WIRKLICHKEIT UND ERLÖSUNG

I.7. DAS SCHICKSAL ALS FOLGE UND AUSGLEICH

 

Es gibt so viele Schicksale als es lebendige Wesen gibt, ganz abgesehen davon, daß wir auch von sogenannten Kollektiv-Schicksalen sprechen können, die kleinere und größere Menschen-Gruppen und ganze Völker umfassen, was aber immer nur einer Häufung einzelner, gleichartiger Individual-Schicksale entspricht.

 

SCHOPENHAUER definierte das Schicksal als „die endlose Verkettung der Ursachen" und kommt damit der Wirklichkeit jedenfalls bedeutend näher als z. B. der Wiener Philosoph EMIL LUCKA, der, in wesentlicher Übereinstimmung mit der allgemeinen Meinung, das Schicksal definiert als den „Inbegriff aller Mächte, von denen der Mensch abhängt, die er nicht selbst geschaffen oder gewollt hat und denen er doch wehrlos ausgeliefert ist".

 

Gerade diese Annahme des wehrlosen Ausgeliefertseins ist die am weitesten verbreitete und zugleich die bedrückendste, die man sich denken kann. Wehrlos sein heißt hilflos sein, und wer sich dieser Hilflosigkeit einmal in vollem Umfange bewußt wird, der muß dem Fatalismus verfallen, wenn er nicht im Glauben an eine göttliche Hilfe Trost zu finden vermag. Er sieht das Schicksal als ein Damokles-Schwert ständig drohend über seinem Haupte hangen. Dieses Schwere, Drohende, Unheilverkündende, das ist es, was eine wirkliche, reine Lebensfreude auf die Dauer unmöglich macht. Es drohen Krankheit, materielle Verluste, Zerwürfnisse aller Art, es droht der Tod lieber Menschen, Verluste in der Familie und im Freundeskreis, es drohen Kummer, Jammer und Schmerzen, es droht die Nichterfüllung sehnlichster Wünsche, die Nichterreichung gesteckter Ziele, es drohen hunderterlei der unerwünschtesten Dinge und am unausweichlichsten droht das eigene Sterben. Das Bewußtsein, all dem hilflos ausgeliefert zu sein, liegt wie eine dunkle Wolke auf den Freuden des Daseins, und es müßte sich lähmend auf alles auswirken, was der Mensch tut und plant, forscht und denkt, wenn in dieser Hinsicht nicht eine gewisse Oberflächlichkeit, die manchmal geradezu dominiert, leichthin über all das hinwegtäuschen würde. Zum Leben gehört ein bestimmtes Maß von Verblendung, von Selbsttäuschung, von bewußter Außerachtlassung unvermeidlicher Tatsachen, ja manchmal geradezu von stupider Einsichtslosigkeit, ansonst es nicht zu ertragen wäre. Dieser Wahrheit gegenüber vermochte sich auch ein FRIEDRICH NIETZSCHE, der Lebensbejaher par excellence, nicht zu verschließen.

 

Dem Schicksal hilflos ausgeliefert sein ist genau so, wie wenn man der tanzenden Kugel eines Roulette-Spiels auf Leben und Tod ausgeliefert wäre.

 

Der christliche Mensch hofft hinsichtlich seines Schicksals auf die göttliche Vorsehung und allerbarmende Liebe, die imstande ist, oder sein soll, das Schicksal zu wenden oder es außer Kraft zu setzen. Das ist nicht mehr als eine Hoffnung, deren Erfüllung in Demut, Gottvertrauen und Ergebenheit erwartet werden muß. Wann, wie und ob sie sich erfüllen wird, liegt völlig außerhalb des menschlichen Ermessens und ist genau so fraglich und unbestimmt wie das Schicksal selber.

 

Der materialistisch eingestellte Mensch bleibt ohne diesen Trost und nimmt das Schicksal entweder mit stummer Resignation als ein Unabwendbares einfach hin, oder er tobt voller Verzweiflung über das, was gerade ihm geschieht und widerfährt, er tobt gegen unbekannte Mächte, die zu durchdringen und zu erschließen ihm gar nicht in den Sinn kommt, weil er auf Grund seiner rein äußerlichen Weltbetrachtung dazu gar nicht in der Lage und imstande ist.

 

Das Ausgeliefertsein an das Schicksal, resp. das Schicksal selber, wird im allgemeinen als ein unverschuldetes betrachtet und es wird selten in Erwägung gezogen, daß es vielleicht ein selbstverdientes sein könnte. Nur wenn die Sachlage ganz und gar offensichtlich ist, wie die Strafe als Folge eines Verbrechens, wie die Nachwirkungen einer Unachtsamkeit, einer Böswilligkeit, eines üblen Verhaltens usw., spricht man vom verdienten Schicksal; sonst aber, wenn Ursachen und Folgen weniger durchsichtig sind, wenn Zusammenhänge nicht mehr ohne weiteres wahrnehmbar sind, denkt kaum jemand an das Verdientsein, an kausale Zusammenhänge, und schon gar nicht, wenn diese Zusammenhänge über Geburt und Tod hinausreichen.

 

Die Negierung unumstößlicher Zusammenhänge, auch über Geburt und Tod hinaus, führt zu jener Lücke in der Betrachtung der Geschehnisse, die unausfüllbar erscheint. Diese Lücke ist der Grund jener Unsicherheit, die immer wieder beobachtet werden kann, wenn über Schicksalsfragen gesprochen wird. Sie zu schließen, ist bewußt oder unbewußt wohl das Streben aller wirklich denkenden Menschen, aber wie könnte dies geschehen auf Grund einer Erziehung, die sich so wie die abendländische, unendlich weit entfernt hat von verinnerlichter Selbstbetrachtung, von meditativer Einsicht in die Komponenten und das bedingte Wesen der Persönlichkeit, von der Erfassung sogenannter karmischer, d. h. aus früheren willentlichen Geschehnissen sich ergebender Zusammenhänge usw. Es muß erst wieder ein neues Denken, ein wirklichkeitsgemäßes Denken und Betrachten erworben und gepflegt werden, dann fallen alle diese Unsicherheiten und das Rätselhafte solcher Geschehnisse von selber weg. Dann wird nicht mehr gefragt warum und weshalb und wieso, weil dann die Zusammenhänge eben klar sind, weil die Schicksalsfragen zu Fragen des eigenen Tuns und Lassens geworden sind, dementsprechend eben das sich gestaltet, was wir Schicksal nennen.

Wir aber fragen immer wieder warum? Warum?

 

Warum gibt es auf dieser Welt Reiche und Arme? Warum können die einen im Luxus leben und die anderen müssen Notwendigstes entbehren? Warum fallen dem einen alle Güter dieser Erde wie von selber zu, während der andere sich im Schweiße seines Angesichtes sein Brot verdienen muß? Warum ist der eine beliebt und angesehen, während der andere überall auf Mißtrauen und Abneigung stößt? Warum hat der eine verbrecherische Neigungen und der andere nicht? Warum wird gemordet, geraubt, gestohlen, entehrt, während andere nichts Höheres kennen als sich für das Wohl der Mitmenschen einzusetzen? Warum ist der eine glücklich und der andere unglücklich? Warum ist der eine krank und der andere gesund? Warum hat der eine ein frohes Gemüt und der andere ein bedrücktes? Warum gibt es häßliche Menschen und solche, die schön sind? Warum endet der eine am Galgen und der andere wird mit den höchsten Ehren zu Grabe getragen? Warum gibt es so viel Ungerechtigkeit auf der Welt und so wenig Gerechtigkeit? Warum so viel Haß, Neid, Mißgunst und Übelwollen und so wenig reine Liebe, Treue und Selbstlosigkeit? Warum?

 

Wer gibt uns auf solche und ähnliche Fragen jene Auskunft, die als wirklichkeitsgemäße allein zu befriedigen vermag?

 

Sind es die Glaubens-Religionen oder ist es die Wissenschaft? Die einen suchen die letzte Ursache all dieser Verschiedenheiten im unerforschlichen Ratschluß Gottes, und die anderen in der „zufälligen" Einreihung der Chromosomen im Momente der embryonalen Bildungen. Aber das alles ist nicht Wirklichkeit, weil es nicht Erlebnis ist. Das ist bloß Glaube oder Hypothese, bloß Meinung oder Annahme.

 

So wenig wie aus einem kranken Samen ein gesunder Baum emporwachsen kann, so wenig kann aus einer unheilsamen Geisteshaltung, sie möge sich im Tun, Reden oder Denken äußern, etwas Heilsames, Gutes, Erfreuendes entstehen. Unheilsam ist das, was zum Leiden hinführt; heilsam ist das, was Leiden verhindert, was von ihm wegführt.

 

Alles Geschehen entwickelt sich aus früheren Geschehnissen, die daher auch als Vorbedingungen des neuen Geschehens anzusehen sind.

 

Es entsteht nichts ohne Ursache.

 

Auf dieser Grundwahrheit baut sich natürlich auch das jeweilige Schicksal auf, und wenn diese Grundwahrheit außer acht gelassen wird, so ist auch nicht an eine wirklich befriedigende Beantwortung der obigen Fragen zu denken. Der viel verwendete Begriff „Zufall" ist ja nur ein Notbehelf dort, wo die Zusammenhänge nicht mehr erkannt werden, sonst besagt er nichts; also brauchen wir auf ihn keine Rücksicht zu nehmen. Wir betrachten aber dafür die natürlichen Ursachen des schicksalhaften Geschehens um so eingehender.

 

Es gibt ein kosmisches Gesetz, das wir Entropie nennen. Der Physiker HELMHOLTZ umschreibt dieses Gesetz folgendermaßen:

 

„Wenn das Weltall ungestört (!) dem Ablauf seiner physikalischen Prozesse überlassen wird, wird endlich aller Kraftvorrat in Wärme übergehen und alle Wärme in das Gleichgewicht der Temperatur kommen. Dann ist jede Möglichkeit einer weiteren Veränderung erschöpft, dann muß vollständiger Stillstand aller Naturprozesse von jeder nur möglichen Art eintreten."

Natürlich können wir uns ein solches Entropie-Maximum nur innerhalb eines geschlossenen Weltensystems vorstellen und nicht im Universum überhaupt, denn auf Grund der Anfangslosigkeit desselben müßte der vollendete Ausgleich der Kräfte auch schon seit Ewigkeit erreicht sein, was ja, wie unsere eigene Existenz beweist, eben nicht der Fall ist. Im einzelnen hingegen können wir immer wiederum zwischen maximalen und minimalen Entropie-Zuständen unterscheiden, die sich gegenseitig ablösen. Nicht nur im Weltenraum erglühen und erkalten Himmelskörper aller Dimensionen, sondern auch in unserem Bereiche des Lebendigen beobachten wir ein ständiges Zu- und Abnehmen von Wärme und wir wissen, daß so wie unsere Mutter Erde mehr und mehr an Wärme verliert, um endlich einmal gleich dem Monde in totale Erstarrung zu verfallen, wir beim Altern ebenfalls mehr und mehr an Wärme verlieren, um endlich im Tode zu erstarren und zu verfallen.

 

Dieses in allen Dingen spürbare kosmische Hindrängen zum Stillstand, zur Ruhe, zum Ausgeglichensein von Spannungszuständen, dieses Weltgesetz der Entropie, dem alles Gewordene unterworfen und verfallen ist, bildet letzten Endes auch die Ursache jenes Ausgleichs von Geschehnissen, die, jedes für sich betrachtet, oft und oft als zusammenhanglos angesehen werden.

 

Um was es uns hier geht, ist nicht die bloße Feststellung physikalischer Gesetzmäßigkeit im allgemeinen Natur-Geschehen, sondern vielmehr die Beobachtung, daß das physikalische Geschehen, d. h. der physikalische Prozeß des Ausgleichs der Kräfte, ein Analogon zu dem Ausgleich der psychischen Prozesse, der Lebens-Prozesse im weitesten Sinne des Wortes, darstellt, denn diese psychischen Prozesse sind genau so von dieser Welt wie die physischen und unterliegen daher denselben Gesetzen. Auch im rein psychischen Geschehen ist die Tendenz zur Ausgeglichenheit und Beruhigung vorhanden, und bereits jede Wunsch-Erfüllung stellt ein Beispiel dieser Beruhigung und Stillung dar. Wir erleben das ja immer wund immer wiederum selber.

 

Doch die Beruhigung und Stillung ist nicht von Dauer; sie hält nicht lange an und wird abgelöst durch neue Beunruhigung, durch neues Begehren, Wünschen und Verlangen. Mit dem Älterwerden nimmt die Intensität dieser Beunruhigung mehr und mehr ab und strebt dem Entropie-Maximum, dem Tode zu, was aber nicht besagen will, daß damit die verursachenden Kräfte oder Faktoren als solche aufgehoben sind, wie sie auch im Universum nicht aufgehoben sind, wenn auch noch so viele Welten erkalten. Sie sind minimal geworden hinsichtlich ihrer erkennbaren Äußerungen und verschwinden scheinbar gänzlich im Tode, aber nur scheinbar, denn ihre neue Entfaltung erkennen wir ja immer wiederum im Geborenwerden neuer Individuen, worüber wir bereits im Kapitel über die Wiedergeburt einiges gesagt haben.

 

Hier geht es uns im Speziellen um den Ausgleich der Kräfte als solche, besonders der psychischen, und da müssen wir uns klar vor Augen halten, daß die eigentlichen Wurzeln all der Begehrungen und Wünsche, oder all der Beunruhigungen, mögen sie im Tun, Reden oder Denken bestehen, in eben solchen Beunruhigungen liegen, die sich in zeitlich früheren Episoden abspielten. Ob seither Sekunden, Stunden, Tage, Jahre oder Jahrtausende vergangen sind, spielt da keine Rolle, weil der Zeitbegriff bewußtseinsimmanent ist und die Zeit nicht „an sich" besteht.

 

Diese präexistenten Vorgänge und ihre Gegebenheiten bilden so das eigentliche Reservoir, aus dem unsere derzeitigen Vorgänge und Gegebenheiten, soweit sie unmittelbares Erlebnis und Schicksal sind, fließen. Was einst Wirklichkeit und Erlebnis war, das formte und formt je und je, was heute Wirklichkeit und Erlebnis ist und was uns heute als unentrinnbares Schicksal erscheint. Was wir also in seiner Gesamterscheinung als Schicksal begreifen, wurzelt in einstigen Willenshandlungen, wie die Pflanze in dem, was einst ihr Same war. Je nach der Art dieser Willenshandlungen sind auch die daraus sich ergebenden Zustände und Folgen. Böses kann nur Böses gebären und Gutes nur Gutes.

 

Es darf nun nicht übersehen werden, daß das Böse nichts weniger ist als Ruhe und Ausgeglichenheit, sondern daß es mit Aufregung, Hast, Zerrissenheit und Unruhe engstens verbunden ist, wohingegen das Gute immer irgendwie etwas von Ruhe und Ausgeglichenheit an sich hat. Gute Menschen verbreiten um sich eine Atmosphäre der Beruhigung, des Friedens und der Geborgenheit, und in ihren Augen leuchtet jenes stille Glück, das von dem vorhandenen Gleichgewicht der geistigen Kräfte ein beredtes Zeugnis ablegt.

 

Gutsein ist ein Zustand, der, ähnlich der Annäherung an das kosmische Gleichgewicht der Kräfte, sich dem Gleichgewicht der geistigen Regungen nähert und dann sein Maximum erreicht, wenn dieses Gleichgewicht ein totales geworden ist und nicht mehr aufgehoben werden kann.

 

Böse sein ist weit von diesem Gleichgewicht der Kräfte entfernt und darum ist es Unruhe, Erregung, Gier, Zorn, Haß und Verblendung.

 

Die Güte, die reinste Form der Liebe, ist ruhig und ausgeglichen. Der Haß gleicht einem brodelnden Hexenkessel. Der reine ästhetische Genuß eines Kunstwerkes, des Schönen und Erhabenen, ist wie eine Windstille, sanft und mild. Der aus Leidenschaft erwachsene Sinnen-Genuß hingegen ist wie ein Sturm, der alles um sich niederreißt. So erleben sich minimale und maximale entropische Zustände als Gemütsbewegungen.

 

Das Böse und Üble, die Verderben bringenden Taten, Worte und Gedanken, wie Mord, Raub, Diebstahl, Erpressung, Lüge, Verleumdung, Gier, Geiz, Haß, Wahn usw., müssen als Feuer blinder Leidenschaften, als brennende Erregungen und als Unruhe, entsprechend dem Entropie-Gesetz, immer wieder einmal zur Ruhe und zum Ausgleich kommen, und das ist dann der Fall, wenn sie als Schuld ihre Sühne finden, wenn sie gelöscht werden durch Armut, Krankheit, Reue, Häßlichkeit, Trübsinn, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung usw., die als die Gegenkomponenten des willentlich Bösen und Üblen, des Wahnes, der Gier, des Brennens der Leidenschaften, des Feuers einer blinden Egozentrik, der totalen Selbstbehauptung den Ausgleich schaffen, solange, bis wieder neue Kräfte wirksam werden, die den Kreislauf des ewigen Werdens und Vergehens erhalten und stützen.

 

Das eigentlich Wertvollste und Kostbarste in allen Religionen ist das mehr oder weniger bewußte Streben nach der Entropie der Leidenschaften, und weil dem so ist, weil die Entropie gleichbedeutend mit Beruhigung, Stille und Ausgeglichenheit ist, weil sie ein unausweichliches Gesetz des Weltganzen darstellt und wir selber mehr als bloß ein Teil dieses Weltganzen sind, darum wird der Begriff „Religion" nie sein Maß an Achtung und Ehrerbietung verlieren, das ihm seit jeher zukommt und zu eigen ist, wenn es auch Zeiten geben mag, in denen der bloße Lebens-Genuß über allem dominiert und das berüchtigte „vivere pericolosamente" alle höheren geistigen Regungen zu vernichten droht.

 

In der Religion sucht der Mensch das Letzte und Höchste, dort sucht er die Wahrheit „an sich", dort sucht er die Verwirklichung geheimster Wünsche, dort sucht er das Glück; nicht das ephemere Glück, das die Welt zu bieten imstande ist, sondern ein höheres, ein reines und ewiges. Dort sucht er die endgültige Befreiung vom Leiden. Er sucht sie, aber es gibt da Mächte und Kräfte in seinem Innern, die sich immer wiederum einer Verwirklichung des ersehnten Zieles entgegenstellen, und es gibt Irrtümer und Wahnvorstellungen, die ihn auf falsche Wege führen und das Ziel nie erreichen lassen.

 

Schicksal? Ja, aber nicht geboren aus Zufällen, nicht aus Umständen und Gegebenheiten außerhalb unserer Persönlichkeit, sondern als unausbleibliche Folge eines früheren Wirkens dieser Persönlichkeit, mag es ein diesseitiges oder ein vorgeburtliches Wirken sein. Was spielt der Tod schon für eine Rolle in Hinsicht auf die Anfangs- und Endlosigkeit unseres Werdens und Vergehens?

 

Schicksal, das ist die ausgleichende Gerechtigkeit als Erlebnis.

 

Es gibt ja viele Fälle, in denen wir uns ganz genau der Ursachen eines Geschehens erinnern und bei denen wir uns darüber klar sind, welch innere Haltung, welches Tun, Reden oder Denken die gegenwärtigen Umstände und Zustände zur Folge hatten; aber viel mehr Fälle gibt es, wo wir uns der wahren Ursachen dessen, was wir eben durchzumachen haben, sei es Freude oder Leid, nicht mehr bewußt sind und wir uns ihrer auch mit dem besten Willen nicht mehr zu erinnern vermögen. Daß aber die wahren und eigentlichen Ursachen nur in uns selber liegen können, darüber kann gar kein Zweifel bestehen, denn wir erleben die Welt so, wie wir selber sind.

 

Was in uns an Empfindungen, Wahrnehmungen, Gemütserregungen und Gestaltungen bewußt wird, das sind nicht Dinge, die mit uns nichts zu tun haben, sondern das gehört alles zu unserer eigenen, selbstgeschaffenen Welt, die sich als Schicksal so oder so erlebt.

 

Ganz können wir diese Zusammenhänge erst dann verstehen, wenn wir anschaulich erkennen, daß hinter den Taten nicht ein Täter, hinter der Rede nicht ein Redender, hinter den Gedanken nicht ein Denkender steht, sondern daß jeweils sowohl Tat und Täter, wie Rede und Redender, wie Gedanke und Denkender identisch sind. Darum ist es richtiger zu sagen: ein Tun entsteht, eine Rede entsteht, ein Gedanke entsteht, als etwa, wie es allgemein gebräuchlich ist, zu sagen: ich tue, ich rede, ich denke; denn Ich ist ja nur ein Begriff ohne konkrete Basis, der an sich inhaltlos und leer ist.

 

Wo aber etwas entsteht, da entsteht es aus Ursachen, und darüber, daß Empfundenes und Erlebtes, oder besser Empfindung und Erlebnis ebenfalls aus Ursachen entstehen, gibt es nichts zu diskutieren. Sie entstehen aus Ursachen, die zutiefst in unserem Mensch-Sein und So-Sein wurzeln. Was wir immer wieder auf äußere Umstände und Vorgänge zurückzuführen geneigt sind und meistens auch zurückführen, spielt sich in Wirklichkeit in unserem Bewußtsein ab, ohne das sich überhaupt nichts abspielen würde, denn jeder Vorgang wird erst dann existent, wenn er bewußt wird, und er wird so bewußt, wie wir selber sind, d. h. völlig differenziert nach der Art der jeweiligen Individualität.

 

Unser gesamtes sogenanntes „Sein" ist eine ununterbrochene Kette von Bewußtseins-Vorgängen. Ein Bewußtseins-Moment reiht sich an den anderen und die Art und Qualität des vorausgegangenen beeinflußt den gegenwärtigen, wie der gegenwärtige den zukünftigen. Daraus vermögen wir unsere Erlebnisse als in uns zusammenhängende und voneinander abhängige Vorgänge und Geschehnisse zu erkennen und wir erkennen weiterhin, daß unser gegenwärtiges Schicksal Grund und Ursache nie wo anders haben kann, als in uns selber.

 

Da unser Tun, Reden und Denken, unser ganzes Wirken und Lassen die wahren Gestalter unseres Schicksals sind - wir bestehen ja ausschließlich aus dem Wirken und Zusammenwirken unserer Persönlichkeits-Faktoren - haben wir es auch in der Hand, dasselbe so oder so zu gestalten. Wir sind nicht des Schicksals Sklaven und wir sind ihm auch nicht rettungslos ausgeliefert, denn es ist hier keine göttliche Macht, die bestimmt, und es sind keine Zufälle, die da lenkend und leitend eingreifen, sondern wir selber bestimmen unser Schicksal, wir selber haben es in der Hand, wir selber lenken und leiten es, ganz entsprechend dem So- oder So-Sein unserer inneren Haltung. Entsprechend dem Samen, den wir säen, werden wir auch ernten. Dieser Tatsache können wir allerdings nie und nirgends entfliehen. Wir erben das, was wir einst durch Tun und Lassen gewirkt haben, und so können wir das Schicksal als das Erbe unseres vorausgegangenen Wirkens betrachten, das als Verderbnis empfunden wird, wenn das Wirken verderblich und unheilsam war, und das als glückhaft empfunden wird, wenn es glückbringend und heilsam war.

 

Nun dürften wir in der Lage sein, auf das „Warum?" zurückzukommen, mit dem wir all den Gegebenheiten, die uns als solche und in ihrer Art nicht erklärbar waren und die uns als krasse Ungerechtigkeiten erschienen, Antwort heischend gegenüberstanden. Wirklichkeitsgemäß haben wir zu antworten:

 

 

„Es gibt jetzt, weil es einst gab und es wird einst geben, weil es jetzt gibt", das ist kurz die Formel der abhängigen Entstehung alles Gewordenen und somit auch der Entstehung des Schicksals, des Schicksals als Folge und Ausgleich.

 


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