Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

157. Die Erzählung von dem Vorzug (Guna-Jataka)

„Sie tun, wie ihnen es beliebt“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Annahme von tausend Gewändern durch den Thera Ananda.

§D. Die Geschichte, wie der Thera im Harem des Königs von Kosala die Lehre verkündete, ist schon oben im Mahasara-Jataka [1] erzählt worden. —

Während nun so der Thera im Harem des Königs die Lehre predigte, wurden dem König tausend Gewänder, die tausend wert waren, gebracht. Der König gab davon fünfhundert Gewänder seinen fünfhundert Gemahlinnen. Diese legten sämtlich diese Gewänder zur Seite und gaben sie am nächsten Tage dem Thera Ananda; sie selbst zogen wieder ihre alten Kleider an und begaben sich an den Ort, wo der König sein Mahl einnahm. Der König fragte: „Ich habe euch doch Gewänder im Werte von tausend gegeben; warum kommt ihr, ohne diese angelegt zu haben?“ Sie antworteten: „O Fürst, wir haben sie dem Thera geschenkt.“ „Hat der Thera Ananda sie alle angenommen?“ „Ja, Herr.“

Nun dachte der König: „Von dem völlig Erleuchteten sind drei Gewänder gestattet worden; der Thera Ananda treibt, glaube ich, mit Kleidern Handel. Zu viele Gewänder hat er angenommen.“ Und im Zorne über den Thera begab er sich nach Beendigung des Mahles nach dem Kloster und ging in die Zelle des Thera. Hier begrüßte er ihn, setzte sich nieder und fragte: „Lernen oder hören, Herr, in unserm Hause die Frauen bei Euch die Lehre?“ Ananda erwiderte: „Ja, o Großkönig, sie lernen, was für sie zum Lernen passt, und hören, was für sie zum Hören passt.“ Der König fuhr fort: „Wie aber, hören sie nur oder geben sie Euch auch Ober- und Untergewänder?“ Ananda antwortete: „Heute, o Großkönig, gaben sie mir fünfhundert Gewänder, jedes tausend wert.“ „Habt Ihr sie angenommen, Herr?“ „Ja, o Großkönig.“ „Hat nicht, Herr, der Meister nur drei Gewänder erlaubt?“ „Ja, o Großkönig, der Erhabene hat jedem Mönche nur drei Gewänder erlaubt in Bezug auf die Benützung; das Annehmen aber ist nicht verboten. Deshalb nahmen wir die Gewänder an, um sie denen zu geben, die schadhafte Oberkleider haben.“ „Was werden aber diese Mönche, die von Euch die Gewänder erhielten, mit ihren früheren Oberkleidern machen?“ „Das frühere Oberkleid werden sie zum Schulterkleid [2] machen.“ „Was werden sie mit den früheren Schulterkleidern machen?“ „Sie werden sie zu Unterkleidern machen.“ „Was werden sie aus den früheren Unterkleidern machen?“ „Sie werden Kissen daraus machen.“ „Was werden sie aus den früheren Kissen machen?“ „Sie werden Fußteppiche daraus machen.“ „Was werden sie aus den früheren Fußteppichen machen?“ „Sie werden Fußtücher [3] daraus machen.“ „Was werden sie aus den früheren Fußtüchern machen?“ „O Großkönig, das von Gläubigen Geschenkte darf man nicht zugrunde gehen lassen; deshalb zerschneidet man die alten Fußtücher mit dem Schermesser [4], legt sie auf den Boden und macht sie zum Bodenbelag für die Sitze.“ „Herr, das euch Geschenkte darf also auch als Fußtücher nicht zugrunde gehen?“ „Ja, Herr, das uns Geschenkte darf nicht umkommen; es muss benützt werden.“ Darüber war der König befriedigt und erfreut; er ließ noch die anderen fünfhundert Gewänder holen, die in seinem Hause aufgehoben waren, und schenkte sie dem Thera. Als er dessen Danksagung angehört, grüßte er den Thera, umwandelte ihn von rechts und entfernte sich.

Der Thera schenkte die zuerst erhaltenen fünfhundert Gewänder denen, die schadhafte Obergewänder hatten. Mit dem Thera lebten aber fünfhundert Mönche zusammen. Einer von ihnen, ein junger Mönch, war dem Thera bei vielem behilflich. Er reinigte seine Zelle, wartete ihm mit Trinkwasser auf, gab ihm Zahnstocher und Mundwasser, besorgte den Abort, das Feuer, das Herrichten des Sitzes, pflegte ihm die Hände, die Füße und den Rücken. Nun dachte der Thera: „Dieser ist mir eine große Stütze“; und infolge seiner Zuneigung schenkte er ihm alle die zuletzt erhaltenen fünfhundert Gewänder. Jener verteilte sie alle und gab sie seinen Lehrern. — Darauf zertrennten alle die Mönche, die Gewänder erhalten hatten, dieselben, färbten sie [5] und bekleideten sich unten und oben mit Kleidern, die die Farbe der Kanikara-Blume [6] hatten und einen Wohlgeruch verbreiteten. So gingen sie zu dem Meister hin, begrüßten ihn, setzten sich ihm zur Seite und sprachen: „Herr, gibt es ein parteiisches [7] Geschenk von einem bekehrten edlen Schüler?“ Er erwiderte: „Nein, ihr Mönche, von edlen Schülern gibt es kein parteiisches Geschenk.“ Sie fuhren fort: „Herr, unser Lehrer, der Thera ‘Schatzmeister der Lehre’ [8], hat von tausend Gewändern, die je tausend wert sind, fünfhundert einem einzigen jungen Mönch geschenkt; dieser aber hat die ihm geschenkten ausgeteilt und uns gegeben.“ Buddha erwiderte: „Ihr Mönche, Ananda hat kein parteiisches Geschenk gemacht. Dieser Mönch nämlich ist ihm eine große Stütze; deshalb hat er seinem Helfer wegen seiner Hilfe, wegen seiner Tugend, wegen seiner Anhänglichkeit aus Dankbarkeit und Erkenntlichkeit das Geschenk gemacht, indem er dachte: ‘Einem Helfer muss man einen Gegendienst erweisen.’ Auch frühere Weise haben schon ihren Helfern Gegendienste erwiesen.“ Und nach diesen Worten erzählte er auf ihre Bitte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, war der Bodhisattva ein Löwe und wohnte in einer Berghöhle. Eines Tages verließ er seine Höhle und betrachtete den Fuß des Berges. Um den Fuß des Berges herum aber war ein großer Teich. An einer erhöhten Stelle desselben wuchsen oben auf der Oberfläche des dicken Schlammes zarte, grüne Gräser. Hasen, Gazellen und andere Tiere von geringem Gewicht verweilten auf der Oberfläche des Schlammes und verzehrten sie. An diesem Tage nun war eine Gazelle dort und fraß die Gräser. Der Löwe sprang, um die Gazelle zu erhaschen, vom Gipfel des Berges auf und machte einen Satz mit Löwenkraft. Die Gazelle lief, von Todesfurcht erfasst, schreiend davon. Der Löwe konnte aber seinen Schwung nicht aufhalten, fiel auf die Oberfläche des Schlammes und sank ein. Da er nicht herauskommen konnte, streckte er seine vier Füße wie Pfeiler aus und blieb so sieben Tage lang ohne Nahrung.

Da sah ihn ein Schakal, der sich Nahrung suchte, und lief aus Furcht davon. Der Löwe rief ihn herbei und sagte: „He, Schakal, laufe nicht davon! Ich stecke im Schlamme fest; gib mir das Leben wieder!“ Der Schakal ging zu ihm hin und sprach: „Ich könnte dich herausziehen; ich fürchte aber, du möchtest mich auffressen, wenn ich dich herausgezogen habe.“ „Fürchte dich nicht“, versetzte der Löwe, „ich werde dich nicht auffressen, sondern ich werde dir einen großen Vorzug erweisen. Ziehe mich mit einem Kunstgriff heraus.“ Der Schakal nahm dies Versprechen an. Darauf entfernte er von der Nähe der vier Füße des Löwen den Schlamm, grub vier Höhlungen an den Füßen des Löwen und öffnete sie gegen das Wasser hin. Das Wasser drang ein und machte den Schlamm weich. Sodann schlüpfte der Schakal unter den Leib des Löwen, rief laut: „Strenge dich an, Gebieter“, und stieß mit seinem Kopf an den Leib des Löwen. Der Löwe strengte alle Kraft an, kam aus dem Schlamm hervor, tat einen Sprung und stand auf festem Boden.

Nachdem er sich einen Augenblick erholt hatte, stieg er in den Teich hinab, wusch sich den Schlamm ab und badete; dann tötete er einen Büffel, zerfleischte ihn mit seinen Zähnen, riss das Fleisch auseinander und legte es vor den Schakal, indem er sagte: „Iss, Lieber“. Nachdem dieser gefressen hatte, fraß er nach ihm. Darauf biss der Schakal ein Stück Fleisch ab und nahm es an sich. Als der Löwe fragte: „Warum tust du das, Lieber?“, antwortete er: „Es gibt eine Sklavin von Euch [9]; für diese ist es bestimmt.“ Der Löwe erwiderte: „Nimm es nur“; und nachdem er selbst für seine Löwin Fleisch mitgenommen, sagte er: „Komm, Freund, wir wollen uns auf unsre Bergspitze stellen und dann nach der Wohnung der Freundin [10] gehen.“ Und er ging dorthin, ließ sie das Fleisch verzehren und beruhigte den Schakal und sein Weibchen. Darauf sprach er: „Jetzt will ich für euch sorgen“; und er brachte sie nach seiner Behausung und ließ sie in einer Höhle am Eingang zu seiner Höhle wohnen. Wenn er von da an auf Nahrung ausging, ließ er die Löwin und das Schakalweibchen zurück und nahm den Schakal mit. Dann töteten sie verschiedene Tiere, verzehrten dortselbst ihr Fleisch und brachten auch den anderen beiden davon mit.

Während nun so die Zeit verging, gebar die Löwin zwei Junge und das Schakalweibchen auch. Diese wohnten alle einträchtig beisammen. Eines Tages nun dachte die Löwin: „Mein Löwe liebt den Schakal, das Schakalweibchen und die Schakaljungen gar zu sehr. Gewiss hat er eine Vertrautheit mit dem Schakalweibchen und aus diesem Grunde liebt er sie so. Wie, wenn ich nun jenes quälen, ängstlich machen und so zum Davonlaufen bringen würde?“ Wenn nun der Löwe mit dem Schakal fortgegangen war, um Futter zu suchen, quälte sie das Schakalweibchen und machte es ängstlich, indem sie sagte: „Warum bleibst du an diesem Orte und gehst nicht davon?“ Auch ihre Jungen erfüllten so die Schakaljungen mit Furcht. — Das Schakalweibchen erzählte dies dem Schakal und sagte: „Wir erkennen wohl, dass sie dies im Namen des Löwen getan hat. Wir wohnen schon zu lange hier; sie könnte uns zugrunde richten. Lass uns nach unsrer Wohnung zurückkehren.“

Als der Schakal ihre Worte vernommen, ging er zum Löwen hin und sprach: „Gebieter, lange haben wir schon bei Euch gewohnt; die allzu lange Bleibenden aber sind unangenehm. Wenn wir fortgegangen sind, um Nahrung zu suchen, verletzt die Löwin das Schakalweibchen und macht es ängstlich, indem sie sagt: ‘Warum bleibt ihr an diesem Orte? Macht euch fort.’ Auch die jungen Löwen erfüllen die jungen Schakale mit Furcht. Wenn aber einem der Aufenthalt eines andern bei ihm nicht gefällt, so soll er ihn entlassen mit dem Worte: ‘Gehe.’ Was hat so die Verletzung für einen Wert?“ Und darauf sprach er folgende erste Strophe:

§1. „Sie tun, wie ihnen es beliebt;

dies ist das Recht der Stärkeren.

Merk dir 's, du Tier mit lauter Stimme [11]:

was unser Schutz war, macht jetzt Furcht.“

Als der Löwe dessen Worte vernommen, sprach er zur Löwin: „Liebe, erinnerst du dich, dass ich zu der und der Zeit, als ich, um Nahrung zu holen, weggegangen war, am siebenten Tage mit dem Schakal und diesem seinem Schakalweibchen zusammen zurückkam?“ „Ja, ich erinnere mich“, antwortete die Löwin. „Weißt du aber, warum ich sieben Tage lang nicht zurückkehrte?“ „Das weiß ich nicht, Herr.“ Darauf sagte der Löwe: „Liebe, als ich eine Gazelle erhaschen wollte, verfehlte ich sie, blieb im Schlamme stecken und musste, da ich nicht fort konnte, sieben Tage lang ohne Nahrung dort bleiben. Durch diesen Schakal wurde mir das Leben gerettet; er ist mein Freund, der mir das Leben schenkte. Ein Freund aber, der in der Freundschaft zu beharren vermag, ist kein Schwacher. Bringe daher von nun an meinem Freunde, der Gattin meines Freundes und seinen Kindern nicht mehr solche Missachtung entgegen.“ Und nach diesen Worten sprach der Löwe folgende zweite Strophe:

§2. „Wenn auch ein noch so schwacher Freund
in seiner Freundschaft fest beharrt,
so ist er mir verwandt, verbunden;
er ist mein Freund, er ist mir wert.
Veracht ihn nicht, du Zahngewalt'ge;
der Schakal ist mein Lebensretter.“

Als die Löwin des Löwen Worte vernommen, bat sie das Schakalweibchen um Verzeihung und wohnte von da an mit ihren Söhnen einträchtig mit jenen zusammen. Auch die jungen Löwen spielten mit den jungen Schakalen; und als ihre Eltern gestorben waren, gaben sie die Freundschaft nicht auf und blieben in Eintracht beisammen. Sieben Geschlechter hintereinander blieb ihre Freundschaft ungebrochen.

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündet hatte, verband er das Jataka mit folgenden Worten (Am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber wurden einige bekehrt, einige einmalzurückkehrend, einige nichtzurückkehrend und einige heilig): „Damals war der Schakal Ananda, der Löwe aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Vorzug


[1] Dies ist das 92. Jataka.

[2] Der buddhistische Mönch hatte drei Gewänder; ein hemdartiges Unterkleid, ein Oberkleid und ein Gewand, das er über die Schulter trug.

[3] D. h. Tücher zum Abtrocknen der Füße nach der Waschung.

[4] Das Schermesser gehört zu den acht unentbehrlichen Utensilien des Mönchs; denn er muss sich regelmäßig Haare und Bart scheren. Vgl. „Leben des Buddha“, S. 28.

[5] Denn die Gewänder für die Mönche mussten natürlich die rotgelbe Farbe haben.

[6] Dies ist der Baum Pterospermum acerifolium; seine Blüte ist gelb.

[7] Eigentlich: „nach dem Gesicht des andern schauend“.

[8] Dies ist eine sehr gebräuchliche Bezeichnung für Ananda, ähnlich wie Sāriputta „Heerführer der Lehre“ heißt.

[9] Damit meint der Schakal sein Weibchen.

[10] Der Löwe benennt so höflicherweise das Schakalweibchen.

[11] Der Kommentar zu der Strophe erklärt „unnadanti“ als eine Zusammenziehung aus „unnatadanti“, was den Sinn gäbe „du Tier mit hervorstehenden Zähnen“.


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