Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

189. Die Erzählung von der Löwenhaut (Sihacamma-Jataka)

„Dies ist doch nicht des Löwen Schrei“

 

§A. Auch dieses erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf Kokalika. Dieser hatte damals Lust, seine Stimme ertönen zu lassen. Als der Meister diese Geschichte erfuhr, erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einer Ackerbauerfamilie seine Wiedergeburt; und als er herangewachsen war, erwarb er sich seinen Lebensunterhalt durch Ackerbau. — Zu der Zeit zog ein Kaufmann umher, der mit einer von einem Esel getragenen Last Handel trieb. Jedes Mal, wenn er an einen Ort kam, nahm er das Bündel von dem Rücken des Esels herunter, warf dem Esel eine Löwenhaut über und ließ ihn in die Reis- und Gerstenfelder. Wenn die Feldhüter ihn sahen, dachten sie, es sei ein Löwe, und getrauten sich nicht heranzukommen.

Eines Tages nun hatte dieser Kaufmann am Tore eines Dorfes Rast gemacht. Während er sich sein Frühmahl kochen ließ, hängte er dem Esel die Löwenhaut über und ließ ihn in ein Gerstenfeld gehen. Die Feldhüter meinten, es sei ein Löwe, und getrauten sich nicht, an ihn heranzukommen, sondern sie gingen nach Hause und meldeten den Vorfall. Darauf nahmen die sämtlichen Dorfbewohner Waffen, bliesen auf Muscheln, schlugen die Trommel und gingen laut schreiend nach dem Felde hin. Von Todesfurcht erfasst stieß der Esel sein Eselgeschrei aus. — Als nun der Bodhisattva merkte, dass es ein Esel war, sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Dies ist doch nicht des Löwen Schrei,
des Tigers nicht und nicht des Panters;
ein Esel schreit, ein elender,
mit einer Löwenhaut behängt.“

Als auch die Dorfbewohner erkannten, dass es nur ein Esel war, schlugen sie ihn, dass sie ihm die Knochen zerbrachen, nahmen ihm die Löwenhaut ab und kehrten in ihr Dorf zurück.

Darauf kam der Kaufmann herbei; und da er sah, wie sein Esel ins Verderben gestürzt war, sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Noch lange hätte fressen können
der Esel von der grünen Gerste,
so lang die Löwenhaut er trug;
doch da er schrie, war er verloren.“

Während er aber so redete, verendete dortselbst der Esel. Der Kaufmann ließ ihn liegen und ging seines Weges.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der Esel Kokalika, der weise Landmann aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Löwenhaut


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