Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

42. Die Erzählung von der Taube (Kapota-Jataka)

„Wer trotz Ermahnung nicht“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen essgierigen Mönch.

§D. Die Geschichte von dessen Essgier wird im neunten Buche [1] im Kaka-Jataka erzählt werden.

Damals aber teilten die Mönche dem Meister mit: „Herr, dieser Mönch ist essgierig.“ Da fragte ihn Buddha: „Ist es wahr, Mönch, dass du essgierig bist?“ „Ja, Herr“, antwortete er. Darauf sprach der Meister: „Schon in früherer Zeit warst du essgierig, Mönch; durch deine Essgier aber hast du dein Leben verloren und durch dich sind auch Weise ihrer Wohnung verlustig geworden.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva seine Wiedergeburt als eine Taube. Damals nun hingen die Bewohner von Benares, um ein gutes Werk zu tun, da und dort Spreukörbe auf, damit die Vögel bequem darin wohnen könnten. Auch der Koch des Großkaufmanns [2] von Benares stellte in seiner Küche einen Spreukorb auf, den er aufgehängt hatte. Dort nahm der Bodhisattva seinen Aufenthalt. Morgens flog er fort und sammelte sich Futter und abends kehrte er zurück und wohnte dort; so verbrachte er seine Zeit. — Nun flog eines Tages eine Krähe über der Küche hin; und da sie den Duft vom Räuchern gesalzenen und ungesalzenen Fischfleisches [3] roch, wurde sie gierig danach und dachte: „Durch wen kann ich wohl dies Fischfleisch erhalten?“ Und sie setzte sich in der Nähe nieder und wartete. Als sie am Abend den Bodhisattva herankommen und in die Küche hineingehen sah, dachte sie: „Durch diese Taube werde ich das Fischfleisch bekommen.“ Am nächsten Tage kam sie in der Frühe; und als der Bodhisattva fortging, um sich Futter zu holen, ging sie ihm immer nach. Da sprach der Bodhisattva zu ihr: „Lieber, warum gehst du mit uns?“ Sie antwortete: „Herr, Euer Tun gefällt mir; von jetzt an werde ich Euch begleiten.“ „Lieber, Ihr habt ein anderes Futter als wir; es ist lästig für Euch, uns zu begleiten.“ „Herr, wenn Ihr auf Nahrung ausgeht, werde ich auch meine Nahrung holen und mit Euch gehen.“ „Gut, nur musst du eifrig sein.“ — Nachdem der Bodhisattva die Krähe ermahnt hatte, ging er auf einen Weideplatz und verzehrte Grassamen u. dgl. Als aber der Bodhisattva sich Futter suchte, ging auch die Krähe fort, holte einen Mistklumpen und fraß die Insekten darin. Als sie sich damit den Leib gefüllt hatte, begab sie sich wieder zum Bodhisattva und sagte: „Herr, Ihr weilt zu lange; man darf nicht zu viel verzehren.“ Und sie ging mit dem Bodhisattva, als dieser sich Futter geholt hatte und am Abend zurückkehrte, zusammen in die Küche hinein. Der Koch dachte: „Unsere Taube ist mit einem anderen gekommen“, und stellte für die Krähe auch einen Korb hin. Von da an wohnten die beiden dort.

Eines Tages aber brachte man viel Fischfleisch für den Großkaufmann. Der Koch nahm es und hängte es da und dort in der Küche auf. Als dies die Krähe sah, befiel sie Begierde; und indem sie dachte: „Morgen darf ich nicht nach dem Weideplatz gehen, sondern nur dies verzehren“, lag sie die ganze Nacht stöhnend [4] da.

Als am andern Tage der Bodhisattva zum Futterholen ging, sagte er: „Komm, liebe Krähe.“ Sie aber erwiderte: „Herr, geht Ihr nur, ich habe Leibweh.“ Darauf sprach der Bodhisattva: „Freund, es hat noch niemals ein Leibweh bei den Krähen gegeben. Bei Nacht in den drei Nachtwachen sind sie in jeder Nachtwache schwach; zur Zeit aber, wo der Docht der Lampe verzehrt ist, sind sie in einem Augenblick wieder befriedigt [5]. Du wirst Lust haben, dieses Fischfleisch zu fressen. Geh, das, was den Menschen schmeckt, ist für dich schwer zu verdauen. Tue das nicht, sondern gehe nur mit mir zum Futter.“ „Ich kann nicht, Herr“, antwortete die Krähe. „An deinen eigenen Werken wirst du erkannt werden; komme nicht in die Gewalt der Begierde und lasse nicht nach“; so ermahnte sie noch der Bodhisattva und begab sich dann zum Futter.

Nachdem aber der Koch das Fischfleich auf mannigfache Art zubereitet hatte, öffnete er, um die Hitze hinausziehen zu lassen, ein wenig die Töpfe; die Schale zum Durchseihen der Brühe stellte er oben auf die Schüssel und ging dann hinaus, wo er stehen blieb und sich den Schweiß abwischte. In diesem Augenblicke streckte die Krähe ihren Kopf aus ihrem Korbe und schaute nach der Speisekammer. Als sie merkte, dass er hinausgegangen, dachte sie: „Jetzt ist es Zeit, meinen Wunsch zu erfüllen und das Fleisch zu fressen; soll ich jetzt ein großes Fleischstück verzehren oder geriebenes Fleisch?“ Da kam ihr der Gedanke: „Mit geriebenem Fleisch kann man nicht rasch den Magen füllen; ich will ein großes Stück Fleisch nehmen, es in meinen Korb legen und im Daliegen verzehren.“ Und sie flog aus ihrem Korbe auf und setzte sich auf die Brühenschale. Diese aber gab einen klirrenden Ton [6] von sich. Als der Koch diesen Ton hörte, dachte er: „Was ist denn das?“ und ging hinein. Da sah er die Krähe und dachte bei sich: „Diese elende Krähe will das für meinen Großkaufmann gekochte Fleisch fressen. Ich aber muss von dem Großkaufmann leben, nicht von dieser Törin; was geht sie mich an?“ Und er schloss die Türe, ergriff die Krähe und rupfte ihr am ganzen Körper die Federn aus; dann zerstieß er nassen Ingwer mit Salz und Kümmel, vermischte dies mit saurer Buttermilch und bestrich damit ihren ganzen Körper. Hierauf warf er die Krähe in ihren Korb. Da lag sie nun stöhnend, von übergroßem Schmerz geplagt.

Als aber der Bodhisattva am Abend kam und sie sah, wie sie ins Unglück gekommen war, sagte er: „Du gierige Krähe, weil du meinem Worte nicht gefolgt hast, bist du durch deine Gier in großes Leid gekommen“; und hierauf sprach er folgende Strophe:

§1. „Wer trotz Ermahnung nicht nach dessen Worten tut,

der, auf sein Wohl bedacht, sich seiner recht erbarmt,

dem geht es wie der Krähe, die der Taube Wort

nicht folgte und dadurch in Feindes Hand geriet.“

Nachdem der Bodhisattva diese Strophe gesprochen, dachte er: „Jetzt darf auch ich nicht mehr an diesem Orte bleiben“, und begab sich anderswohin. Die Krähe aber starb dort. Darauf nahm sie der Koch samt ihrem Korbe und warf sie auf den Schmutzhaufen.

 

§A2. Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt bist du essgierig, Mönch, sondern auch schon früher warst du es; durch dich sind auch Weise ihrer Wohnung verlustig geworden“, diese Lehrunterweisung beendigt hatte, verkündigte er die vier Wahrheiten. Am Ende der Verkündigung von den Wahrheiten gelangte der Mönch zur Frucht der Nichtrückkehr.

 

§C. Darauf stellte der Meister die gegenseitigen Beziehungen klar und verband das Jataka mit den Worten: „Damals war die Krähe der essgierige Mönch, die Taube aber war ich.“

Ende der Erzählung von der Taube


[1] Dies ist ein falsches Zitat. Die Erzählung von der Krähe steht vielmehr im 6. Buche Nr. 395.

[2] Gemeint ist, wie es scheint, der Vorsteher der Gilde, ähnlich wie in der Stelle im Jataka 4 Anm. 26.

[3] Es ist hier nur von Fischfleisch die Rede, weil nur dies den Buddhisten erlaubt war. Vgl. „Leben des Buddha“, S. 198.

[4] Das Wort „tintinanto“ ist ebenso wie das weiter unten folgende „tintinayanto“ unklar. Die Bedeutung „stöhnen“, die auch Chalmers hat, lässt sich aus der Annahme erklären, dass eine onomatopoetische Bildung vorliegt. Steinthal, Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte Band VI., S. 112, übersetzt „zusammengekauert“? Vielleicht ist es auch eine unregelmäßige Intensivbildung der Wurzel „tan“ = „dehnen“.

[5] Die Stelle ist nicht ganz klar. Chalmers übersetzt: „if they eat a lampwick, their hunger is appeased for the moment.“ Vielleicht ist der Sinn: „Die Krähen sind nur dann unwohl, wenn sie nichts zu fressen haben; sie können alles verdauen, selbst einen Lampendocht.“

[6] Wörtlich: „sie gab den Laut ‘kili’ von sich“.


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