DIE WURZELN VON GUT UND BÖSE

EINFÜHRUNG

Drei Wurzeln des Bösen, die zugleich die tiefsten Ursachen allen Leidens sind, hat der Buddha genannt:

Gier, Haß und Verblendung (oder Nichtwissen).

Diese drei Begriffe umfassen die ganze Skala der jeweiligen Eigenschaften in ihren Graden von geringerer oder größerer Heftigkeit: von schwacher Neigung oder flüchtiger Aufwallung bis zu den gröbsten Ausdrucksformen in Tat und Wort.

Auch für das Gute gibt es drei Wurzeln:

  • Gierlosigkeit (Selbstlosigkeit, Freigebigkeit, freiwilliger Verzicht)
  • Haßlosigkeit (Freundlichkeit, Güte, Mitgefühl)
  • Unverblendung (Wissen, Weisheit)*

*[Siehe Erläuterung zu Text 2, Abschnitt "Der Bereich der sechs Wurzeln"]

Diese sechs Geisteszustände sind die Wurzeln, aus denen alles Unheilsame oder Heilsame hervorwächst; sie sind die Wurzeln des Lebensbaumes mit seinen süßen und bitteren Früchten.

Gier und Haß, erzeugt, erhalten und genährt von Verblendung, sind die universellen Triebkräfte aller belebten Natur für Einzelwesen wie für Gruppen. Glücklicherweise sind aber auch die Wurzeln des Guten in unserer Welt wirksam und halten innerhalb des Menschentums, wenigstens zeit- und teilweise, ein Gegengewicht zu den Kräften des Bösen, wenn auch ein recht unsicheres, das durch ständige Wachsamkeit und durch Übung im Guten bewahrt werden muß. Auch in der unbelebten Natur herrschen entsprechende Kräfte, als Anziehung und Abstoßung, die, wegen der ihnen innewohnenden "Unwissenheit", in zweck- und sinnloser Aktion und Reaktion verbleiben, bis sich ihre Energiequelle erschöpft hat.

Auf diese Weise haben der Makrokosmos der Natur und der Mikrokosmos des Geistes ihren Kampf zwischen Anziehung und Abstoßung, Gier und Haß seit einer nicht zu ergründenden Vergangenheit unermüdlich geführt und werden ihn auch in eine unausdenkbare Zukunft hinein fortsetzen, bis sich in einem erkennenden Wesen die Abwendung davon vollzieht und jene Wurzelursachen gänzlich ausgerodet sind. Dieser kosmische Konflikt widerstreitender Energien, auf seiner eigenen Ebene unlösbar, ist einer der Aspekte der vom Buddha erkannten Leidenswahrheit (dukkha): es ist die Weltkrankheit ruheloser und in sich endloser Bewegung, wie sie von einem feinfühlenden Wesen als zutiefst leidhaft und unbefriedigend empfunden wird.

In den relativ wenigen Momenten stolzen Gipfelgefühls glaubt der Mensch, er sei ein frei Handelnder, sei der Meister seines Lebens und sogar der Natur, sei der Höhepunkt der Entwicklung. Doch in Wirklichkeit ist er in einem geistig unentwickelten Zustand und spielt überwiegend eine passive Rolle, hin- und hergezerrt und herumgestoßen von inneren Kräften, Trieben, Leidenschaften und Gewohnheiten, die er nicht kontrollieren kann. Gezerrt von seiner Gier und gestoßen von seinem Haß, sieht er in seiner Blindheit nicht, daß der Hebel zum Anhalten dieser zwanghaften, rasenden Bewegung in seiner Reichweite liegt, nämlich innerhalb seines eigenen Herzens.

Weil das Hauptanliegen des Buddha die gegebene menschliche Situation war, haben in seinem Lehrgebäude die Wurzeln von Gut und Böse ihren angemessen wichtigen Platz erhalten und finden sich in einer großen Anzahl seiner Lehrreden in verschiedenen Zusammenhängen und mit vielerlei praktischen Anwendungen. Dies durch eine Auslese buddhistischer Texte, die fast alle den Reden des Buddha entnommen sind, zu veranschaulichen, ist das Anliegen dieses Buches. Es entsprang dem Wunsche, ein tieferes Verständnis dieser so bedeutsamen Unterweisung zu vermitteln und praktische Hilfe für die Bemühungen anzubieten, die Wurzeln des Bösen auszumerzen und die Wurzeln des Guten auszubilden. Ein weiterer Beweggrund für die Herausgabe dieses Buches war der Umstand, daß in vielen westlichen Veröffentlichungen, einschließlich umfangreicher und gelehrter Werke über die buddhistische Ethik, diese Wurzelursachen nur dürftige oder überhaupt keine Behandlung erfahren haben. Es erschien daher wünschenswert, die Wichtigkeit dieser Lehre von den Wurzelursachen durch diese Sammlung von Quellenmaterial, sowie durch Erläuterungen dazu ins gebührende Licht zu setzen.

Jene anfangs genannten sechs Geisteszustände wurden hier als die Wurzeln von Gut und Böse bezeichnet. Dabei soll der Gebrauch der Begriffe Gut und Böse nur als vorläufige Vereinfachung verstanden werden, die gewählt wurde, um für eine Einführung in dieses Thema zunächst besser bekannte Begriffe zu benützen. In den buddhistischen Schriften werden sie aber als Wurzeln des Heilsamen (kusala-múla) und des Unheilsamen (akusala-múla) bezeichnet, und so werden wir sie auch hier in den meisten Fällen benennen. Man möge nicht glauben, daß solche begriffliche Unterscheidung unwichtig ist. Es besteht vielmehr ein wichtiger Unterschied zwischen Benennungen; denn die Reichweite dieser Wurzeln geht viel weiter und tiefer als das Gebiet des Sittlichen, auf das sich die Wörter Gut und Böse beziehen.

Dieser Unterschied kann folgendermaßen definiert werden: eine absichtliche Handlung (kamma oder karma) in Worten oder Taten ist dann unsittlich (böse oder übel; eine "Sünde"), wenn sie durch die unheilsamen Wurzeln motiviert und für andere absichtlich und direkt schädlich ist. Solche unheilsame Rede oder Tat ist das Gebiet sozial bedeutsamer Unsittlichkeit und ist der Maßstab für sie. Derartige Handlungen werden als unheilsames körperliches oder sprachliches Wirken bezeichnet.

Gedanken aber, die aus diesen unheilsamen Wurzeln sprießen und auf die Schädigung anderer gerichtet sind, bilden das Gebiet individuell bedeutsamer Unsittlichkeit und sind ihr Maßstab. Zu ihnen gehören, unter anderen, die Gedanken des Verletzens, Tötens, Stehlens, Betrügens und der Vergewaltigung, sowie auch falsche Ideologien, die zur Schädigung anderer führen oder solche Schädigung billigen. Ungeachtet dessen, ob auf diese Gedanken die entsprechenden Taten oder Worte folgen, sind sie jedenfalls unheilsames geistiges Wirken.

Gier, Haß und Verblendung (in allen Abstufungen), die nicht absichtlich auf die Schädigung anderer gerichtet werden, sind karmisch unheilsam, obwohl sie im strikten Sinn der obigen Definition nicht „unsittlich" sind. Beispiele hierfür werden in den Erläuterungen zu Text 2 gegeben (siehe auch Erläuterungen zu Text 8).

Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff heilsam, der über die sozial bedeutsame Sittlichkeit hinaus reicht und auch das umfaßt, was persönlich heilsam ist, so beispielsweise: Taten der Enthaltsamkeit und das Verzichten; Rezitation geistig förderlicher Texte; Studien und Gedanken, die ein Verständnis der Wirklichkeit oder den eigenen inneren Fortschritt fördern, und anderes mehr.

Die neuerliche Krise des theistischen Glaubens im Westen hat auch zu einer moralischen Krise geführt, da all jene, die ihren Glauben an eine theologische Fundierung sittlichen Handelns durch das göttliche Gebot verloren haben, keinen anderen überzeugenden Grund für verpflichtendes, sittliches Verhalten fanden. Solche Menschen, die sich nun ohne ein glaubwürdiges Fundament der Ethik sahen, nahmen entweder materialistische und politische Ideologien an oder lassen sich in ihrem Verhalten hauptsächlich vom Selbstinteresse leiten. Doch finden wir heute auch eine wachsende Anzahl von solchen, die nach besseren Alternativen suchen. Für sie kann die Lehre des Buddha von den heilsamen und unheilsamen Wurzeln des Handelns einen Maßstab für Gut und Böse sowie eine Motivierung für das Gute geben, die weder theologisch noch autoritär, sondern erfahrungsbezogen ist und sowohl eine psychologische Basis hat als auch einen autonomen und pragmatischen Charakter.

Die sozialen und politischen Beweggründe für sittliches Verhalten, die dem modernen Menschen angeboten werden, widersprechen offensichtlich den elementaren sittlichen Empfindungen des Menschen, wenn sie beispielsweise als höchste Kategorie das Selbstinteresse einer sozialen Gruppe aufstellen und das, was diesem Gruppeninteresse förderlich ist, als „gut" bezeichnen. Doch auch dort, wo "das Gute" nicht mit rücksichtslosen Gruppenpostulaten identifiziert wird, muß eine rein soziale Begründung des Guten den Bereich der Ethik sehr einengen und

auch manchmal verfälschen. Denn solche sozialen Motivierungen beziehen sich allzu häufig auf zeitgebundene soziale Strukturen, zeitgebundene Vorurteile und Gewohnheiten oder auf die Interessen der herrschenden gesellschaftlichen Gruppe. Ihre Wertmaßstäbe sind daher relativ und weit entfernt von universeller Gültigkeit. Im Gegensatz dazu sind die Grundlagen und Wertmaßstäbe buddhistischer Ethik im Wesentlichen frei von solchen Begrenztheiten oder gar Entstellungen. Buddhistische Ethik hat einen Kernbestand sittlicher Grundsätze, die zu jeder Zeit und unter allen Bedingungen Gültigkeit haben, da sie auf psychologischen Tatsachen beruhen und nicht auf theologischen oder politischen Dogmen, noch auf zeitbedingten Gesellschaftsformen. Durch Innenschau und Beobachtung kann man feststellen, daß die unheilsamen Wurzeln unerwünschte geistige Zustände sind; doch die Natur des Menschen ist es ja, Unerwünschtes oder Schmerzliches zu vermeiden und Glück zu erlangen. So ist es denn selbst vom Lust-Unlust-Prinzip aus angebracht, in sich das Heilsame zu pflegen und danach zu leben.

Von diesem Standpunkt aus wollen wir nun einen kurzen Blick auf die unheilsamen und heilsamen Wurzeln des Handelns werfen.

Gier, in allen Stärkegraden und nach allen Objekten, ist ein sich ständig erneuernder Geisteszustand des Mangels, des Bedürfens und Bedürftigseins, ein Zustand, der vergeblich nach bleibender Erfüllung und dauerhafter Befriedigung sucht. Gier ist in allen ihren Formen unersättlich.

Haß in allen seinen Stärkegraden ist gleichfalls ein Zustand des Unbefriedigtseins, des Konflikts und des Frustriertseins, dessen innere Ursachen nach außen auf Leute oder Umstände hin projiziert werden. Haß oder Abneigung können zum Beispiel entstehen aus durchkreuzten Absichten oder verletztem Stolz. Andere negative Gefühlsregungen, die zur Gruppe "Haß" gehören, sind zum Beispiel Enttäuschung, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung und Furcht. All dies sind verfehlte Reaktionen auf die Vergänglichkeit, Ungewißheit und Unvollendbarkeit, die jeder bedingt entstandenen Lebenssituation und jeder Existenzforrn innewohnen.

Verblendung, als eine Form der Unwissenheit, ist ein psychologischer Zustand geistiger Verworrenheit, Verständnislosigkeit, Täuschung, Selbsttäuschung und geistiger Ratlosigkeit. In ihrer Erscheinungsform als falsche Ansicht kann Verblendung dogmatische und fanatische Züge aufweisen bis hin zum Grad einer zwanghaften Besessenheit. Verblendung ist auch ein sehr starker verursachender und begleitender Faktor für Gier und Haß.

Von allen drei unheilsamen Wurzeln kann gesagt werden, daß sie Zustände innerer Unausgeglichenheit und Quellen gesellschaftlichen Konfliktes sind.

Gier, Haß und Verblendung sind genau im Zentrum des Lebensrades* angesiedelt und werden auf tibetanischen Darstellungen durch drei Tiere** symbolisiert, die, einander in den Schwanz beißend, sich ohne Unterlaß im Kreise drehen. Die drei unheilsamen Wurzeln sind in der Tat eng miteinander verbunden: sie unterstützen und verstärken sich wechselseitig.

*[Siehe "The Wheel of Birth and Death" von Bhikkhu Khantipālo (Wheel Nr. 147/149, Seite 16)]

**[ Das Schwein verkörpert die Gier, die Gans die Verblendung und die Schlange den Haß.]

Aus der Wurzel Gier erwächst Groll, Zorn und Haß gegen diejenigen, die den Begierdengenuß hindern oder Wettbewerber sind in der Jagd nach dem Gewinn der Gierobjekte. Gier ist nicht nur auf die fünf Sinnesobjekte gerichtet, sondern auch auf Macht, Herrschaft, Ruhm etc. So führt denn Gier oft zu Zank, Streit und Kampf.

Auch wenn vereitelte Gier nicht zu Haß oder Abneigung führt, so bringt sie doch Gram, Traurigkeit, Verzweiflung, Neid und Eifersucht mit sich - und dies alles fällt unter die Kategorie Haß, als dem negativen Pol des Gefühlslebens. Der Schmerz des Verlustes und der Vereitelung wiederum schärft die Heftigkeit der Begierde, die dann den Schmerz durch Hingabe an Sinnengenuß oder Vergnügungen zu vergessen sucht (siehe Text 35).

Sowohl Gier wie Haß sind stets mit Verblendung verbunden und schaffen ihrerseits noch weitere und zunehmende Verblendung, wenn sie sich aktiv den Objekten der Begierde oder Abneigung zuwenden. Liebe und Haß machen den Menschen blind für die Gefahren, die sich aus ihnen ergeben, und blind auch für den eigenen wahren Vorteil. Es ist die Verblendung, die jene blindmachende Wirkung hat.

Die stärkste und folgenschwerste Verblendung freilich, aus der alle ihre anderen Formen entspringen, ist die Idee eines beharrenden Selbst. Der Glaube an ein identisches Ich, an eine selbstherrliche Persönlichkeit ist es, der die Menschen veranlaßt, zu begehren und zu hassen, und auf dem sie ihren Dünkel* und dessen Fiktionen sowie ihre egozentrischen Lebensziele aufbauen. Dieser Ich-Glaube in seinen verschiedenen Formen muß klar begriffen werden als Täuschung und Selbsttäuschung, als die eigentliche Grund-Verblendung. Dieses Begreifen erfolgt durch die Ausbildung von rechtem und wirklichkeitsnahem Verständnis mittels durchdringender Erkenntnis und meditativem Klarblick. Es findet seine Vollkommenheit im Pfade des Verstehens (dassana-magga), d. h. der Stufe des Strom-Eintritts, zu dessen Gewinnung die Fessel des Persönlichkeitsglaubens endgültig gesprengt sein muß. Die anderen Quellen des Ich-Glaubens, nämlich Begehren und Dünkel, werden auf den folgenden drei Stufen der Befreiung beseitigt, die zum Pfad der meditativen Entwicklung (bhāvanā-magga) gehören und in der Heiligkeit (Arahatta) gipfeln.

*[Die buddhistischen Texte nennen drei Formen des Dünkels: Überlegenheitsdünkel, Gleichheitsdünkel und Minderwertigkeitsdünkel.]

Obwohl die heilsamen und unheilsamen Wurzeln persönliche geistige Zustände sind, sind ihre Auswirkungen doch von größter sozialer Bedeutung. Der Mensch, als ein gesellschaftliches Wesen, wird von der Gier, dem Haß, der Verblendung und Unwissenheit anderer Menschen stark in seinem Leben, Denken und Fühlen beeinflußt. Diese unheilsamen Kräfte richten sich auf ihn selbst, seinen Besitz, seine Sicherheit, seine Freiheit und auf vieles, das er liebt und wert hält. Doch auch seine eigene Gier, sein Haß und seine Verblendung und Unwissenheit können in gleicher Weise auf seine Umwelt wirken, mag er sich dessen bewußt sein oder nicht, und mag er sich auch wenig darum kümmern, ob sein Tun und Lassen anderen schadet. Aus all dem entsteht eine verwickelte und weit gespannte Verflechtung von Leidensursachen und Leiderfahrungen. Deswegen hat der Buddha wiederholt gesagt, daß die unheilsamen Wurzeln schädlich sind für einen selber und auch für andere, während die heilsamen Wurzeln Quellen der Wohlfahrt und des Glücks sind für beide, für den einzelnen wie für die Gesellschaft (siehe Text 12-16).

In diesem Zusammenhang seien die treffenden Worte des bekannten englischen Soziologen R. H. Tawney zitiert:

"Es ist offensichtlich, daß keine Änderung des Systems oder der Organisation jene Ursachen gesellschaftlicher Mißstände beseitigen kann, die auf dem Egoismus, der Gier oder Streitsucht der menschlichen Natur beruhen. Was getan werden kann, ist, eine Umgebung zu schaffen, in der diese Eigenschaften keine Unterstützung finden. Es kann keine Sicherheit dafür geben, daß die Menschen nach ihren (ethischen) Grundsätzen leben. Was bestenfalls getan werden kann, ist, die soziale Ordnung auf Grundsätzen aufzubauen, denen sich die Menschen, wenn es ihnen beliebt, in ihrem Leben wenigstens annähern können, statt sich von ihnen zu entfernen. Die menschlichen Handlungen sind nicht kontrollierbar. Doch man kann ihnen ein Ziel und einen Anhaltspunkt bieten, worauf sie ihren Geist richten können. Und so wie ihr Geist beschaffen ist, wird sich auch, auf lange Sicht und mit Ausnahmen, ihre praktische Aktivität darstellen."

"The Affluent Society " (Die Wohlstandsgesellschaft)

 

Die heilsamen und unheilsamen Wurzeln sind auf allen Ebenen von höchster menschlicher Bedeutung. Das ist ausführlich in den Texten veranschaulicht, die den Hauptteil dieses Buches bilden. Diese Texte zeigen beispielsweise, daß die Wurzeln die Entstehungsursachen für Kamma sind, das heißt für unsere lebensbejahenden und Wiedergeburt erzeugenden willentlichen Handlungen. Sie sind die Beweggründe und treibenden Kräfte unserer Taten, Worte und Gedanken, der guten wie der schlechten. Sie formen unseren Charakter und damit unser Schicksal, und sie bestimmen dadurch auch die Art unserer Wiedergeburt, die drei oder zwei oder gar keine heilsamen Wurzeln haben kann.* Die unheilsamen Wurzeln werden für die Unterteilung des unheilsamen Bewußtseins und auch für die Typologie der Temperamente benutzt (Visuddhi Magga XIV, Seite 517; in diesem Buch nicht enthalten). Viele Texte unserer Stellenlese zeigen deutlich den entscheidenden Einfluß der Wurzeln auf das Leben des einzelnen und der Gesellschaft. Auf dem abgestuften Pfad zur Verwirklichung des buddhistischen Zieles haben alle Teilstrecken starken Bezug zu den heilsamen und unheilsamen Wurzeln. Am Anfang des Verwirklichungsstrebens müssen die gröbsten Formen von Gier, Haß und verantwortungsloser Unwissenheit durch Tugend (sila) beseitigt werden, während auf fortgeschrittenen Stufen Meditation (samādhi) und Weisheit (pañña) für eine tiefer reichende Beseitigung der unheilsamen Wurzeln und für die Ausbildung der heilsamen einzusetzen sind. Sogar die Arahantschaft (Heiligkeit) und Nibbāna werden mit Heranziehung der Wurzeln als Verlöschen von Gier, Haß und Verblendung erklärt. Dies sind einige der wichtigsten Themen, mit denen sich die folgenden Texte befassen.

*[Siehe Abschnitt VI: "Einteilung des Wiedergeburtsbewußtseins".]

Durch solche weitreichende Bedeutsamkeit bildet die Lehre von den Wurzeln ein Kernstück des Buddha Dhamma. Dieser Lehraspekt zeigt die deutlichen Kennzeichen eines erleuchteten Geistes. Denn die Lehre von den Wurzeln ist sowohl einfach und klar wie auch bedeutungstief und bietet daher einen Zugang auf verschiedenen Ebenen der Entwicklung und von verschiedenen Seiten her. Die Tatsache, daß Gier, Haß und Verblendung in ihren extremen Formen die Wurzelursachen vielen Elends sind, sollte jedem schmerzlich klar sein, der sich nicht mit diesen drei Übeln identifiziert, soweit sie in ihm selber vorhanden sind. Ein solches Anfangsverständnis, das dem gesunden Menschenverstand offensteht, kann allmählich zu einem vollen Verständnis für alle Bezüge dieser Lehre heranreifen. Dies wird dann eine starke Motivierung sein für jene ernste Bemühung um die völlige Ausrodung von Gier, Haß und Verblendung, wie sie in den abschließenden Teilen dieses Buches (Texte 40-43) gezeigt wird.

Möge dem Leser Fortschritt auf diesem Wege beschieden sein und stetiges Wachstum der Wurzeln des Guten!

Verehrung IHM, der die Wurzeln aller Dinge gesehen hat!
Namo te múla-dassāví.
 
Kandy, Sri Lanka
Nyānaponika Mahāthera

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