Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

29. Die Erzählung von dem Schwarzen (Kanha-Jataka)

„Wo immer ist die Last zu schwer“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf das doppelte Wunder.

§D. Dies wird zugleich mit seinem Herabsteigen aus der Götterwelt im dreizehnten Buch, im Sarabhamiga-Jataka [Jataka 483] geoffenbart werden.

Nachdem aber der völlig Erleuchtete das doppelte Wunder getan und in der Götterwelt gewohnt hatte, stieg er am großen Pavarana-Tage [2] in die Stadt Samkassa herab und begab sich mit großem Gefolge nach dem Jetavana. Die Mönche versammelten sich in der Lehrhalle und setzten sich nieder, indem sie die Vorzüge des Meisters priesen mit den Worten: „Freunde, der Vollendete ist unvergleichlich stark; die von dem Vollendeten getragene Last zu tragen, ist ein anderer nicht im Stande. Die sechs Meister sagten: ‘Wir nur werden ein Wunder tun, wir nur werden ein Wunder tun’; aber sie taten nicht ein Wunder. Ja, der Meister ist unvergleichlich stark.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung habt ihr euch jetzt hier niedergelassen, ihr Mönche?“ Sie antworteten: „Herr, zu keiner anderen als zur Erzählung Eurer Vorzüge.“ Da sprach der Meister: „Ihr Mönche, wer kann die jetzt von mir getragene Last tagen? Aber auch schon in früherer Zeit, als ich als Tier wiedergeboren war, fand ich keinen, der so stark war wie ich.“ Und er erzählte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit:

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, wurde der Bodhisattva als Rind wiedergeboren. Zur Zeit, da er ein junges Kalb war, gaben ihn seine Herren einer alten Frau, in deren Hause sie gewohnt hatten, um damit die Wohnungsmiete zu begleichen. Sie ernährte ihn mit Reisschleim, Reisspeise u. dgl., hielt ihn wie ihren eigenen Sohn und zog ihn so auf. Man nannte ihn Großmutters Schwarzen; und als er herangewachsen war, hatte er die Farbe von Augenwimpernschwärze und wandelte unter den Rindern des Dorfes. Er war aber brav und tugendhaft. Die Dorfkinder fassten ihn an den Hörnern, an den Ohren und am Halse und hängten sich daran; auch am Schwanze fassten sie ihn und spielten und setzten sich auch auf seinen Rücken. Eines Tages dachte er: „Meiner Mutter geht es schlecht; sie hat mich an Sohnesstelle gesetzt und mich mit großer Mühe großgezogen. Wie, wenn ich mich um Lohn verdingen und sie so aus ihren schlechten Verhältnissen befreien würde?“ Von da an ging er umher nach einer Gelegenheit, Lohn zu verdienen, ausspähend. —

Nun kam eines Tages ein junger Karawanenführer mit fünfhundert Wagen an eine unwegsame Furt. Seine Ochsen konnten die Wagen nicht herausziehen und von allen fünfhundert Wagen konnten die Ochsen, der Reihe nach angeschirrt, nicht einmal einen einzigen Wagen herausbringen. Der Bodhisattva verweilte gerade mit den Rindern des Dorfes zusammen in der Nähe der Furt. Der junge Karawanenführer aber war ein Rinderkenner; und als er herumblickte, ob wohl ein edler Stier unter diesen Rindern sei, der im Stande wäre, die Wagen herauszuziehen, sah er den Bodhisattva und dachte: „Dieses Tier von edler Abstammung wird meine Wagen herausziehen können; wo ist wohl sein Herr?“ Und er fragte die Rinderhirten: „Wo ist wohl der Herr dieses Stieres? Ich will ihn an meine Wagen spannen, und wenn er die Wagen herauszieht, einen Lohn dafür zahlen.“ Sie sprachen: „Nehmt ihn und schirrt ihn an; an diesem Orte ist sein Herr nicht.“ Da band er ihn an der Nase mit einem Riemen und trieb ihn an, konnte ihn aber nicht von der Stelle bringen. Der Bodhisattva dachte nämlich: „Wenn ein Lohn bestimmt ist, werde ich gehen“; deshalb ging er nicht. Der junge Karawanenführer merkte seinen Gedanken und sagte: „Herr, wenn die fünfhundert Wagen von dir herausgezogen sind, werde ich für jeden Wagen zwei Kahapanas als Lohn geben und tausend zahlen.“ Da ging der Bodhisattva von selbst vorwärts und die Leute schirrten ihn an die Wagen. Er aber hob jeden Wagen mit einem Ruck heraus und stellte ihn auf festen Boden; und auf diese Weise zog er sämtliche Wagen heraus.

Darauf gab der junge Karawanenführer für jeden Wagen ein Kahapana, machte die fünfhundert in ein Bündel zusammen und hing dieses an den Hals des Tieres. Der Bodhisattva aber dachte: „Dieser gibt mir den Lohn nicht, wie er ausgemacht ist; ich werde ihn jetzt nicht fortziehen lassen“; und er ging hin und stellte sich vor den allerersten Wagen, den Weg versperrend. Da dachte der junge Karawanenführer: „Er merkt, mein' ich, dass an seinem Lohn etwas fehlt“; und er band in ein Tuch tausend Geldstücke zu einem Bündel zusammen und hing es an seinen Hals mit den Worten: „Da ist dein Lohn für das Herausziehen der Wagen.“

Das Tier ging mit dem Bündel der tausend Geldstücke zu seiner Mutter hin. Da sprachen die Dorfkinder: „Was ist da am Halse des Schwarzen der Großmutter?“ und liefen zum Bodhisattva hin. Der aber verfolgte sie und trieb sie weit fort; dann begab er sich zur Mutter. Von dem Herausziehen der fünfhundert Wagen aber hatte er rote Augen und man sah ihm an, dass er ermattet war. Als nun die Laienschwester [3] an seinem Halse die Geldbörse mit tausend Kahapanas sah, sagte sie: „Lieber, wie hast du dies bekommen?“ Und sie fragte die Hirtenkinder. Da sie aber die Sache vernahm, sprach sie: „Lieber, will ich denn von dem Lohne leben, den du erworben hast? Warum ist solches Leiden über dich gekommen?“ Und sie badete den Bodhisattva in heißem Wasser, bestrich seinen ganzen Körper mit Sesamöl, gab ihm Wasser zu trinken und heilsame Speise zu verzehren. Am Ende ihres Lebens gelangte sie mit dem Bodhisattva an den Ort ihrer Verdienste.

 

§A2. Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, ist der Vollendete unvergleichlich stark, sondern auch schon in früherer Zeit war er es“, diese Lehrunterweisung beendigt und die gegenseitigen Beziehungen klargestellt hatte, sprach er, als er völlig erleuchtet geworden war, folgenden Vers:

§1. „Wo immer ist die Last zu schwer,
wo immer ist der Weg zu tief,
da schirren sie den Schwarzen an,
da zieht er diese Last heraus.“

 

§C. Nachdem so der Erhabene gezeigt hatte: „Damals, ihr Mönche, zog der Schwarze diese Last“, und die gegenseitigen Beziehungen klargestellt hatte, verband er das Jataka mit den Worten; „Damals war die alte Frau Uppalavanna [4], Großmutters Schwarzer aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Schwarzen


[2] Gemeint ist die große Beichtfeier am Ende der Regenzeit. Über die Pavarana vgl. „Leben des Buddha“, S. 352f.

[3] Das Wort ist hier nur ein Ehrenname für die Frau.

[4] Vgl. Jataka 15 Anm. 3. [Dies ist der Name einer berühmten und bedeutenden Nonne; das Wort bedeutet „die die Farbe von blauem Lotos Besitzende“.]


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