Augenblicke der Wahrheit

27. DER WELTGEIST

 

Alle Zeugnisse der Wissenschaft deuten darauf hin, daß es eine einzige Kraft gibt, die das gesamte Universum beherrscht, und alle religiöse mystische Erfahrung und philosophische Einsicht bestätigen das. Nicht nur ist dies so, sondern diese Kraft erhält auch das Universum; ihre Intelligenz ist einzigartig, unvergleichlich, unglaublich. Diese Kraft ist es, die ich den Weltgeist nenne.

Insofern der Weltgeist die aktive Wirkkraft hinter und in dem Universum ist, trägt er die ganze Last der Schöpfung; er ist der eigentlich Handelnde, der auch uns und unsere Handlungen trägt.

Es wäre jedoch ein Fehler, den Weltgeist als eine Wesenheit und den Geist als eine andere, von ihm getrennte aufzufassen. Richtiger wäre es, den Weltgeist als die aktive Funktion des Geistes zu betrachten. Der Geist kann nicht von seinen Kräften getrennt werden. Die zwei sind eins. In seinem Ruhezustand ist er einfach Geist. In seinem aktiven Zustand ist er Weltgeist. In seiner innersten transzendenten Natur ist der Geist das unergründliche Mysterium der Mysterien, aber wenn er sich im Handeln ausdrückt und dem Universum immanent ist, ist er der Weltgeist. Wir können in den Attributen des geoffenbarten Gottes - das heißt des Weltgeistes - die einzigen Hinweise auf Qualität, Existenz und Charakter der nicht offenbaren Gottheit finden, die dem Menschen begreiflich sind. Dies alles ist ein Mysterium, das ein unbegreifliches Paradoxon ist und womöglich für immer bleiben wird.

Der Punkt, der im Raum erscheint, ist ein Lichtpunkt. Er breitet sich immer mehr aus und wird zum Weltgeist. Gott ist aus der Gottheit hervorgegangen. Und aus dem Weltgeist geht die Welt selbst hervor - nicht auf einmal, sondern in mehreren Etappen. Von diesem großen Licht kommen alle anderen und geringeren Lichter, kommen die Sonnen und die Planeten, die Galaxien, die Universen und all die mächtigen Heerscharen kleiner und großer Geschöpfe, von Wesen, die gerade eben anfangen, etwas wahrzunehmen, und anderen, die voll bewußt, wach, klug sind. Und mit der Welt treten die Gegensätze auf, das duale Prinzip, das sich überall in der Natur feststellen läßt, das Yin und Yang des chinesischen Denkens.

Die Intelligenz, die die Weltidee faßte, ist lebendig und schöpferisch - kurz, göttlich. Die so genannten Naturgesetze zeigen nur ihr mannigfaches Wirken.

Wenn es stimmt, daß der absolute göttliche Geist nichts vom Universum weiß, nichts vom sterblichen Menschen, dann stimmt es auch, daß der Weltgeist, der sein anderer Aspekt ist, sehr wohl davon weiß.

Wenn das göttliche Handeln in einem Universum endet, geht es zur selben Zeit in einem anderen weiter. Wenn unser Weltgeist am Ende in seinen Ursprung zurückkehrt, gibt es andere Weltgeister und andere Welten, die fortdauern. Die Schöpfung ist ein Geschehen ohne Anfang und ohne Ende, aber es gibt Zwischenzeiten und Ruheperioden genau wie im Leben des Menschen innerhalb und außerhalb des Körpers.

Der moderne Mensch sucht an allen unmöglichen Orten nach einem unsichtbaren Gott und will nicht den sichtbaren Gott verehren, den er vor sich hat. Und doch bedarf es nur geringen Nachdenkens, um zu zeigen, daß wir alle an der unerschöpflichen Brust der Natur gesäugt werden. Es ist leicht zu sehen, daß die Quelle alles Lebens die Sonne ist und daß ihre schöpferischen, schützenden und zerstörerischen Kräfte für den gesamten physischen Ablauf des Universums verantwortlich sind. Jedoch ist es nicht die physische Sonne allein, an die sich der Suchende wendet, sondern der Weltgeist hinter ihr. Wir müssen die Sonne als eine wahrhafte Selbstentäußerung und Selbstbekundung des Weltgeistes gegenüber all seinen Geschöpfen betrachten.

Alle Kräfte der physischen Welt stammen aus einer einzigen Quelle - der Sonnenenergie.

Der Satz: «Das Licht ist Gott», meint zweierlei: erstens die dichterische und seelische Tatsache, daß die spirituelle Unwissenheit des Menschen in seiner gegenwärtigen Verfassung gleichbedeutend mit Finsternis und seine Entdeckung Gottes gleichbedeutend mit Licht ist; zweitens die wissenschaftliche und durch entsprechende Befunde verifizierte Tatsache, daß sich die ganze physische Materie letzten Endes auf Lichtwellen reduziert und daß, da Gott das Universum aus Seiner eigenen Substanz geschaffen hat, die Lichtwellen letztlich göttlich sind.


28. DAS ALL-EINE

 

Die Philosophie versteht gefühlsmäßig, aber billigt nicht praktisch die unbeirrbare Weigerung des Buddha, das höchste Innewerden zu erklären. Sein Ratschlag an seine Schüler war: «Welches Wort kann aus einem Bezirk ergehen, wo der Streitwagen der Rede keine Spur findet, darauf zu fahren?»

Es ist gewiß schwer, diese transzendentale, undefinierbare Erfahrung in prosaischen Aufzeichnungen schwarz auf weiß festzuhalten. Aber ist es dem Eingeweihten wirklich so unmöglich, sein Schweigen zu brechen und sein Wissen zu einer vagen, begrenzten Umschreibung des Unendlichen in Worte zu fassen? Das Eingeständnis, daß wir über das Absolute intellektuell nichts wissen und nichts wissen können, ist verständlich. Jedoch die Behauptung, daß wir seine Existenz daher gänzlich aus unserer intellektuellen Weltanschauung ausklammern sollten, ist es nicht. Denn obgleich die exakte Definition und die direkte Erläuterung mit Worten außerstande sind, das Ganze dieser subtilen Erfahrung innerhalb ihres Empfangsbereichs zu erhaschen, weil sie in gewöhnliche intellektuelle, emotionale und physische menschliche Erfahrung umgewandelt werden - sie können trotzdem ein intuitives Erkennen seiner Schönheit hervorrufen. Sie können so manchem empfänglichen Geist eine Andeutung seines Wertes vermitteln, und sie können in einem das erste Streben danach wecken, es für sich selbst zu erlangen.

Wenn dieser Zustand das Denken, ob in Wort oder Bild, transzendiert, warum haben dann so viele Mystiker dennoch soviel darüber geschrieben? Daß sie gleichzeitig die Unmöglichkeit beteuerten, die höchsten Ebenen ihrer Erfahrung zu beschreiben, ändert nichts an dieser eigenartigen Tatsache. Die Antwort auf unsere Frage ist die: Hätten sie volles Stillschweigen bewahrt und nicht enthüllt, daß solch eine einzigartige Erfahrung möglich ist und daß solch eine erhabene Wirklichkeit existiert, so hätte das bedeutet, ihre weniger begnadeten Mitmenschen in völliger Unkenntnis einer ungemein wichtigen Wahrheit über das menschliche Leben und Schicksal zu belassen. Aber wenn sie ein Zeugnis hinterlassen haben, selbst wenn es nur andeutet, was es nicht zureichend beschreiben konnte, dann haben sie etwas Licht in der Finsternis zurückgelassen. Und obwohl eine intellektuelle Darlegung einer überintellektuellen Tatsache nur wie ein indirektes und reflektiertes Licht ist, ist es dennoch besser, als wenn man gar kein Licht hat.

Solange Menschen das Bedürfnis verspüren, sich mit anderen Menschen über dieses Thema auseinanderzusetzen, solange Meister Schüler darin zu unterweisen suchen und solange begnadete Seher die Pflicht erkennen, für die nicht begnadete Menschheit ein Zeugnis ihrer Erleuchtung zu hinterlassen- sei es auch ein unvollkommenes -, solange wird, dem Buddha zum Trotz, das Schweigen gebrochen und das verlorene Wort aufs neue gesagt werden müssen. Man ist intellektuell weit gekommen, wenn man den Satz verstehen kann, daß Geist der Sucher, aber GEIST das Gesuchte ist.

Die erste Äußerung des Geistes ist die Leere. Die zweite und darauf folgende ist das Licht, das heißt der Weltgeist. Dem folgt die dritte, die Weltidee. Schließlich kommt die vierte, das Erscheinen der Welt selbst.

Wenn der Geist sich im Weltgeist konzentriert, schafft er damit einen Brennpunkt. Wie unermeßlich er auch sein mag, er begibt sich aus seiner unbegrenzten Verfassung, geht vom wahren Unendlichen zum Pseudo-Unendlichen über. Folglich kann man vom Weltgeist, der ja in seinem Kosmos aufgeht, nicht behaupten, er besitze die Absolutheit des reinen Geistes. Denn was ist sein Werk anderes als eine Regung der *Vorstellungskraft? Und wo im unsagbaren Absoluten gäbe es Raum für Werk oder Vorstellung? Das eine würde seine ewige Stille brechen, das andere würde seine unwandelbare Wirklichkeit verschleiern. Dies kann natürlich niemals sein, denn Sein kann niemals Nichtsein werden. Aber es kann eine Emanation von sich aussenden. Eine solche Emanation ist der Weltgeist. Durch seine anhaltende Kontemplation des Kosmos wird der Geist so zu einem Bruchteil seiner selbst, seiner undifferenzierten, ungebrochenen Einheit beraubt. Dennoch ist der Weltgeist - durch seinen Abgesandten, das Überselbst - für Menschen nach wie vor das höchstmögliche Ziel.

Durch seine Unfähigkeit, zur Erkenntnis des transzendenten Gottes vorzudringen, ist der kleine Mensch dennoch nicht zu ewiger Unwissenheit verdammt. Denn da Gott in allen Dingen anwesend ist, so auch in ihm. Die Flamme harrt noch der Entzündung. Hierin liegen für ihn Hoffnung und Zuversicht. Genau wie er seine eigene persönliche Identität kennt, so kennt Gott in ihm Gott als das Überselbst. Das göttliche Erkennen ist immerwährend, ob er wach ist oder schläft, ob er ein Atheist oder ein Heiliger ist. Er kann auch daran teilhaben, aber nur, wenn er seinen Verstand seiner Intuition unterwirft. Dies ist keine durch theokratische Willkür auferlegte Bedingung, sondern eine, die in der Natur des Erkenntnisprozesses begründet ist. Indem er sie annimmt, kann er die ganze Sache prüfen und selbst mit der Zeit seine andere, überpersönliche Identität kennenlernen.

Im letzten Grad innerer Erfahrung, in der tiefsten Phase der Kontemplation verschwindet der Erfahrende, der Meditierende vergeht, der Erkenner hat keinen erkennbaren Gegenstand mehr - nicht einmal das Überselbst -, denn die Dualität bricht zusammen. Weil dieser Grad über die höchste «Lichterfahrung» hinausgeht, in der das Überselbst seine Gegenwart visuell als eine Masse, eine Säule, eine Kugel oder einen Strahl von überirdischer Leuchtkraft offenbart, die unabhängig davon gesehen wird, ob die leiblichen Augen geöffnet oder geschlossen sind - deswegen ist er die göttliche Finsternis genannt worden.

Die wahre Vereinigung, völlig authentisch und völlig beseligend, in der Geist mit GEIST verschmilzt, ohne Beimischung persönlicher Wünsche oder herkömmlicher Einflüsterungen, kann mit Worten nicht richtig beschrieben werden Denn wer sie erfährt, mag aufgrund des riesigen Unterschieds zu seinem gewöhnlichen Selbst um ihr Einsetzen oder ihr Aufhören wissen, aber er weiß von ihrer vollen Höhe schon allein deshalb nichts, weil er nicht einmal weiß, daß er sie erfährt. Denn damit würde man das Ich wieder einführen und so von der Reinheit der Vereinigung abfallen.

Ohne ständig diese ursprüngliche Geisthaftigkeit der Dinge und daher ihre ursprüngliche Einheit mit Selbst und Geist im Auge zu behalten, muß der Mystiker natürlich durch das, was er für den Gegensatz von Geist und Materie hält, verwirrt, wenn nicht gar getäuscht werden. Der Mystiker schaut nach innen, ins Selbst; der Materialist schaut nach außen, in die Welt. Und dem einen fehlt, was der andere findet. Aber für den Philosophen ist keines von beiden das Erste. Er schaut in jenen Geist, von dem Selbst und Welt beide nur Erscheinungen sind und in dem er auch die Erscheinungen findet. Es reicht ihm nicht aus, aus periodischer Meditation unstete und zufällige Erleuchtungen zu empfangen, wie sie dem Mystiker zuteil werden. Er bezieht dieses intellektuelle Verständnis auf seine während der mystischen Selbstversenkung in der Leere gemachte weitergehende Entdeckung, daß die Wirklichkeit seines eigenen Selbst Geist ist.

Wieder zurück in der Welt, erforscht er sie abermals in diesem neuem Licht, bestätigt, daß die vielfältige Welt letztlich aus geistigen Bildern besteht, verbindet das mit seiner vollen metaphysischen Erkenntnis, daß sie einfach Geist in der Offenbarung ist, und lernt so begreifen, daß sie ihrem Wesen nach eins mit demselben Geist ist, den er in der Selbstversenkung erlebt. So bezeugt und erfährt seine Einsicht diesen Geist an sich als die Sinnenwelt und nicht als von ihr getrennt, während der Mystiker sie trennt. Bei der Einsicht zerstört das Gefühl der Einheit nicht das Gefühl des Unterschieds, sondern beide bleiben seltsam gewahrt, während bei der gewöhnlichen mystischen Erfahrung eines das andere aufhebt. Die Myriaden von Formen, die das Bild dieser Welt zusammensetzen, verschwinden nicht als ein Wesensmerkmal der Wirklichkeit, noch wird das Bewußtsein von ihnen oder der Umgang mit ihnen beeinträchtigt. Daher ist der vom Philosophen erreichte Stand, auf dem er die Einsicht in den reinen Geist sogar unter dem Ansturm physischer Sinneseindrücke fortwährend besitzt, fest und endgültig.

Er erachtet alles in dieser mannigfaltigen Welt genauso selbstverständlich für nichts anderes als den Geist, wie er jedesmal dann, wenn er sich in die Selbstversenkung kehren möchte, das Nichts, die bildlose Leere für nichts anderes als den Geist erachten kann. Er erachtet sowohl die äußeren Gesichter aller Menschen als auch die inneren Tiefen seines eigenen Selbst für nichts anderes als den Geist. So erfährt er die Einheit alles Seienden; nicht zeitweise, sondern in jedem Augenblick erkennt er den Geist als das Höchste und Letzte.

Dies ist die philosophische oder endgültige Erkenntnis. Sie ist so bleibend, wie die des Mystikers vorübergehend ist. Was er auch tut oder unterläßt, was er erlebt oder nicht erlebt, er läßt sämtliche Unterscheidungen zwischen Wirklichkeit und Schein, zwischen Wahrheit und Illusion sein und läßt seiner Einsicht freien Lauf, da seine Gedanken nichts auswählen und sich an nichts klammern. Er erlebt das Mirakel undifferenzierten Seins, das Wunder unterschiedsloser Einheit. Die künstlichen, von Menschen geschaffenen Grenzen schmelzen dahin. Er erachtet seine Mitmenschen für so unweigerlich und wesenhaft göttlich, wie sie es wirklich sind, und nicht bloß für die weltlichen Geschöpfe, für die sie sich halten, so daß alle Spuren einer asketischen Haltung nach dem Motto: «Ich bin heiliger als du», völlig von ihm abfallen.

Es gibt nur einen Gott, ein Leben, eine unendliche Kraft, einen allwissenden Geist. Jeder Mensch individualisiert ihn, aber vervielfältigt ihn nicht. Er bringt ihn auf einen Punkt, das Überselbst, aber beseitigt nicht seine Einheit und ändert nicht seinen Charakter.

Wir stehen ständig vor dem altehrwürdigsten aller Probleme: «Warum trat dieses Universum aus der Tiefe und Finsternis des absoluten Geistes hervor?» Der Seher kann uns ein Bild der Art und Weise bieten, wie dieser Geist sich in die Materie eingefaltet hat und sich wieder zurück zur Selbsterkenntnis entfaltet. Das ist nur das Wie und nicht das Warum der Welt. Die Wahrheit ist, daß nicht nur nie jemand die letzte und grundsätzliche Absicht der Schöpfung gekannt hat, kennt oder jemals kennen wird, sondern daß nicht einmal Gott selbst sie kennt - denn auch Gott ist nicht minder aus dem Absoluten hervorgegangen als das Universum, ist selbst eine Emanation aus der urtümlichen Finsternis und der vollkommenen Stille. Sogar Gott muß sich damit zufrieden geben, dem Fließen zuzusehen und nicht nach dem Warum zu fragen, denn Gott und Mensch müssen beide verschmelzen und aufgesogen werden, wenn sie zum letzten Mal vor dem Absoluten stehen. (In der Symbolsprache der Bibel: «Denn kein Mensch kann Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und leben.»)


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