DAS WORT DES BUDDHA  

Die Verwirklichung des Achtfachen Pfades im Entwicklungsgang des Jüngers

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In vielen Sutten wird in sich gleichbleibender Formulierung der Entwicklungsgang des Jüngers der Buddha Lehre geschildert. Es wird gezeigt, wie sich diese Entwicklung ganz allmählich und gesetzmäßig vollzieht: angefangen vom ersten Vernehmen der Lehre, dem einsetzenden Vertrauen und dem ersten keimhaften Verständnis bis zur schließlichen Verwirklichung der Erlösung.

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VERTRAUEN UND RECHTE GESINNUNG

M. 38

(2. Stufe) Da hört ein Hausvater, der Sohn eines Hausvaters oder ein in irgend einem anderen Stande Wiedergeborener die Lehre. Nach dem Vernehmen der Lehre gewinnt er Vertrauen zum Vollendeten und von diesem Vertrauen erfüllt, sagt er sich: ,Voller Hindernisse ist das Hausleben, eine Stätte der Unreinheit! Wie der freie Himme1 aber ist die Hauslosigkeit! Nicht leicht ist es, im Hausleben einen fleckenlosen, heiligen Wandel zu führen. Wie wenn ich mir nun Haar und Bart scherte, das gelbe Gewand anlegte und von Hause fortzöge in die Hauslosigkeit?' Und nach einiger Zeit ein kleines oder großes Vermögen aufgebend, einen kleinen oder großen Verwandtenkreis aufgebend, schert er Haar und Bart, legt das gelbe Gewand an und zieht vom Hause fort in die Hauslosigkeit.

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SITTLICHKEIT (3.—5. Stufe) (síla)

Also ein hausloser Mönch geworden, erfüllt er die Lebensregeln der Mönche. Er verwirft das Töten, steht ab vom Töten. Stock und Schwert verwerfend, ist er von Zartgefühl und Liebe erfüllt; zu allen Wesen und Geschöpfen empfindet er Güte und Wohlwollen. —Das Stehlen verwirft er, nicht Gegebenes eignet er sich nicht an; nur das Gegebene nehmend, das Gegebene abwartend, bleibt er ehrlich und lauter im Herzen. — Die Unkeuschheit verwirft er, von Unkeuschheit steht er ab, keusch und entsagend lebt er, steht ab vom Geschlechtsverkehr, dem gemeinen. — Er verwirft das Lügen, vom Lügen steht er ab. Die Wahrheit spricht er, der Wahrheit ist er verbunden, der Wahrheit ist er getreu, vertrauenswürdig, kein Betrüger der Welt. —Zwischenträgerei verwirft er, von Zwischenträgerei steht er ab. Was er hier gehört hat, erzählt er dort nicht wieder, um jene zu entzweien; und was er dort gehört hat, erzählt er hier nicht wieder, um diese zu entzweien. So einigt er Entzweite, festigt Verbundene. Eintracht liebt er, an Eintracht findet er Freude und Gefallen, Eintracht fördernde Worte spricht er. — Rohe Rede verwirft er, von roher Rede steht er ab. Worte, die frei sind von Bosheit, dem Ohre wohltuend, liebreich, zum Herzen dringend, höflich, vielen lieb und angenehm, solche Worte spricht er. — Törichtes Geschwätz verwirft er, von törichtem Geschwätz steht er ab. Zur rechten Zeit spricht er, den Tatsachen und dem Sinne gemäß, spricht über die Lehre und über die Zucht; seine Rede ist gehaltvoll, gelegentlich mit Gleichnissen geschmückt, gemessen und zweckdienlich.

Er meidet die Zerstörung von Keim- und Pflanzenleben. Nur zu einer Tageszeit (d. i. bis mittags) nimmt er Nahrung zu sich, und des Nachts bleibt er nüchtern des unzeitigen Essens enthält er sich. Er meidet Tanz Gesang, Musik und den Besuch von Schaustellungen, er verwirft Blumenkränze, Wohlgerüche, Salben, sowie jederart Schmuck, Zierrat und Schönheitsmittel. Hohe und üppige Betten benutzt er nicht. Vom Annehmen von Gold und Silber steht er ab. Rohes Getreide und rohes Fleisch nimmt er nicht an. Frauen und Mädchen nimmt er nicht an. Er besitzt keine Diener und Dienerinnen, keine Ziegen, Schafe, Hühner, Schweine, Elefanten, Rinder oder Pferde, keinen Grund und Boden. Er übernimmt keine Aufträge, tut keine Botendienste. Von Kauf und Verkauf hält er sich fern. Er hat nichts zu schaffen mit falschem Maß, Metall und Gewicht. Die schiefen Wege der Bestechung, Täuschung und Betrügerei vermeidet er. Stechen, Schlagen, Binden Überfallen, Plündern und Vergewaltigen liegen ihm fern.

Er begnügt sich mit dem Gewande, das seinen Körper schützt, mit der Almosenspeise, womit er sein Leben fristet. Wohin er auch immer zieht, damit eben versehen geht er, genau so wie ein beschwingter Vogel stets seine Flügel mit sich trägt.

Durch die Befolgung dieser edlen Sittensatzung empfindet er in seinem Innern ein untadeliges Glück.

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SINNENZÜGELUNG (6. Stufe)

Erblickt er nun mit dem Auge eine Form, oder vernimmt mit dem Ohre einen Ton, riecht mit der Nase einen Duft, schmeckt mit der Zunge einen Saft, empfindet mit dem Körper einen Körpereindruck oder ist sich im Geiste eines Dinges bewußt, so haftet er da weder am Gesamteindruck noch an den Einzelheiten. Und woraus ihm, bei unbewachten Sinnen, Begehren und Kummer, üble unheilsame Dinge entstehen möchten, das bemüht er sich abzuwehren; er bewacht seine Sinne, hält seine Sinne im Zaume. Durch Ausübung dieser edlen Sinnenzügelung (indriya-samvara) empfindet er in seinem Innern ein ungetrübtes Glück.

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ACHTSAMKEIT (7. Stufe)

Klarbewußt ist er beim Auf- und Abgehen, klarbewußt beim Hin- und Wegblicken, klarbewußt beim Beugen und Strecken seiner Glieder, klarbewußt beim Tragen der Mönchsgewänder und der Schale, klarbewußt beim Essen, Trinken, Kauen und Schmecken, klarbewußt beim Verrichten der Notdurft, klarbewußt beim Gehen, Stehen, Sitzen, Einschlafen, Erwachen, Sprechen und Schweigen.

Ist er nun mit diesem edlen Sittenwandel ausgerüstet, ausgerüstet mit dieser edlen Sinnenzügelung und erfüllt von dieser edlen Achtsamkeit und Klarbewußtheit (sati-sampajañña), so wählt er sich einen abgeschiedenen Wohnort, im Walde oder am Fuß eines Baumes, auf einem Berggipfel, in einer Kluft, einer Felsenhöhle, auf dem Leichenfelde, unter freiem Himmel oder auf einem Streulager. Vom Almosengang zurückgekehrt, nach dem Mahle, setzt er sich mit untergeschlagenen Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, die Achtsamkeit vor sich gerichtet.

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ÜBERWINDUNG DER FÜNF HEMMUNGEN

Sinnengier (kāmacchanda) hat er verworfen, gierlosen Herzens verweilt er, von Gier läutert er sein Herz.

Haß (vyāpāda) und Bosheit hat er verworfen, haßfreien Herzens verweilt er, auf das Wohl aller Wesen und Geschöpfe bedacht, läutert er sein Herz von Haß und Bosheit. Starrheit und Mattheit (thína-middha) hat er verworfen, frei von Starrheit und Mattheit verweilt er hellen Geistes, achtsam geistesklar, läutert er sein Herz von Starrheit und Mattheit. Aufgeregtheit und Gewissensunruhe (uddhacca-kukkucca) hat er verworfen, frei von Unruhe verweilt er; und von innerem Frieden im Herzen erfüllt, läutert er sein Herz von Aufgeregtheit und Gewissensunruhe. Zweifelsucht (vicikicchā) hat er verworfen, zweifelentronnen verweilt er; er zweifelt nicht am Guten, läutert sein Herz von Zweifelsucht.

 

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SAMMLUNG (8. Stufe)

Hat er nun diese fünf Hemmungen (nívarana) beseitigt, die Befleckungen des Geistes kennengelernt, die lähmenden, so tritt er, abgeschieden von den Sinnendingen, abgeschieden von unheilsamen Geisteszuständen, in die erste Vertiefung ein ... in die zweite Vertiefung ... in die dritte Vertiefung . . . in die vierte Vertiefung.

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HELLBLICK (1. Stufe)

Was es da aber an Körperlichkeit gibt, an Gefühl, Wahrnehmung, Geistformationen, an Bewußtsein, alle diese Dinge betrachtet er als vergänglich (anicca), als elend (dukkha), siech, als ein Geschwür, einen Stachel, als ein Elend, eine Bürde, als Feind und Bedrücker, als leer und unpersönlich (anattā). Und sich von diesen Dingen abwendend, richtet er seinen Geist auf das Todlose Element: ,Dies ist der Friede, dies das Erhabene, nämlich das Ende aller Daseinsgebilde, das Sichloslösen von allen Daseinssubstraten, die Versiegung des Begehrens, die Loslösung, die Erlöschung, das Nirwahn'. In diesem Zustand erreicht er die Versiegung aller Triebe; wenn aber nicht, so tritt er eben infolge jener Lust und Freude an geistigen Dingen, nach Aufhebung der fünf niederen Fesseln (als Anāgāmí), in einer geistigen Welt (d. i. in den sogen. ,Reinen Gefilden') wieder in Erscheinung, und dort erreicht er das Nirwahn, kehrt nicht mehr von jener Welt zurück.

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ERLÖSUNG

A.IV.198

Und sein Herz wird frei vom Sinnlichkeitstrieb (kāmāsava), vom Daseinstrieb (bhavāsava), vom Nichtwissenstrieb (avijjāsava). ,Erlöst bin ich', diese Erkenntnis steigt auf im Erlösten, und er weiß: ,Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, die Aufgabe vollbracht, nichts gibt es mehr zu tun in dieser Welt!'

M. 26

Auf ewig bin ich nun erlöst,
Zum letzten Mal bin ich gebor'n,
Kein neues Dasein steht bevor.

M. 140

Das ist ja, ihr Jünger, das höchste, heilige Wissen: das Wissen, daß alles Leiden versiegt ist . . . Das ist ja der höchste, heilige Frieden: die Stillung von Gier, Haß und Verblendung.

148

,Ich bin', ist ein Dünken; ,Nicht bin ich', ist ein Dünken; ,Ich werde sein', ist ein Dünken; ,Ich werde nicht sein', ist ein Dünken ... Dünken ist Kranksein, Dünken ist ein Geschwür, Dünken ist ein Stachel. Hat man aber alles Dünken überwunden, so wird man der stille Denker' genannt. Der Denker aber, der Gestillte, entsteht nicht mehr, altert nicht mehr, stirbt nicht mehr, erbebt nicht mehr, begehrt nicht mehr.

Nichts gibt es mehr in ihm, aufgrund dessen er wieder entstände. Ohne aber wieder zu entstehen, wie sollte er altern? Ohne zu altern, wie sollte er sterben? Ohne zu sterben, wie sollte er erbeben? Ohne zu erbeben, wie sollte er begehren?

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DAS WAHRE ZIEL

M.29

Somit besteht der letzte Zweck des heiligen Lebens nicht in Gewinnung von Almosen, Ehre und Ruhm, nicht in Gewinnung von Sittlichkeit, Sammlung und Erkenntnisblick. Jene unerschütterliche Gemütserlösung aber, das ist der Zweck des heiligen Lebens, das ist der Kern, das ist das Ziel.

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M.51

Und die da früher, in vergangenen Zeiten, Heilige, Vollkommen-Erleuchtete waren, auch diese Erhabenen haben der Jüngergemeinde dieses höchste Ziel richtig gewiesen, genau wie es nun von mir der Jüngergemeinde richtig gewiesen wurde. Und auch die da später, in künftigen Zeiten, Heilige, Vollkommen-Erleuchtete sein werden, auch diese Erhabenen werden der Jüngergemeinde dieses höchste Ziel richtig weisen, genau wie es nun von mir der Jüngergemeinde richtig gewiesen wurde.

D. 16

Es mag nun sein, daß ihr (nach meinem Dahinscheiden) also denkt: ,Geschwunden ist die Lehre des Meisters, wir haben keinen Meister mehr!' Doch so sollt ihr nicht denken, denn die von mir gewiesene Lehre und Zucht, sie wird nach meinem Hinscheiden euer Meister sein.

Die Lehre sei euch Rettungsinsel,
Die Lehre sei euch Zufluchtsstätte!
Nach keiner anderen Zuflucht schauet aus!

Darum, ihr Jünger, möget ihr die von mir erkannten und gewiesenen Lehren richtig auffassen, üben, entfalten und häufig pflegen, auf daß der heilige Lebenswandel lange Dauer und Bestand habe, vielen Wesen zum Wohl und Glück, zum Troste für die Welt, zum Heil, Segen und Wohl der Himmelswesen und Menschen.


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