Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

66. Die Erzählung von Mudulakkhana (Mudulakkhana-Jataka) [1]

„Ein Wunsch war früher mir“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Befleckung. Ein zu Savatthi wohnender Sohn aus gutem Hause nämlich hatte, als er des Meisters Lehrunterweisung vernommen, der Edelsteinlehre sein Herz geschenkt und war Mönch geworden. Er führte reinen Wandel, war der Ekstase ergeben und beschäftigte sich unablässig mit Meditation. Als er nun eines Tages in Savatthi umherging, um Almosen zu sammeln, sah er ein prächtig geschmücktes Weib; und durch die Gewalt der Lust änderte er sein sonstiges Verhalten und blickte sie an. In seinem Innern aber entstand dadurch eine Begierde und er wurde wie ein von einer Axt getroffener Dattelbaum. Von da an war er lustbefleckt und hatte keine Freude mehr an seinem Körper noch an seinem Geiste; gleich einer verirrten Gazelle fand er kein Gefallen mehr an der Lehre; er ließ sich die Kopfhaare, Nägel und Körperhaare lang wachsen und trug ein schmutziges Gewand. — Als nun die ihm befreundeten Mönche die Änderung seines Verhaltens bemerkten, fragten sie: „Warum, Lieber, ist denn dein Verhalten nicht mehr so wie früher?“ Er erwiderte: „Ich bin unbefriedigt, Freunde.“ Darauf führten sie ihn zum Meister hin.

Der Meister fragte sie: „Warum, ihr Mönche, kommt ihr mit diesem Mönche gegen seinen Willen zu mir?“ Sie antworteten: „Dieser Mönch ist unbefriedigt, Herr.“ „Ist dies wahr, o Mönch?“ „Es ist wahr, Erhabener.“ „Wer hat dich unzufrieden gemacht?“ Darauf erwiderte der Mönch: „Herr, als ich auf dem Almosengange begriffen war, änderte ich mein bisheriges Verhalten und schaute ein Weib an; und als ich dies unpassende Objekt durch die Gewalt der Lust anschaute, befiel mich eine Begierde und darum bin ich unbefriedigt.“ Da sprach zu ihm der Meister: „Das ist kein Wunder, Mönch, dass du, als du dein früheres Verhalten ändertest und infolge der Gewalt der Lust ein unpassendes Objekt anschautest, von Begierden befallen wurdest. In früherer Zeit haben sogar Bodhisattvas, die der fünf Erkenntnisse und der acht Vollkommenheiten teilhaftig waren, die durch die Kraft der Ekstase die Begierden vernichtet hatten und reinen Herzens waren, die in der Luft zu wandeln pflegten, als sie ihr bisheriges Verhalten änderten und ein unpassendes Objekt anschauten, die Fähigkeit zur Ekstase verloren, wurden von Begierden befallen und gelangten zu großem Elend. Nimmt nicht auch der den Sineru umstürzende Wind einen kahlen Hügel von der Größe eines Elefanten etwas mit, oder der Wind, der einen großen Jambu-Baum entwurzelt, ein am gespaltenen Flussabhang wachsendes Gesträuch, oder der den großen Ozean austrocknende Wind einen kleinen Tümpel? Warum sollen dich also Begierden beschämen, welche die der höchsten Erkenntnis teilhaftigen, mit reinen Herzen ausgestatteten Bodhisattvas in den Zustand der Unwissenheit brachten? Auch die reinen Wesen werden von Begierden heimgesucht, auch die in höchster Ehre Stehenden stürzen in Ehrlosigkeit.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Reiche Kasi in einer sehr wohlhabenden Brahmanenfamilie seine Wiedergeburt. Als er zu Verstand gekommen und zur Vollendung in allen Künsten vorgedrungen war, gab er die Lüste auf und vollführte die Weltflucht der Weisen. Und nachdem er die Vorbereitungen zur Meditation betätigt, gelangte er zu den Erkenntnissen und den Fähigkeiten; und im Glücke der Ekstase lebend wohnte er in der Gegend des Himalaya. — Zu einer Zeit stieg er, um sich mit Salz und Saurem zu versehen, vom Himalaya herab und kam nach Benares, wo er im Parke des Königs wohnte. Als er am nächsten Tage seinen Körper besorgt und sein aus rotem Bast bestehendes Ober- und Untergewand zurechtgemacht hatte, nahm er sein Gazellenfell auf die eine Schulter, band seine Flechten [2] rings zusammen, nahm seinen Korb [3] und ging nach Benares hinein, um Almosen zu sammeln. Dabei kam er an das Tor des königlichen Palastes. Dem König gefiel sein Betragen beim Almosen Sammeln; und er ließ ihn rufen, ließ ihn auf einem kostbaren Sitze sich niederlassen und befriedigte ihn mit vorzüglicher fester und flüssiger Speise. Als er seine Danksagung gemacht, bat ihn der König, in seinem Parke zu wohnen. Jener gab seine Zustimmung; und indem er im Hause des Königs speiste und die Königsfamilie ermahnte, wohnte er in diesem Parke sechzehn Jahre.

Als nun eines Tages der König wegging, um die aufständigen Grenzbewohner zu unterwerfen, sprach er zu seiner ersten Gemahlin, die den Namen Mudulakkhana [1] hatte: „Besorge unablässig die Aufwartung des Edlen“; dann ging er fort. — Seitdem aber der König weggezogen war, ging der Bodhisattva in den Palast, wann es ihm beliebte. Als nun eines Tages Mudulakkhana das Mahl für den Bodhisattva hergerichtet hatte, dachte sie: „Heute bleibt der Edle lange aus“; und nachdem sie sich mit wohlriechendem Wasser gewaschen und mit aller Pracht geschmückt hatte, ließ sie in dem großen Raume ein kleines Lager aufstellen und legte sich nieder, die Ankunft des Bodhisattva erwartend. Als der Bodhisattva merkte, dass seine Zeit gekommen war, erhob er sich aus der Ekstase und begab sich durch die Luft nach dem Palaste des Königs. Als Mudulakkhana das Geräusch des Rindenbastes hörte [4], dachte sie: „Der Edle ist gekommen“, und stand rasch auf. Da sie aber so rasch sich erhob, fiel ihr glänzendes Gewand herab. Als nun der Asket durch das Fenster hereinkam, änderte er sein früheres Verhalten und schaute, von Lust erfasst, die ungewöhnliche Schönheit der Königin an. Da entstand in seinem Innern eine Begierde und er wurde wie ein abgehauener Dattelbaum. Sogleich aber verschwand seine Fähigkeit zur Ekstase und er war wie eine Krähe, der die Flügel gebrochen sind. So dastehend nahm er das Mahl in Empfang, verzehrte es aber nicht, sondern stieg, von Begierde geschüttelt, vom Palaste herab, begab sich nach dem Parke und ging in seine Laubhütte hinein. Hier stellte er das Mahl unter sein aus Brettern und Decken bestehendes Lager. Durch das unpassende Objekt gefesselt und vom Feuer der Begierde brennend, lag er sieben Tage auf seinem Bretterlager; dabei aß er nicht und wurde dadurch ganz mager.

Am siebenten Tage kehrte der König zurück, nachdem er die Grenzbewohner beschwichtigt hatte. Nachdem er die Stadt von rechts her umschritten, ging er in sein Haus. Darauf begab er sich, da er dachte: „Ich will den Edlen sehen“, in den Park und betrat die Laubhütte. Als er ihn daliegen sah, dachte er: „Er ist unwohl geworden, glaube ich.“ Und er ließ die Laubhütte reinigen, rieb ihm die Füße und fragte: „Was fehlt dir, Edler?“ Dieser antwortete: „O Großkönig, mir fehlt sonst nichts, aber durch die Macht sinnlicher Begierde ist mein Herz gefesselt worden.“ „An wen ist dein Herz gefesselt, Edler?“ „An Mudulakkhana, o Großkönig.“ Darauf versetzte der König: „Gut, Edler, ich gebe Euch Mudulakkhana“; und er ging mit dem Asketen in seinen Palast und übergab die Fürstin, nachdem er sie mit aller Pracht hatte schmücken lassen, dem Asketen. Während er sie aber übergab, gab er Mudulakkhana einen Wink und sagte ihr: „Du musst dich bemühen, den Asketen mit deiner eigenen Kraft zu behüten.“ Sie erwiderte: „Gut, Herr, ich werde ihn behüten.“

Der Asket nahm die Fürstin und stieg vom königlichen Palast herab. Als er aber zum Haupttore hinausging, sprach sie: „Edler, wir müssen doch ein Haus haben. Gehe und bitte den König um ein Haus.“ Der Asket bat um ein Haus. Da ließ ihm der König ein verlassenes Haus geben, das als Abort eingerichtet war. Jener nahm die Königin und ging dorthin; sie aber wollte nicht hineingehen. Da fragte er: „Warum gehst du nicht hinein?“, und sie antwortete: „Weil es unrein ist.“ Er fragte weiter: „Was soll ich du tun?“, und sie erwiderte: „Bringe es in Ordnung.“ Darauf schickte sie ihn zum Könige mit den Worten: „Hole einen Spaten, hole einen Korb.“ Und als er dies geholt hatte, ließ sie ihn das Unreine und den Schmutz beiseite schaffen, Kuhmist holen [5] und das Gemach damit beschmieren. Dann sprach sie wieder: „Gehe, hole einen Stuhl, hole ein Bett, hole eine Decke, hole einen Wassertopf, hole eine Schüssel“; und als er eines nach dem andern geholt hatte, schickte sie ihn fort, um Wasser zu holen u. dgl. Er holte in der Schüssel Wasser, füllte den Wassertopf, richtete Waschwasser her und breitete das Lager aus. Als er dann zusammen mit ihr
auf dem Lager saß, fasste sie ihn am Backenbart und mit den Worten: „Weißt du nicht, dass du ein Asket oder ein Brahmane bist?“, drehte sie ihn nach ihrem Gesichte hin herum. In diesem Augenblicke erhielt er wieder die Erinnerung zurück; die ganze Zeit hindurch nämlich war er unwissend gewesen. —

§E. „So sind durch Unkenntnis verursacht die sinnlichen Begierden, das in dem Wunsche nach Lust bestehende Hindernis [6]. Ihr Mönche, was blind macht, kommt von der Unwissenheit her“, dies und dergleichen mehr ist hier zu sagen [7]. —

Als er die Erinnerung wieder gewonnen hatte, bedachte er: „Diese Lust wird, wenn sie anwächst, mich das Haupt nicht mehr aus den vier Straforten erheben lassen; heute noch kommt es mir zu, diese dem König zurückzugeben und nach dem Himalaya zurückzukehren.“ Und er ging mit ihr zum Könige hin und sagte: „O Großkönig, deine Gemahlin brauche ich nicht; durch sie ist nur die Lust in mir gewachsen.“ Und darauf sprach er folgende Strophe:     

§1. „Ein Wunsch war früher mir, dass ich

nicht Mudulakkhana besaß;

als mein war die Großäugige [8],                            

erzeugt' der eine Wunsch noch mehr.“                    

Sogleich erlangte er wieder die Ekstase; und in der Luft sitzend erklärte er die Lehre und gab dem Könige eine Ermahnung. Darauf begab er sich durch die Luft nach dem Himalaya zurück und ging nicht mehr in das Bereich der Menschen; er betätigte vielmehr den Zustand der Vollendung und wurde, unaufhörlich in Ekstase versunken, in der Brahma-Welt wiedergeboren.

 

§A2. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beendigt hatte, verkündigte er die Wahrheiten. Am Ende der Verkündigung von den Wahrheiten aber gelangte dieser Mönch zur Heiligkeit.

 

§C. Darauf stellte der Meister die gegenseitigen Beziehungen klar und verband das Jataka mit folgenden Worten: „Damals war der König Ananda, Mudulakkhana war Uppalavanna [9], der Asket aber war ich.“

Ende der Erzählung von Mudulakkhana


[1] Das Wort bedeutet: „die sanft Aussehende“.

[2] Er hatte also das typische Aussehen der vorbuddhistischen Asketen. Über die Flechtenträger, pali Jatilas, vgl. „Leben des Buddha“, S. 103 ff.

[3] Ich leite das Wort „kharikaja“ von skr. „ksaraka“ ab, das Korb oder Netz bedeuten kann.

[4] Wie vorher erwähnt, bestand sein Gewand aus Rinde, die beim Fliegen ein Geräusch verursachte.

[5] In der Brahmanischen Religion gilt der Kuhmist als heiligendes Mittel [5a].

[5a] Das Bestreichen des Fußbodens mit Kuhmist dient auch der Desinfektion und um Ungeziefer fern zu halten.

[6] Die fünf Hindernisse des religiösen Lebens sind:

[7] Dies ist eine Einschiebung des Kommentators.

[8] Auch ich nehme Fausbölls Änderung des überlieferten „alarakkhi“ in „ularakkhi“ an.

[9] Vgl. Jataka 15 Anm. 3. [Dies ist der Name einer berühmten und bedeutenden Nonne; das Wort bedeutet „die die Farbe von blauem Lotos Besitzende“.]


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