Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

10. Die Erzählung von dem glücklichen Leben (Sukhavihari-Jataka)

„Wer nicht von andern wird bewacht“

 

§A. Dies erzählt der Meister bei der Stadt Anupiya im Mangowalde von Anupiya mit Bezug auf den glücklich lebenden Thera Bhaddiya [1]. Der glücklich lebende Thera Bhaddiya war in der Gemeinschaft der sechs Krieger [2], zu denen sich Upali als der siebente gesellte, Mönch geworden [3]. Von ihnen hatten der Thera Bhaddiya und der Thera Kimbila und der Thera Bhagu und der Thera Upali die Heiligkeit erlangt, der Thera Ananda war bekehrt worden, der Thera Anuruddha hatte die göttliche Einsicht erhalten und der Thera Devadatta war der Ekstase teilhaftig geworden.

§D. Die Geschichte von den sechs Kriegern bis zur Stadt Anupiya wird aber im Khandahala-Jataka [Jataka 542] erzählt werden.

Als nun der ehrwürdige Thera Bhaddiya betrachtete, wie er zur Zeit, da er noch König war, sich selbst behütete wie eine Gottheit, die das Wächteramt über ihn hatte, und wie er, obwohl er von vielen Wächtern behütet wurde, wenn er oben in seinem Palaste auf seinem großen Lager sich herumwarf, immer in Furcht lebte, wie aber, als er nun zur Heiligkeit gelangt war und in Wäldern u. dgl. sich da und dort aufhielt, seine Furcht verschwunden war, da stieß er den begeisterten Ruf aus: „O dieses Glück, o dieses Glück.“

Da teilten die Mönche dem Erhabenen mit: „Der ehrwürdige Bhaddhiya verkündet das Wissen [5].“ Der Erhabene erwiderte: „Ihr Mönche, nicht nur jetzt lebt Bhaddhiya im Glücke, auch früher lebte er im Glück.“ Die Mönche baten den Erhabenen, ihnen dies zu offenbaren. Und der Erhabene machte die von einer früheren Existenz her verborgene Begebenheit bekannt.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta die Herrschaft führte, war der Bodhisattva ein wohlhabender Brahmane im Norden. Da er aber die Sündlichkeit erkannte, die in den Lüsten liegt, und den Vorteil der Weltentsagung, gab er die Lüste auf, begab sich nach dem Himalaya und wurde Mönch nach Art der Weisen. Er erreichte hier die acht Stufen der Vollkommenheit [6]; groß war sein Gefolge, nämlich fünfhundert Büßer. Zur Regenzeit nun ging er vom Himalaya fort und gelangte, von der Büßerschar umgeben, in Dörfern und Märkten herumwandernd [7] nach Benares. Hier nahm er durch die Gunst des Königs in dem Gärten des Königs seinen Aufenthalt. Als er dort die vier Regenmonate zugebracht hatte, verabschiedete er sich von dem Könige. Da bat ihn der König: „Ihr, Herr, seid hochbetagt; was braucht Ihr den Himalaya? Schickt Eure Schüler nach dem Himalaya und bleibt hier!“ Der Bodhisattva übergab dem ältesten seiner Schüler die Leitung der fünfhundert Büßer, schickte ihn fort mit den Worten: „Geh du, wohne mit diesen zusammen am Himalaya; ich will hier bleiben“, und schlug dort seinen Wohnsitz auf. —

Der älteste seiner Schüler aber war vom Königtum weg Mönch geworden; er hatte ein großes Reich aufgegeben und war Mönch geworden. Durch Betätigung der Bedingungen zur Ekstase [8] hatte er die acht Vollkommenheiten erlangt. Als er nun mit den Büßern am Himalaya wohnte, bekam er eines Tages Lust, seinen Lehrer zu sehen, und er sprach zu den Büßern: „Seid nicht unzufrieden und bleibt hier; ich will den Lehrer begrüßen und dann wiederkommen.“ Und er begab sich zu seinem Lehrer, verehrte ihn, begrüßte ihn freundlich, machte sich ein Lager zurecht und ließ sich neben seinem Lehrer nieder.

Zu der Zeit dachte der König: „Ich will den Büßer besuchen“; und er begab sich nach seinem Garten, begrüßte ihn und setzte sich an seiner Seite nieder. Als der Asketenschüler den König sah, stand er gleichwohl nicht auf, sondern blieb liegen und stieß den begeisterten Ausruf aus: „O dieses Glück, o dieses Glück.“ Der König dachte: „Dieser Büßer hat mich gesehen und ist gleichwohl nicht aufgestanden“; und ärgerlich sprach er zu dem Bodhisattva: „Herr, dieser Büßer wird wohl nach Wohlgefallen gespeist haben; mit begeistertem Ausruf nimmt er eine bequeme Stellung ein.“ Darauf versetzte der Bodhisattva: „O Großkönig, dieser Büßer war früher ein König wie du; und da er denkt: ‘Als ich früher zur Zeit, da ich Laie war, die königliche Herrlichkeit genoss und von vielen bewaffneten Leuten beschützt wurde, empfand ich nicht ein solches Glück’, stößt er wegen der Seligkeit des Mönchtums und wegen der Seligkeit der Ekstase diesen begeisterten Ruf aus.“ Darauf sagte der Bodhisattva, um dem Könige eine Lehrunterweisung zu geben, folgende Strophe:

§1. „Wer nicht von andern wird bewacht
und wer auch andre nicht bewacht,
fürwahr der lebt, o Herr, voll Glück;
von Lüsten ist er gänzlich frei.“

Als der König die Lehrunterweisung vernommen hatte, grüßte er ihn beruhigten Gemütes und begab sich in seine Behausung. Auch der Schüler grüßte den Lehrer und ging nach dem Himalaya. Der Bodhisattva aber blieb dort und lebte beständig in Ekstase; als er das Zeitliche gesegnet hatte, wurde er in der Brahmawelt wiedergeboren.

 

§C. Nachdem der Meister diese Belehrung vorgetragen und erklärt und die beiden Begebenheiten erzählt hatte, legte er ihre Beziehung zu einander klar und verband das Jataka mit den Worten: „Damals war der Thera Bhaddiya der Schüler, der Meister der Schar aber war ich.“

Ende der Erzählung vom glücklichen Leben


[1] Bhaddiya heisst „der Glückliche“; Rhys Davids meint daher, die ganze Erzählung verdanke diesem Namen ihre Entstehung.

[2] Die Kriegerkaste, aus der auch Buddha stammte, umfasste die Adligen im Gegensatz zu den Bürgern, die in den Paliquellen meistens „Hausväter“ genannt werden.

[3] Die Geschichte von diesen sieben Mönchen findet sich außer im Jataka-Buche auch im Cullavagga VII,1 als Einleitung zu der Erzählung von den Umtrieben des Devadatta. (Vgl. „Leben des Buddha“, S. 164 ff.). Upali, Anuruddha und besonders Ananda spielten später eine große Rolle im Orden, während Devadatta zum Typus der Feinde Buddhas wurde.

[5] Dies ist die wörtliche Bedeutung der Stelle. Rhys Davids übersetzt: „er prophezeit von der Heiligkeit“; Chalmers sagt: „er erklärt das Glück, das er gewonnen hat.“ Mit dem „Wissen“ kann allerdings auch die Heiligkeit, der Zustand des Arahat selbst gemeint sein, insofern es eine Frucht der Heiligkeit ist.

[6] Darunter sind verstanden die vier Stufen der Ekstase und die vier sogenannten unkörperlichen Sphären, nämlich

(5.) die Sphäre der Unendlichkeit des Raumes,
(6.) die Sphäre des Nichtsseins,
(7.) die Sphäre des weder sich Bewusstseins noch sich nicht Bewusstseins und
(8.) die Sphäre des Aufhörens von Empfindung und Bewusstsein.

(Vgl. „Leben des Buddha“, S. 344.)

[7] Dieses Herumwandeln enthält auch den Nebenbegriff des Almosen Sammelns. So wird der Almosengang der buddhistischen Mönche stets mit diesem Worte bezeichnet.

[8] Gewöhnlich nimmt man zehn Bedingungen oder Hilfsmittel zur Erreichung der Ekstase an, die besonders im Fixieren verschiedenfarbiger Gegenstände bestehen.


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