Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

80. Die Erzählung von Bhimasena (Bhimasena-Jataka)

„Nachdem zuvor du so geprahlt“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen prahlerischen Mönch. Ein Mönch nämlich pflegte unter den Theras, den jungen Mönchen und den Mönchen von mittlerem Alter zu prahlen: „Freunde, eine Familie, die der unsrigen gleicht, und ein Geschlecht, das dem unsrigen gleicht, gibt es nicht. Wir sind nämlich einem so mächtigen Kriegerhause entsprossen; an Geschlecht oder Familienstellung ist uns niemand gleich. Wir haben Gold, Silber u. dgl. ohne Zahl; auch unsere Sklaven und Diener essen Reiskörner, Fleisch und Reisbrei, sie kleiden sich mit Kasi-Gewändern [1], sie salben sich mit Kasi-Salben. Jetzt aber, dadurch dass wir Mönch geworden sind, verzehren wir solch raue Speisen und tragen raue Gewänder.“ So trieb er beständig Aufschneiderei und Betrug auf Grund seiner Herkunft.

Ein Mönch aber erforschte den Ort seiner Abstammung und erzählte den Mönchen, dass er damit prahle. Als sich nun die Mönche in der Lehrhalle versammelt hatten, erzählten sie von seiner Untugend, indem sie sprachen: „Freund, nachdem der Mönch so und so in dieser zum Heile führenden Lehre Mönch geworden, prahlt er beständig, schneidet auf und betrügt.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Und als er die Antwort erhielt: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, prahlt dieser Mönch beständig, sondern auch früher prahlte er schon und trieb Aufschneiderei.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einem Marktflecken in einer Brahmanenfamilie des Nordens seine Wiedergeburt. Als er herangewachsen war, erlernte er zu Takkasila bei einem weit und breit berühmten Lehrer die drei Veden und die achtzehn Wissensgegenstände; und als er zur Vollendung in allen Künsten gelangt war, bekam er den Namen „der Kleine Bogenschütz-Weise“ [1a]. Darauf verließ er Takkasila und begab sich nach dem Reiche Mahimsaka [2] nach der Vereinigung aller Künste suchend [3]. — In dieser Existenz aber war der Bodhisattva etwas zwergenhaft und gebückter Haltung. Darum dachte er: „Wenn ich zu einem Könige hingehe, wird dieser sagen: ‘Was wird uns dieser mit seinem Zwergkörper leisten können?’ Wie, wenn ich einen großen, breiten, schönen Mann zu meiner Stütze machte und im Schatten seines Rückens [4] meinen Lebensunterhalt erwürbe?“ — Als er nun nach einem solchen Manne suchte, kam er an einen Ort, wo ein Weber namens Bhimasena sein Gewebe ausgebreitet hatte, begann mit ihm eine liebenswürdige Unterhaltung und fragte: „Lieber, wie heißt du?“ „Ich heiße Bhimasena“, war die Antwort. „Warum aber betreibst du, der du so schön bist und einen solchen Körper hast, ein so niedriges Geschäft?“ „Weil ich sonst nicht leben kann.“ „Freund, übe dieses Geschäft nicht mehr aus. Auf dem ganzen Jambu-Erdteil gibt es nämlich keinen Bogenschützen, der mir gleicht; wenn ich aber irgendeinen König aufsuchen würde, würde dieser zornig denken: ‘Was wird dieser so zwerghafte Mensch uns nützen?’ Gehe du zum König hin und sage ihm, du seiest ein Bogenschütze. Der König wird dir Sold geben und dir für immer Unterhalt gewähren; ich aber werde die dir zukommende Tätigkeit ausüben und im Schatten deines Rückens leben. So werden wir beide glücklich sein; tue nach meinem Wort!“ Jener stimmte zu mit dem Worte: „Gut.“

Darauf nahm ihn der Bodhisattva mit nach Benares, indem er selbst ein kleiner Bogenschützendiener wurde und den andern vorausgehen ließ; und an der Türe des Königs stehend ließ er es dem Könige melden. Als der Bescheid kam: „Er soll kommen“, gingen sie beide hinein, grüßten den König und stellten sich hin. Als sie gefragt wurden, warum sie gekommen seien, sprach Bhimasena: „Ich bin ein Bogenschütze; auf dem ganzen Jambu-Erdteil gibt es keinen Bogenschützen, der mir gleicht.“ „Um welchen Lohn willst du mir dienen?“ „Wenn ich jeden halben Monat tausend bekomme, will ich dir dienen, Fürst.“ „Was ist dir dieser Mann?“ „Ein kleiner Diener, Fürst.“ „Gut, diene mir“, schloss der König. — Von da an diente Bhimasena dem Könige; das ihm aufgetragene Geschäft aber besorgte der Bodhisattva.

Zu der Zeit aber machte im Reiche Kasi in einem Walde ein Tiger einen von vielen Leuten begangenen Weg menschenleer; er packte viele Leute und fraß sie. Diese Begebenheit meldete man dem Könige. Da ließ der König Bhimasena rufen und sprach: „Wirst du im Stande sein, Lieber, den Tiger zu erlegen?“ Er erwiderte: „O Fürst, was für ein Bogenschütze wäre ich, wenn ich einen Tiger nicht erlegen könnte?“ Der König gab ihm Sold und entließ ihn. Er ging nach Hause und erzählte es dem Bodhisattva. Der Bodhisattva sprach: „Gut, Lieber, gehe.“ „Wirst du aber nicht mitgehen?“ „Nein, ich werde nicht gehen; ich will dir aber eine List sagen.“ „Sage sie, Lieber.“ „Gehe du nicht rasch allein nach dem Aufenthaltsorte des Tigers hin, sondern lass die Leute vom Lande sich versammeln und ein- oder zweitausend Bogen nehmen. Dann gehe dorthin, und wenn du merkst, dass der Tiger sich erhoben hat, dann laufe fort, verstecke dich in einem Gebüsch und lege dich auf den Bauch. Die Landleute werden inzwischen den Tiger treffen und erlegen. Wenn sie nun den Tiger erlegt haben, so reiße mit den Zähnen eine Schlingpflanze ab, fasse sie an ihrem Ende, begib dich zu dem toten Tiger hin und sprich: ,He, von wem ist dieser Tiger getötet worden? Ich wollte diesen Tiger wie ein Rind mit der Schlingpflanze binden und zum Könige führen; darum ging ich wegen der Schlingpflanze in das Gebüsch hinein. Während ich die Schlinge nicht herbeibrachte, wer hat da diesen getötet?' Dann werden die Landleute sagen: ‘Herr, melde dies nicht dem Könige’, und werden dir viel Geld geben; der Tiger aber wird von dir erlegt sein und du wirst auch vom Könige viel Geld erhalten.“ Mit dem Worte: „Gut“, ging jener fort und erbeutete den Tiger auf die vom Bodhisattva angegebene Weise. Nachdem er so den Wald sicher gemacht, kehrte er, von einer großen Volksmenge umgeben, nach Benares zurück, suchte den König auf und sprach: „O Fürst, ich habe den Tiger erlegt; der Wald ist wieder sicher gemacht.“ Der König war darüber befriedigt und gab ihm viel Geld.

Wieder an einem Tage meldete man dem Könige: „Ein Büffel macht einen Weg menschenleer.“ Der König schickte auch dorthin den Bhimasena. Dieser erlegte auch den Büffel auf dieselbe Art, die ihm der Bodhisattva bei dem Tiger angegeben hatte, und kehrte dann zurück. Der König gab ihm wiederum viel Geld und er erlangte große Macht. Im Rausche der Macht erwies er dem Bodhisattva Unehre und nahm seine Worte nicht an, sondern sprach zu ihm: „Ich lebe nicht von dir; was bist du nur für ein Mann?“, und gab ihm noch andere grobe Reden.

Nach wenigen Tagen aber kam ein feindlicher König, umlagerte Benares und schickte dem Könige folgende Botschaft: „Er soll entweder das Reich übergeben oder kämpfen.“ Der König schickte Bhimasena mit den Worten: „Kämpfe du!“ Dieser rüstete sich mit allen Waffen, zog die Soldatenausrüstung an und setzte sich auf den Rücken eines Elefanten. Auch der Bodhisattva hatte sich wegen dessen Todesfurcht völlig gerüstet hinter dem Sitze des Bhimasena niedergelassen. Der Elefant verließ, von einer großen Menschenmenge umgeben, das Stadttor und kam zum Anfang des Schlachtfeldes. Als nun Bhimasena den Schall der Kampftrommel hörte, fing er an zu zittern. Der Bodhisattva sagte: „Jetzt wirst du vom Elefanten herunterfallen und sterben“; und damit er nicht vom Elefanten herunterfalle, umwickelte er Bhimasena mit dem Zügelknoten und hielt ihn fest. Als aber Bhimasena den Kampfplatz sah, besudelte er, von Todesangst geschüttelt, den Rücken des Elefanten mit seinen Exkrementen. Darauf sprach der Bodhisattva: „Nicht passt, Bhimasena, bei dir das Spätere zum Früheren; vorher warst du wie ein Kämpfer in der Schlacht und jetzt besudelst du den Rücken des Elefanten.“ Und nach diesen Worten sprach er folgende Strophe:

§1. „Nachdem zuerst du so geprahlet hast,

klebt an dir Flüssigkeit jetzt voll Gestank;

dies beides, Bhimasena, passt zusammen nicht,

zuerst vom Kampf zu prahlen und Verzweiflung jetzt.“

Nachdem so der Bodhisattva ihn getadelt, sagte er: „Fürchte dich nicht, Lieber; warum bist du in Verzweiflung, solange ich noch da bin?“ Und er ließ ihn vom Elefanten herabsteigen und schickte ihn fort mit den Worten: „Wasche dich und gehe dann nach Hause.“ Dann dachte er: „Heute kommt es mir zu, bekannt zu werden“; und er ging in den Kampf, stieß das Schlachtgeschrei aus, durchbrach das feindliche Lager, nahm den König der Feinde lebendig gefangen und begab sich hierauf zum König von Benares zurück. Der König war darüber befriedigt und erwies dem Bodhisattva große Ehre. Von da an war der Name „der Kleine Bogenschütz-Weise“ auf dem ganzen Jambu-Erdteil berühmt. Jener gab dem Bhimasena seinen Sold und schickte ihn nach seinem Wohnort zurück; er selbst gab Almosen, verrichtete noch andere gute Werke und gelangte hierauf an den Ort seiner Verdienste.

 

§C. Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, prahlt dieser Mönch, sondern auch schon früher prahlte er“, diese Lehrunterweisung beschlossen hatte, stellte er die gegenseitigen Beziehungen klar und verband das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war Bhimasena der prahlerische Mönch, der Kleine Bogenschütz-Weise aber war ich.“

Ende der Erzählung von Bhimasena


[1] Kasi ist ein andrer Name für Benares, das durch die Herstellung feiner Gewebe berühmt war.

[1a] Auf Pali: „Culladhanuggahapandita“.

[2] Damit ist die Gegend von Andhra gemeint.

[3] D. h. er suchte eine Stellung, in der er alle seine Künste verwerten konnte.

[4] Das Bild bedeutet: durch seine Unterstützung, in seinem Schutze.


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