Flüssigkeit. Dadurch wurde er berauscht und er stieg auf einen Kothaufen hinauf. Der feuchte Kot sank ein wenig zusammen, als er hinaufgestiegen war. Da rief er aus: „Die Erde vermag mich nicht mehr zu tragen.“

In diesem Augenblicke kam ein brünstiger Elefant an diese Stelle; und als er den Kotgestank roch, lief er aus Ekel davon. Als der Wurm ihn sah, bildete er sich ein, jener entfliehe aus Furcht vor ihm, und dachte: „Ich muss mit ihm kämpfen.“ Und indem er ihn anrief, sprach er folgende Strophe:

§1. „Ein Held misst sich mit einem Helden

im Wettstreit und im ernsten Kampf.

Komm, Elefant, und kehre um!

Was läufst du denn aus Furcht davon?

Anga und Magadha soll sehen,

wie ich mit dir mich messen werde.“

Der Elefant horchte auf. Als er dessen Worte vernommen, kehrte er um, ging zu ihm hin und sprach, ihn verhöhnend, folgende zweite Strophe:

§2. „Ich töte dich nicht mit dem Fuße,

nicht mit den Zähnen, mit dem Rüssel.

Durch meinen Kot werd' ich dich töten;

der Mist soll sterben durch den Mist.“

Er ließ auf das Haupt von jenem einen großen Kotknollen fallen, ließ dazu das Wasser und brachte ihn dadurch ums Leben. Dann stieß er einen Trompetenton aus und ging in den Wald zurück.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Mistwurm der Unverschämte, der Elefant war dieser Mönch; die Baumgottheit aber, die in diesem Gehölz wiedergeboren war und diesen Vorgang mit eigenen Augen beobachtete, war ich.“

Ende der Erzählung vom Mistwurm


[1] Wörtlich: „ein Gavuta und ein halbes Yojana“. Das Gavuta ist der vierte Teil des Yojana.

[2] D. h. ein großes Almosen an Speise, auf das die einzelnen Anweisungen erhielten. Vgl. Die Vorgeschichte zu Jataka 5.

[3] Vgl. Jataka 5 Anm. 3. [Der Raum, in dem die Zettel verteilt zu werden pflegten.]

[4] Anga ist das heutige Bengalen.


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